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Der »Rote Alarm« und seine Folgen

Eine Zusammenfassung der aktuellen Geschehnisse in Chiapas/Mexiko

News vom 23.08.2005
doro

  Erschienen am 23.08.2005 in der TERZ. Die TERZ ist die autonome Stattzeitung für Politik und Kultur in Düsseldorf und Umgebung.

äußerlich war es ruhig geworden um die zapatistische Bewegung. Als letztes großes Ereignis wurde im August 2003 die Geburt der Caracoles1) gefeiert und damit die Umsetzung der lange erkämpften indigenen Autonomie — letztendlich, aufgrund der gescheiterten Verhandlungen — ohne Genehmigung der mexikanischen Regierung. Die Militärpräsenz blieb zwar immer noch so hoch wie vorher und auch nicht weniger bedrohlich, die Paramilitärs agierten weiterhin ungestört, Vertreibungen fanden immer noch statt, doch mit den Caracoles und den "Guten (zapa-tistischen) Regierungen" war der nächste Schritt hin zu einem würdigeren Leben in den indigenen Gemeinden von Chiapas gemacht.

Und es funktionierte, langsam, aber es funktionierte! Ein Gesund-heitssystem war im Entstehen, ein eigenes Schulsystem im Aufbau, eine autonome Rechtsprechung.... Und im Mai diesen Jahres noch eine erfreuliche Nachricht: ein Freund-schafts-Fußball-Spiel zwischen Inter Mailand und der EZLN wurde geplant. Also, scheinbar alles ruhig, aber nur scheinbar...

Am 19. Juni wurde diese Ruhe durchbrochen: Ein "Roter Alarm" wurde von der EZLN ausgerufen! Was das bedeutete: die Caracole wurden geschlossen; die "Guten Regierungen" evakuiert (um an einem sichereren Ort weiterzuarbeiten); die Zivilgesellschaft2) gebeten sich aus dem zapatistischen Gebiet zurückzuziehen; die EZLN war in militärischer Alarmbereitschaft.

Eine Erklärung für den Roten Alarm wurde zunächst nicht mitgeteilt. In Unterstützer-In-nen-krei-sen wurden verschiedene Vermutungen geäußert. Einige sahen einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Fund von 44 Marihuana-Feldern in Chiapas, deren Entdeckung genau zu diesem Zeitpunkt von der Regierung bekanntgegeben wurde und die aufgrund geographischer Unkenntnis fälschlicherweise den Zapatisten zuordnet worden sind (es ist aber anzunehmen, das diese Lüge bewusst verbreitet wurde und wird, um die EZLN mit dem Drogenanbau und — handel in Verbindung zu bringen). Andere vermuteten wiederum einen erneuten Aufstand wie den im Januar 1994 (siehe Kasten zur Geschichte der EZLN). Dafür sprachen auch einige Aussagen in den Mitteilungen von Subcomandante Marcos3 wie "... es ist der Zeitpunkt gekommen, den Kampf zu beginnen, damit alle, die da oben die Geschichte verachten und uns verachten, Rechenschaft ablegen, damit sie bezahlen"4).

Einen Tag später wurde dann der Grund des "Roten Alarms" bekanntgegeben: Das CCRI-CG5) der EZLN plante, eine interne Befragung der aufständischen zapatistischen Truppen, der Komman-dant-Innen, der regionalen und lokalen Verantwortlichen und der Unterstützungsbasen6) durchzuführen, und da es im Februar 95 bei einer solchen internen Befragung Übergriffe vom mexikanischen Militär gab, wolle man sich nun im vorneherein davor schützen. Der Inhalt dieser nun stattfindende Befragung blieb zunächst einmal im Dunklen, Befragungen an sich stellen aber kein ungewöhnliches Ereignis in der Geschichte der Zapatistas dar7).

Am 20. Juni teilte das CCRI-CG dann mit, dass es seinen Unterstützungsbasen einen neuen Schritt im Kampf vorschlagen wird, der das bis jetzt Erreichte in Gefahr bringen und die Verfolgung und Aufreibung der zapatistischen Gemeinden verschlimmern könnte. In welche Richtung dieser neue Weg aber gehen würde, eröffnete Raum für Spekulationen. Einen Tag später — in seinem "Nicht-Abschiedsbrief" — stellte Sub-comandante Marcos dann aber klar, dass von Seiten der EZLN nicht geplant ist, den offensiven militärischen Kampf wieder aufzunehmen. Andeuten tat er hingegen, dass der zapatistische Kampf sich — je nach Ausgang der Befragung — von einer rein indigenen Bewegung entfernen wird, hin zu einer Bewegung, die für alle Unterdrückten kämpft.

Am 26. Juni kam dann die Mitteilung über das Ergebnis der Befragung: Mehr als 98 % der erwachsenen indigenen Männer und Frauen der Unterstützungsbasen stimmten einer neuen politischen Initiative zu "die nationaler und internationaler Natur ist".

Die Ergebnisse wurden dann in der 6. Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald vorgestellt. Diese besteht aus sechs Teilen: Die ersten vier Teile sind eine Zusammenfassung der Ist-Situation (»Von dem, was wir sind, wo wir jetzt sind, wie wir die Welt sehen, wie wir unser Land Mexiko sehen«), die letzten beiden Teile handeln von den anstehenden Veränderungen (»Was wir tun wollen, wie wir das tun wollen«). Die Vergangenheit ist bekannt und kann in unzähligen Publikationen nachgelesen werden8) und das, was die EZLN tun möchte, ist eigentlich auch nicht neu. Es geht um eine stärkere Vernetzung mit nationalen und internationalen Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen, die im Namen der Menschlichkeit gegen den Neoliberalismus Widerstand leisten und darum, diese in ihrem Kampf zu unterstützen. Das Ziel ist es, eine Welt zu schaffen, in der es Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit für alle gibt.

Auf nationaler Ebene soll es nun konkret darum gehen, zusammen mit allen Ausgebeuteten und Enteigneten Mexikos (und damit sind auch diejenigen gemeint, die gezwungen waren in die USA zu gehen, um dort Arbeit zu suchen) eine neue Verfassung zu fordern "die die Rechte und Freiheiten des Volkes anerkennt und den Schwachen gegen den Starken verteidigt". Diese Initiative wird die "Andere Kampagne" genannt. Mit den Unter-stützerInnen dieser Kampagne zusammen soll dann ein Plan erarbeitet werden für die Reise einer EZLN-Delegation durch ganz Mexiko, aber nur dahin, wohin diese auch eingeladen wird. Dabei wird noch einmal klar darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um eine parlamentarische Bewegung handelt (2006 sind Wahlen in Mexiko) und auch keine Allianzen mit parteigebundenen Organisationen eingegangen werden.

Für die Umsetzung dieser Pläne wurden dann auch gleich von der EZLN für den Zeitraum vom 5. August bis zum 11. September sechs Wochenenden für die Treffen mit der mexikanischen Zivilbevölkerung festgelegt (Politische Organisationen der Linken; Organisationen der Indígenas Mexikos; Linke Soziale Organisationen; Nicht- Regierungsorganisationen, künstlerische und kulturelle Organisationen, Gruppen, Kollektive, etc.; Individuen, Vertreter von Gemeinden, Straßen, Siedlungen, etc.;). Bei der EZLN gingen daraufhin viele Rückmeldungen ein und die ersten Treffen (sie finden im Caracol La Garrucha statt) haben auch schon stattgefunden. Bei dem ersten Treffen erschien dann auch — zum ersten Mal nach vier Jahren — Subcom-an-dante Marcos wieder in der Öffentlichkeit, in Begleitung von 9 Frauen und 7 Männern der Kommandantur und "Pinguin" (und wer sich fragt was ein Pinguin im Lakandonischen Urwald zu suchen hat, der kann dies u.a. unter www.de.indymedia.org nachlesen). Wie viel Erfolg diese Treffen haben werden, wird die Zukunft zeigen, es wurde auf jeden Fall viel diskutiert, getanzt und gefeiert.

Und was passiert nun auf internationaler Ebene?

Die Termine und Orte für die Zusammenkünfte mit der internationalen Zivilgesellschaft werden von der EZLN noch bekanntgegeben. Im Vorfeld dazu gab es Ende Juli ein Treffen europäischer Soli-Gruppen in Barcelona, bei dem u.a. ein Brief an die EZLN verabschiedet wurde, der eine positive Einschätzung der 6. Erklärung zum Ausdruck bringt. Und was passiert nun in den indig-e-nen Gemeinden, da sich die EZLN mehr in das nationale und internationale Geschehen einbringen will? Weiterhin wird die größte Kommission der EZLN-Kommandantur für die zapa-tistischen Dörfer zuständig sein, für ihre Verteidigung, die Unterstützung ihrer Autonomie und ihre Orientierung im Kampf. Daneben wird es aber auch andere Kommissionen geben: die "Intergalaktische Kommission" für den internationalen Bereich und die "Sechste Kommission", zuständig für die "Andere Kampagne". Continuará... (denn fast täglich erscheinen weitere Berichte aus dem Lakando-ni-schen Urwald)


Geschichte der EZLN:

Die EZLN (Ejercito Zapatista de Liberacion National — Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) hat sich 1983 in den Urwäldern von Chiapas gegründet (Chiapas ist der südlichste Bundesstaat Mexikos). Mitglied sind zu fast 100 % indigene Bauern und Bäuerinnen aus chiapanekischen Gemeinden. Am 1.1.1994 besetzten Sie die Rathäuser einiger Bezirksstädte von Chiapas, womit bis dato keiner gerechnet hätte. Sie forderten: Unterkunft, Arbeit, Land, Brot, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. Die indigene Bevölkerung lebt seit Jahrhunderten ausgebeutet und unterdrückt am Rande der mexikanischen Gesellschaft. Der Aufstand zog einen 12-tägigen Krieg mit dem mexikanischen Militär nach sich, in dessen Folge Chiapas zu dem Bundesstaat Mexikos mit der höchsten Militärpräsenz wurde. Gleichzeitig wurde der Konflikt international bekannt, auch, da die Botschaften der EZLN via Zeitung und später Internet in die ganze Welt getragen wurden. Es bildeten sich viele Soligruppen, die den Kampf der Zapatistas gegen Unterdrückung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung unterstützen. Darüber hinaus wurde von der EZLN auch immer ein internationaler Bezug hergestellt und eine Anti-Neoliberale Politik vertreten.


Fussnoten:

1) Caracol (dt. Schneckenmuschel) werden die zapatistischen Regierungssitze genannt (im aufständischen Gebiet von Chiapas gibt es 5 Caracoles: Oventik, La Garrucha, La Realidad, Morelia und Roberto Barrios). Hier hat der "Rat der Guten Regierung" (Junta de Buen Gobierno) seinen Sitz. Zusammengesetzt ist dieser Rat aus gewählten Mitgliedern der indigenen Gemeinden. Die "Gute Regierung" agiert unabhängig von der "Schlechten (mexikanischen) Regierung". Sie ist die höchste Entscheidungsinstanz in Bezug auf alle Angelegenheiten der zapatistischen Gemeinden, wobei es auch vorkommt, das Nicht- Zapatistas dort um Rat fragen. Darüber hinaus finden in den Caracoles Versammlungen z.B. der Gesundheits- und Bildungsbeauftragten statt u.v.m. (dort gibt es zum Beispiel auch Internetzugänge, weiterführende Schulen und Gesundheitszentren).

2) Im zapatistischen Sinne wird das Wort "Zivilgesellschaft" als Bezeichnung der Menschen benutzt, die sich mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht abfinden wollen und sich mit den Bewegungen, die dagegen kämpfen, solidarisch erklären. Nach der Definition von Michael Bernhardt (http://de.wikipedia.org/wiki/Zivilgesellschaft) bezeichnet Zivilgesellschaft einen öffentlichen Raum zwischen staatlicher und privater Sphäre, der durch eine Vielzahl autonomer und vom Staat rechtlich getrennter Organisationen (z.B. Nichtregierungsorganisationen) und Initiativen gefüllt wird und der den Akteuren individuelle und kollektive Freiheiten (z.B. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) garantiert, die es ihnen ermöglichen, ihre Interessen zu verfolgen.

3) Subcomandante Marcos, Sprecher des "Geheimen Revolutionären indigene Komitees — Generalkommandantur der EZLN". Er schreibt im Namen der EZLN oder auch in eigener Sache eine ganze Menge Botschaften, darüber hinaus aber auch (Kinder-)Geschichten (z.B. die Geschichten vom Alten Antonio) und in Kooperation mit Paco Ignacio Taibo II ist gerade der Krimi "Unbequeme Tote" erschienen (Verlag Assoziation A).

4) Subcomandante Marcos: Die (unmögliche) Geometrie? der Macht in Mexiko. Veröffentlicht am 20.06.05. Dieser Text beinhaltet eine Abrechnung mit allen großen Parteien Mexikos.

5) Geheimes Revolutionäres Indigenes Komitee — Generalkommandantur (Comité Clandestino Revolucionario Indígena — Comandancia General), höchstes Entscheidungsgremium der EZLN.

6) Die Bewohner der indigenen Gemeinden, die sich der zapatistischen Bewegung zugehörig fühlen.

7) Der Aufstand vom 1.1.1994 wurde in den indigenen Unterstützergemeinden beschlossen, genauso wie die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in die indigenen Gemeinden getragen, dort diskutiert und abgestimmt worden sind. Neben dieser internen Befragungen gab es aber auch im August/September 1995 und im März 1999 nationale Befragungen, in denen mehr als 1.000.000 Menschen den Forderungen der Zapatistas zustimmten.

8) z.B. Luz Kerkeling: "La Lucha sigue — Der Kampf geht weiter", Unrast-Verlag;
Subcomandante Marcos: "Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald", Edition Nautilus;

Im Internet:
www.gruppe-basta.de
www.chiapas.ch
www.chiapas.at
www.zapares.de
www.cafe-libertad.de
www.sipaz.org

 Quelle:  
  http://www.terz.org/ 
 

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