Waffen schweigen, EZLN spricht

Mexikanische Guerillaorganisation startet neue politische Initiative

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Mehrere Jahre hatte sie geschwiegen, nun drängt die Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) wieder massiv in die Öffentlichkeit. Bereits am Montag vergangener Woche sorgte die mexikanische Guerillaorganisation für Aufsehen, als sie einen „roten Alarm“ ausrief und die Truppen mobilisierte ("Alarmstufe Rot" in Chiapas). Mitte dieser Woche nun kündigte der charismatische EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos eine „neue politische Initiative nationalen und internationalen Charakters“ an.

Subcomandante Marcos

Die Basis sei zuvor über die Aufnahme neuer Verhandlungen mit der Regierung in Mexiko-Stadt befragt worden. Zwischen dem 20. und dem 26. Juni hätten dazu in über 1.000 Gemeinden Versammlungen stattgefunden. Die Mobilmachung der Truppen sollte diese Zusammenkünfte offenbar vor Übergriffen durch Armee und Paramilitärs schützen. In dem neuen Kommuniqué des Geheimen Indigenen Revolutionären Komitees – Generalkommando hieß es, „98 Prozent der zapatistischen Basis“ hätten sich dabei mit der politischen Initiative einverstanden erklärt. Solche basisdemokratischen Umfragen sind typisch für die EZLN. Obwohl sie am 1. Januar 1994 mit einem bewaffneten Aufstand in die Öffentlichkeit trat, setzt die Organisation vor allem auf politische Mittel und die Teilhabe der indigenen Gemeinden. Erklärtes Ziel ist es, den im politischen System Mexikos ausgegrenzten Ureinwohnern im Süden des Landes mehr Rechte zu verschaffen – ohne sie zu bevormunden. Ein Großteil der Kommandanten der EZLN gehört selbst indigenen Gruppen an.

Unklar sind die Chancen der neuen Initiative. Im Laufe der elfjährigen Geschichte des neozapatistischen Aufstandes hatte es mehrere Anläufe der EZLN gegeben, den sozialen und bewaffneten Konflikt auf die politische Ebene zu heben. Doch die „Nationale Demokratische Konvention“ scheiterte 1994 ebenso wie die Gründung der „Zapatistischen Front zur Nationalen Befreiung“ im gleichen Jahr. Auch der Versuch, mit der „Bewegung für die Nationale Befreiung“ im Jahr 1995 eine Plattform gegen die neoliberale Politik zu schaffen, misslang schließlich am Widerstand der Bundesregierung.

Ungeachtet dessen stieß die Ankündigung der EZLN in Mexiko-Stadt auf freundliche Zustimmung. Rubén Aguilar, der Sprecher des konservativen Präsidenten Vicente Fox, stellte sogar eine Einstellung der Haftbefehle in Aussicht, mit denen die militärische Führung der EZLN seit 1996 gesucht wird. „Von unserer Seite wird es keine Einschränkungen für politische Organisationen geben, mit denen sie (die EZLN, d. A.) am politischen Leben des Landes teilnehmen will“, sagte Aguilar. Die „wichtige Entscheidung“ der EZLN gebe einer politischen Lösung schließlich Vorrang.

Es wird sich zeigen, wie lange eine solche Euphorie anhält. Schließlich war es die Regierung von Vicente Fox selber, die 2001 den Abbruch der Gespräche mit der neozapatistsichen Aufstandsbewegung provoziert hat. Nach einer längeren Parlamentsdebatte wurde damals ein Gesetz über indigene Rechte verabschiedet, das in allen wichtigen Punkten gegen zuvor getroffene Abkommen zwischen Regierung und Neozapatisten verstieß. Die EZLN hatte bei den Verhandlungen für das Abkommen von San Andrés 1994 auf eine Teilautonomie des indigenen Südens bestanden. Zur stärkeren Rolle gegenüber der Zentralregierung sollte vor allem die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen in Chiapas beitragen. Zudem wurde die damals Regierung aufgefordert, die kollektiven Rechte der indigenen Gruppen anzuerkennen und ein Mitspracherecht bei Großprojekten in der Region zu etablieren. Keiner dieser Punkte fand sich im Gesetz 2001 wieder.

Während die Regierung nun trotzdem Dialogbereitschaft demonstriert, berichten Menschenrechtsgruppen von verstärkten Truppenbewegungen in Chiapas. So seien 400 Soldaten von Tapachula im Süden des Bundesstaates in die chiapanekische Hauptstadt Tuxtla Guitiérrez verlegt worden – näher an das von der EZLN kontrollierte Gebiet also. Präsidentensprecher Aguilar wies jeden Zusammenhang zwischen dieser Truppenverlegung und dem Konflikt mit den Zapatisten von sich. Dies habe „absolut nichts miteinander zu tun“, sagte er am Dienstag auf Nachfrage von Journalisten.

Tatsächlich weisen lokale Menschenrechtsorganisationen jedoch seit Jahren auf eine Militarisierung des Aufstandgebietes. Mindestens ein Dutzend paramilitärischer Gruppen führt inzwischen einen brutalen Krieg gegen die Ureinwohner. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas mit Sitz in San Cristóbal (Chiapas) bezeichnet diese bewaffneten Kommandos als Teil des „Krieges niederer Intensität“. Dieser bestehe darin, die Bevölkerung durch stetigen Terror mürbe zu machen und der neozapatistischen Bewegung das Wasser abzugraben.

Ob ein solcher Masterplan besteht, konnte zwar nie aufgeklärt werden. Doch immer wieder wurden Kontakte zwischen politischen Funktionären und Paramilitärs bekannt – so etwa nach dem bisher schlimmsten Massaker, bei dem am 22. Dezember 1997 in dem Bergdorf Acteal 45 Zivilisten ermordet wurden. Obwohl immer wieder auf die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Armee und Paramilitärs hingewiesen wurde, „nutzen“ Bundesregierung und Streitkräfte das Blutbad, um noch mehr Truppen nach Chiapas zu entsenden. Derzeit sind rund 70.000 Soldaten in dem kleinen Bundesstaat im Süden Mexikos stationiert. Das entspricht einem Drittel der Armee. Auf eine wirkliche Bereitschaft zum politischen Dialog lässt das nicht schließen.