Mediokratie in Mexiko

In Mexiko steht ein umstrittenes neues Rundfunk- und Fernsehgesetz kurz vor der Verabschiedung - Teil 1

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Das geplante Mediengesetz soll entscheidend zur Demokratisierung der Verhältnisse und zur Ermöglichung der Meinungsfreiheit beitragen. Doch die Debatte darum ist von Blockaden und Machenschaften gekennzeichnet. Denn es steht nicht nur viel Geld auf dem Spiel, sondern auch die Erneuerung der Konzessionen für die größten Medienimperien, die in der nächsten Legislaturperiode fällig sind.

Das hervorstechendste Kennzeichen der mexikanischen Medienlandschaft ist die hohe Eigentumskonzentration. Im Printbereich gibt einer der größte Zeitungsverlage Lateinamerikas, Organizacion Editorial Mexicana (OEM), gleich 60 Tageszeitungen heraus. Doch bei den elektronischen Medien ist die Monopolisierung noch wesentlich weiter fortgeschritten.

Televisa, der weltweit größte spanischsprachige Medienkonzern, vereint 80 Prozent der landesweiten Fernsehlizenzen auf sich und, je nach Quelle, 60-85 % des Fernsehpublikums. Der Konzern exportiert Vorabendserien in über 75 Länder und betreibt im Hörfunkbereich allein in Mexiko 17 Radioketten, während er jedes Jahr Zehntausende von kommerziellen Radioprogrammstunden nach ganz Lateinamerika exportiert. Televisa befindet sich im Besitz von drei mexikanischen Familien, die 76 Prozent des in Mexiko für Werbung ausgegebenen Geldes einnehmen. Das Programm des traditionell politisch rechts positionierten Konzerns, das die unzähligen Televisa-Stationen in Hörfunk und Fernsehen ausstrahlen, spiegelt vor allem den Glamour der oberen Zehntausend wieder.

Größter Konkurrent von Televisa ist TV Azteca, mit einem Marktanteil von 20-40 Prozent (je nach Quelle). Im Radiobereich konzentrieren allein in der Hauptstadt fünf Familien 49 Radiosender auf sich.

Radio und Fernsehen sind in Mexiko mit Abstand die wichtigsten Medien: Eine Kultur des Zeitungslesens existiert, u.a. wegen des hohen Analphabetismus und fehlender Distributionsnetze, nur bei den städtischen Mittel- und Oberschichten. Auch der Zugang zum Internet ist weitestgehend auf die Städte beschränkt, auf die auch die Telefon- und Datenleitungsnetze ausgerichtet sind. Eine 2002 durchgeführte Untersuchung ergab, dass zu diesem Zeitpunkt von 1.000 Mexikanern 330 Zugang zu einem Radioempfänger hatten, 283 zu einem Fernseher, 135 zu einem Festnetz-Telefonanschluss und 9 zum Internet. Etwa 45 % der Mexikaner bezogen ihre Informationen vorwiegend über das Fernsehen, 45 % über Radio und nur etwa 10 % durch die Presse. Besonders in armen, ländlichen Gebieten ist Radio mit Abstand das am meisten genutzte Medium.

Auch in der Politik war Mexiko lange Zeit ein Monopol gewohnt: Erst im Jahr 2000 endeten über 70 Jahre Einparteienherrschaft der Partei der Institutionellen Revolution, PRI, die sich bis heute auf ihrer Homepage als "Die Partei an der Macht" darstellt. Der langjährige Machterhalt hatte durch eine ausgeklügelte Kombination von Integration und Repression funktioniert - nur wer sich nicht kaufen ließ, musste die harte Hand des Staates spüren.

Doch seit den 80er Jahren geriet dieses Modell - gemeinsam mit dem entsprechenden Ökonomischen - in die Krise, da der nun tonangebende Neoliberalismus Wettbewerb und Pluralismus erforderte. 2000 gewann schließlich die konservativ-katholisch ausgerichtete PAN mit ihrem Kandidaten Vicente Fox die Präsidentschaftswahlen, der eine umfassende Staatsreform versprach, um Mexiko den Weg zur Demokratie zu ebnen.

Das angestrebte Reformpaket sollte auch eine Erneuerung des Rundfunk- und Fernsehgesetzes von 1960 beinhalten, um die Macht der privaten Medienimperien einzudämmen und die Medienlandschaft insgesamt zu demokratisieren. Bislang erteilt die Exekutive Rundfunk- und Fernsehkonzessionen nach freiem Ermessen, ohne dass dabei für die Öffentlichkeit die Kriterien nachvollziehbar wären oder diese Entscheidungen einer demokratischen Kontrolle unterlägen. Obwohl formal das Ministerium für Kommunikation und Transport SCT die Konzessionen erteilt, ist der primäre Ansprechpartner für Antragsteller der mexikanische Präsident, der im politischen System des Landes persönlich mit sehr weitgehenden Befugnissen ausgestattet ist. Dies ermöglicht allerdings auch der kommerziellen Medienlobby, direkten Druck auf den Präsidenten auszuüben.

Quasi-mafiöse Verflechtungen

Aus dieser Situation ist eine enge , quasi-mafiöse Verflechtung zwischen den sukzessiven mexikanischen Regierungen und den Medienkonzernen erwachsen, in der Gunst mit Gunst vergolten wurde. Der Präsident war auf eine wohlwollende Berichterstattung angewiesen, die er den Medienimperien mit einer gemäßigten Steuerpolitik und dem großzügigen Einkauf von Werbezeit dankte. Dieses System existierte auch mit der Regierung Fox ungebrochen weiter: So finanzierte beispielsweise der Televisa-Konzern ein Benefizkonzert mit Elton John für die Wohltätigkeitsstiftung Vamos México, die von der Mexikos First Lady geleitet wird. Diese wiederum hat sich als eine der möglichen Kandidatinnen für das nächste Präsidentenamt ins Spiel gebracht.

Im Wahlkampf mischen die mexikanischen Medien ohnehin erheblich mit: Zum einen gewähren sie der Partei, der sie am nächsten stehen - bisher war das die ehemalige Staatspartei PRI - erheblich mehr Sendezeit als den konkurrierenden Parteien. Zum anderen verlangen sie, je nach politischer Nähe zur einkaufenden Partei für bezahlte Wahlwerbung unterschiedliche Tarife. Und schließlich widmen sie auch in ihren Nachrichtensendungen ihren Favoriten mehr Aufmerksamkeit und Sendezeit als den unliebsamen Konkurrenten - bei den Parlamentswahlen 2003 sollen sowohl bei Televisa als auch bei TV Azteca an die 50% der Nachrichtenzeit im Fernsehen mit Informationen über die PRI gefüllt worden sein.

Zwar haben die 2000er Präsidentschaftswahlen gezeigt, dass nicht immer automatisch gewinnt, wer in den Medien am meisten Sendezeit hat - das wäre der PRI-Kandidat Francisco Labastida gewesen, der jedoch gegenüber Vicente Fox unterlag. Doch sind die Summen, die mexikanische Parteien für Wahlwerbung in elektronischen Medien ausgeben, seit Anfang der 90er Jahre um ein vielfaches gestiegen, und die politischen Parteien gehören zu den besten Werbekunden der Medienimperien.

Dass dies die Art und Weise, wie über diese Großkunden journalistisch berichtet wird, beeinflussen könnte, liegt auf der Hand. Wie die kritische Wochenzeitschrift Proceso in einer der "Telekratie" gewidmeten Sonderausgabe feststellt, bezahlen diverse Parteien neben als solchen erkennbaren Werbespots auch erhebliche Summen für einfache Interviews in Hörfunk und Fernsehen, die dem Publikum als unabhängige journalistische Arbeiten präsentiert werden.

Es gibt in Mexiko zwar staatliche Fernseh- und Radiokanäle, doch haben diese nicht dieselbe Funktion wie die öffentlich-rechtlichen in der Bundesrepublik, eine bestimmte Programmbreite und -qualität jenseits von Profiterwägungen zu garantieren, sondern werden allgemein eher als Regierungsmedien in einem politischen Sinn wahrgenommen. Darüberhinaus hatte der Staat bis vor kurzem Anspruch auf 12,5 Prozent der Sendezeit bei den Privaten, um eigene Produktionen über soziale Belange, Bildung und Gesundheit auszustrahlen.

Pikanterweise ging diese Regelung auf ein Dekret des Ex-Präsidenten Gustavo Díaz Ordaz nach dem Massaker an protestierenden Studenten 1968 zurück, der sich damals mit den Medien eine Machtprobe lieferte, um kritische Berichterstattung über die Studentenproteste und die staatliche Repression dagegen zu unterbinden. Er drohte den Medienkonzernen mit einer Steuer von 25 Prozent auf alle Werbeeinnahmen - bis man sich schließlich auf eine Abtretung von Sendezeit an die Regierung einigte. Diese Machtprobe war möglich, weil nach mexikanischem Recht die Regierung Eigentümer der Frequenzen ist, und der Präsident diese also nach freiem Ermessen vergeben und entziehen kann.

Der jetzige Staatspräsident Vicente Fox widerrief dieses Dekret am 10. Oktober 2001, ohne sich vorher mit dem kurz zuvor eingerichteten runden Tisch in Sachen Medien beraten zu haben, der an einem Entwurf für ein zeitgemäßes Mediengesetz arbeiten sollte, um der Vetternwirtschaft in diesem Bereich ein Ende zu setzen. Ganz offensichtlich wollte sich Fox die Gunst der mexikanischen Medienzare sichern, die durch die Reduzierung der staatlichen Sendezeit auf 18 Fernsehminuten und 35 Radiominuten täglich erhebliche Gewinnsteigerungen verbuchen konnten.

Das Recht auf Gegendarstellung, das die Regierung gleichzeitig als "demokratische Massnahme" einführte, ist dagegen bisher faktisch und juristisch nicht durchsetzbar. Mit dem Dekret hatten die Befürworter einer tiefgreifenden Reform des Mediengesetzes am runden Tisch zunächst ausgespielt. Doch gab es weiterhin gesellschaftliche Kräfte, die die Medienmachenschaften transparenter und demokratischer gestalten wollten. Im vergangenen Dezember schließlich mobilisierten sich um die hundert Nichtregierungsorganisationen und Vertreter von 135 Printmedien, um vom mexikanischen Parlament die überfällige Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes zu fordern. Ihr Anliegen in den Worten von Aleida Calleja, der Vorsitzenden des Weltverbands freier Radios in Mexiko, AMARC:

Das Parlament hat die historische Gelegenheit, der Repression und Ungerechtigkeit, über die derzeit die Medienaktivitäten reguliert werden, zu beenden. Es hat jetzt die Verantwortung und die Pflicht, das Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit der Mexikaner zu garantieren, den Interessen der gesamten Gesellschaft zu genügen und nicht nur denen einiger weniger Gruppen. Kurz, es hat die Möglichkeit, die Medien zu demokratisieren. Hoffen wird, dass die Erpressungsversuche nicht schwerer wiegen als sein Pflichtgefühl.

Medienrat und quotierte Wahlwerbung

Die jetzt vorgelegte Reform des Mediengesetzes soll bezahlte Parteienwerbung in Rundfunk und Fernsehen ganz verbieten. Lediglich die ohnehin vom Staat beanspruchte tägliche Sendezeit soll in den jeweils letzten drei Monaten vor einer Wahl vom staatlichen Wahlinstitut gerecht auf alle antretenden Parteien aufgeteilt werden, um die bisherige Begünstigung der besser bezahlenden oder politisch willkommeneren Parteien durch die Medien zu unterbinden und Wahlen so demokratischer zu gestalten.

Ferner sollen maximale Grenzen für die Konzentration an Medieneigentum festgelegt werden, sowie Strafen für Verstöße gegen das Mediengesetz. Anstatt der Exekutive soll künftig ein Medienrat nach öffentlich nachvollziehbaren Kriterien über Konzessionen entscheiden, und ein Fonds für die Förderung unabhängiger Medienproduktionen soll eingerichtet werden.

Allerdings verhinderten den Medienkonzernen nahe stehende Senatoren wie der ehemalige Kommunikationsminister Emilio Gamboa Patrón nicht nur die Verabschiedung der Gesetzesreform noch vor Weihnachten, sondern sie verwässerten auch den Entwurf an entscheidenden Punkten: Die Mitglieder des Medienrats sollen nur doch wieder vom Staatspräsidenten ernannt werden - auch wenn das Parlament hier ein Einspruchsrecht erhalten soll -, und die vorgesehenen Geldstrafen für Verstöße gegen das Mediengesetz wurden schon einmal um die Hälfte gekürzt. Als nächsten Termin für eine Verabschiedung dieser bereits verstümmelten Reform einigte man sich auf den 16. Februar 2005.