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Bischof in Mexiko: "Das sind doch Homophobe"

Foto: Sashenka Gutierrez/ picture alliance / dpa

Kämpferischer Kirchenmann in Mexiko Bischof Courage

Der mexikanische Bischof Raúl Vera ist ein Ausnahmegeistlicher: Der Katholik kämpft gegen korrupte Politiker, Menschenhändler und Drogenbosse - und für die Rechte Homosexueller. Sein mutiges Engagement sorgt für Skepsis bei den Glaubensbrüdern in Rom. Sie fordern Läuterung.

Vier Leichen, die an einer Brücke hängen. Ratlose Polizisten, die die Körper herabholen und auf den Asphalt legen. Folterspuren, unzählige Einschusslöcher, das ganze Programm. Es ist Freitagabend in Saltillo, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Coahuila. Über eine halbe Million Menschen leben hier, ganz nah an den großen Transitrouten der Drogen, die über Mexiko in die USA, nach Europa und in den Rest der Welt geschafft werden. Ein umkämpftes Terrain, auf dem sich das Golf- und das Sinaloakartell mit den verfeindeten Zetas bestialische Auseinandersetzungen liefern.

Hier lebt, arbeitet und kämpft der katholische Bischof Raúl Vera López. Ein kluger Theologe mit großem Herzen und einem lauten, ansteckenden Lachen. Lopez war hochgehandelter Kandidat für den Friedensnobelpreis 2012, er ist Menschenrechtler und Seelsorger. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung  kam er unlängst für eine Mexiko-Tagung nach Berlin. Wie erträgt er die maßlose Gewalt in seiner Heimat, wo die Täter sich nicht damit begnügen, einen Menschen zu töten, sondern ihn vorher noch schänden, quälen und verunstalten? Vera holt weit aus: "Es ist eine der großen Stärken des Evangeliums, auf das Böse mit Güte zu antworten und auf Ungerechtigkeit mit Gerechtigkeit."

Doch wieso diese unmenschliche Aggression? "Wir haben eine korrupte Regierung, die von der organisierten Kriminalität durchdrungen ist. Die Herren führen sich auf wie die spanischen Eroberer, die genauso bestialisch die Ureinwohner hingemetzelt haben - um Angst zu verbreiten, um das Terrain zu dominieren. Um zu herrschen."

Weil die Drogenbosse ihre Leute über manipulierte Wahlen in Gemeinde- und Stadträten, Justiz, Verwaltung und Sicherheitskräften installiert haben, müssen die Entführer und Auftragsmörder in der Regel keine Strafverfolgung fürchten. Viele stehen während der Tat selbst unter Drogen. Und immer geht es auch um Geld. So wurden aus ehemaligen Elitesoldaten die heute gefürchteten Los Zetas - auch, weil die Kartelle ihnen viel mehr Sold versprachen.

"Die Regierung hat längst die Kontrolle über das Land verloren"

Bischof Vera ist ein eigenwilliger, umstrittener Vertreter seiner Zunft, einer, der von der Regierung verwarnt wurde, weil er die damals wie heute regierende Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) kritisierte. Der es nicht hinnimmt, dass sein Landsmann Carlos Slim mit Telekommunikationsdeals und guten Beziehungen zur Regierung 69 Milliarden Dollar anhäufte, während die Landbevölkerung hungerte. Der gegen Großgrundbesitzer ebenso wettert wie gegen Wirtschaftsliberalismus oder die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung.

Fragt man ihn nach dem neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto sagt er nur: "Was erwarten sie? Die mexikanischen Politiker haben sich längst mit dem großen Kapital verbündet. Peña Nieto wird die Kontrolle verschärfen und einen Polizeistaat aufbauen." Die Rhetorik des Staates habe mit der Realität nichts zu tun. "Die Regierung hat längst die Kontrolle über das Land verloren. Das einzige, was in Mexiko regiert, sind der Markt und die Banken."

Das klingt nach Sozialismus - und ein bisschen ist es das auch. Vera ist Befreiungstheologe, er glaubt fest an den Segen basisdemokratischer Veränderungen in der Gesellschaft. "Die lateinamerikanische Theologie setzt auf Transformation, wir wollen das Herz der Menschen verwandeln - das bedeutet, dass wir auch die gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben, ändern müssen."

Ein Revolutionär also? "Ich bin Raúl Vera, ich bin ein Mensch!" ruft er laut und lässt seine Hand auf die Tischplatte krachen. Das Volk sei nun mal souverän, dürfe sich mithin die Regierung geben, die es wolle. "Das allerdings will gut organisiert werden", sagt er und skizziert kurz seinen Plan, wie die Nation zu retten sei.

Eine neue Verfassung müsse her, jeder widersprüchliche Zusatz der Vergangenheit ausgemerzt und alle nicht den internationalen Verträgen entsprechenden Passagen herausgenommen werden. Eine Expertengruppe aus Juristen und anderen Akademikern solle die Vorarbeit leisten und dann in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft - ohne die Mitwirkung irgendeiner Partei oder staatlicher Organisationen - das Verfassungswerk entwickeln.

Vom Wanderarbeiter zum Auftragskiller

Vera ist beileibe kein versponnener Theologe im Elfenbeinturm - er geht die Dinge pragmatisch an. Der Bischof gründete die Organisation "Frontera con Justicia" ("Grenze mit Gerechtigkeit"). Sie verteidigt die Rechte von Migranten aus ganz Mittelamerika, die auf ihrem Weg in die Vereinigten Staaten entführt und versklavt, verletzt oder wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Im "Haus des Migranten" in Saltillo finden sie medizinische Hilfe, Verpflegung und rechtliche Beratung.

In dem Übergangsheim hört Vera jeden Tag unglaubliche Lebensgeschichten. Da ist der junge Mann aus Tijuana, der nach Saltillo kam, weil man ihm in der Nähe Arbeit versprochen hatte. Tatsächlich brachte man ihn in ein Trainingslager einer kriminellen Organisation, wo er zum Auftragskiller ausgebildet wurde. Er floh und fand Unterschlupf im "Haus des Migranten". "Der Junge war vollkommen verstört", sagt Vera.

Immer wieder würden Menschen einfach von der Bildfläche verschwinden. "Derzeit suchen wir nach 250 Vermissten, die meisten von ihnen junge Männer und Kinder zwischen fünf und 18 Jahren", sagt Vera. Fast immer handele es sich bei den Entführungsopfern um mittellose Arbeitssuchende. In einem Fall wurden ein Dutzend Arbeiter einfach auf Pick-ups geladen und nie wieder gesehen. "Keiner weiß, wo sie geblieben sind."

Die Nichtregierungsorganisation México Evalúa beziffert die Zahl der Toten, die während Felipe Calderóns Amtszeit als Präsident im "Krieg gegen die Kartelle" umkamen, auf mehr als 88.000. Hinzu kommen die 13.000 "Levantados", die Verschwundenen.

Homophobe Attacken

Vera kämpft an vielen Fronten gleichzeitig. Lange Jahre stand er dem "roten Bischof" und Friedensaktivisten Samuel Ruiz als Koadjutor zur Seite. Beide vertraten leidenschaftlich die Sache der indigenen Bevölkerung und wurden dafür mit dem Tode bedroht. Ruiz ist 2011 gestorben, Vera verfolgt die gemeinsamen Ideen weiter.

Die katholische Kirche schaut mit Argwohn auf seinen sozialistischen Duktus und die liberalen Positionen, die er vertritt. Immer wieder wird der Bischof vor die Glaubenskongregation zitiert, muss sich verantworten für seine angeblich laxe Haltung in Sachen Homosexualität, Frauenrechte oder Sex vor der Ehe. "Man hat mir Ratschläge erteilt und wird das auch in Zukunft wieder tun", sagt Vera.

Angesichts der brutalen Realität in Mexiko wirken die Attacken der katholischen Kirche wie Weihrauchdampf im Kugelhagel. Akademisches Geplänkel um die theologische Ausrichtung. Dennoch machen sie Vera zu schaffen. "Wir haben Homosexuellen den Schutz der Kirche angeboten, weil sie verfolgt und wie Aussätzige behandelt werden. Doch die konservativen Teile der Kirche haben das als Promotion der gleichgeschlechtlichen Liebe gedeutet, ich wurde heftig angefeindet."

Vor allem das katholische Internetportal Aciprensa rückte dem Bischof zu Leibe, zweifelte seine Kompetenz an und verurteilte seine Zusammenarbeit mit der christlichen Schwulengruppe San Elredo. Sowohl diese als auch das der Diözese unterstellte Menschenrechtszentrum Fray Juan de Larios hätten sich dafür ausgesprochen, dass Frauen nach Abtreibungen straffrei bleiben - Aciprensa zufolge ein Unding.

"Für mich sind das Homophobe", sagt Bischof Vera. Nur allzu oft seien es die moralisch nicht eben herausragenden Kräfte in der Kirche, die sich über Homosexuelle echauffierten. "Das macht mich wütend, so unwahrscheinlich wütend", sagt er und hebt die Hände in die Höhe, als wolle er sich im Himmel festkrallen.

Vor Jahren traf Vera den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation und heutigen Papst Benedikt XVI., auf den er im Gespräch nichts kommen lässt. Ob der Papst die schwierige Lebenswirklichkeit in Mexiko überhaupt erahne? "Benedetto kennt die lateinamerikanische Realität gut, aber er ist vor allem Theologe und Gelehrter. Mit den konkreten Anforderungen der Gemeindearbeit ist er nicht so vertraut."

Ist er es nicht langsam leid, sich immer für seine Arbeit verteidigen zu müssen? Wäre er nicht bei den Protestanten besser aufgehoben? Vera lächelt verschmitzt und sagt nur: "Auch Leute wie Martin Luther mussten sich mit Hierarchien auseinandersetzen. Ich bin froh, dass die Bibel zu den Menschen in meiner Gemeinde zurückgekehrt ist."

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