Studentenmorde in Mexiko

"Menschen kann man umbringen, ihre Ideen niemals"

Protest von Verwandten der getöteten 43 Studenten am 20. März 2015 in Mexico-Stadt
Protest von Verwandten der getöteten 43 Studenten am 20. März 2015 in Mexico-Stadt. © picture alliance / dpa / Foto: EPA/Alex Cruz
Von Peter Schumann · 25.03.2015
Vor einem halben Jahr wurden im mexikanischen Bundesstaat Guerrero 43 Studenten ermordet. Die genauen Umstände sind bis heute nicht geklärt. Das Ereignis hat zu einer Welle von Solidaritätsaktionen geführt, wobei eine neue Kunst des Widerstands entstanden ist.
"Wir sind nicht nur 43, wir sind viele, wir sind ein Schneeball, der durch Mexiko rollt, wir sind Mexiko,"
so heißt es in diesem Lied einer Kampagne der Solidarität mit den verschwundenen und mit Sicherheit umgebrachten Pädagogik-Studenten der Hochschule von Ayotzinapa. Am Schluss zählt das Publikum laut bis 43. Die Zahl der Toten hat sich längst ins Bewusstsein der Mexikaner eingebrannt und ist ein vielfach variiertes Symbol in der neuen politischen Kunst Mexicos geworden.
"43 mal Nein. Nein, sie können die Hoffnung nicht verschwinden lassen. Nein, sie können die Wahrheit nicht verbergen. Nein, es gibt keine Wahlen ohne Gerechtigkeit."
So heißt es auf einem Plakat. Die Hälfte des Raums nimmt die orangefarbene Ziffer 43 ein. Bei Demonstrationen wird sie auf großen Schildern mitgeführt und manchmal auch nur mit roter Farbe auf Mauern gesprüht: ein Fanal ständiger Erinnerung. Zumindest dieser Mord soll haften bleiben und restlos aufgeklärt werden in diesem Mexico, in dem jährlich Tausende verschwinden und Abertausende im Kleinkrieg zwischen den Banden des organisierten Verbrechens und im Krieg des Staates gegen die Mafia sterben. In die Tausende geht auch die Zahl der unschuldigen Opfer: der Frauen, Journalisten, Aktivisten oder Menschenrechtler, die jedes Jahr umgebracht werden. Sie erscheinen oft nur noch als Randnotiz in den Medien. Doch die Hinrichtung von 43 Studenten, die teilweise lebendig verbrannt wurden, überstieg die Vorstellungskraft der Mexikaner. Die Künstlerin Minerva Cuevas:
"Das war der Tropfen, der das Glas zum Überlaufen gebracht hat und die Menschen auf die Straße trieb. Es waren Studenten in der Ausbildung, die aus einer sehr konfliktreichen Gegend stammten und gerade dort Lehrer werden wollten, wo sie im dringendsten benötigt wurden… Die politische und soziale Aufgabe, die sie erfüllen wollten, gibt diesem Fall zusätzlich ein großes Gewicht."
Von Kugeln zersiebt
Er hat zahlreiche Künstler bewegt, sich damit auseinander zu setzen. Ein riesiges Wandbild zeigt auf blauem Untergrund die Umrisse der Landkarte Mexicos. Sie ist ausgefüllt mit Zeitungsauschnitten und Fotos der Opfer und von Kugeln zersiebt. Aus den Einschusslöchern rinnt Blut. Die Schützen haben diese Karte umzingelt, tragen Masken von Bulldoggen und Abzeichen der Polizei. Darüber ist zu lesen:
"Menschen kann man umbringen, ihre Ideen niemals."
Die politische Grafik und Wandmalerei hat in Mexiko eine lange Tradition, die bis auf die Revolution am Anfang des letzten Jahrhunderts zurückreicht. Alle großen historischen Ereignisse fanden darin ihren künstlerischen Ausdruck. Durch Ayotzinapa hat sie neuen Auftrieb erhalten. Minerva Cuevas:
"Sie hat ein überraschend hohes Niveau erreicht… Ganz egal, ob es sich dabei um eine Pappmaschee-Figur auf eine Demonstration handelt oder um Bilder, die es mit jeder Werbegrafik aufnehmen können, ganz gleich ob sie mit der Hand gezeichnet oder mit der Computer-Technik gefertigt sind."
500 Menschen verloren ihr Leben
Auf ausgefeilten Lithografien wird beispielsweise Ayotzinapa mit dem Massaker von Tlatelolco von 1968 verglichen. Damals erstickte die Regierung eine Massendemonstration von Studenten im Kugelhagel von Polizei und Armee: etwa 500 Menschen verloren dabei ihr Leben. Es war die PRI, die damals an der Macht war und heute erneut das Land regiert. Die drei Buchstaben dieser Partei bilden den Grabstein, auf dem die Namen der beiden Orte stehen.
"Es war der Staat,"
haben die Aktionskünstler der Gruppe "Rexiste"in monumentalen Lettern aus Leintüchern und weißer Farbe auf den Zócalo geschrieben, den zentralen Schauplatz von Mexico-Stadt direkt vor dem Präsidenten-Palast. Ihm geben viele Mexikaner die Hauptschuld an der Gewalt im Land, der die Studenten zum Opfer fielen.
"Ich habe genug."
"Ya me cansé" meinte der Generalstaatsanwalt auf die Frage eines Journalisten am Ende der Pressekonferenz über Untersuchungsergebnisse von Ayotzinapa. Der Ausspruch wurde zum Motto einer ganzen Kampagne gegen die Regierungspolitik. Im Internet kursieren mehrere Videos, in denen Mexikaner dazu Stellung nehmen.
"Ich habe genug von Ohnmacht und Schmerz. Genug von einer korrupten Regierung, einem Land ohne Gedächtnis… Ich habe genug von der Unsicherheit. Genug von Gewalt… Ich habe genug davon, in einem Land zu leben, das ich nicht liebe. Ich habe genug von all der Angst, einfach genug!"
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