Ein Staat im Sold der Kartelle: Der Prozess gegen «El Chapo» zeichnet ein düsteres Bild der Korruption in Mexiko

Der angeklagte mexikanische Drogenboss Joaquín «El Chapo» Guzmán hat laut einer Zeugenaussage Mexikos früherem Präsidenten Enrique Peña Nieto 100 Millionen Dollar Bestechungsgeld bezahlt. Der laufende Prozess in New York gibt Hinweise darauf, dass ganze Staatsorgane von den Kartellen bestochen wurden.

Nicole Anliker, Rio de Janeiro
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Der mexikanische Drogenboss Joaquín «El Chapo» Guzmán (r.) und sein Anwalt Jeffrey Lichtmann (l.) während der Gerichtsverhandlung. (Bild: Jane Rosenberg / Reuters)

Der mexikanische Drogenboss Joaquín «El Chapo» Guzmán (r.) und sein Anwalt Jeffrey Lichtmann (l.) während der Gerichtsverhandlung. (Bild: Jane Rosenberg / Reuters)

Es ist die bisher spektakulärste Anschuldigung in einem Strafprozess voller Drama: Der in den USA angeklagte mexikanische Drogenboss Joaquín «El Chapo» Guzmán soll Mexikos ehemaligem Präsidenten Enrique Peña Nieto Schmiergelder in der Höhe von 100 Millionen Dollar gezahlt haben. Dies behauptete ein Zeuge, der zwischen 2007 und 2013 als «El Chapos» rechte Hand tätig war, am Dienstag vor einem Gericht in New York. Laut dem Zeugen erlaubte das Bestechungsgeld Guzmán, seine illegalen Geschäfte fortzuführen. Peña Nieto soll das Geld im Oktober 2012 erhalten haben, kurz vor seinem Amtsantritt. Der Zeuge sagte aus, Guzmán persönlich habe ihm davon erzählt. Der 61-Jährige Guzmán muss sich in elf Anklagepunkten verantworten, der Prozess läuft seit zwei Monaten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm neben unzähligen Morden und Entführungen vor, als Chef des Sinaloa-Kartells tonnenweise Drogen in die USA geschmuggelt zu haben.

Laut Verteidiger war Guzmán nicht der Chef

Guzmáns Anwalt Jeffrey Lichtmann hatte bereits in seinem Eröffnungsplädoyer im November behauptet, Peña Nieto und dessen Vorgänger Felipe Calderón seien auf der Lohnliste des Drogenkartells gestanden. Der Verteidiger hatte aber Guzmáns jahrelangen Weggefährten Ismael «El Mayo» Zambada als treibende Kraft beschrieben. «Zambada besticht die gesamte mexikanische Regierung bis auf die höchste Ebene», sagte Lichtmann. Dies sei auch der Grund, weshalb sich Zambada weiterhin auf freiem Fuss befinde. Dieser sei der wahre Chef des Sinaloa-Kartells, Guzmán dagegen sei den Behörden letztlich als Sündenbock präsentiert worden.

Der im Dezember abgetretene Peña Nieto wies die Korruptionsvorwürfe im November genauso von sich wie sein Vorgänger. Auf die jüngsten Anschuldigungen gibt es bis jetzt keine Reaktion.

In den vergangenen zwei Monaten haben rund ein Dutzend ehemalige Geschäftspartner und Angestellte Guzmáns gegen ihn ausgesagt. Sie alle bewegten sich während Jahren in der mexikanischen Unterwelt, sitzen nun in den USA im Gefängnis und haben nichts zu verlieren. Ihre filmreifen Schilderungen bieten Einblicke in Guzmáns Leben, in seine Denk- und Vorgehensweise sowie in die Struktur des Drogenkartells. Die unheilige Allianz zwischen Verbrecherorganisationen und den mexikanischen Behörden war nie ein Geheimnis. Die verschiedenen, sich teilweise deckenden Zeugenaussagen weisen aber darauf hin, dass der Korruptionssumpf viel tiefer sein könnte als bisher angenommen.

Der Polizeichef am Telefon

Laut Guzmáns früherem Piloten hat der Bauernsohn aus Sinaloa schon früh damit angefangen, hohe Regierungsmitglieder zu bestechen. Ende der achtziger Jahre soll Guzmán dem damaligen Direktor der Kriminalpolizei zwei- oder dreimal zehn Millionen Dollar zugeschoben haben. Der Polizeidirektor versorgte ihn im Gegenzug offenbar mit geheimen Informationen. Laut dem Piloten erfuhr «El Chapo» so etwa frühzeitig von einer geplanten Razzia in einem seiner Tunnels unter der amerikanisch-mexikanischen Grenze in Arizona. Guzmáns Organisation nutzt die Tunnels, um Drogen in die USA zu schmuggeln. Der Polizeichef soll Guzmán auch über das Radarsystem informiert haben, welches die USA auf der Halbinsel Yucatán installiert hatten, um mit Drogen beladene Flugzeuge aus Kolumbien zu orten.

Weitere Konturen erhielt das Bild flächendeckender Korruption durch die Zeugenaussagen des Bruders und des Sohns von «El Mayo» Zambada. Zambadas Bruder kontrollierte bis zu seiner Festnahme im Jahr 2008 die Geschäfte des Syndikats in Mexiko-Stadt. Um diese abzuwickeln, so behauptete er, habe er persönlich die Generalstaatsanwaltschaft, die Autobahn- und die Flughafenpolizei, die Kriminalpolizei sowie Interpol bestochen. Das Kartell kontrollierte seinen Aussagen nach ganze Gliedstaaten. Gouverneure, Staatsanwälte und Polizeichefs von der Gemeinde- bis auf die Bundesebene seien auf der Lohnliste gestanden.

Vom FBI abgehörte Telefonate von Mitgliedern des Sinaloa-Kartells zwischen April 2011 und Januar 2012 bestätigen die Verflechtung von Polizisten mit dem Syndikat. In einem Gespräch ist zu hören, wie Guzmán einem seiner Männer für den Umgang mit Polizisten rät: «Verfolge sie nicht. Sie sind diejenigen, die helfen.» Ein anderes Mal will «El Chapo» von einem Mitarbeiter wissen, ob er die Bundespolizei bereits geschmiert habe. Der Mitarbeiter bestätigt die Zahlung und reicht den Telefonhörer direkt dem Polizeichef weiter. Nach einer herzlichen Begrüssung versichert Guzmán dem Polizisten: «Was auch immer wir für Sie tun können, Sie können auf uns zählen.»

Wird Guzmán aussagen?

Laut «El Mayos» Sohn budgetierte sein Vater monatlich über eine Million Dollar für Bestechungsgelder. Diese flossen angeblich auch an Minister und hohe Militärangehörige. Der Zeuge berichtet unter anderem von einem Treffen im Jahr 2007 mit hochrangigen Politikern und Vertretern der staatlichen Erdölgesellschaft Pemex. Es soll darum gegangen sein, 100 Tonnen Kokain in einem Tankschiff der Firma nach Norden zu befördern. Auch andere Zeugen haben ausgeführt, wie Tonnen von Drogen in Autos, Zügen, Flugzeugen und U-Booten mithilfe der mexikanischen Behörden in die USA geschmuggelt worden sein sollen.

Auch Details über die Führungsstruktur des Kartells wurden bekannt. Laut dem Bruder von «El Mayo» Zambada standen mehrere Personen gleichberechtigt zuoberst in der Hierarchie. Neben seinem Bruder nannte er explizit Guzmán – den Angeklagten, von dem die Verteidigung sagt, er sei letztlich nur ein Sündenbock gewesen. Ob sich Guzmán persönlich äussern will, ist offen. Er hat Zeit, sich zu entscheiden. Der Prozess dauert noch mehrere Wochen.

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