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Tödliche Gewalt: Tatort Mexiko

Foto: Guillermo Arias/AFP

Mexikos Präsident und der Drogenkrieg Von Morden und Korruption entzaubert

8500 Morde in drei Monaten, grassierende Korruption: Wer in Mexiko mit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador auf Besserung gehofft hatte, sieht sich enttäuscht.

Es sind vermutlich die schwierigsten Tage in der noch jungen Präsidentschaft von Andrés Manuel López Obrador. Die landestypischen Horrornachrichten erreichen Mexikos Staatschef derzeit im Tagesrhythmus: Massaker an einer Partygemeinde in Veracruz, historisch hohe Mordzahlen, getötete Bürgermeister.

Angesichts des krassen Blutzolles wirkt López Obrador erstmals überfordert. Er taucht ab, zeigt wenig Mitgefühl mit den Opfern und setzt auf Durchhalteparolen. Das bislang so strahlende Image des 65-Jährigen bekommt erste Kratzer. "Es wiederholt sich die Geschichte vom abwesenden Staat, die wir von seinen Vorgängern kennen", kritisiert Sergio Aguayo, Friedensforscher und Professor an der Hochschule "Colegio de México".

Seit seinem Amtsantritt am 1. Dezember erfuhr López Obrador eine Welle der Zustimmung. Die Menschen sind zufrieden mit seiner Amtsführung und seinem Kampf gegen die Korruption. Investoren pumpen Milliarden ins Land, das erstmals überhaupt von einem linken Staatschef regiert wird. Fast hätte man denken können, in Mexiko habe sich alles zum Guten gewendet.

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Tödliche Gewalt: Tatort Mexiko

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Doch ausgerechnet an Karfreitag holten die ungelösten Probleme Staatschef und Bevölkerung ein. Bewaffnete - mutmaßlich Mitglieder eines lokalen Kartells - überfielen in einem Racheakt ein Restaurant in der Ortschaft Minatitlán im Bundesstaat Veracruz und töteten 14 Menschen, darunter ein Baby.

López Obradror schwieg zwei Tage lang zu dem Verbrechen. Kurz danach meldeten die Sicherheitsbehörden, dass es 2018 mehr als 33.300 Mordfälle gab - ein Drittel mehr als im Vorjahr. Und allein von Januar bis März 2019 wurden 8500 Menschen umgebracht, rund zehn Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Es sind Dimensionen, die man sonst eher aus Diktaturen oder Bürgerkriegsländern kennt.

"López Obrador hat nach dem Massaker in Minatitlán 48 Stunden geschwiegen, kein Beileid bekundet und die Schuld an dem Verbrechen den Sünden der Vergangenheit gegeben", sagt Sergio Aguayo. "Aber die Menschen hoffen auf einen Staat, der schnell reagiert, hilft und vor allem etwas verändert". Dafür sei der linke Politiker gewählt worden.

Und es sind gerade seine Herzensthemen, Gewaltprävention und Bekämpfung der organisierten Kriminalität, bei denen López Obrador jetzt liefern muss. Immer wieder betont er, Korruption sei das Grundübel im Land. Sie zeigt sich etwa, wenn auf dem Land das organisierte Verbrechen Kandidaten bei Wahlen aufstellt, Bürgermeister bezahlt - oder umbringt.

Wie soll der Kampf gegen Korruption aussehen? Der Präsident schweigt

So wie Mitte der Woche, als innerhalb von 48 Stunden zwei Amtsträger getötet wurden. Ein bewaffnetes Kommando richtete in der kleinen Gemeinde Mixtla de Altamirano in Veracruz Bürgermeisterin Maricela Vallejo hin. Kurz zuvor entführten Unbekannte in Nahuatzen im Bundesstaat Michoacán den Gemeindevorsteher David Otlica, folterten und töteten ihn.

"Für derartige Taten ist eine Verquickung von korrupten Politikern und Organisiertem Verbrechen verantwortlich. Sie sind der Ballast Mexikos", sagt der Staatschef. Immer wieder versucht er, diese Botschaft zu verbreiten. "Wenn die Regierungen nicht mehr korrupt sind, wird das aufhören." Wie genau er die tief in der Gesellschaft verwurzelte Bestechlichkeit bekämpfen will, lässt López Obrador aber immer offen.

Der Präsident tue nichts gegen den Einfluss der Kartelle auf die Kandidaturen und Wahlkämpfe und dulde keine starke Zivilgesellschaft, sagt der Kriminalitätsexperte Edgardo Buscaglia, Professor an der New Yorker Columbia Universität, dem SPIEGEL. López Obrador denke, allein durch seine Präsidentschaft würden sich die Dinge ändern. "Aber wir sehen hier den bekannten mexikanischen Film, nur in einer linken Version."

Konkrete Projekte verfolgt der Präsident aber bei Prävention und Strafverfolgung. Er will den Kartellen mit Sozial- und Stipendienprogrammen den Nachwuchs entziehen. Vorhaben wie "Jovenes construyendo el futuro" ("Jugendliche, die die Zukunft bauen") richten sich an die "Ni-Nis", an junge Leute, die nicht studieren und nicht arbeiten und so leichte Beute der Banden werden.

Nationalgarde soll auf 120.000 Mann anwachsen

Zudem stellt er gerade eine neue staatliche Streitmacht auf. Die "Nationalgarde" soll unter militärischer Führung die Kartelle bekämpfen. López Obrador erntet dafür vor allem von der Zivilgesellschaft und von Menschenrechtsorganisationen Kritik, zumal er im Wahlkampf versprochen hatte, die Militärs von der Straße zu holen.

Die Nationalgarde soll bis Ende des Jahres 20.000 Mann stark sein und 2021 die volle Stärke von 120.000 erreicht haben. Die Truppe werde die Militarisierung des Landes verstärken, kritisiert die Internationale Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Mexiko. Die Übernahme von Aufgaben der öffentlichen Sicherheit durch die Armee habe bereits während der vergangenen zwölf Jahre zu einem erheblichen Anstieg der Menschenrechtsverletzungen geführt, erklärt der Dachverband von zehn Menschenrechtsgruppen, darunter Amnesty International.

Und der Präsident? Zeigt sich von der Kritik unbeeindruckt. Jüngst verteidigte er nochmals vehement seine Programme. Wenn die Sozialprogramme griffen, die Regierungen aller staatlichen Ebenen nicht mehr korrupt seien und die Nationalgarde ihre Arbeit aufnehme, werde sich die Lage bessern. Das bleibt sein Versprechen. "In einem halben Jahr werden wir einen Rückgang der Gewaltindizes sehen", sagt der Präsident.

Wirklich? Zweifel sind angebracht. Korruption auszurotten oder nur einzudämmen, dürfte eine Jahrhundertaufgabe sein. Auch deshalb ist Edgardo Buscaglia skeptisch, ob die Maßnahmen der neuen Regierung Wirkung zeigen. "Sozialprogramme sind schön und gut, aber sie helfen nicht, die Unterwanderung des Staates durch das organisierte Verbrechen zu bekämpfen."

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