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Aufstandsbekämpfung oder Verringerung sozialer Spannungen in Mexiko?
amerika21.de Blog vom 10.06.2019 |
Von Peter Rosset, La Jornada, amerika21 |
übersetzt von Katja |
Mit der Wahl von Andrés Manuel López Obrador (Amlo) kam in Mexiko ein Präsident an die Macht, der − verglichen mit seinen Vorgängern − als links zu verorten ist, zugleich aber nach Auffassung vieler Kritiker eine neoliberale Politik verfolgt. Ende Mai berief Amlo den renommierten Agrarökologen Victor Manuel Toledo Manzur zum Umweltminister. Beide, Präsident und Minister, zeichnen sich seit langem durch eine ausgeprägt anti-zapatistische Haltung aus. In seinem am 1. Juni veröffentlichten Beitrag in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada setzt sich Peter Rosset, in San Cristobal lebend und ebenfalls Agraökologe, kritisch mit der undifferenzierten Haltung Amlos gegenüber ländlichen Basisbewegungen auseinander. Insbesondere stört er sich an Amlos pauschaler Verunglimpfung, dass alle Bauernorganisationen korrupt seien und dass dieser dabei das extrem beleidigende Wort »moche« verwendet.
In den ländlichen Regionen von Mexiko gibt es unzählige Kämpfe und alternative Projekte. Agrarkonflikte, die Verteidigung des Territoriums und die Aneignung produktiver Prozesse mittels landwirtschaftlicher Kooperativen und anderer Formen sozialwirtschaftlicher und nach der Besitzform des Ejido (gemeinsamer Besitz mit individueller Nutzung) organisierter Betriebe haben hier eine lange Geschichte.
Auf dem Land gibt es nicht nur ein reichhaltiges, gut organisiertes Gemeinschaftsgefüge, sondern auch zahlreiche gemeinschaftliche Alternativprojekte zum vorherrschenden kapitalistischen Modell. Leider reduziert sich all dies für Andrés Manuel López Obrador (Amlo) und seine Initiative der sogenannten Vierten Transformation (4T) auf das Thema der Korruption der bäuerlichen Organisationen und ihrer betrügerischen Anführer. Damit werden alle über einen Kamm geschoren.
Die Organisationen auf dem Land lassen sich in zwei große Kategorien unterteilen: einerseits den Zapatismus und einen erheblichen Teil des Nationalen Indigenen Kongresses (Congreso Nacional Indígena, CNI) und der indigenen Bewegung, deren Strategie auf dem Aufbau eigenständiger Regionen beruht. Die Zapatisten lehnen seit mehr als zwei Jahrzehnten alle Regierungsprogramme ab, weil sie der Ansicht sind, die Mittel würden Organisationen, Anführer und Gemeinden korrumpieren und verderben und dazu führen, dass die Menschen nur aktiv werden, wenn Geld, Begünstigungen, Projekte, Kandidaturen und Posten im Spiel sind. Dies würde zu einer Demobilisierung und dem Weiterbestehen der Armut führen. Nach Ansicht der Zapatisten ist eine neue Art der Politik erforderlich, die ohne Geld und andere Mittel funktioniert. Deshalb lehnen sie solche Programme ab und bezeichnen sie als Almosen.
Auf der anderen Seite steht eine breite Palette von Organisationen im Wettstreit um öffentliche Mittel. Sie fordern ein Budget für die ländlichen Regionen ein, da sie als Staatsbürger und Steuerzahler der Meinung sind, ein Anrecht auf eine gerechte Verteilung der staatlichen Mittel zu haben. Mithilfe von Investitionen und Krediten des öffentlichen Sektors wollen sie organisatorische, territoriale, produktive und Vermarktungsprozesse stärken. Dies zeigt sich beispielsweise im relativen historischen Erfolg des bäuerlich-indigenen Kaffeesektors.
In dieser Kategorie gibt es Gute, Böse und Schlechte.
Trotzdem sind sie in den Augen des Präsidenten allesamt korrupt. Auf dieser Diskreditierung von Amlo basiert die 4T-Politik. Der Chef der Exekutive hat versprochen, bei den bäuerlichen Organisationen werde es »keine Korruption mehr« geben. Nicht ein Peso werde mehr über die Organisationen gehen, von nun an gehe alles direkt an die Familien. Mit anderen Worten: Es soll nur noch individuelle Hilfen auf Plastikkarten von Banco Azteca geben. Damit wird den Organisationen und der Bevölkerung praktisch ihre Vertretungsfunktion abgesprochen und es wird unterstellt, dass sie nicht in der Lage seien, ihre eigenen Prozesse aufzubauen.
Von nun an werden sie arm und auf Almosen angewiesen sein. Diese Politik wird von der Weltbank schon seit mindestens zwei Jahrzehnten unterstützt und verfolgt zwei Ziele: die Reduzierung von Vermittlungskosten und möglichen Korruptionsquellen, und eine Verringerung sozialer Spannungen angesichts struktureller Veränderungen zugunsten des Kapitals wie Landkauf, Bergbau, Plantagen, Wasser- und Wärmekraftwerke usw.
Eine Verringerung sozialer Spannungen deshalb, weil die Menschen durch Direktzahlungen demobilisiert werden. Wer geht schon zur Versammlung der Organisation, wenn er Geld in der Tasche hat? Es handelt sich somit um eine Politik, die die Auflösung von Organisationen zum Ziel hat.
Sie richtet sich an die beiden Arten von Organisationen. Gegen den Zapatismus und die eigenständigen Regionen, weil das Geld nach deren Ansicht der Köder ist, der Autonomiebewegungen die Basis entziehen soll. Das ist eine alte Taktik der Aufstandsbekämpfung. Und sie richtet sich gegen die Kooperativen, sozialwirtschaftlichen Betriebe und alternativen Projekte der anderen Art von Organisationen. Für viele organisatorische Bereiche in den Gemeinden und Regionen wird dies der Todesstoß sein. Damit sollen soziale Spannungen deshalb verringert werden, weil die Menschen nur mit einem gut organisierten Gefüge in der Lage wären, ihr Land gegen die todbringenden Megaprojekte wie den Corredor Transístmico (Autobahn- und Schienenverbindung auf der Landenge zwischen Atlantik und Pazifik als Alternative zum Panamakanal), den Tren Maya (Eisenbahnstrecke entlang historischer Stätten der Maya), die Wasser- und Wärmekraftwerke, Bergbaukonzessionen und weitere Enteignungsmechanismen zu verteidigen.
Peter Rosset ist Agrarökologe und Doktor der Universität Michigan
Quelle: | |||
https://amerika21.de/blog/2019/06/227479/mexiko-amlo-individuelle-hilfen | |||
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