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„Da mussten wir ihnen einfach die Hand reichen“

Deutsch–französischer Menschenrechtspreis für mexikanische Anwältin 

Die mexikanische Anwältin und Preisträgerin des Deutsch-Französischen Menschenrechtspreises Ruth Fierro Pineda

Die Mexikanerin Ruth Fierro Pineda ist eine der Preisträgerinnen 2019 des Deutsch-Französischen Menschenrechtspreises. Sie wurde für ihre Arbeit für die Menschenrechtsorganisation CEDEHM (Centro de Derechos Humans de las Mujeres) im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua ausgezeichnet, die sich um Frauen, die Opfer von Gewalt wurden und Angehörige von Verschwundenen kümmert und sich für ihre Rechte einsetzt. MISEREOR unterstützt CEDEHM seit vielen Jahren. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit in einem der gefährlichsten Bundesstaaten Mexikos, geprägt von Kämpfen zwischen Drogenkartellen, hoher Militarisierung, „gewaltsamen Verschwindenlassen“ und gleichzeitiger Straflosigkeit bei Gewaltdelikten.

Wie sind die aktuellen Entwicklungen in Mexiko, speziell im Bundesstaat Chihuahua,  wo CEDEHM tätig ist,  und was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Ruth Fierro Pineda: Chihuahua ist der Bundesstaat mit einer der höchsten Gewaltraten in Mexiko, insbesondere in den drei Bereichen, in denen CEDEHM tätig ist: Im Bereich „Mord an Frauen“ (Experten nutzen den Begriff „Femizid“) liegt die Rate statistisch unter den ersten fünf Bundesstaaten im nationalen Vergleich, im Bereich „Verschwindenlassen“ an dritter Stelle und im Bereich „Angriffe auf MenschenrechtverteidigerInnen“ ist der Bundesstaat Chihuahua mit an der Spitze. CEDEHM steht vor einer großen Herausforderung, da es eine große Kluft zwischen Realität und Gesetzen gibt, die auf diese Realität reagieren. Das erschwert die Begleitung der Opfer und deren Angehörigen auf dem Weg zu Gerechtigkeit und Entschädigung.

Welche Bedeutung hat es für die Arbeit von CEDEHM, dass Sie den Deutsch-Französischen Menschenrechtspreis des Deutschen Auswärtigen Amts erhalten ?

Ruth Fierro Pineda: Für CEDEHM, eine Organisation, die viele Fälle von Menschenrechtsverletzungen begleitet, bedeutet  diese Auszeichnung, dass  ihre Arbeit und damit die großen Probleme wie Gewalt gegen Frauen sichtbarer werden. Das eröffnet uns hoffentlich mehr Möglichkeiten, mit der Regierung ins Gespräch zu kommen und somit Dinge anzustoßen und das Problem gemeinsam mit der neuen Regierung anzugehen.

Sie sind ständig hautnah mit dem Thema Gewalt, gerade auch gegen Frauen, konfrontiert. Was motiviert Sie, Ihre Arbeit und Ihr Engagement trotz großer Hindernisse weiterzuführen?

Ruth Fierro Pineda: Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von CEDEHM ist die Achtsamkeit gegenüber sich selbst und anderen, um persönliche und emotionale Strategien entwickeln zu können, die es einem ermöglichen, die Arbeit mit den Frauen, die vom juristischen System diskriminiert werden, möglichst unversehrt ausüben zu können. Dabei ist es besonders wichtig, die begleiteten Frauen in den Vordergrund zu stellen. Wir müssen uns verdeutlichen, dass CEDEHM vielleicht nur einen kleinen Beitrag dazu leistet, die Welt zu verändern, die Welt jeder einzelnen begleiteten Person aber deutlich verbessern kann im Kampf um Gerechtigkeit und Wahrheit.

Warum engagieren Sie sich bei CEDEHM und für das Thema Verschwindenlassen? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

Ruth Fierro Pineda: Ich arbeite seit 2011 für die Menschenrechtsorganisation CEDEHM. Vorher war ich als Anwältin tätig  und habe Fälle von Verschwindenlassen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger(innen) begleitet. CEDEHM kümmerte sich anfangs hauptsächlich um Frauen, die Opfer von Gewalt wurden. Nach Beginn des Kampfes gegen den Drogenhandel kamen jedoch immer mehr Frauen zu CEDEHM, die ihre verschwundenen Angehörigen suchten. Da mussten wir ihnen einfach die Hand reichen, denn es gab ja auch nur wenige kompetente Anlaufstellen für sie in diesem so gewaltsamen und komplizierten Kontext. Wenn man den Schmerz miterlebt, den eine Mutter aufgrund des verschwundenen Sohns, der verschwundenen Tochter erleidet, die ewige Ungewissheit, die das Verschwindenlassen mit sich zieht und die Straflosigkeit, dann berührt einen das sehr und du bist danach nicht mehr derselbe Mensch.  Die Empörung darüber bringt uns dazu, weiter um Gerechtigkeit und Wahrheit zu kämpfen.

Für jemanden, dessen Angehöriger oder Angehörige verschwunden ist und der nie herausfinden konnte, was passiert ist:  kann so jemand wieder so etwas wie Frieden finden im Leben?

Ruth Fierro Pineda: Für die Angehörigen der Verschwundenen wird das Leben nicht mehr dasselbe sein, solange sie keine Informationen über den Verbleib des geliebten Menschen haben. Dies ist eine Art von permanenter psychologischer Folter. Natürlich gibt es verschiedene Arten, mit dem Schmerz besser umzugehen. Eine Möglichkeit ist der Austausch mit Familien, die dasselbe Schicksal erleiden, um den Schmerz, die Erfahrung, aber auch Strategien zu teilen. Ein anderer wichtiger Faktor ist die Schuldfrage. Viele der Angehörigen geben sich die Schuld am Verschwinden ihrer geliebten Menschen. Durch die psychosoziale Begleitung wird diese Last von ihren Schultern genommen, denn die Situation ist die Folge daraus, dass die Regierung nicht adäquat reagiert. Dies ändert den Blickwinkel der Familienangehörigen und sie konzentrieren sich darauf, Gerechtigkeit und Wahrheit bei den staatlichen Institutionen einzufordern.

Übersetzt wurde das Interview von Marion Fülling, MISEREOR-Mitarbeiterin der Lateinamerika-Abteilung

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Susanne Breuer ist Referentin für Lateinamerika und Ernährung.

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