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Migration: »Dieser Pfropfen macht uns zum Schwanz der USA statt zum Kopf Lateinamerikas«

News vom 31.03.2020
Gerold Schmidt

  Originalfassung eines in den Lateinamerikanachrichten Nr. 459 (März 2020) leicht gekürzt erschienenen Textes.


Ein gutes Jahr nach ihrem Amtsantritt hat die mit hohen Erwartungen gestartete mexikanische Regierung unter Andrés Manuel López Obrador (AMLO) auf vielen Politikfeldern ihre Unschuld verloren. Eines der krassesten Beispiele ist die Politik gegenüber den vorrangig mittelamerikanischen Migrant*innen an der Südgrenze Mexikos zu Guatemala. Das Vorgehen der militarisierten Nationalgarde gegen etwa 2000 Mitglieder einer aus Honduras kommenden Migrannt*innenkarawane im Januar dieses Jahres verdeutlichte dies ein weiteres Mal. Die Einsatzkräfte setzten Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die »Karawane der Verzweiflung« ein, wie sie von vielen genannt wurde. Eine Kehrtwende von 180 Grad gegenüber einer Politik der »offenen Arme«, die die AMLO-Regierung in ihren ersten Monaten praktizierte, selbst wenn das Bild der herzlichen Aufnahme von Anfang an nur sehr begrenzt stimmte.

Die Drohungen Donald Trumps, Mexikos Ausfuhren mit hohen Zöllen zu belegen, falls die Regierung nicht radikale Maßnahmen gegen die Migrant*innen an der Südgrenze ergreife, zeigten Mitte 2019 fast unmittelbare Wirkung. Heute ist die Funktion der Mauer aus Beton und Stahl an der Nordgrenze Mexikos zu großen Teilen durch die Menschenmauer der Nationalgarde entlang des Grenzflusses Suchiate an der Südgrenze Mexikos ersetzt worden. Ein knappes Drittel der Nationalgarde, deren zentrale Aufgabe die Bekämpfung des Drogenhandels sein sollte, ist damit beschäftigt, die Migrant*innen zu kontrollieren. Aus Sicht der USA so erfolgreich, dass es zuletzt wahre Lobeshymnen aus Washington gab. So pries der Chef der Customs and Borderprotection (CBP), Mark Morgan, Nationalgarde und mexikanische Einwanderungsbehörde (INM) dafür, die Migrant*innenkarawane auf »professionelle und humane« Art aufzuhalten und diejenigen, die daran festhielten, in die USA zu kommen, zu repatriieren«. US-Außenminister Mike Pompeo nennt Mexiko einen »großartigen Partner in dieser Materie«.

Auf guatemaltekischer Seite sammeln sich die Migrant*innen in der Stadt Tecún Umán. Sie warten dort auf eine günstige Gelegenheit, den Grenzfluss Suchiate zu überqueren. Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas werden die aufgegriffenen Migrant*innen vor allem im nur knapp 40 Kilometer vom Río Suchiate in den staatlichen Zwangsunterkünften zusammengepfercht. Berühmt-berüchtigt ist die völlig überlastete Unterkunft Siglo XXI der Migrationsbehörde. Besonders von dort werden immer wieder menschenunwürdige Bedingungen gemeldet. Diese betreffen im Übrigen auch Flüchtlinge aus nicht-mittelamerikanischen Ländern wie z.B. Haiti. Anfang Februar deportierte Mexiko 120 Haitianer*innen, die monatelang in der Unterkunft Siglo XXI auf die Bearbeitung ihrer Bleiberechtsanträge gewartet hatten.

Mexiko verbrämt seine neue Politik. In Tapachula erklärte der Regionalkoordinator der Nationalgarde, Carlos Hugo Montiel Sánchez, das Vorgehen gegen die Migrant*innen so: »Wir verhaften sie nicht… wir laden sie ein. Es gibt Autobusse, wir bringen sie und konzentrieren sie bei der INM, damit sie ihre Situation lösen.« Euphemistisch ist die Rede von »begleiteter Rückkehr«, im Klartext die erzwungene Deportation, auch wenn viele Flüchtlinge angesichts der ausweglosen Situation in Mexiko »freiwillig« dazu bereit sind. Im Januar deportierten die mexikanischen Behörden mehr als 1000 Hondureños innerhalb von drei Tagen. Die gewaltsame Auflösung der Karawane der Verzweifelung bezeichnete die Regierung als »humanitäre Rettungsmaßnahme«. Gleichzeitig ließ die INM über einen drittrangigen Funktionär einen Versuchsballon los und suspendierte in einer offiziellen Mitteilung »vorübergehend« den Zugang von Kirchen- und Menschenrechtsorganisationen zu den Auffangunterkünften. Allerdings war der Protest so groß, das Innenministerin Olga Sánchez die INM umgehend zurückpfiff.

Es gibt begrenzte Möglichkeiten für die Migrant*innen, einen Flüchtlingsstatus in Mexiko mit einer begrenzten Arbeitserlaubnis zu bekommen. Dafür muss sich ein Migrant jedoch ausweisen können und registrieren lassen. Solange sein Fall bearbeitet wird, darf er Chiapas nicht verlassen. Dieses Vorgehen geht weitgehend an der Wirklichkeit vorbei. Ein Großteil der Migrant*innten über- oder durchquert den Río Suchiate ohne Papiere. Für mindestens drei Viertel ist zudem klar: das letzte Ziel ist und bleibt die USA.

Mexiko will im Rahmen seines Entwicklungsplanes für Mittelamerika insgesamt mehr als 100 Millionen Dollar zur Verfügung stellen. Erste Gelder nach El Salvador sind bereits geflossen. Doch ein Scheitern ist absehbar. So kommt das Programm »Sembrando Vida« (Leben pflanzen) für die Pflanzung von Nutzbäumen schon in Mexiko nur schwer in die Gänge. Wie soll sein Klon in Honduras funktionieren? Entscheidender: Für die mittelamerikanischen Migrant*innen, die in sengener Hitze tage- und wochenlange Fußmärsche zur Grenze auf sich nehmen, ist der wirtschaftliche Aspekt nur einer von vielen Beweggründen. Sie entfliehen einer Lebenssituation, in der Morde und Morddrohungen, Erpressungen, Entführungen, Vergewaltigungen und Kriminalisierung dominieren. In diesem Klima will kaum jemand Bäume pflanzen.

Die Südgrenze Mexikos ist ohne die Nordgrenze nicht zu denken. Seit einem Jahr werden in den USA die sogenannten »Schutzprotokolle für Migranten« angewandt, ein absoluter Euphemismus. Asylbewerber*innen, die es bis in die USA geschafft haben, werden während des Verfahrens nach Mexiko zurückgeschickt. Mexiko hat das angesichts der Trumpschen Strafzolldrohungen »aus humanitären Gründen« akzeptiert, nimmt faktisch die Position eines »sicheren« Drittlandes ein. Das Programm ist als »Quédate en México« (Bleib in Mexiko) bekannt. Dazu eine bezeichnende Zahl: Bis zum 31. Dezember 2019 schickten die USA 62 000 Asylsuchende über Mexikos Nordgrenze zurück. Nur 111 Fälle wurden von den USA anerkannt. Sarkastisch gesagt: Da kann Mexiko die Migrant*innen und Flüchtlinge besser gleich in Chiapas stoppen. Stolz verkündete Außenminister Marcel Ebrard vor Kurzem, der Migrationsstrom aus Mittelamerika seit um drei Viertel zurückgegangen.

Der Altpolitiker Porfirio Muñoz Ledo ist einer der wenigen Abgeordneten der mexikanischen Regierungspartei Morena, der schonungslose Kritik übt und die Erfolgsmeldungen der Regierung zum Rückgang der Migrant*innenzahlen als »Horror« bezeichnet. Die Situation in Tapachula sei »ein Panorama von Desaster, Scheinheiligkeit und Falschheit«. Die Taktik, immer mehr Migrant*innen schon in Chiapas praktisch gegen die Wand laufen zu lassen, kommentierte er so: »Dieser Pfropfen macht uns zum Schwanz der USA statt zum Kopf Lateinamerikas«. Auf einer Wahlkampfveranstaltung Ende Januar versicherte Donald Trump seinen jubelnden Anhänger*innen in New Jersey: »Faktisch zahlt Mexiko für die Mauer, sie werden das bald merken.« Manchmal hat Trump recht.

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