Mexiko tritt voll auf die Bremse: Staatschef nutzt Corona-Krise, um Energiewende zurückzudrehen
In der Corona-Krise stoppt die linke Regierung den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Die Kehrtwende schreckt Umweltschützer und europäische Investoren auf.
- Regierung in Mexiko nutzt die Corona-Krise, um die Energiewende zurückzudrehen
- Staatschef López Obrador ist kein Fan von Windkraftanlagen
- Mexiko ist weltweit der elftgrößte Emittent von Treibhausgasen
Ende März reiste Andrés Manuel López Obrador nach Baja California in den hohen Norden Mexikos, besuchte dort den Windpark „La Rumorosa“ und sagte anschließend, was er schon bei anderen Besuchen an vergleichbaren Orten geäußert hatte: „Diese Windkraftanlagen verschandeln die Natur“.
Mexiko: Staatschef López Obrador ist gegen Windkraftanlagen
Lange dachte man, dies sei nur eine Stellungnahme, die den persönlichen Geschmack des linken Staatschefs ausdrücke. Aber dann veröffentlichte er über den Nachrichtendienst Twitter einen folgenschweren Post. Seine Regierung werde keine Genehmigungen mehr für Unternehmen erteilen, welche die „Umwelt schädigen und visuell verschmutzen“, ließ er wissen. Es war eine Kampfansage.
Denn dieses Statement könnte nach gerade einmal sieben Jahren der Anfang vom Ende der Windenergie in Mexiko sein, die nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei indigenen Gruppen vor allem im südlichen Bundesstaat Oaxaca umstritten ist. Dort entzweien die Investitionen und Investoren die Gemeinden und könnten Auslöser gewaltsamer Konflikte sein.
Regierung in Mexiko nutzt Corona-Krise, um Energiewende zurückzudrehen
Es sieht jedenfalls so aus, als nutze Mexikos Regierung die Coronakrise dazu, die 2013 eingeleitete Energiewende zurückzudrehen. López Obradors konservativer Vorgänger Enrique Peña Nieto öffnete seinerzeit den Öl- und Gasmarkt für private Investoren, verkündete ehrgeizige Ziele für Saubere Energie und gestattete den privaten Wind- und Sonnenenergieanbietern, ihren Strom ins Netz einzuspeisen. Über die vielen seither entstandenen Windparks sagte López Obrador bei anderer Gelegenheit: „Sie erzeugen nur wenig Energie und gehören Privatfirmen, die dafür subventioniert werden. Eine der typischen Betrügereien der Neoliberalen.“ Der linke Staatschef findet, die Kontrakte hielten für die privaten Betreiber üppige Gewinne bereit und verpflichteten sie im Gegenzug nur zu einer geringen Energiegewinnung.
Andere Kritiker hingegen vermuten, AMLO, wie der Präsident kurz in Mexiko genannt wird, lehne die alternativen Energien ab, weil sie die bisherige Vormachtstellung der fossilen Brennstoffe und damit von Petróleos Mexicanos (Pemex ) beenden könnten. Für López Obrador gründen sich der Stolz und die Unabhängigkeit seines Landes auf dem 1938 nach Verstaatlichungen geschaffenen Öl-Staatsmonopolisten. Das vormals größte Unternehmen Lateinamerikas ist aber heute nur noch ein teurer Klotz, der unrentabel arbeitet und Schulden in dreistelliger Milliarden-Höhe angehäuft hat.
Mexiko: Widerwille von López Obrador gegen Windenergie scheint grundsätzlicher Natur
Sicher haben viele der Privaten, die nach der Energiereform 2013 in Land kamen, sehr gute Verträge an Land gezogen. Diese aber kann man neu verhandeln und muss dafür nicht gleich die gesamte Branche der Erneuerbaren Energie einstampfen. Der Widerwille des Präsidenten gegen Windenergie und Photovoltaik scheint eher grundsätzlicher Natur. Denn es vereinen sich darin zwei Dinge, die er prinzipiell ablehnt: zum einen private Anbieter in einem strategischen Sektor wie der Energiegewinnung. Zum anderen gefällt ihm nicht, dass in den Erneuerbaren vor allem ausländische Investoren aktiv sind, vorzugsweise aus Europa.
In diesem Zusammenhang muss man die neuen Richtlinien sehen, die das Energieministerium im Mai quasi über Nacht erließ und die den Erzeugern von sauberem Strom das Leben schwer machen. Unter dem Vorwand der unzureichenden Netzstabilität wurden die Bedingungen per Dekret verändert und die Regulierungsbehörde Cenace angewiesen, „wirtschaftlicher Effizienz“ den Vorrang zu geben. Außerdem wurden die Anforderungen für „operationale Reserven“ erhöht. „Beide Richtlinien benachteiligen die Erneuerbaren Energien“, kritisiert Julio Valle vom „Mexikanischen Windenergie-Verband“ (AMDEE).
Investoren verlieren Vertrauen in Mexiko
Die neuen Direktiven treffen auch deutsche Unternehmen, die im Zuge der Energiereform ins Land kamen. Man habe den Eindruck, als wolle die Regierung die Erneuerbaren boykottieren, sagt Alejandro Cobos, Mexiko-Chef des Potsdamer Windparkentwicklers Notus Energy. „Anfragen und Genehmigungsverfahren dauern extrem lange“, betont Cobos im Gespräch. Auch seien die Durchleitungstarife drastisch erhöht worden. Aber in der Pandemie habe sich nur eine Tendenz der Verzögerung und Verschleppung verschärft, die sich schon seit der Amtsübernahme López Obradors Ende 2018 abzeichnete, unterstreicht Cobos.
Nach der plötzlichen Regeländerung drückte die Deutsche Außenhandelskammer (AHK) Mexiko gemeinsam mit weiteren europäischen Kammern in einem Brief an Wirtschaftsministerin Graciela Márquez ihre Besorgnis darüber aus, dass die Investoren in ihren Heimatländern zunehmend das Vertrauen in Mexiko verlören, weil Zweifel an der Rechtssicherheit wachsen.
Mexiko ist weltweit der elftgrößte Emittent von Treibhausgasen
Und zudem wird eines der wenigen guten Projekte rückabgewickelt, das von der Vorgängerregierung auf den Weg gebracht wurde. Denn Mexiko, zweitgrößtes Land Lateinamerikas, hat Wind und Sonne im Überfluss, und gerade die Landenge von Tehuantepec im Süden Mexikos gehört zu den windreichsten Gegenden weltweit. Seit 2015 hat sich die saubere Energieproduktion im Land verdreifacht, und heute steuern die Erneuerbaren 15 Prozent zur gesamten Stromproduktion bei.
Diese Entwicklung müsste weitergehen, wenn das lateinamerikanische Land sein ehrgeiziges Ziel erreichen will, die Emissionen von 2010 bis 2030 nur um insgesamt neun Prozent zu steigern. Schließlich ist Mexiko derzeit noch der weltweit elftgrößte Emittent von Treibhausgasen.