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Ukrainer und Russen: Von Mexiko in die USA

2. April 2022

Die einen fliehen vor dem russischen Angriffskrieg, die anderen vor einem autoritären System. In Mexiko versuchen sowohl russische als auch ukrainische Flüchtlinge, in die USA zu gelangen. Mit unterschiedlichem Erfolg.

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Stacheldraht vor der Grenze: ukrainische und russische Flüchtlinge in Tijuana
Stacheldraht vor der Grenze: ukrainische und russische Flüchtlinge in TijuanaBild: JORGE DUENES/REUTERS

Sie kommen aus Kiew oder Lwiw, aus Moskau oder Sankt Petersburg. Manche fliegen nicht direkt nach Mexiko-Stadt, sondern machen Station in der Türkei, damit bloß niemand Verdacht schöpft. Sie bleiben nicht in der mexikanischen Hauptstadt, sondern nehmen sofort den nächsten Flieger nach Tijuana. Wenn es nach ihnen geht, ist die Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole im Nordwesten Mexikos, weltweit bekannt als Drehscheibe für die Einwanderung in die USA, die vorletzte Station der tagelangen Reise.

Das Ziel der russischen und ukrainischen Flüchtlinge ist nach 10.000 Kilometern im Flugzeug so greifbar nahe: San Diego in Kalifornien, von Tijuana gerade einmal zehn Kilometer entfernt. Damit verbunden der Traum, den russischen Krieg in der Ukraine für immer hinter sich zu lassen und in den Vereinigten Staaten, weit weg von der alten Heimat, ein neues Leben anzufangen. Und so mischen sich die Neuankömmlinge unter diejenigen, die zu Fuß, mit dem Zug oder mit dem Bus gekommen sind, viele von ihnen nicht zum ersten Mal.

Mexiko | Ukrainische Flüchtlinge in Tijuana
Schlange stehen vor der Grenzbehörde - ukrainische Flüchtlinge in TijuanaBild: Guillermo Arias/AFP

"Ein Großteil der Geflüchteten an der Grenze sind Mexikaner, die vor der Gewalt im eigenen Land fliehen. Aus Lateinamerika kommen vor allem Menschen aus Honduras, El Salvador, Guatemala, Kuba und Haiti wegen der Gewalt oder auch aus ökonomischen Gründen. Und jetzt sehen wir auch immer mehr Flüchtlinge aus der Ukraine und Russland", sagt Stephanie Galeano vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

USA wollen 100.000 Geflüchtete aufnehmen

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine schwappt bis an die mexikanisch-US-amerikanische Grenze, auch weil US-Präsident Joe Biden angekündigt hat, 100.000 Ukrainern und anderen Menschen, die vor dem Krieg fliehen, eine legale Einreise zu ermöglichen. Doch hier wird die Sache kompliziert. Denn was passiert mit den Russen, die Wladimir Putin rigoros ablehnen, aber aus Moskau oder Sankt Petersburg kommen, also nicht aus einem Kriegsgebiet?

Der US-amerikanische Präsident Joe Biden mit ukrainischen Flüchtlingen in Warschau
Der US-amerikanische Präsident Joe Biden mit ukrainischen Flüchtlingen in WarschauBild: Evan Vucci/AP/picture alliance

Erika Pinheiro, Direktorin der Hilfsorganisation Al Otro Lado, sagt: "Die USA haben vor einigen Tagen begonnen, allen ukrainischen Flüchtlingen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr auszustellen, während russische Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen wurden. All das ohne eine öffentliche Stellungnahme."

Russen stranden mit vielen Lateinamerikanern in Tijuana

Während die meisten Flüchtlinge aus Russland in Hotels übernachten, campierten einige Dutzend Russen tagelang am Grenzübergang San Ysidro in einer Fußgängerzone. Eingehüllt in Decken, auf dünnen Matratzen hockend, den Kinderwagen in Griffnähe - und dabei das eigene notdürftige Territorium mit den Reisekoffern abgrenzend. Ihr Problem ist: Das Bargeld geht langsam zur Neige, und wegen der Sanktionen gegen Russland dürfen sie keine mexikanischen Pesos abheben.

Russische Flüchtlinge in Tijuana, nachdem ihnen die Einreise in die USA verweigert wurde
Russische Flüchtlinge in Tijuana, nachdem ihnen die Einreise in die USA verweigert wurdeBild: Mario Tama/AFP

Viele der Russen können jetzt bestens nachempfinden, was Venezolaner, Salvadorianer und Honduraner seit Jahren an der Grenze fühlen: in einer Art Nirgendwo gelandet zu sein, wo es für sie kein Vor und auch kein Zurück gibt. Gleichzeitig scheuen sie sich, über die Medien auf ihre Situation aufmerksam zu machen - weil sie Repressalien für sich und ihre Familien, die noch in Russland sind, fürchten.

Tag für Tag mehr Ukrainer und Russen an der Grenze

Die US-amerikanische Grenzschutzbehörde CBP hatte 2021 nach eigenen Angaben 13.240 Kontakte mit russischen Einwanderungswilligen - Kontakte bedeutet, dass einige von ihnen auch mehrmals vorstellig wurden. Allein im Januar dieses Jahres, also noch vor Kriegsbeginn, waren es 11.783, Tendenz steigend. Das hat nicht nur mit dem Krieg zu tun, sondern auch mit Corona: Während der Pandemie war lange Zeit die US-amerikanische Botschaft in Moskau für den Publikumsverkehr geschlossen.

Und auch bei den ukrainischen Flüchtlingen sind die Vereinigten Staaten längst kein Insidertipp mehr. 2021 gab es 9378 Kontakte mit der US-Grenzschutzbehörde, allein im Januar betrug die Zahl schon 4338. Sie müssen ihren Reisepass vorzeigen, eine Person in den USA angeben, die für sie bürgt, und beweisen, dass sie aufgrund einer Notsituation geflohen sind, um in die USA einzureisen.

Ukrainischen Flüchtlingen mit ihren Reisepässen ist die Einreise in die USA meist erlaubt
Ukrainischen Flüchtlingen mit ihren Reisepässen ist die Einreise in die USA meist erlaubtBild: Mario Tama/AFP

"Jeden Tag kommen zwischen 150 und 350 Personen in Tijuana an, seit Kriegsbeginn sind es 3000 Ukrainerinnen und Ukrainer. Und das wird auch so weitergehen, der Krieg hat ja nicht aufgehört", sagt Andrea Rincón von der Hilfsorganisation Civil Border Youth.

Selbst ukrainische Flüchtlinge, die keinen Bürgen haben, können auf eine Aufenthaltsgenehmigung hoffen, so Rincón: "Sie müssen vor einem Richter beweisen, dass ihnen bei einer Rückkehr in die Heimat Gefahr droht. Ohne Bürgschaft ist die Chance zwar geringer, aber die Entscheidung liegt beim Richter."

Flüchtlinge erster und zweiter Klasse?

Hilfsorganisationen finden nur lobende Worte für die Entscheidung der Biden-Administration, Geflüchtete aus der Ukraine so unbürokratisch wie möglich in die USA einreisen zu lassen. Doch in Amerika passiert gleichzeitig genau das, was in Europa zur gängigen Praxis geworden ist: Flüchtlinge aus anderen Nationen bleiben außen vor, für viele bleibt die Grenze ein unüberwindbares Hindernis.

"Biden, bitte lass' uns herein" - honduranischer Flüchtling in Tijuana
"Biden, bitte lass' uns herein" - honduranischer Flüchtling in TijuanaBild: Gregory Bull/AP Photo/picture alliance

"Die USA und die internationale Gemeinschaft können andere Krisen nicht vernachlässigen, die Millionen von Menschen in Lateinamerika und der Karibik betreffen", sagt Daniel Berlín vom International Rescue Committee. "Sie brauchen Schutz in ihren Herkunftsländern und auf der Fluchtroute, Resettlement-Programme und ein Asylsystem, das schnell auf alle Krisen weltweit reagiert - und nicht nur temporäre Lösungen für einige wenige anbietet."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur