Die mexikanische Armee könnte stärker in das Verschwinden von 43 Studenten im Jahr 2014 verwickelt sein als bisher angenommen. Nach neuen Erkenntnissen der Ermittler sollen sechs der Studenten zunächst tagelang in einem Lagerhaus am Leben gehalten worden sein, bevor ein Militärkommandeur sie töten ließ. Das hat der Vorsitzende der Wahrheitskommission und Staatssekretär für Menschenrechte, Alejandro Encinas am Freitag bekannt gegeben. Die sechs Studenten seien mutmaßlich dem damaligen Kommandeur des lokalen Militärstützpunkts, Oberst José Rodríguez Pérez, übergeben worden. Dieser habe schließlich ihre Tötung angeordnet.

Encinas verkündete die Enthüllung in einer Stellungnahme zu dem vor einer Woche veröffentlichten Bericht seiner Kommission. Zuvor hatte er das Verschwinden der 43 Studenten des radikalen Lehrerseminars Ayotzinapa in Iguala im Bundesstaat Guerrero bereits als "Staatsverbrechen" bezeichnet, dem die Armee zugesehen habe, ohne einzuschreiten. Den Fall der sechs an den Militärkommandanten übergebenen Studenten hatte er jedoch zu dem Zeitpunkt noch nicht erwähnt.

Nach Encinas Angaben haben die Behörden die Studenten von dem Zeitpunkt an eng beobachtet, an dem sie von der lokalen Polizei verschleppt wurden. Unter den Verschleppten habe sich auch ein Soldat befunden, der das Lehrerseminar infiltriert hatte. Encinas sagte, die Armee habe sich nicht an ihr eigenes Protokoll gehalten und nicht versucht, den Mann aus den eigenen Reihen zu retten.
Das Verteidigungsministerium hat auf eine Bitte um Stellungnahme am Freitag nicht reagiert.

In dem Bericht der Wahrheitskommission heißt es, die Armee habe am 30. September 2014, vier Tage nach der Verschleppung der Studenten, einen Notruf registriert. Der Anrufer sagte demnach, sie würden in einem Lagerhaus an einem als pueblo viejo beschriebenen Ort festgehalten. Diesem Eintrag folgten mehrere Seiten mit geschwärztem Material. Danach hieß es, es habe offensichtlich Absprachen zwischen Agenten des mexikanischen Bundesstaats und der kriminellen Gruppe Guerreros Unidos gegeben. Die Wahrheitskommission schreibt weiter, die Staatsvertreter hätten die Gewalt und das Verschwinden der Studenten toleriert, erlaubt und sich daran beteiligt. Zudem habe die Regierung versucht, die Wahrheit über die Ereignisse zu verbergen.

Korrupte Polizisten haben die Studenten des Lehrerseminars Ayotzinapa in der südlichen Stadt Iguala in der Nacht zum 27. September 2014 verschleppt und dem Verbrechersyndikat Guerreros Unidos übergeben. Die Hintergründe der Tat sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt.

Vergangene Woche eröffnete die Justizverwaltung ein Strafverfahren gegen den ehemaligen Chefermittler des Verbrechens, Jesús Murillo Karam. Ihm werden Beweisfälschung und Folter vorgeworfen. Außerdem verkündete die Justiz Haftbefehle gegen 20 Armeeangehörige, fünf lokale Amtsträger, 33 lokale Polizisten, elf Polizisten des Bundesstaats Guerrero sowie 14 Bandenmitglieder.

Laut dem Bericht der Wahrheitskommission sind wohl alle Studenten tot. Ihre Leichen wurden nie gefunden, lediglich verbrannte Knochenfragmente von drei der Vermissten. Die Familien der Opfer üben seit Jahren Druck auf die Regierung aus, tiefer zur Beteiligung des Militärs zu ermitteln.