Journalistenmorde in Mexiko: Kriegsreporter im eigenen Land

In diesem Jahr wurden in Mexiko bereits 17 Jour­na­lis­ten ermordet. Wer dort zu Kriminalität und Korruption recherchiert, riskiert sein Leben.

Auf einem Platz sind Schwarz-Weiß-Porträts aufhängt

Fotos ermordeter Journalisten auf dem Platz vor der Kathedrale von San Cristóbal de las Casas Foto: Artur Widak/imago

OAXACA taz | Zuletzt traf es Pedro Pablo Kumul. Der Moderator des mexikanischen Onlineportals AX Noticias fuhr vergangene Woche gerade in seinem Auto, als ihn Unbekannte mit Schüssen töteten. Der junge Mann aus dem Bundesstaat Veracruz ist der 17. Medienschaffende, der dieses Jahr in Mexiko gewaltsam ums Leben kam. Das ist selbst für das ohnehin für Jour­na­lis­t*in­nen gefährliche Land trauriger Rekord.

Warum Kumul ermordet wurde, wird wohl nie ans Licht kommen. Nicht zufällig forderten seine Kol­le­g*in­nen von AX Noticias die Regierung auf, die Hintergründe zu ermitteln, damit das Verbrechen „nicht wie so viele straflos bleibt“. Die Aufklärungsrate von Morden an Jour­na­lis­t*in­nen liegt bei 2 Prozent. Selten werden Täter zur Verantwortung gezogen wie etwa im Fall von Miroslava Breach. Mafiakiller töteten die Journalistin 2017, weil sie kriminellen Geschäften in die Quere kam. Später wurden der Chef eines Drogenkartells und ein korrupter Bürgermeister zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Solche Urteile sind die Ausnahme. Sie zeigen aber die Gründe auf, die hinter vielen Taten stecken. Wer im kriminellen und korrupten Milieu von Politik, Wirtschaft und Mafia recherchiert oder die Macht lokaler Unternehmer*innen, Bür­­ger­­meis­te­r*in­nen und anderer Interessengruppen angreift, riskiert sein Leben. Dabei kann es um den Mohnanbau für die Opiumproduktion, um Zwangsprostitution oder um Machtkämpfe um politische Ämter gehen. Betroffen sind meist Journalist*innen, die vor Ort aufgewachsen sind und die regionalen korrupten Strukturen gut kennen.

Prekäre Bedingungen für Medienschaffende

Viele dieser Medienschaffenden arbeiten unter prekären Bedingungen: schlechte Honorare, fehlende soziale Absicherung. Pedro Pablo Kulum musste deshalb sein Geld zusätzlich als Taxifahrer verdienen. Die meisten Kol­le­g*in­nen hätten ein solches Profil, erklärt die Journalistin Vania Pigeonutt: „Die schlechte Bezahlung macht ihre Arbeit noch gefährlicher.“ Die 34-Jährige aus dem Bundesstaat Guerrero hat die Plattform Amapola Periodismo Transgresor gegründet, die sich unter anderem mit dem umfangreichen Drogenanbau in der Region befasst. Wie so viele Jour­na­lis­t*in­nen musste sie ihre Heimat verlassen. „Ich konnte über Themen wie die Kriminalität nicht mehr berichten und wollte mich nicht selbst zensieren“, sagt sie. In Guerrero, so betont Pigeonutt, arbeiteten Polizist*innen, organisiertes Verbrechen und autonome bewaffnete Gruppen eng zusammen. Im August wurde dort ihr Kollege Fredid Román ermordet.

„Wir wurden plötzlich zu Kriegsreportern im eigenen Land“, beschreibt Marcela Turati, wie sich das Leben vieler Jour­na­lis­t*in­nen geändert hat, seit der damalige Präsident Felipe Calderón 2008 der Mafia den Krieg erklärte. Seitdem hat das Morden massiv zugenommen, rund 100 Menschen werden derzeit täglich getötet, über 10.000 sind verschwunden. Auch die Konsequenzen für Medienschaffende sind gravierend: Alle 14 Stunden findet nach Angaben der Organisation Artículo 19 ein Angriff auf die Presse statt, häufig durch staatliche Kräfte. Seit dem Jahr 2000 kamen 156 Medienschaffende ums Leben.

Ein staatliches Programm soll Jour­na­lis­t*in­nen und Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­r*in­nen schützen. Es bietet Alarmanlagen, Nottelefone, Schutzzäune, schusssichere Westen und Bodyguards. Doch der Erfolg hält sich in Grenzen. Auch Personen, die sich in dem Programm befanden, wurden ermordet. Turati, Pigeonutt und ihre Kol­le­g*in­nen organisieren sich deshalb in Netzwerken. In Workshops beschäftigen sie sich mit Sicherheitsmaßnahmen. „Wo gehe ich hin, was tun in Notfällen, all das muss immer zeitnah vermittelt werden“, erklärt Turati.

Wenig hilfreich sind die Signale des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. In seinen täglichen Pressekonferenzen hetzt er gegen kritische Jour­­na­lis­t*in­nen und bezichtigt Medienschaffende der Verbreitung von Lügen, wenn sie seinen Angaben widersprechen. Die Sprecherin von Artículo 19, Paula Saucedo: „Wenn der Präsident in einem Land, das zu den gefährlichsten für Journalisten zählt, die Presse und jegliche Kritik stigmatisiert, erhöht er das Risiko von Angriffen und Gewalt.“ Die Angriffe auf Jour­na­lis­t*in­nen hätten in der Amtszeit López Obradors um 85 Prozent zugenommen.

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