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Der letzte Brief von Brad Will

News vom 21.11.2006
übersetzt von café antisistema, Frankfurt/Main

  Vorbemerkung: Hier geht es nicht um "Heldengedenken" oder ähnliches. Brad war ein Aktivist, der sich ehrlich für seine Sache, die unabhängige Berichterstattung einsetzte, einige aus dem YA-BASTA-NETZ kannten ihn persönlich... Sein Brief liefert sehr anschauliche Einblicke in die Situation in Oaxaca. Jetzt liegt eine Übersetzung vor. Vielen Dank dafür!

Weitere Infos:

Presseerklärung: Indymedia New York City zum Mord an Brad Will
http://de.indymedia.org/2006/10/160375.shtml

EZLN-Kommunique zur Ermordung des Indymedia Journalisten Brad Will in Oaxaca
http://de.indymedia.org/2006/10/160291.shtml

VIDEO zum Mord: https://video.indymedia.org/en/2006/10/542.shtml
(Vorsicht, keine "leichte Kost"!)

Solidarische Grüße, Gruppe B.A.S.T.A.


DIE LETZTE MAIL VON BRAD WILL

(Brad Will, Oaxaca Stadt, 16.Oktober 2006 für Indymedia New York. Ermordet am 28.Oktober 2006 in Oaxaca-Stadt durch Kugeln von Paramilitärs an den Barrikaden der APPO)

Morgengrauen, 16.Oktober 2006

Gestern bin ich mit den guten Leuten von Oaxaca herumgelaufen, wirklich den ganzen Tag gelaufen. Nachmittags haben sie mir gezeigt, wo die Kugeln in die Mauer einschlugen. Die, die sie erreichen konnten, haben sie gezählt.

-Das hat mich an den Eingang von Amadou Diallos Haus erinnert. − Aber die Graffiti war vor der Schiesserei da. Eine Kugel zählten sie nicht − sie war noch in seinem Kopf. Er war 41 Jahre alt.

Alejandro Garcia Hernandez, jede Nacht an der Barrikade in der Nachbarschaft. In jener Nacht kam er raus, um seine Frau und seine Söhne zu treffen. Sie liessen einen Krankenwagen vorbei. Ein Pick Up versuchte, ihnen zu folgen. Als er ihnen sagte, dass sie nicht durchfahren können − und das konnten sie tatsächlich nicht − schossen diese Militärs in Zivil sich ihren Weg zurück frei.

Ein junger Mann, der nur Marco genannt werden wollte, war dabei, als die Schiesserei losging. Eine Kugel traf ihn in seine Schulter. Er war noch im Schock, als wir ihn trafen. 19 Jahre ist er alt. Er sagte, dass er jede Nacht an den Barrikaden war, sagte, dass er zurückgehen würde, sobald seine Wunde geschlossen sei, ganz sicher. Ein paar Tage zuvor war da eine Delegation von Senatoren, die feststellen wollten, ob der Staat unregierbar sei: sie haben eine Kostprobe davon bekommen. Es ging der Aufruf herum, auch noch den Rest der Regierung lahmzulegen. Dutzende gingen los mit grossen Stöcken und Taschen voller Sprühfarbe. Sie übernahmen 3 Stadtbusse, sind die lokalen Regierungsgebäude angefahren und haben den Leuten dort mitgeteilt, dass die Gebäude geschlossen seien. »Danke für Eure freiwillige Kooperation, ihr seid leider gezwungen worden − deshalb werdet ihr wohl euer Gehalt bekommen. SCHUSS ... Als sie vom letzten Halt losfuhren, kamen drei Pistoleros raus und schossen. 2 Busse waren schon weg. 10 Minuten Kampf mit Steinen und Zwillen und Schreien − eine Schusswunde am Kopf, eine andere durchs Bein − wurden zum Krankenhaus gebracht. Während der Kampf weiterging. Eine Schiesserei am Radio und von allen Seiten kommen die Leute. Die Paramilitärs waren auf der anderen Seite des Gebäudes, sie kamen weg
-oder waren sie drin? − keiner wusste irgendwas sicher.

Aufpassen. Es wird erzählt, dass Undercoverbullen um das Krankenhaus herumschleichen und die Leute rennen los, um Wache über die Verwundeten zu halten. Was willst du zu dieser Bewegung sagen − zu dieser revolutionären Bewegung: du weisst, dass sie sich aufbaut, wächst und Konturen bekommt − du kannst es spüren, sie versuchen direkte Demokratie zu erreichen. Im November wird die APPO eine landesweite Volksversammlung durchführen, um landesweit eine ständige Versammlung zu installieren. AEPO. Bis jetzt haben 11 von 33 Staaten Mexikos die Gründung von ständigen Volksversammlungen wie die APPO erklärt. Auf der anderen Seite, in den USA, auch ein paar.

Die Marines sind zurück auf dem Meer, aber die Riotpolice, die schon in Atenco war, ist sehr nah. Das neue APPO-Camp in Mexiko-City hat einen Hungerstreik angefangen. Der Senat kann Ulises Ruiz rausschmeissen. Was kommt als nächstes, keiner weiss es. Es ist wie ein Brennpunkt aus Licht: entweder es brennt oder es zeigt den Weg. Es ist klar: das ist mehr als ein Streik, mehr als der Rausschmiss eines Gouverneurs, mehr als nur eine Blockade, mehr als die Koalition einzelner Gruppen. Es ist eine echte Revolte der Menschen. Nach Jahrzehnten der Ausbeutung, Unterdrückung und Korruption durch die PRI haben sie die Nase voll. Sie nennen URO den Tyrannen. Sie reden davon, diesen Autoritarismus zu zerstören. Du kannst das Flüstern des Lakandonischen Urwalds in den Strassen nicht verfehlen. An jeder Strassenecke wird gemeinsam die Entscheidung getroffen, sie zu halten. Du siehst es in ihren Gesichtern, Indigene, Frauen, Kinder, so mutig, nachts aufmerksam, stolz und resolut. Wir gingen von Alejandros Barrikade zurück mit einer Gruppe von UnterstützerInnen, die von einem Distrikt eine Halbe Stunde ausserhalb kamen. Wir gingen zusammen mit wütenden Menschen zur Leichenhalle. Wir gingen hinein und sahen ihn. Ich habe noch nicht wirklich viele Tote in meinem Leben gesehen. Es macht dich fertig. Ein Stapel namenloser Körper in der Ecke, ungefähr die Anzahl derer, die gestorben sind.. Keine Kühlung − der Geruch. Sie hatten seinen Körper geöffnet, um die Kugel herauszuholen. Wir gingen zurück mit ihm und seinen Leuten. Und nun wartet Alejandro auf dem Zokalo, wie die Anderen in ihren Särgen. Er wartet auf einen Durchgang, einen Wechsel, einen Ausgang, einen Weg vorwärts, einen Weg raus, eine Lösung, wartet, dass die Erde sich öffnet, wartet auf den November, wenn er bei seinen Liebsten am Tag der Toten sitzen kann und Essen und Trinken und ein Lied teilen, wartet, dass die Plaza sich über ihn stülpt und birst. Er wird nur bis morgen warten. Heute Nacht wartet er auf den Gouverneur und seine Entscheidung, nie mehr zurückzukommen. Ein Tod mehr, ein Märtyrer mehr in einem dreckigen Krieg . Eine weitere Zeit zu weinen und verletzt zu werden. Eine Zeit mehr, die Macht und ihr hässliches Haupt zu erkennen, eine weitere Nacht für Kugeln, eine weitere Nacht auf den Barrikaden. Manche unterhalten das Feuer, manche rollen sich zusammen und schlafen. Aber sie alle sind bei ihm, wenn er eine letzte Nacht auf seiner Wache ausruht. Alles in Allem: Wir sind eine Armee von Träumern und deswegen sind wir unbesiegbar. Wie könnten wir nicht gewinnen mit dieser Utopie, die alles andere hinter sich lässt. Aber zumindest verdienen wir, nicht zu verlieren. Seien wir realistisch − tun wir das Unmögliche.

(Brad Will, Oaxaca Stadt, 16.Oktober 2006 für Indymedia New York ermordet am 28.Oktober 2006 in Oaxaca Stadt durch Kugeln von Paramilitärs an den Barrikaden).

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