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Oaxaca-Beitrag in LN 393

News vom 04.03.2007
Martina Messerschmidt

  Nachstehend die unredigierte Langfassung des Beitrages "Oaxaca − Frauen in Bewegung", der in der Ausgabe 393 (März 2007) der Lateinamerika-Nachrichten erschienen ist.

Die Bewegung, auf die so viele Menschen seit Mai 2006 mit Hoffen und Bangen schauen, wurde dem Staatsapparat zu gefaehrlich. Der Aufstand der APPO, der Volksversammlung von Oaxaca, musste mit allen Mitteln bekaempft werden. Gnadenlos wurde diese vielfaeltige Basisbewegung fuer Demokratie und Gerechtigkeit kriminalisiert. Hunderte von AktivistInnen landeten wegen fingierter Delikte hinter Gittern, verschwanden spurlos, wurden in den Untergrund gedraengt oder sogar umgebracht. Es gab 23 Tote in diesen Monaten. Auf die Bestrafung der Schuldigen und gerechte Gerichtsprozesse gibt es wenig Hoffnung. Im Moment geht es der APPO darum, sich zu reorganisieren, die Ereignisse auszuwerten, auf den Strassen Praesenz zu zeigen und die Kriminalisierung zurueckzudraengen. Die politischen Ziele sind weiterhin die Absetzung des Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz, die Freilassung der Gefangenen, die Aufklaerung der Menschenrechtsverletzungen und eine verfassungsgebende Versammlung, die eine neue, demokratische Verfassung ausarbeitet.


Seit dem Aufstand im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca vor 9 Monaten sind viele Frauen im Aufbruch. Sie haben ihren Alltag zugunsten der Bewegung, die den Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz stuerzen will, hinter sich gelassen. Sie sind in Frauengruppen organisiert oder Sprecherinnen von Angehoerigengruppen, die fuer die Freilassung der Gefangenen kaempfen. Sie besetzten einen Fernsehsender und gestalteten drei Wochen lang das Programm. Sie organisierten Lebensmittel fuer die Hunderten von Barrikaden und die belagerten Regierungsgebaeude in der Stadt. Sie erlitten starke Repression, sowohl von paramilitaerischen Gruppen als auch durch staatliche Sicherheitskraefte. Doch sie werden weitermachen, trotz ihrer Angst.

Die Volksversammlung von Oaxaca (APPO) ist sehr heterogen. Neben sozialen Organisationen, indigenen Gemeinden und politischen Gruppierungen haben sich Tausende von Unorganisierten und Armen aus den Vororten von Oaxaca-Stadt der Bewegung angeschlossen. Entgegen der herrschenden patriarchalen Vorstellungen beteiligten sich auch Frauen massiv und selbstaendig an den Mobilisierungen. Die einzige reine Frauenorganisation in der APPO ist die Koordination der Frauen von Oaxaca (COMO). Sie hat sich nach einer Frauendemonstration am 1. August 2006 entwickelt. Aus der Dynamik der "marcha de las caserolas" besetzten mehrere Hundert Frauen spontan den staatlichen Fernsehsender Canal 9. Nach zum Teil handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Belegschaft begannen die Frauen mit der Ausstrahlung des selbst gestalteten Programms. Sie konnten damit sowohl den diversen Sektoren der am Aufstand Beteiligten eine Stimme geben, als auch den Luegen der Regierungssender etwas entgegen setzen. Fuer die Mobilisierungen auf die Strassen Oaxacas, die megamarchas, waren die diversen von der APPO betriebenen Radiosender von immenser Bedeutung. Daher wurden sie von Paramilitaers immer wieder zerstoert und ihre BetreiberInnen angegriffen.

Wie betreibt frau einen besetzten Fernsehsender? Patricia Jiménez Alvarado, Pressesprecherin der COMO, beschreibt im Gespraech den Alltag im Sender: "Wir mussten improvisieren. Es gab aber sehr viel Unterstuetzung aus der Bevoelkerung. Die Arbeit im Sender war schwierig, denn die meisten von uns hatten so etwas noch nie gemacht. Wir gruendeten Kommissionen, fuer Finanzen, Lebensmittelversorgung, Pressearbeit, Sicherheit, in die sich die Frauen aufteilten. Oft hatten wir Angst und trauten uns nicht hinaus, weil wir als aktive Frauen nun sichtbar und angreifbar waren. In unsere Autos und Haeuser wurden eingebrochen, es gab Beschimpfungen und Morddrohungen am Telefon. Doch wir haben durchgehalten. Wir haben gemeinsam geweint und uns dann gegenseitig wieder aufgebaut. Es war ein Zusammenhalt, den ich zuvor nie erlebt hatte. Dabei waren wir so verschieden. Nicht nur organisierte Frauen wie ich aus der Lehrergewerkschaft waren dabei. Auch Marktfrauen, Unternehmerinnen, junge Studentinnen und Arme aus den Vororten stiessen dazu. Viele sagten uns, wie unser Beispiel, dass wir einfach im Fernsehen auftraten und sprachen, sie sehr stolz machte. Durch die Besetzung fassten insgesamt noch mehr Frauen Mut. Auf den Demos liefen sie vorn, malten Parolen an die Waende, wachten an den Barrikaden. Unser Leben aenderte sich zu 100%. Es war eine klare Entscheidung mitzumachen."

Zusammenarbeit mit den Maennern Elena, eine junge Studentin vom Land, die dem 200koepfigen Koordinationsrat der APPO angehoert, ist von Anfang an begeistert dabei: "Ich habe durch meine Mitarbeit am Radio Universitaria, das wir mit ca. 300 Leuten betrieben, viel mitbekommen. Zu uns kamen Frauen, die niemals zuvor oeffentlich das Wort ergriffen hatten. Sie sagten ihren Ehemaennern, dass sie sich ihr Essen selbst zubereiten sollten, wenn sie Hunger haetten. Sie erkannten, dass auch sie stark sind und die Bewegung gegen Ulises Ruiz unterstuetzen koennen; nicht nur die Maenner, die an den Barrikaden standen. Zum Teil waren Paare in den gleichen Gruppen aktiv, fuer sie war es leichter. Andere mussten sich gegen ihre Familien durchsetzen. Allen war klar: Wir haben als Frauen eine Stimme, wir koennen nicht auf die Maenner hoeren, wenn wir mitmachen wollen. Unsere Angst schwand mit jeder Aktion. Auch auf dem Land machten ploetzlich die Frauen mit. Sie fuhren zu den megamarchas und besetzten die Gebaeude verschiedener Regionalregierungen. Die Forderungen waren und sind die selben, ob Frauen, Maenner, Kinder, Alte: Weg mit Ulises Ruiz, raus mit den Gefangenen, endlich Gerechtigkeit und Demokratie fuers Land! Innerhalb der APPO konnten wir den von uns geforderten Frauenanteil von mindestens 30% im Koordinationsrat durchsetzen. Der Kampf gegen den Machismo ist hart und lang. Doch trotz der Angst vor erneuter Repression sind wir Frauen weiter dabei!"

Frauen im Untergrund Dutzende Frauen verliessen aus Angst vor einer drohenden Festnahme oder Morddrohungen ihre gewohnte Umgebung, ihre Familien und die Arbeit in ihren Organisationen. Einige haben sich mitlerweile an die Presse gewandt und das Ausmass der Repression oeffentlich gemacht. Berta Muñoz ist erfahrene Aerztin und Dozentin der freien Universitaet von Oaxaca. Sie hatte die Verarztung der Verletzten koordiniert, als die PFP die Bewegung angriff. Ausserdem wurde sie durch ihre Mitarbeit am subversiven Radiosender der Uni zu einer Ikone des Widerstands. Kaempferisch erhob sie taeglich ihre Stimme gegen den Gouverneur. Alle kannten und bewunderten sie. Gegen sie liegt nun offenbar ein Haftbefehl vor, so wie fast gegen die gesamte Fuehrung der APPO. Im Interview mit der Internationalen Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte CCIODH sagte Berta Muñoz: "Am 28.11. hatte ich mich entschieden unterzutauchen. Es gab sogar Drohungen und Geruechte, dass sie mich verschwinden lassen wollen. Ruiz` Moerderbanden, die in Zivil und vermummt schon einige von uns umbrachten, haben mich im Auge, wahrscheinlich wegen meiner Arbeit am Radio. Auch meine erwachsenen Kinder, denen wie mir gedroht wurde, sind seitdem an verschiedenen, unbekannten Orten. Ich kann sie leider nicht sehen."

Der Kampf um die Freilassung der Gefangenen Die meisten Frauen, die in der Bewegung aktiv wurden, waren schnell mit staatlicher oder paramilitaerischer Gewalt konfrontiert. Immer wieder wurden AktivistInnen bedroht, geschlagen, festgenommen und sogar ermordet. Die CCIODH spricht von 23 Toten im Kontext des Konfliktes. Auf dem Hoehepunkt der Repression, am 25. November 2006, wurden mehr als 220 Menschen durch die Bundespolizei PFP auf den Strassen Oaxacas willkuerlich gefangen genommen, darunter 88 Frauen. Viele Angehoerige schockierte das willkuerlichen Vorgehen der Polizei, die Folterungen, die bekannt werden, die sexuellen Uebergriffe. Die Vorwuerfe, die einige Gefangene zum Sicherheitsrisiko hochstilisieren und die daher in Hochsicherheitsgefaengnissen fernab von Oaxaca sitzen muessen, sind meist Terrorismus, Landfriedensbruch, Brandstiftung, Aufruhr und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Es bildeten sich mehrere Vereinigungen, in denen Angehoerige, AnwaeltInnen und Mitglieder der APPO aktiv wurden. Eine davon ist die Kommission der Angehoerigen von Verschwundenen, Inhaftierten und Ermordeten (Cofadappo). Sprecherin Yolanda Gutiérrez Ortiz erzaehlt, wie sie dazu kam, sich einzumischen: "Mein Sohn wurde am 25.11. festgenommen, daher bin ich aus der Hauptstadt angereist. Nie haette ich gedacht, dass unser Staat so mit den Menschen umgehen kann! Ich habe mein Leben gelebt und war nie besonders politisch interessiert oder kritisch eingestellt. Nun sehe ich, was wirklich los ist in Mexiko und ich schaeme mich dafuer. Mit meinen 47 Jahren fange ich an aktiv zu werden. Mein Sohn sitzt im Gefaengnis und ist erstaunt, dass seine Mutter sich so entwickelt hat." Seitdem steht Yolanda der Presse souveraen Rede und Antwort, geht zur Rechtsberatung und demonstriert mit vielen anderen Betroffenen vor den Gefaengnissen. Am 13. Januar wurde sie nach einer harmlosen Aktion sogar von der Polizei mit dem Tode bedroht: "Wir versuchten zu fluechten, als die Polizei den Kundgebungsplatz und die Mahnwache vor dem Knast raeumte. Es gab willkuerliche Festnahmen. Stundenlang mussten wir, in der Mehrzahl Frauen, in den Bueschen hocken. Wir wollten Hilfe holen. Doch an wen wendet man sich in solch einem Fall? An die Polizei, die gerade vermummt eine friedliche Kundgebung aufmischt? Als sie uns aufstoeberten, wurde mir ein Gewehr in die Seite gestossen und gedroht, dass dies mein Ende sei. Aber wir lassen uns von diesem faschistoiden Terror nicht einschuechtern. Wir werden weitermachen, bis alle Gefangenen raus sind und Ulises Ruiz endlich abtritt!"

Indigene Organisierung Von den 56 in Mexiko existierenden Sprachgruppen leben 14 in Oaxaca. Auf bis zu 70% wird der Anteil der indigenen Bevoelkerung geschaetzt. Die Armut und Kindersterblichkeit ist in einigen Regionen lt. staatlicher Statistiken auf dem Stand von Sierra Leone. Der von der PRI seit 1929 regierte Bundesstaat unterdrueckte immer wieder den Versuch indigener Gemeinschaften, sich gegen Ausbeutung durch multinationale Konzerne, oertliche Kaziken und die rassistische Dominanzkultur zu wehren. Sie kaempfen fuer eine gerechte Landverteilung und wollen eigene Versorgung- und Verwaltungsstrukturen, jenseits der korrupten Parteien, aufbauen. Auf dem Land existieren sowohl kleinere Guerrillagruppen als auch zivile Organisationen, die jedes Jahr mehrere Tote, Verschwundene und hohe Gefaengnisstrafen zu beklagen haben. Bislang waren die diversen Gruppen nicht in der Lage, sich kontinuierlich zusammen zu schliessen. Was im angrenzenden Bundesstaat Chiapas erreicht werden konnte, wo durch den Zapatistischen Aufstand vor 13 Jahren ein gewisser Schutz vor paramilitaerischem und staatlichem Terror besteht und emanzipatorische Bildungs-, Gesundheits- u.a. Projekte aufgebaut werden, schien in Oaxaca nicht moeglich. Doch der unerwartete Aufstand vom Juni letzten Jahres, der sich an der brutalen Unterdrueckung der streikenden LehrerInnen entzuendete, hat sehr viel mehr Menschen als jemals zuvor vereint und auch viele indigene Gemeinschaften und Organisationen involviert.

Indigene AnarchistInnen Eine der auf dem Land aktiven unabhaengigen Gruppen ist der Indigene Rat der Voelker Oaxacas/Ricardo Flores Magón (CIPO/RFM), benannt nach einem Anarchisten, der waehrend der Mexikanischen Revolution fuer die Rechte der indigenen Bevoelkerung stritt. Dolores Villalobos Cuamatzin ist Sprecherin des CIPO und, wie viele indigene Frauen, in der APPO aktiv: "Der Aufstand im Sommer letzten Jahres war eine Explosion der vergangenen Ereignisse. Es gab keine Loesung fuer die vielen Probleme: die Landfrage, Wasserprivatisierung, umweltzerstoerende Grossprojekte, Ungerechtigkeit; weder in der Stadt noch auf dem Land. Der CIPO ist in 13 Landkreisen aktiv, schon seit vielen Jahren. Wir wollen die demokratischen indigenen Traditionen der jahrhundertealten doerflichen Selbstverwaltung bewahren und weiter entwickeln und Gerechtigkeit von unten aufbauen, ohne die korrupten Parteien. Daher haben wir uns dem Aufstand angeschlossen und sind mitlerweile in der APPO eine treibende Kraft. Die lange Erfahrung der indigenen Doerfer im Widerstand und in der Selbstorganisierung sind wertvoll in diesem breiten und vielfaeltigen Buendnis, das die APPO darstellt. Das sehen auch unsere BuendnispartnerInnen, und so haben wir die Gelegenheit, die Themen, an denen wir arbeiten, an sie heranzutragen: genmanipulierte Lebensmittel, Frauenrechte, Selbstversorgung, das Prinzip der gegenseitige Hilfe, juristische Unterstuetzung, kulturelle Selbstbestimmung. Wir muessen anfangen, eigene Strukturen aufzubauen, ganz praktisch im Alltag, nicht nur theoretisieren. Daher unterstuetzen wir die Idee der Autonomie, die von der Zapatistischen Bewegung vorangetrieben wird. Wir als CIPO sind Teil der bundesweiten "Otra Campaña" der EZLN. Von dort gehen viele gute Ansaetze aus, die wir in Oaxaca auch brauchen; und nicht den naiven Glauben an rein parlamentarische Veraenderungen."

APPO: http://www.asambleapopulardeoaxaca.com/
Bericht der CCIODH: http://cciodh.pangea.org

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