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Marcos’ Rede beim interkulturellen Treffen der ENAH

Junta der Guten Regierung am 12.03.2001
übersetzt von Dana

  Rede von Subcomandante Marcos bei dem interkulturellen Treffen "Wege der Würde: Indigene Rechte, Erinnerung und Kulturerbe" am 12. März 2001, im Stadion des Olympischen Dorfes, einberufen von der ENAH.

Guten Abend an alle:

Wir würden uns gerne bei der Gemeinde der Nationalen Schule für Anthropologie und Geschichte dafür bedanken, daß sie uns die Gelegenheit geben unser Wort neben jenen Menschen zu sprechen, die zusätzlich zu ihrer Fähigkeit Worten Licht zu verleihen, ihre Menschlichkeit noch vergrössern indem sie einen Kampf begleiten, der nur Teil des größeren Kampfes für die Menschlichkeit ist.

Diese Diskussion zu beginnen ist nicht einfach.

Nicht nur weil die Lichter die hier mit uns sind scheinen und nur wenige dunkle Räume übriglassen, die bevorzugten Orte für Schatten wie uns. Sondern auch weil ein impertinenter Käfer mich daran gehindert hat etwas Ordentliches und Gutformuliertes vorzubereiten, indem er mich mit allerhand absurden und unverständliche Dinge unterbrach.

Vielleicht haben Sie von ihm gehört. Er ist unter dem Namen "Don Durito de la Lacandona" bekannt, und hat sich selbst, wie er sagt, der Aufgabe verschrieben Übel zu richten und den Bedürftigen und Hilflosen zu helfen. Aus irgendeinem Grund den ich auch nicht annährend begreife, hat Durito beschloßen daß ich zu der Kategorie der Bedürftigen und Hilflosen gehöre, und daß, wie er er ausdrückt, mein ganzes Leben ein Übel ist.

Jetzt wissen Sie also, daß das was mich all diese Nächte wachgehalten hat nicht Fox’ Flut von widersprüchlichen Deklarationen gewesen ist, noch die Todesdrohungen mit denen wir von der PAN so großzügig überschüttet wurden. Nein, es war Durito, der darauf bestand, daß der Bus kein Bus sei sondern ein Schiff, und der Marsch in Wahrheit nicht marschiere sondern segle, da er von dem See getragen werde.

Dem Wenigen nach das ich verstehen konnte, wird Durito das Rockkonzert besuchen das heute auf dem Zócalo in Mexiko Stadt stattfinden wird, und an dem wie sie uns sagten, Joaquín Sabina, Maldita Vecindad, Santa Sabina and Panteón Rococó teilnehmen werden, plus einer ganzen Menge junger Leute. Aber das, wie alles andere auf diesem Marsch, ist Geschichte die noch geschehen wird.

In der kulturellen Sphäre konnte der Zapatismo offene Zuhörer und Echos finden, die ihre eigene Würde sprachen. In der Musik, insbesondere der Rockmusik, in den visuellen und inszenierenden Künsten, in der Literatur und in der Wissenschaft trafen wir gute, sogar humane Menschen, die ihrem eigenen Pfad der Würde folgten. Also würden wir gerne diese Gelegenheit ergreifen um all jene zu grüßen, die durch kulturelle Aktivitäten für Menschlichkeit kämpfen.

Um wie Zapatistas über die Wege der Würde zu sprechen, werden wir eine Geschichte erzählen, genannt:

DER ANDERE SPIELER.

"Die Spieler in ihren ernsten Ecken, bewegen die langsamen Figuren. Das Schachbrett behält sie bis zur Dämmerung in seiner strengen Eingrenzung, in der zwei Farben einander haßen.

(...)

Wenn die Spieler gegangen sind,
Wenn Zeit sie verzehrt hat,
Wird das Ritual sicher nicht geendet haben.

(...)

Der Spieler ist auch ein Gefangener (Der Urteil des Omar) eines anderen Schachbrettes von schwarzen Nächte und weißen Tage.
Gott bewegt den Spieler, und er seinerseits bewegt die Figur.
Welcher Gott steht hinter Gott, der das Schema
Von Staub und Zeit und Traum und Agonien beginnt"?
Schach.
Jorge Luis Borges.

Dies ist die Geschichte:

Eine Gruppe Schachspieler ist in ein bedeutendes, hochklassiges Schachspiel versunken. Eine indigene Person kommt vorbei, sieht für eine Weile zu und fragt was sie dort spielten. Niemand antwortet. Der Indigena nähert sich dem Schachbrett und erwägt die Position der Spielfiguren, die ernsten und finsteren Gesichter der Spieler, die erwartungsvolle Haltung jener die sie umgeben. Er wiederholt seine Frage. Einer der Spieler macht sich die Mühe ihm zu antworten: Es ist etwas daß Du nicht verstehen könntest; es ist ein Spiel für weise und wichtige Menschen." Der Indigena schweigt und betrachtet das Brett und die Bewegungen der Gegner. Nach einer Weile wagt er eine andere Frage: "Und warum spielt ihr wenn ihr schon wißt wer gewinnen wird? Derselbe Spieler der ihm schon zuvor geantwortet hatte sagt: "Das wirst Du nie verstehen. Das ist was für Spezialisten; es ist außerhalb Deiner intellektuellen Reichweite." Der Indigena sagt gar nichts. Er sieht weiter zu, und geht weg. Nach einer kleinen Weile kommt er zurück und stellt genau inmitten des Schachbrettes einen alten schlammbedeckten Stiefel hin. Die Spieler sind sprachlos und sehen ihn ärgerlich an. Der Indigena lächelt boshaft und sagt: "Schach?"

Ende

Samuel Taylor Coleridge, ein englischer Dichter am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb: "Wenn ein Mann im Traum durch das Paradies liefe, und sie ihm eine Blume reichten als Beweis daß er dort gewesen sei, und wenn er beim Erwachen diese Blume in seiner Hand finden würde, was dann?"

Auf diesem Marsch der Indigenen Würde, haben wir Zapatisten ein Teil der Landkarte der nationalen Tragödie gesehen, die nicht zu den besten Sendezeiten im Radio und TV kommt. Jeder der Anwesenden kann einwenden, daß das überhaupt nichts wert wäre, und das ein Marsch nicht notwendig war damit die Menschen verstehen, daß das Mexiko der Unterdrückten groß an Zahl und Armut ist.

Aber ich komme nicht zu Ihnen um über Register der Armut, der ständigen Unterdrückung oder der Täuschung zu sprechen.

Auf diesem Marsch haben wir Zapatisten ebenfalls einen Teil des Mexikos der Rebellen gesehen; wir haben sie sich selbst sehen und andere sehen gesehen. Das und nichts anderes, ist Würde. Die Unterdrückten Mexikos, insbesondere die Indigenas, sprechen zu uns eine Geschichte des Kampfes und des Widerstandes, die von sehr weit herkommt und die sogar heute an allen Orten gedeiht. Ja, aber es ist auch eine Geschichte die nach vorne blickt.

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens bis zu dem Zócalo von Mexiko Stadt, sind wir Zapatisten durch ein Gebiet der Rebellion gewandert, die uns eine Blume von dunkelhäutiger Würde überreicht hat, als Beweis daß wir dort gewesen sind. Wir sind im Zentrum der Macht angekommen und finden, daß wir diese Blume in unseren Händen halten, und die Frage, wie bei Coleridge, ist "was dann?"

Im Gegensatz zu dem was die Kolumnisten der politischen Klasse vermuten, bezieht sich die Frage nicht auf das was folgen wird, sondern vielmehr auf die Bedeutung der dunkelhäutigen Blume. Und vor allem was sie für die Zukunft bedeutet.

Ich weiß, daß in diesen Zeiten der Modernität, in der Bankkonten Gehirne, Werbespots die Dichtung, und verbaler Durchfall das Wissen ersetzen, über Träume zu sprechen nicht anders als altmodisch klingen muß.

Dennoch ist der Kampf der indigenen Völker im Grunde ein Traum, ja, es ist ein Traum der sehr Anders ist.

Der indigene Kampf in Mexiko ist ein Traum, den nicht nur der Morgen träumt der die Farbe der Erde miteinschließt; es ist vor allem auch ein Traum, der sich bemüht das Erwachen dieses Morgens zu beschleunigen.

Wir, die indigene Völker, erheben uns wieder gerade als das was uns verleugnet am stärksten und solidesten erscheint. Und es ist genau unser Traum der bereits gesehen hat, daß die Monumente die der Neoliberalismus errichtet nichts anderes als künftige Ruinen sind.

Die Mächtigen wollen heute den indigenen Kampf in Nostalgie einfangen, Schläge auf die Brust und der "Boom" der indigenen Handwaren. Sie wollen den indigenen Kampf mit dem Zeichen der Vergangenheit markieren, so etwas wie "die Vergangenheit erreicht uns mit unerledigten Zweifel", um die Sprache des Marktplatzes zu verwenden die so modisch ist. Als ob die Regelung dieser Rechnung ein Lösungsmittel wäre mit dem man diese Vergangenheit auslöschen, und das "heute, heute, heute", das Fox als elektorales Platform benutzte und als Regierungsprogram verwendet, das Land ohne irgendwelche Probleme regieren könnte! Dies ist dasselbe "heute", den der Neoliberalismus in ein neues Glaubensbekenntnis verwandelt hat.

Wenn wir davor warnen die indigene Bewegung zu einer Modeerscheinung konvertieren zu wollen, spielen wir nicht nur auf die PR Firmen an, die darauf begierig sind sie zu verschlingen.

Wenn alles gesagt und getan worden ist, ist eine Modeerscheinung nichts anderes als eine Umkehr zur Vergangenheit deren letzter Horizont die Gegenwart ist, heute, diese Tage, der flüchtige Augenblick.

Im Kampf für die Würde, gibt es eine ähnliche Umkehr zur Vergangenheit; aber, und das ist entscheidend, der letzte Horizont ist die Zukunft. Um es anders auszudrücken: der Neoliberalismus, der nichts anderes ist als eine Modeerscheinung, das heißt, eine Umkehr zu der Vergangenheit deren Horizont die Gegenwart ist (daher das "neo" daß sie dem Liberalismus von gestern zum Geschenk machen), begreift die gegenwärtige Welt als die einzig mögliche, als das kulminierende Produkt der Zeit (deshalb sagen Fox und andere Leute daß jeder progressive Kampf mit einer Machtübernahme geendet hat); und seine Intellektuellen und Imageberater (wenn es zwischen diesen zwei irgendeinen Unterschied gibt) schießen auf die Uhr der Geschichte um die Zeit anzuhalten, und um sicherzugehen daß es keinen anderen Morgen geben wird als den von heute, über den sie herrschen.

Neoliberale Intellektuelle, anders als ihre Vorgänger, haben die historische Initiative zurückgewiesen, und versuchen nicht mehr die Zukunft vorherzusagen. Nicht weil sie sie nicht sehen können, sondern weil sie sie fürchten.

Der Kampf der mexikanischen Indigenas ist nicht gekommen um die Uhr zurückzustellen. Es geht nicht darum zur Vergangenheit zurückzukehren und in einer Stimme voller Gefühl und Inspiration zu verkünden daß "früher alles besser war". Ich glaube daß sie dies toleriert hätten und es sogar applaudiert.

Nein, wir indigene Völker sind gekommen um die Uhr aufzuziehen und damit das Kommen eines Morgens zu sichern, der alle miteinschließt, tolerant und pluralistisch ist, was, um es nebenbei zu sagen, der einzig mögliche Morgen ist.

Um dies zu tun; um mit unserem Marsch die Uhr der Menscheit wieder zum Laufen zu bringen, haben wir indigene Völker zu der Kunst zurückgegriffen das zu lesen was noch nicht geschrieben wurde. Denn das ist der Traum der uns anregt, als Indigenas, als Mexikaner, und vor allem als menschliche Wesen. Durch unseren Kampf lesen wir die Zukunft die gestern gepflanzt wurde, die heute gepflegt wird und die nur geerntet werden kann wenn wir kämpfen, das heißt, wenn wir träumen.

Dem Skeptizismus der zur Staatsdoktrin gemacht wurde, der neoliberalen Gleichgültigkeit, dem zynischen Realismus der Globalisierung, haben wir, die indigenen Völker, Erinnerung, Worte und Träume entgegengesetzt.

Indem wir uns selbst mit allem was wir haben in diesem Kampf gestürzt haben, haben wir mexikanische Indigenas, als Individuen und im Kollektiv, mit einem universellen menschlichen Impuls gehandelt: dem der Rebellion. Es hat uns tausend mal besser gemacht als wir vorher waren, und hat uns in eine historische Kraft verwandelt, nicht durch seine Transzendenz in Bücher oder Monumente, sondern durch seine Fähigkeit Geschichte zu machen; so, im Winzigen.

Der Schlüssel zu der Geschichte "Der Andere Spieler" ist nicht der alte schlammbedeckte Stiefel, der das Schachspiel der Herren der Macht und des Geldes unterbricht und untergräbt, sowie das Spiel das es zwischen jenen gibt die aus der Politik eine Kunst der Fälschung und des Betruges gemacht haben. Das Essentielle ist in dem Lächeln das der Indigena lächelt, weil er etwas weiß. Er weiß, daß sie den anderen Spieler entbehren, der er selbst ist und andererseits nicht er selbst ist, aber der auch Anders und nicht anwesend ist. Aber vor allem weiß er, daß es nicht wahr ist daß der Wettkampf vorbei ist und daß wir verloren haben. Er weiß, daß es noch kaum begonnen hat. Und er weiß es nicht weil er es weiß, sondern weil er träumt. Um es zusammenzufassen, wir die Indigenas, sind nicht Teil des Gestern; wir sind Teil des Morgen.

Und da wir gerade von Stiefel, Kultur und Morgen sprechen, erinnern wir uns daran was wir vor einiger Zeit geschrieben haben, als wir rückwärts blickten und vorwärts träumten:

"Ein Stiefel, ist ein Stiefel der sich verirrt hat, und das wünscht zu sein was jeder Stiefel sich zu sein wünscht, das heißt, ein nackter Fuß."

Und das ist auf den Punkt angemessen, denn in dem Morgen von dem wir träumen, wird es keine Stiefel geben, keine Vaqueras, keine Soldaten, sondern vielmehr nackte Füße, die sind wie Füße sein sollten wenn der Morgen kaum angebrochen ist.

Danke.

Aus der Nationalen Schule für Anthropologie und Geschichte.

Subcomandante Insurgente Marcos.

Mexiko, März 2001.

P.S. − Ich weiß daß sich einige davon gestört fühlen mögen, daß ich um über die indigene Kultur zu sprechen zu anderen Stimmen gegriffen habe, Borges und Coleridge in diesem Fall, aber das ist es wie ich mich selbst und Sie daran erinnere, daß Kultur eine Brücke für alle ist, über Kalender und Grenzen hinweg, und als solche verteidigt werden muß. Deshalb sagen und verkünden wir: Nein zur kulturellen Hegemonie, nein zur kulturellen Homogenität, und nein zu allen Arten von Hegemonie und Homogenität.

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