Öko-Kriege

Wie nach den Menschenrechten nun Umweltschutz als Vorwand für Militarisierung herangezogen wird

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Als im September hochrangige Vertreter von 70 UN-Mitgliedsstaaten in New York zum Klimagipfel zusammenkamen, rechneten Optimisten mit einem ergebnislosen Ausgang. Bei vergangenen "Klima-" oder "Umweltgipfeln" waren die internationalen Zielsetzungen ökologischer Politik schließlich nach und nach demontiert worden. Nach der eintägigen Konferenz in Manhattan konnten Umweltschützer dann tatsächlich aufatmen. Außer pathetischen Worten wurde nichts geboten. Es waren diesmal die Stimmen aus der zweiten Reihe, die aufhorchen ließen.

So forderte ein EU-Politiker namens Karl-Heinz Florenz die Vereinten in der "Bild"-Zeitung auf, eine Truppe zum Schutz des tropischen Regenwaldes aufzustellen. Dessen Abholzung sei eine Katastrophe, so der 59-jährige Christdemokrat und Traktoren-Restaurator, die "mittlerweile Ausmaße eines Bürgerkrieges" angenommen habe. Die UNO müsse daher "endlich aktiv werden" und "notfalls eine Schutztruppe aufstellen". Die Forderung, die von anderen deutschen Zeitungen später mehr als Kuriosum aufgegriffen wurde, hat einen ernsten Hintergrund: Umweltschutz wird zunehmend als Vorwand für die internationale Militarisierung herangezogen.

Über Berggorillas zur EU-Militärmacht

Der Trend dahinter ist nicht neu. Seit Mitte der neunziger Jahre dienen "humanitäre Interventionen" als Begründung für militärische Außenpolitik bis hin zur Etablierung von Besatzungsregimes. Kritiker weisen seit den ersten Interventionen dieser Art - ab 1992 in Somalia etwa - darauf hin, dass die "humanitären" Einsätze im krassen Widerspruch zu dem völkerrechtlich verbrieften Souveränitätsrecht der Staaten stehen.

Aber auch politisch gab es Kritik. Der Schutz von Menschenrechten, in Europa spätestens seit der französischen Revolution Leitmotiv progressiver Bewegungen, droht durch die Verquickung mit expansiven und militärischen Interessen ins Gegenteil verkehrt zu werden. Der andauernde Irak-Krieg liefert dafür den alltäglichen Beleg. Was als Intervention zum Schutz der irakischen Bevölkerung und des Weltfriedens begann, ist inzwischen bei Skandalen um Söldnerunternehmen oder Korruptionsfälle um Erdölkonzerne angekommen.

Trotzdem wird die Strategie der "humanitären Interventionen" nun kopiert. Und diesmal muss der Umweltschutz herhalten, um Soldaten entsenden zu können.

Bereits auf dem EU-Gipfel im schwedischen Göteborg im Juni 2001 wurde der Grundstein für das GMES-Projekt gelegt. Diese "Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung" soll bereits ab dem kommenden Jahr von einer EU-eigenen Einrichtung betreut werden. Bis 2011 sollen dann fünf neue Satelliten in die Umlaufbahn der Erde gebracht werden, um das Netzwerk vorhandener Trabanten und terrestrischer Einrichtungen zu ergänzen. Erklärtes Ziel ist, das Geschehen auf dem Globus jederzeit und überall verfolgen zu können. Auf der Internetseite des Projektes werden drei hauptsächliche Beweggründe genannt. Zum einen gehe es bei der GMES um die Förderung des Verständnisses und die Steuerung globaler Veränderungen. Dieser Punkt bezieht sich vor allem auf Klimaphänomene wie "El Niño" oder das Studium des Kohlenstoffzyklus. Des weiteren nennen die GMES-Planer den Zivilschutz als Motiv. Drittens geht es um Krisenmanagement:

Europas Fähigkeit, eine positive Rolle in der Konfliktverhütung zu spielen, hängt davon ab, inwieweit es in der Lage sein wird, diese Konflikte vorherzusagen.

In der Vergangenheit wurde die Notwendigkeit eines auf Satelliten basierten europäischen Beobachtungssystems vor allem mit ökologischen Notwendigkeiten begründet. Es könne, so hieß es etwa, ein Beitrag zur Rettung der letzten Berggorillas in Afrika geleistet werden, oder man könne Schiffe aufspüren, von denen die Weltmeere mit Öl verschmutzt werden. Parallel dazu waren aber auch andere Töne zu hören, wie in einem Aufsatz der Informationsstelle Militarisierung (IMI) zu lesen ist. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen, habe mehrfach den Anspruch der EU hervorgehoben, "gleichberechtigt dabei zu sein, wenn es um die großen globalen Fragen geht". Worauf diese Position abzielt, beschreibt der Autor der IMI-Autor, Arno Neuber. In einem Vortrag zum Thema "Europas Weg zur Weltspitze" habe der Sozialdemokrat Verheugen erklärt, "dass die weltgeschichtliche Ära, in der die ganze Welt dominiert war von einer Supermacht, schneller zu Ende geht, als diese Supermacht sich das vorstellen kann" - was er später in einem Interview erläuterte. Im gleichen Vortrag bezeichnete Verheugen die EU als eine künftige Weltraummacht.

Der deutsche EU-Politiker griff damit auf, was in Raumfahrtstudien der Europäischen Union seit Jahren zu lesen ist. Die Satellitensysteme Galileo und GMES leisteten einen "wesentlichen Beitrag zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" der EU, hieß es etwa in einem Weißbuch der EU-Kommission zur Raumfahrtpolitik aus dem Jahr 2003. Die regierungsnahe deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik wies darauf hin, dass dieser doppelte Nutzen der GMES für Umweltschutz und Militärpolitik den politischen Verantwortlichen in Brüssel offenbar unangenehm sei. Es werde versucht, den zweischneidigen Charakter des Vorhabens in "Mitteilungen und Planungsdokumenten (...) möglichst herunterzuspielen".

Mexiko: Ökologische Aufstandsbekämpfung

An anderen Ecken der Erde wird die Vermengung progressiver und militärischer Inhalte, wenn auch weit durchsichtiger und weniger strategisch, plagiiert. Zu beobachten war das in den vergangenen Jahren zum Beispiel im Konfliktgebiet Südmexikos, wo sich seit Mitte der neunziger Jahre die Aufständischen der Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) und mexikanische Bundestruppen gegenüberstehen. Seit Jahren ringen beide Seiten mit militärischen Mitteln um die Kontrolle der Region, die als eine der wichtigsten Rückzugsgebiete der EZLN gilt. Bundes- und Landesregierung versuchen, die rund 50 Siedlungen in den Montes Azules aufzulösen, um der Guerilla die Basis zu nehmen. Ihr Hauptargument: Die Montes Azules gehörten seit Jahrzehnten zu einem Biosphärenreservat und die Besiedelung zerstöre die Natur.

In dieser Situation bildete sich eine Allianz zwischen der mexikanischen Regierung und internationalen Umweltverbänden. Während die politischen Eliten des mittelamerikanischen Landes offensichtlich versuchten, den Einfluss der EZLN in der Region zurückzudrängen, forderten Umweltschutzorganisationen wie der WWF oder die Organisation Conservation International (CI) mit Sitz in Arlington im US-Bundesstaat Virginia, die Gemeinden, wenn nötig gewaltsam, zu räumen. "Zum Schutz des Urwaldes" natürlich. CI reichte im September 2001 sogar eine Sammelklage gegen 16 Dörfer wegen "Schädigung der Ökologie" ein. Das Delikt kann nach der Gesetzgebung des mexikanischen Bundesstaates Chiapas mit bis zu acht Jahren Freiheitsentzug geahndet werden.

Die Zapatisten setzten sich damals gegen die Angriffe zur Wehr, militärisch, aber auch politisch. Das Argument des Umweltschutzes sei vorgeschoben, hieß es in einer Erklärung der autonomen Selbstverwaltung, weil gerade die Regierung durch die Militarisierung der Gemeinden zur Besiedelung beigetragen habe. Auch hätten lokale Machthaber die natürlichen Ressourcen jahrelang geplündert, etwa durch Holzschlag.

Der Konflikt ist bis heute nicht beigelegt, auch in diesem Jahr kam es wieder zu Enteignungen. Die Erfahrungen mit der mexikanischen Politik der vergangenen Jahre drängen aber die Vermutung auf, dass es tatsächlich, wie die Zapatisten behaupten, um militärische und politische Hegemonie geht. Zugleich nämlich weisen Nichtregierungsorganisationen darauf hin, dass Umweltschutzbestimmungen durch die Freihandelspolitik in der Region massiv unterlaufen werden. Und die wird von der amtierenden und den vormaligen Regierungen in Mexiko-Stadt uneingeschränkt verteidigt.

Die Militarisierung der Montes Azules im Süden Mexikos würde demnach nicht dem Schutz der natürlichen Ressourcen dienen, wie es die Regierung darstellt. Sie wäre vielmehr eine der ersten "ökologischen Interventionen". Und, so steht zu befürchten, sicher nicht die letzte.