Mexiko: Invasion der Babyboomer

Immer mehr US-Pensionäre erwerben eine Immobilie an den Küsten des Golfs von Kalifornien. Die mexikanische Regierung fördert diese Entwicklung mit einem touristischen Großprojekt - mit gravierenden sozialen und ökologischen Folgen für die betroffenen Regionen

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Nach Angaben der mexikanischen Bank BBVA-Bancomer hat sich die Zahl der in Mexiko als Ruheständler lebenden US-Bürger in den letzten zehn Jahren auf rund eine Million erhöht. In diesem Segment stellt diese Personengruppe damit ein Viertel der sogenannten „expatriates“, d.h. der US-Amerikaner, die dauerhaft außerhalb ihres Heimatlandes leben und im Falle Mexikos von den – im Vergleich zu den USA – geringen Lebenshaltungskosten profitieren.

Die ländlichen Gebiete Mexikos mit einer Bevölkerung von derzeit 24,8 Millionen Menschen, haben etwa im gleichen Zeitraum ein Viertel ihrer 15- bis 24-jährigen Bewohner eingebüßt, die als Arbeitsemigranten in die mexikanischen Städte oder die Vereinigten Staaten abgewandert sind und Mexiko in den weltweit größten Exporteur menschlicher Arbeitskraft verwandelt haben (Emigranten sind Mexikos wichtigster Exportartikel). Hauptursache für diese Entwicklung sind die stetig gesunkenen Verkaufserlöse für landwirtschaftliche Produkte wie Mais und Bohnen - eine Folge der massenhaften und billigen Importe aus Kanada und den USA seit Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) am 1. Januar 1994. Mit Beginn des Jahres 2008 sind vertragsgemäß die letzten Importbeschränkungen für Mais, Bohnen, Zucker und Milchpulver gefallen und drohen die schwierige Situation der mexikanischen Landwirtschaft noch weiter zu verschärfen.

Die mexikanische Regierung unter Präsident Felipe Calderon von der rechtsgerichteten Partei der Nationalen Aktion (PAN) versucht diesem negativen Trend entgegen zu steuern und setzt wie bereits die Aministration seines Vorgängers Vicente Fox (PAN) verstärkt auf Investitionen im Tourismussektor, die aktuell auf die stetig wachsende Gruppe von US-Pensionären abzielen, die unter der Sonne Mexikos ihren Lebensabend verbringen möchten. Über den staatlichen Fonds zur Förderung des Tourismus (FONATUR) wurden entsprechende Projekte initiiert, die bereits zu gewalttätigen Konflikten um vormals nahezu wertlose Grundstücke geführt haben und mit dem Golf von Kalifornien eines der artenreichsten Gewässer dieses Planeten bedrohen.

Immobilien als Altersicherung

Die 78 Millionen, zwischen 1946 und 1964 geboren US-Bürger der Babyboomer-Generation sind in den Vereinigten Staaten die Personengruppe mit der wohl höchsten Affinität zur eigenen Immobilie. Laut einer Studie der Nationalen-Makler-Vereinigung (NAR) besitzen fast 80% ein eigenes Haus, 13% zusätzlich noch ein oder mehrere Grundstücke und 8% mindestens ein Mietobjekt. 57% aller Ferienhäuser und Zweitwohnsitze in den USA gehören ebenfalls einem jener Babyboomer, die über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen von ca. 120.600 US-Dollar pro Jahr verfügen. Das eigene Haus spielt eine zentrale Rolle bei der finanziellen Absicherung des Ruhestandes, da nur 18% der außerhalb des staatlichen Sektors beschäftigten Angestellten auf eine den Lebensstandard sichernde Rentenzahlung hoffen können.

Viele der 43 bis 61 Jahre alten Immobilienbesitzer haben ihr gesamtes Kapital in Objekte investiert, die in den USA „McMansion“ genannt werden. Es sind jene großen, in einer Vorstadtsiedlung gelegenen Häuser von der Stange, mit mehr als vier Schlafzimmern, einer Garage für drei Autos, extra hohen Decken und luxuriösen Badezimmern mit Whirlpool. Angeboten werden sie unter Namen wie „Grand Michelangelo“, „Hemingway“ oder „Hibiscus“. Kritiker verspotten diese übergroßen Gebäude im Zuckerbäckerstil gerne als „Garage Mahals“ oder „Faux Chateaux“.

Der Wert dieser Immobilien übersteigt nicht selten die Eine-Millionen-US-Dollar-Marke, doch durch die stark gestiegenen Energiepreise in den Vereinigten Staaten und die hohen Grundsteuern ist ihr Unterhalt extrem teuer geworden. Monatlich laufende Kosten von 1000 US-Dollar und ein Steuerbescheid über 25.000 US-Dollar sind inzwischen keine Seltenheit mehr und machen diese Häuser, die einst als Heim für eine große Familie und als vermeintlich sichere Geldanlage für den Ruhestand erworben wurden, inzwischen schwer verkäuflich. Sie bleiben deutlich länger am Markt und sind oft nur noch mit erheblichen Preisabschlägen zu verkaufen.

Dieser Trend wird sich in den nächsten zwei Jahrzehnten noch weiter verschärfen, wenn immer mehr Babyboomer das Rentenalter erreichen und einen großen Teil der landesweit ca. 3,2 Millionen McMansions auf dem Immobilienmarkt anbieten werden, um sich ein kleineres, billiger zu unterhaltendes Haus zu kaufen. Ob die Differenz aus diesen Transaktionen dann noch ausreichen wird ganz oder teilweise den Lebensabend zu finanzieren, ist mehr als fraglich, weil gleichzeitig die Preise für diese kleineren Objekte weiter steigen und die nachfolgende Generation-X wenig Gefallen an dem Lebens- und Wohnmodell ihrer Vorgänger findet.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte für immer mehr betroffene Pensionäre die Übersiedlung nach Mexiko bedeuten. Die Grundsteuern sind vergleichsweise moderat, die Lebenshaltungskosten günstig und die medizine Versorgung erschwinglich – ein wichtiges Argument für diejenigen Babyboomer, die zu den 47 Millionen US-Amerikanern ohne eine Krankenversicherung gehören.

Nach Angaben von Leonardo González Tejeda, Ökonom der BBVA-Bancomer, erwerben die us-amerikanischen Käufer jedoch häufig überteuerte Immobilien und bezahlen in Einzelfällen bis zu 3 Millionen US-Dollar für eine Luxus-Residenz. Der durchschnittliche Verkaufspreis für ein Haus beträgt bereits ca. 200.000 US-Dollar, während er laut einer Studie der NAR in den USA im Jahr 2007 mit $217.600 nur wenig höher lag.

75% der Neueinwanderer bevorzugen laut González Tejeda bei der Wahl ihres Wohnortes ländliche Gebiete oder Dörfer - mit den höchsten Zuwachsraten in den letzten Jahren in Baja California Sur, Baja California und Sonora -, 38% wählen eine spezielle Wohnanlage für Pensionäre und nur 12% zieht es in die Städte.

Kakteen, Sand und Meer

Bereits vor mehr als einem Viertel Jahrhundert entwickelte die staatliche Behörde FONATUR unter ihrem damaligen Leiter Guillermo Rosell ein Konzept zur touristischen Erschließung der kargen und nur spärlich besiedelten Küstenregionen des Golfs von Kalifornien, das neben zahlreichen Hotels die Konstruktion einer einer ganzen Kette von Yachthäfen vorsah. 1982 nahmen in Loreto, Baja California Sur, die ersten Hotels mit einer Gesamtkapazität von 454 Zimmern ihren Betrieb auf, doch trotz der ehrgeizigen Pläne der mexikanischen Regierung verzeichnete die Region in jenem Jahr lediglich 46.000 Besucher. Danach dümpelte das „Escalera Náutica“ betitelte Projekt jahrelang erfolglos vor sich hin, bis es im Jahre 2001 durch den frischgewählten Präsident Vicente Fox (PAN) wiederentdeckt und unter dem neuen Namen „Mar de Cortés“ der mexikanischen Öffentlichkeit als „neue Ikone des mexikanischen Tourismus und ein Fenster der Hoffnung für die Zukunft“ präsentiert wurde.

Unter dem neuen FONATUR-Chef John McCarthy wurde der Kreis der einbezogenen Bundesstaaten Baja California, Baja California Sur, Sonora, und Sinaloa noch um Nayarit erweitert und neben dem Bau von Flughäfen, Tankstellen, Golfplätzen und einer Brücke zwischen der Halbinsel und dem Festland auch noch die Planung weiterer Yachthäfen bekanntgegeben, obwohl die bereits bestehenden Einrichtungen kaum genutzt wurden und langsam verfielen. Vier Jahre später und ungeachtet einer Investititionssumme von 120 Millionen US-Dollar blieb das Projekt jedoch vorrangig durch unvollendete Bauvorhaben gekennzeichnet, die wie die geplante Festlandanbindung wegen fehlender Baugenehmigungen und Umweltgutachten von der mexikanischen Bundesbehörde zum Schutz der Umwelt (PROFEPA) und dem Verkehrsministerium (SCT) suspendiert wurden.

Kritiker der Regierung Fox bezeichneten das gesamte Vorhaben als „Phantom“ und Ricardo Juárez Palacios, ein leitender Direktor des mexikanischen Umweltministeriums (SEMARNAT) musste bei einem Besuch Baja Californiens Anfang 2005 konsterniert feststellen: „Es gibt absolut nichts“.

Weltkulturerbe in Gefahr

Die Bemühungen der mexikanischen Regierung einen exclusiven Yachttourismus auf der Halbinsel und den Anrainerstaaten des Golfs von Kalifornien zu etablieren, waren zwar nur bedingt erfolgreich, doch private Investoren aus den USA, Kanada und Europa haben in den letzten Jahren das Potential der Region als Refugium für sonnenhunrige Pensionäre und Langzeiturlauber für sich entdeckt und unterstützt durch die mexikanischen Behörden mit der Realisierung umfangreicher Bauvorhaben begonnen.

So errichtet z.B. in Loreto, Baja California Sur, das kanadische Unternehmen Loreta Bay Company neben 1600 Hotelzimmern auch noch 6374 Wohnungen, 4571 Villen, einen Golfplatz, ein Spa-Bad, Restaurants, ein Einkaufszentrum sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Eine Gruppe us-amerikanischer Investoren aus dem Bundestaat Arizona realisiert - ebenfalls in Loreto - auf 3458 Hektar unter dem Namen „Golden Beach“ ein ähnliches Projekt. Weiter nördlich, in San Bruno plant das spanische Unternehmen Fadesa auf 3000 Hektar die Investition von 5 Millionen US-Dollar in seine Wohn- und Hotelanlage „Loreto Paraíso“.

Fernando Arcas, Sprecher der Umweltschutzorganisation Antares bezeichnet die Entwicklung in Loreto als „chaotisch und zerstörerisch“, und warnt besonders vor der drohenden Versalzung des Grundwassers durch den Raubbau an den spärlichen Süßwasserreserven. Antares kritisiert, dass schon jetzt die touristischen Einrichtungen zu Lasten der lokalen Bevölkerung großzügig mit Trinkwasser versorgt werden und kein Konzept für die adäquate Unterbringung der Bauarbeiter und ihrer Familien existiert.

Greenpeace Mexico forderte bereits im November 2006 die mexikanische Regierung nachdrücklich auf, den von dem französischen Meeresbiologen Jacques Cousteau wegen seiner biologischen Artenvielfalt als „Aquarium der Welt“ bezeichneten Golf von Kalifornien ausreichend zu schützen und seinen im September 2005 von der UNESCO verliehenen Status als Weltkulturerbe der Menschheit zu respektieren. Die Organisation bezeichnet den ungebremsten Bauboom an den Küsten des Golfs und die dadurch verursachten Probleme wie die Einleitung von ungeklärten Abwässern, die Versalzung der Süßwasserreserven und die Zersiedlung weitgehend unberührter Landstriche als ernste Gefahr für eine Region, die ein Drittel der weltweit bekannten Kakteen- sowie 40% aller Meeressäugetierarten beherbergt und plädiert für einen nachhaltigen und alternativen Tourismus in dieser Region.

Ejidos werden Bauland

Bei den Grundstücken, auf denen die zahlreichen Bauvorhaben des Projekts Mar de Cortés realisiert werden, handelt es sich häufig um ehmaliges Ejido-Land, das erst seit einer Verfassungsänderung im Jahr 1992 – als Vorleistung für den Nordamerikanischen Freihandelsvertrag – überhaupt verkauft und durch Ausländer legal erworben werden kann. Die aus präkolumbischer Zeit bekannte, gemeinschaftliche Nutzung eines Grundstücks durch eine Dorfgemeinschaft wurde im revolutionären Mexiko wieder aufgegriffen und in dem Artikel 27 der Verfassung von 1917 festgeschrieben. Umgesetzt wurde die Reform jedoch erst unter dem Präsidenten Lázaro Cárdenas im Jahr 1934, als der mexikanische Staat zahlreiche Großgrundbesitzer enteignete und das Land verarmten Bauern zur kollektiven Nutzung überließ.

In den letzten Jahren haben immer mehr Besitzer eines Ejidos dem Druck der Investoren nachgegeben und ihr vormals nahezu wertloses Land verkauft. Diejenigen, die nicht dazu bereit sind, sehen sich zunehmend Repressionen von Seiten der lokalen Behörden ausgesetzt, die die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Region nicht gefährden wollen und den „ejidatarios“ mit Enteignung drohen oder ihnen, wie in Punta Raza im Bundesstaat Nayarit mit Hilfe bewaffneter, privater Sicherheitskräfte den Zugang zu ihren Strandgrundstücken verwehrten, während die örtliche Polizei demonstrativ Streife fuhr und nicht eingriff

Unter diesen Umständen ist es oft nur eine Frage der Zeit, wann die Besitzer nachgeben und ihr Land schließlich doch verkaufen. José de Jesús Varela, Direktor des mexikanischen Ökotourismus-Unternehmens Kuyima, beschreibt diesen Vorgang so: „Man gibt ihnen 800.000 Pesos (ca. 56.000 Euro) und das Erste, was sie machen, ist einen Geländewagen zu kaufen. Später machen sie eine große Party mit ihren Freunden und danach wechseln sie die Frau. Am Ende bleiben sie ohne Geld, ohne Frau und ohne Land. Dann haben sie nichts mehr.“