Amerika und seine neuen Sklaven

Ermordete Bauarbeitergewerkschafter in Panama und entrechtete Wanderarbeiter auf Costa Ricas Ananasplantagen, das 21. Jahrhundert ist eine schwierige Zeit für Arbeitnehmerrechte in Zentralamerika

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Das zu ändern hat sich die mittelamerikaweite Kampagne gegen Flexibilisierung der Arbeit zum Ziel gesetzt

Ariane Grau. Alle Bilder: ASEPROLA

Seit drei Jahren erheben sie Daten, geben Rechtsbeistand, organisieren internationale Solidarität oder Protestaktionen. Fast 80 Organisationen -- darunter Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Campesinov rbände, Studierendenvertretungen und Nichtregierungsorganisationen – beteiligen sich in Zentralamerika an der Kampagne, die von der costaricanischen Nichtregierungsorganisation für Arbeitsrechte ASEPROLA ins Leben gerufen wurde. Sie bekämpfen etwas, was sie „moderne Sklaverei“ nennen - den Durchmarsch von Neoliberalismus und Freihandel, der die Arbeitsrechte hinwegfege, weil sie den Gewinninteressen großer Konzerne im Weg stünden.

Als ich Jugendliche war, da waren alle davon überzeugt, dass das 21. Jahrhundert besser sein werde als das zwanzigste. Alle sagten, dann werden drängende Probleme gelöst sein wie Armut und soziale Ungerechtigkeit. Die Wirklichkeit sieht am Anfang des neuen Jahrhunderts anders aus: Von den erstrittenen Rechten gingen viele verloren oder werden in Frage gestellt. Eine neue Form der Sklaverei entsteht.

Ariane Grau, ASEPROLA

Bei allen Fortschritten in moderner Technologie und Kommunikation bemängelt Ariane Grau (ASEPROLA) den Verlust sozialer Schutzrechte der Arbeitnehmer. Was für große Unternehmen mehr Flexibilität bedeutet, bringe den Beschäftigten weniger Freiheit, lautet ihre Formel.

Schlechtes Beispiel für Arbeitsrechte

Die wichtigsten Instrumente der Befürworter des Neoliberalismus sind die vom Internationalen Währungsfond verordneten Strukturanpassungsmaßnahmen und Freihandelsabkommen wie NAFTA oder jetzt CAFTA in Zentralamerika, das mit Ausnahme von Costa Rica vor ein bis zwei Jahren in allen Teilnahmestaaten in Kraft getreten ist. Aus Sicht der Arbeitsrechte ist die Konsequenz fatal, wie einige Beispiele belegen, welche ASEPROLA und das Netzwerk zur Beobachtung von DR-CAFTA im vergangenen Jahr zusammengestellt haben:

Guatemala

  1. 95 Prozent der Unternehmer bezahlen nicht den Mindestlohn (6 US-Dollar am Tag); in einigen ländlichen Gebieten werden nur 3 Dollar pro Tag gezahlt.
  2. Die Regelarbeitzeit von 8 Stunden wird nicht eingehalten, Überstunden bleiben unbezahlt.
  3. Viele Arbeiter werden morgens um 4 Uhr von Lastwagen abgeholt und erst um 20 Uhr nachhause gebracht. Das überstehen sie nur, indem sie Vitamin B1 in ihr Essen mischen.

Honduras

In Honduras untersuchte ASEPROLA im Jahr 2007 (ein Jahr nach CAFTA) 240 Billiglohnfabriken. Das Ergebnis:

  1. 95 Prozent aller Maquila-Beschäftigten haben keinen ordentlichen Arbeitsvertrag.
  2. Jeder vierte Beschäftigte hat sein Recht auf betriebliches Arbeitslosengeld verloren (der Staat zahlt in der Regel nichts).
  3. 90 Prozent aller Frauen müssen sich bei der Einstellung einem Schwangerschaftstest unterziehen.
  4. Von 82 Prozent der Beschäftigten wird verlangt unbezahlte Überstunden zu leisten, wollen sie nicht entlassen werden.
  5. Nur in 15 der 240 Firmen gibt es eine Gewerkschaftsgruppe.

Mexiko

die Bilanz nach 13 Jahren NAFTA:

  1. 57 Prozent der seither Eingestellten haben weder Anspruch auf Weihnachtsgeld, bezahlten Urlaub oder soziale Leistungen.
  2. Nur noch ein Drittel der Beschäftigten kommt überhaupt in den Genuss einer Sozialversicherung.
  3. Die Produktivität in den Maquilas stieg um 76,1 Prozent, während die Lohnkosten und damit der Verdienst um 46,2 Prozent gesunken sind.

Das meiste davon ist illegal, denn mit Ausnahme von El Salvador haben alle Regierungen Zentralamerikas die Statuten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen offiziell anerkannt. Aber im Jahr 2008 existieren viele Rechte nur noch auf dem Papier und die Liste der unhaltbaren Zustände ist lang, die oftmals an den Frühkapitalismus oder an Sklaverei erinnern.

Die Maquilaproduktion, also Zuliefererbetriebe, die Billiglöhne zahlen, hat in ganz Zentralamerika den größten Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitswelt. Insbesondere in Nicaragua, wo die Maquilas als mögliche Lösung für Armut und Arbeitslosigkeit gesehen wurde. Leider haben sie nichts anderes gebracht als extreme Ausbeutung und Umweltverschmutzung. Dort gibt es auch die stärkste Repression gegen Gewerkschafte.

Dolores Jaraquín vom nicaraguanischen Netzwerk für Solidarität und kommunale Entwicklung

In den meisten Ländern Zentralamerikas gibt es zwar eine Arbeitsgesetzgebung, aber in der Praxis ist sie wertlos, weil Verstöße in den aller wenigsten Fällen geahndet werden.

Im Zuge von CAFTA wurden diese Gesetzgebung flexibilisiert: In Honduras trat 2007 eine Verordnung zur „Regionalisierung der Gehälter“ in Kraft, die besagt, dass der Mindestlohn in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit nicht gezahlt werden muss. In Costa Rica wurde 2003 ein Gesetz gestoppt, welches den Acht-Stunden-Tag als Regelarbeitszeit abschaffen sollte. Nun gibt es eine neue Gesetzesinitiative gleichen Inhalts.

Zwischen siebzig und achtzig Prozent der Belegschaft in den Maquilabetrieben sind Frauen. Maria Elena Sabillón vom Zentrum für Frauenrechte (CDM) mit Sitz in der Industriemetropole San Pedro Sula in Honduras berichtet, dass Unternehmer lieber weibliche Arbeitskräfte einstellen, weil diese weniger über ihre Rechte informiert seien und weil sie auch im Haushalt größere Verantwortung tragen und deshalb aus Angst ihren Job zu verlieren erst später protestieren. Die Zustände sollen sich noch verschlechtern, denn ein neues Arbeitsmarktprogramm der Regierung in Honduras hat zum Inhalte, dass zwei von drei Verträgen künftig für Zeitarbeitsstellen abgeschlossen werden. In einigen ärmeren Gegenden soll der ohnehin schon niedrige Durchschnittslohn zudem von sechs US-Dollar am Tag auf 4,50 Dollar abgesenkt werden. Damit könne sich eine Beschäftigte in einer Maquila kaum noch ein Dach über dem Kopf leisten, sagte Sabillón.

Repression bedeutet in Nicaragua genau wie in Honduras, El Salvador und sogar Costa Rica die Existenz schwarzer Listen, die unter den Unternehmen zirkulieren. Auf den Listen sind Gewerkschafter notiert, die somit keine Chance auf eine Neuanstellung haben. Auch das ist gesetzeswidrig, aber die Regierungen täten nichts dagegen oder – so die Kritik – stünden oftmals sogar offen auf Seiten der Unternehmer.

Lebensgefährlich ist der Einsatz für Menschenrechte indes in Guatemala und Panama. In Guatemala wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Gewerkschafter, Campesinos und oppositionelle Politiker ermordet. Aber auch im Kanalland Panama stehen politische Morde mittlerweile auf der Tagesordnung.

In Panama erleben wir zurzeit heftige Anschläge auf die Freiheit der Gewerkschaften. Das geht soweit, dass in den vergangenen sechs Monaten drei Vorstandsmitglieder ermordet wurden. Sie wurden Opfer von transnationalen Bau-Unternehmen wie Oderbrecht und ihren Verbündeten in der Regierung. Die ersten Opfer waren Oswaldo Lorenzo und Luis Ervelles im August vergangenen Jahres; am 12. Februar wurde schließlich der Kollege Iromy Smith hinterrücks erschossen.

Jaime Caballero, panamesische Bauarbeitergewerkschaft SUNTRACS

Anfang April präsentierte die Delegation aus Panama auf dem internationalen Forum der Kampagne unter dem Motto Sklaverei im 21. Jahrhundert zwei Dokumentarfilmen zu diesen Morden. Der aktuelle wurde erstellt von der deutschen Filmemacherin Mirjam Fischer, die sich zurzeit auf Einladung der Gewerkschaft in Panama aufhält und deren Werk die Teilnehmer des Forums tief beeindruckt hat.

Um Leib und Leben fürchten müssen Gewerkschaftsaktivisten auch in Guatemala. Kollegen von der Bananenarbeiter-Gewerkschaft SITRABANSUR berichteten von der Hexenjagd, die folgte, nachdem sie im Juli 2007 ihre unabhängige Gewerkschaft gegründet hatten. Wie üblich hatten die Gründer eine Liste ihrer Mitglieder beim Arbeitsministerium eingereicht und waren entsetzt, als eben diese Liste wenig später in ihren Gemeinden weiter verteilt wurde mit der Aufforderung, diese Personen zu vertreiben. Anfang März dieses Jahres wurde SITRABANSUR-Mitgründer Miguel Angel Ramirez kaltblütig ermordet, zwei weitere Kollegen aus der Gründungsgruppe verschwanden, die Tochter eines weiteren wurde entführt und vergewaltigt.

Verantwortlich ist der Plantagenbesitzer Fernando Bolaños, der als Gewerkschaftsfeind bekannt ist. Er versuchte, die meisten der Mitglieder gesetzeswidrig zu entlassen, und macht offenbar auch vor anderen Methoden nicht halt.

Mitteilung des guatemaltekischen Gewerkschaftsdachverbandes UNSITRAGUA

Torge Löding (Voces Nuestras), San José