Drogenkrieg um Mexiko

Kartelle kämpfen um das Nachbarland der USA. Die Regierung mobilisiert die Armee und provoziert eine Zuspitzung der Lage

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Drogenhandel und Lateinamerika - bei diesen Schlagwörtern denkt man unwillkürlich an Kolumbien. Doch der Krieg um den Kokainmarkt hat sich längst in den Norden verschoben. In Mexiko, dem südlichen Nachbarn der USA, liefern sich mehrere Kartelle blutige Auseinandersetzungen, die denen in Südamerika in nichts nachstehen. Über 3000 Menschen sind diesem Kampf um die Hoheit auf dem Drogenmarkt allein seit Beginn dieses Jahres zum Opfer gefallen. Von der Eskalation sind zunehmend auch die USA betroffen. Experten befürchten nun, dass die militärpolitische Intervention Washingtons Mexiko weiter destabilisieren wird.

Der Kampf um Mexiko wird mit besonderer Härte ausgetragen, weil die Kontrolle dieses Territoriums über den Zugang zum US-amerikanischen Markt entscheidet. Schätzungsweise 90 Prozent des Kokains gelangt über die US-mexikanische Grenze in die Vereinigten Staaten, lediglich ein Bruchteil kommt über die Karibik oder andere Wege. In Mexiko sind deswegen in den vergangenen Jahren mehrere Drogenkartelle entstanden, die - ähnlich den kolumbianischen Vorbildern in Medellín oder Cali - nicht nur einen Krieg gegeneinander führen. Zunehmend geraten auch staatliche Institutionen ins Visier.

Das Kokain-Geschäft in Mexiko liegt in der Hand von vier Gruppen: Neben den Kartellen von Sinaloa im Westen des Landes bestehen weitere entsprechende Bündnisse in Tijuana und Ciudad Juárez im Norden sowie am Golf von Mexiko. Geht man von den gehandelten Drogenmengen und den Marktwert aus, fließen diesen Gruppen jährlich bis zu 25 Milliarden US-Dollar zu. Die Kartelle finanzieren mit diesem Geld nicht nur eine ausgedehnte Infrastruktur, sondern auch private Armeen, die den Staat zunehmend in die Defensive drängen.

Jede Woche neue Massaker

Immer mehr Nachrichten aus dem Drogenkrieg erreichen auch Europa. Bei einer internationalen Polizeiaktion vor wenigen Tagen wurden in Mexiko und Panama 16 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Im Rahmen der Operation "Solare" wurden aber auch Drogenhändler in den USA und in Italien festgenommen. Die Verdächtigen dort sollen einem Clan der Mafiaorganisation Ndrangheta angehören. Dieser Fall lässt erahnen, wie weit die Netzwerke der mexikanischen Kartelle inzwischen reichen.

Der Krieg aber wird im Land selbst ausgetragen. Mitte des Monats wurden nahe der Kapitale Mexiko-Stadt 24 Tote gefunden - offenbar Opfer der Auseinandersetzungen. Alle Leichen wiesen Kopfschüsse auf. Angesichts der zunehmend offen ausgetragenen Kämpfe trauen sich die Bewohner der umstrittenen Gebiete mitunter nicht mehr auf die Straßen. In der US-mexikanischen Grenzstadt Tijuana haben Einwohner bereits angekündigt, Bürgerwehren aufzustellen, wenn die Regierung die Lage nicht wieder unter ihre Kontrolle bringt. Doch der Staat steht vor einem schwerwiegenden Problem: Die Sicherheitsorgane - Polizei und Armee - sind von der Drogenkriminalität längst infiltriert worden.

Die USA setzen angesichts der näher rückenden Bedrohung auf eine militärische Lösung. Vor einem Jahr, am 22. Oktober 2007, rief die Regierung von George W. Bush die so genannte Mérida-Initiative ins Leben - ein groß angelegtes Programm gegen die organisierte Kriminalität im südlichen Nachbarstaat. Gut 400 Millionen US-Dollar wurden dafür zunächst bewilligt, für andere zentralamerikanische Staaten waren es weitere 65 Millionen. Doch im Washingtoner Senat wurde das Vorhaben blockiert, maßgeblich auf Initiative von Abgeordneten der Demokratischen Partei. Mit dem Verweis auf Kolumbien forderten sie zunächst Garantien dafür ein, dass bei einer militärischen Offensive die Menschenrechte gewahrt werden.

Kritiker sprechen im Fall der US-Initiative bereits von einem "Mexiko-Plan", in Anlehnung an den so genannten Kolumbien-Plan. In dessen Verlauf waren der Regierung in Bogotá in den vergangenen Jahren mehrere hundert Millionen US-Dollar Militärhilfe zur Verfügung gestellt worden. Die militärischen Auseinandersetzungen haben seither zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zur Folge gehabt. Die Kokain-Produktion aber ist im vergangenen Jahr erneut um 27 Prozent gestiegen.

Zweifel an militärischer Lösung

Nach seinem Amtsantritt im Dezember 2006 (Politische Wirren in Mexiko) machte Mexikos Präsident Felipe Calderón den Kampf gegen die Drogenkriminalität zu einem zentralen Thema seiner Innenpolitik. Zehntausende Soldaten wurden in den Norden des Landes geschickt, um dem Kokainschmuggel Einhalt zu gebieten. Regierungs- und Justizvertreter verweisen seither auf Erfolge: Fast eine Milliarde US-Dollar seien beschlagnahmt worden, sagte Vize-Generalstaatsanwalt José Luis Santiago Vasconcelos. Hunderte Tonnen Kokain, Marihuana, Crack, Opium und anderer Betäubungsmittel seien vernichtet worden. Trotzdem überwiegen die kritischen Töne. Nach Presseumfragen glaubt die Mehrheit der Bewohner nicht an eine militärische Lösung, bzw. ist in der Frage gespalten.

Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen Louise Arbour warnte im Februar bei einem Besuch in Mexiko vor den negativen Folgen eines andauernden Krieges für die Menschenrechte. Ein solcher Einsatz dürfe, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer sein. Stattdessen müsste die Regierung mehr Anstrengungen in die Stärkung ziviler Strukturen setzen. Auch für den mexikanischen Historiker und Buchautoren Carlos Montemayor überwiegen die Gefahren des Militäreinsatzes: "Die Erfahrung aus Kolumbien haben gezeigt, dass ein solcher Krieg massive Menschenrechtsverletzungen zur Folge hat und die bewaffneten Kräfte des Staates der Korruptionsgefahr aussetzt."

Hinweise darauf gibt es auch in Mexiko. Als Fahndern vor wenigen Wochen bei einer Straßenkontrolle der Drogenboss Arturo Betrán Leyva ins Netz ging, retteten ihn seine Bodyguards, die von der Armee zum Sinaloa-Kartell übergelaufen waren. Sie eröffneten das Feuer auf die Polizisten, töteten mehrere Beamte und brachten den Paten in Sicherheit. Der Zwischenfall zeigte einmal mehr, dass die mexikanische Regierung trotz einer stärkeren militärischen Mobilmachung immer weiter in die Defensive gerät.