Der Sechste Wind
Eine Andere Würdige Wut
EZLN vom 04.01.2009 |
Subcomandante Insurgente Marcos |
übersetzt von Dana |
Rede von Subcomandante Insurgente Marcos auf dem Festival der Würdigen Wut, 4. Januar 2009
Sieben Winde in den Kalendern und Geografien von Unten.
Der Sechste Wind: Eine Andere Würdige Wut
Guten Abend,
Vielen Dank an Don Eduardo Almeida für seine Hilfe bei der Moderation. Es ist eine Ehre ihn bei uns zu haben.
Seit dem Beginn unseres Aufstandes hat die Sympathie und die Unterstützung die wir von 4 Sektoren der Bevölkerung erhalten haben und glücklicherweise weiterhin erhalten unsere Aufmerksamkeit geweckt: die der Indigenas, der Frauen, der Jugendlichen, und der Homosexuellen, Lesben, Transgeschlechtlichen und Transsexuellen, in erster Linie, aber nicht ausschließlich, der Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen.
Und seitdem haben wir uns bemüht die Gründe oder Motive zu finden, die uns dieses Privileg gewährten.
Nach und nach haben wir verstanden, ich weiß aber nicht ob das stimmt, dass es daran liegt, dass wir die Gemeinsamkeit haben "anders" zu sein, "andere", ausgeschlossen, verfolgt, diskriminiert, gefürchtet.
Als ob eine Normalität oder ein Standard eingeführt worden wäre, mit Klassifizierungen und Schubfächern, und alles, was nicht in diese Klassifizierungen passt, wird in einen immer dicker werdenden Ordner gestellt und mit der Aufschrift "Anderes" versehen.
Natürlich sind diese Klassifizierungen auch Qualifizierungen, und mit ihnen geht eine Reihe kultureller Kodexe und Verhaltensregeln einher, die erfüllt werden müssen.
Eine Art Überlebenshandbuch, die der Mensch nicht in einem Stück ausgehändigt bekommt, sondern in der langen oder kurzen Spanne seines Erwachsenwerdens, das heißt seiner Domestizierung, in kleinen, oftmals brutalen Dosen assimiliert.
Man könnte sie sich vorstellen, wie so eine dieser "Was tun im Falle...?" Broschüren.
Und so, nicht schriftlich festgesetzt, aber klar sichtbar und allgegenwärtig, gäbe es Broschüren für "Was tun im Falle eines Indigenas?" oder " Was tun im Falle einer Frau?", oder " Was tun im Falle einer oder eines Jugendlichen?", oder " Was tun im Falle eines Homosexuellen, einer Lesbe, eines Transgeschlechtlichen, oder eines Transsexuellen?"
Natürlich werden sie nirgendwo verlegt, aber sie sind so verbreitet, dass ihre Veröffentlichung jeden zum Millionär machen würde. Die Gesamtkollektion könnte heißen "Leben als Normale Person", und als Sammelhefte herausgegeben werden.
Man könnte denken, dass jedes dieser Handbücher für "Erziehung" oder "Überleben in der Normalität", seine eigenen Spezifikationen hat, und das stimmt. Aber sie haben auch einige Dinge gemeinsam.
"Misstraue!", "Verachte!", "Diskriminiere", "Attackiere!", "Verspotte!", sind einige davon.
Und unter ihren Spezifikationen finden sich:
Die Broschüre "Was tun im Falle eines Indigenas?" könnte zum Beispiel im Detail sagen: "Blicken Sie stets von oben nach unten, damit das Objekt vor Ihnen weiß wer das Sagen hat und weiß, dass wir nicht alle gleich sind, lächeln Sie spöttisch, machen Sie sich über seine Art zu sprechen oder sich zu kleiden lustig. Sachwert: weniger als ein Hühnchen".
Die Broschüre zu "Was tun im Falle einer Frau?" würde lauten: "Wenn Sie ein Mann sind, betrachten Sie sie wie ein Objekt, wie eine Hure mit oder noch ohne Zuhälter. Wenn Sie eine Frau sind, tun sie das gleiche. Schätzen Sie sie nach den Möglichkeiten ein, die sie für den sexuellen Gebrauch bietet, als Arbeitskraft oder dekoratives Element. Greifen Sie sie an. Wenn sie gut ist, befummeln Sie sie, nehmen Sie sie, machen Sie sie sich zueigen, oder versuchen Sie es zumindest, wenn nötig wenden Sie ruhig Gewalt an. Das Objekt soll wissen wer das Sagen hat, und wissen, dass wir nicht alle gleich sind."
Man kann es ohne Scheu sagen; dieses Handbuch ist äußerst weit verbreitet und findet begeisterte Anwendung im Sektor der Kerle oder Machos, wie wir sie unten und links bezeichnen. Ihn zu verschweigen oder zu verbergen entbindet uns weder der Mitschuld, noch exorziert es das Phantom, dass wir denen, die wir zu bekämpfen meinen, zuweilen nur allzu ähnlich erscheinen.
Und die Broschüre "Was tun im Falle eines oder einer Jugendlichen?" würde lauten: "Setzen Sie zuallererst voraus, einem aktiven oder potentiellen Delinquenten gegenüberzustehen. Außer Pickel und Mitesser, hat das Objekt natürliche Neigungen zu Vandalismus und Gewalt. Setzen Sie ebenfalls die Überlegenheit voraus, die Sie ihm in den Kalendern voraushaben, etwas, dass das Objekt begreifen muss. Achten Sie nicht auf seine Rebellion, sie wird vorübergehen sobald der Kalender, mithilfe der Polizei, seine Arbeit verrichtet.
Und in der Broschüre "Was tun im Falle eines Homosexuellen, einer Lesbe, eines Transgeschlechtlichen oder Transsexuellen?" wäre zu lesen: "Setzen Sie voraus, einem krankhaften Kriminellen gegenüberzustehen und halten Sie sich fern (die Scheiße könnte ansteckend sein), wenn sie Kinder haben, halten Sie sie fern. In extremen Fällen suchen Sie ihren Beichtvater auf (Anmerkung: falls Sie keinen haben, kann auch ein Mitglied der PAN oder irgendeiner anderen rechten Partei behilflich sein)":
Sprechen wir es ruhig aus: Nicht nur gegenüber Frauen, sondern auch den diversen sexuellen Präferenzen gegenüber, ist die Linke zutiefst machistisch eingestellt.
Und die Zapatisten, die Zapatistinnen?
Vielleicht sind wir genauso oder noch schlimmer. Im besten Fall, haben wir noch viel zu erreichen.
Aber wir haben den Willen zu lernen, die Aufgeschlossenheit, um dieses Lernen zu ermöglichen, und die Lehrer, Lehrerinnen und LehrerInnen dafür: Sie selbst.
In den Geschichten, die wir im Lauf dieser Jahre erzählt haben, haben wir versucht unsere Realität zu zeigen, unsere Fehler und Unzulänglichkeiten, aber auch unsere "Arten" zu versuchen sowohl die einen als auch die anderen zu überwinden.
Den sexuellen Differenzen gegenüber ist das leichter gewesen. Vielleicht weil sie weniger domestiziert sind.
Auf einer der Rundreisen der Anderen Kampagne sind wir den Compañeros und Compañeras der Straßen-Brigade begegnet (die uns schon seit langem, ohne es zu wissen, unterwiesen haben). Wir haben sie damals über das Problem des @-Zeichens gefragt. Dieses ist zwar politisch korrekt, schließt aber nur das Maskuline und Feminine ein, als ob das die einzigen Geschlechtsoptionen wären, etwas anderes gibt es nicht. Die Compañeros und Compañeras von der Straßen-Brigade sagten uns, sie würden dafür das Wort "Compañeric" oder "Compañerotic" benutzen, ich bin nicht ganz sicher.
Wir haben nach unserer Art gesucht und sind auf das "Compañeroa" gekommen.
Gut, die erste Geschichte erzählt die Begegnung von Elías Contreras und der Magdalena. Die Magdalena war eine "Compañeroa". Wer sie für eine fiktive Persönlichkeit hält irrt sich. Die Magdalena existierte wirklich, sie ist in den zapatistischen Kalendern und Geografien zu finden, genau wie die Begebenheit bei der sie das Leben von Elías Contreras gerettet hat, ein zapatistischer Indigena, der die Stadt mit einer Fähigkeit zu staunen und einem Eifer zu verstehen betrachtete, die nur wenige Menschen besitzen.
Was die Frauen angeht, liegen wir heute noch sehr weit zurück. Vor einer kurzen Weile, heute Nachmittag, haben wir durch die Stimme der Comandanta Hortensia über die Fortschritte gehört, die sie als Frauen im Kampf erzielt haben.
Was sie nicht gesagt hat, ist, dass sie diese Fortschritte unserer festen Opposition zum Trotz erzielen mussten. Wenn die Männer nicht viel davon sprechen, dann deshalb, weil es sich für sie um eine lange und leidvolle Geschichte der Niederlagen handeln würde.
Wir haben viele Probleme. Zum Beispiel sind die hygienischen Bedingungen in unseren Quartieren nicht optimal, und unter den aufständischen Frauen sind Krankheiten wie Infektionen der Harnwege weit verbreitet. Sanitäts-Hauptfrau Elena wird mir nicht erlauben zu lügen: es war ein langer Kampf nötig um ihre männlichen Gefährten dazu zu bringen auch die Behandlung zu machen, um sie nicht immer wieder zu infizieren.
Und das ist nicht alles. Auch für den Gebrauch von Kondomen müssen wir kämpfen. Unsere aufständischen Compañeras sind meistens sehr jung und Verhütungsmitteln verursachen ihnen gesundheitliche Probleme. Die Pille, Hormonalpflaster oder Diaphragmas schaden ihnen, und die Spirale auch. Da sie sehr jung sind, bestehen sie darauf, dass ihre Freunde Kondome benutzen. Aber es ist natürlich sehr schwer zu kontrollieren ob das auch befolgt wird, da wir nicht unter jeder Decke nachsehen können, ob sie benutzt werden oder nicht. Ich habe ihnen meine "Pädagogik der Machete" angeboten, und gedroht bei ihnen mit meinem chirurgischen Geschick Vasektomien vorzunehmen.
Und bei den Frauen selbst, müssen wir auch viel nachholen. Es gibt da eine Anekdote, die ich Ihnen erzählen möchte:
Vor einigen Tagen haben wir in einer Versammlung darüber gesprochen, dass die sandinistische Kommandantin Mónica Baltodano kommen würde. Eine der Kommandantinnen brachte dabei diesen Spruch der sandinistischen Frauen, der lautet "Es kann keine Revolution geben ohne Beteiligung der Frauen". Darauf sagte ich im Scherz, dass ich den Spruch bringen würde, der lautet "Es kann eine Revolution geben trotz den Frauen". Die Kommandantin sah mich von oben bis unten an und sagte zu mir: "Ähhh, Sup, wir führen hier einen Befreiungskrieg. Wenn wir zu lange dafür brauchen, liegt das an den verdammten Männern".
Hier folgen nun die versprochenen Geschichten:
Sieben Geschichten für Niemanden.
Vierte Geschichte: Die Begegnung von Elías Contreras und der Magdalena.
Es spricht Elías Contreras, Ermittlungskommission des EZLN:
[* die Übersetzung der vierten Geschichte stammt aus dem Buch "Unbequeme Tote" von Subcomandante Marcos und Pablo Ignacio Taibo II, ins deutsche übertragen von Miriam Lang]
"Manchmal vertut sich auch der liebe Gott. Neulich drehte ich so meine Runden beim Revolutionsdenkmal, das heißt, ich war auf Erkundungtour. Also um zu wissen, wohin man weglaufen könnte, falls die Sache oder der Fall, je nachdem, zu heiß werden sollte. Gut, ich lief also da in der Gegend rum, und war so eine ganze Weile in einem kleinen Park, der San Fernando heißt, der gleich neben einem Friedhof ist. Und vor der Statue meines Generals Vicente Guerrero bin ich auch länger gestanden, der Statue, wo das Motto der EZLN ins Stein geschrieben draufsteht: "Fürs Vaterland leben oder für die Freiheit sterben".
So ist es spät geworden und es war schon dunkel. Und dann bin ich durch diese Straße gelaufen, die Puente de Alvarado heißt, und gleich da hat mich die Justiz aufgehalten, also die Bundespolizei. Und die sagen zu mir, wer ich denn bin und was ich denn hier mache, dass ich alles rausrücken soll, was ich bei mir hab, und andere Sachen, die ich nicht besonders verstanden hab, weil diese Bundespolizisten sehr anders reden. Und dann wollten sie mich schon in ihren Streifenwagen bringen, aber in dem Moment kommt eine Mädchen mit einem sehr kurzen Rock und einem Blüschen daher, das heißt, sie war ganz schön nackig, dafür dass es so kalt war. Und das Mädchen spricht also die Bundespolizisten an und die haben mich gleich gehen lassen. Und dann kommt das Mädchen zu mir und fängt an, mit mir zu plaudern, und sagt mir, dass sie Magdalena heißt. Sie fragt mich woher ich komme und warum ich so sehr anders spreche. Und ich − weil ich gesehen hatte, dass sie eine Gute ist, weil sie für mich die Bundespolizisten verscheucht hatte − hab ihr gesagt, dass aus Chiapas. Und dann frage sie mich, ob ich Zapatist sei. Und dann sagte ich ihr, dass ich nicht weiß, was Zapatist bedeutet. Darauf sie, dass man deutlich sehen kann, dass ich Zapatist bin, weil die Zapatisten nämlich nicht sagen, dass sie Zapatisten sind. Und dann sagte sie mir, dass sie keine Sie ist, sondern ein Er. Und dann, weil ich das nicht besonders verstand, hat sie ihren Rock hochgehoben und da konnte man ihr Ihr-wisst-schon-Was sehen, wie es die Unterhose ausbeulte. Und da habe ich sie gefragt, wie das denn sein kann, dass sie ein Er ist und sich wie eine Sie anzieht. Und dann hat sie oder er mir erzählt, dass sie eine Frau ist, aber in einem Männerkörper steckt. Und dann hat sie mich auf ihr Zimmerchen eingeladen − dass weil sie gerade keine Kunden hat, hat sie gesagt. In ihrem Zimmerchen hat sie mir dann alles erzählt, dass sie oder eben er ihr Geld sparen will, um sich den Männerkörper operieren zu lassen und ihn zu einem Frauenkörper machen zu lassen, und dass sie deswegen auf dem Strich geht. Und dann hab ich nicht besonders verstanden, was "auf den Strich geht" heißt, und sie hat es mir erklärt. Und dann ist sie eingeschlafen. Und ich hab es mir mit meiner Jacke und einer Decke, die die Magdalena mir angeliehen hatte, bequem gemacht. Ich hab nicht geschlafen, weil ich darüber nachgedacht hab, dass sogar der liebe Gott sich manchmal vertut, weil er die Magdalena, die eine Frau ist, in einen Männerkörper gesteckt hat.
Und am nächsten Tag haben wir spät am Morgen Kaffee getrunken, weil die Magdalena nicht gleich aufgestanden ist. Und dann hab ich ihr vom zapatistischen Kampf erzählt, und davon, wie wir in den widerständigen Dörfern organisiert sind, und sie war beim Zuhören sehr froh. Und dann hab ich ihr nicht erzählt, dass ich als Ermittlungskommission unterwegs bin, und sie hat auch nicht gefragt, was ich denn im Monstrum mache, das heißt in Mexiko-Stadt. Und dann konnte ich sehen, dass sie eine Gute Genossin ist, weil sie diskret ist und nicht danach fragt, was ich mache. Und dann hat sie mir angeboten, dass, wenn ich es brauche, ich in ihrem Zimmerchen schlafen kann, solange ich will. Da hab ich mich bedankt, und nachher bin ich rausgegangen und hab ihr einen ihren Strauß rote Rosen gekauft und hab ihn ihr geschenkt und hab ihr gesagt, dass wenn wir den Krieg gewinnen, dass wir dann eine Krankenhaus aufmachen werden, um all das gerade zu rücken, was dem lieben Gott daneben gegangen ist. Und dann hat sie angefangen zu heulen, also weil ihr noch nie jemand Blumen geschenkt hatte, glaub ich. Und dann hat sie eine ganze Weile geheult. Und nachher ist sie auf den Strich gegangen. Und dann bin ich los um das Böse und den Bösen zu suchen.
Und fertig.
Fünfte Geschichte:
Der Film der Frauen.
Ich war gerade dabei eine Gemüsesuppe mit lecker Kürbis zu essen (igitt!), und das mit viel Genuss, großer Freude und überschwänglichem Enthusiasmus, als ich von draußen vor der Hütte des Generalkommandantur der EZLN die Stimme der Insurgentin Erika hörte, die um Erlaubnis ersuchte eintreten zu dürfen (hörst du zu, Toñita?). Von der Türschwelle der Hütte aus sagte die Insurgentin Erika:
"Die Compañeros sagen, ob sie einen Film sehen können".
"Und welchen werden sie sehen?" fragte ich sie.
Die Insurgentin Erika antwortete erst zögerlich.
"Gut also, ich sag dir ganz klar, Compañero Subcomandante Insurgente Marcos, dass ich nicht weiß, wie ich dir das sagen soll", antwortete sie endlich, während ihr braunes Gesicht rot anlief.
"Hmm, ... gut, aber dann müssen sie auch Popcorn machen", sagte ich ihr, um sie aus der Verlegenheit aus unbekanntem Grunde zu retten, und um jeder schädlichen Wirkung entgegenzuwirken, die der Kürbis meinem zarten Organismus zufügen könnte. Sie müssen nämlich wissen, dass wir Subcomandantes auf Gemüse allergisch sind, vor allem auf Kürbis. Ich glaube das ist irgendwas Genetisches.
"Also gut", sagte die Insurgentin Erika und lief davon.
Mit dem vollen Bauch nach oben, in der Boaposition aus dem Kleinen Prinzen von Saint Exupery, bedauerte ich sehr, so viel Grünzeug gegessen zu haben, und überlegte und dachte darüber nach, ob es keine gute Idee wäre, die Kürbissuppe auf zapatistischem Gebiet verbieten zu lassen.
Die Insurgentin Erika kehrte mit der Medizin zurück, das heißt, mit dem Popcorn, und lief wieder davon. Ich wartete bis sie außer Sichtweite war, um mit der Eleganz und den Guten Manieren essen zu können, die mich charakterisieren, das heißt, ich schaufelte das Popcorn mit vollen Hände in mich hinein.
Kurze Zeit später, wieder in der Boaposition aus dem Kleinen Prinzen, bedauerte ich erneut, so viel gegessen zu haben und versuchte die Überdosis Popcorn zu verdauen. Da fiel es mir blitzartig ein: "Moment mal! Wieso konnte mir Erika nicht sagen, welchen Film sie sehen wollten? Es muss eins mit nackten Mädchen sein, und sie hat sich geschämt, es mir zu sagen".
Nicht ohne Mühe setzte ich mich auf und lenkte meine Schritte in Richtung Quartier, das etwas hinter meiner Hütte liegt.
Ein bläuliches Licht strömte aus der Hütte, die als Kantine, Zeughaus und Versammlungsort für die Zelle für politische Studien und kulturelle Aktivitäten diente. Nicht eine Insurgentenstimme war zu hören, nur das Summen des kleinen Generators und unterdrücktes Stöhnen.
"Aha!", dachte ich "so ist das also, sie sehen sich Filme mit nackten Mädchen an und mich laden sie nicht ein! Jetzt nehme ich sie alle fest und sehe mir den Film dann alleine an".
Ich schlich mich leise an sie heran, um sie, wie es heißt, auf frischer Tat zu ertappen, und trat unbemerkt ein.
Welche Enttäuschung! Der Film, den sie sich ansahen, war einer mit Jean-Claude Van Damme, und das Stöhnen, das zu hören war, stammte von einem armen Typen der wie ein Anhänger der Anderen Kampagne aus der Großstadt aussah, und gerade vom Hauptdarsteller mit Unmengen von Karatekicks eingedeckt wurde.
"Ach du Schande", sagte ich laut, "Das ist der Film, den sie sich ansehen wollten?"
Sofort als sie mich hörten, warfen sich die Insurgenten und Insurgentinnen in Habachtstellung, stellten den Projektor ab und machten das Licht an.
Ich wendete mich an die Insurgentin Erika und fragte sie: "Warum konntest du mir nicht sagen, dass sie sich einen Karatefilm ansehen würden?"
"Das war gar nicht dieser Film, Sup", antwortete die Insurgentin Erika und blickte sich hilfesuchend nach ihren Compañeras um.
Die Insurgentin für Sanitätswesen trat dazwischen und erklärte: "Nein, Compañero Subcomandante Marcos, der Film, den wir dabei waren zu sehen, ist über sexuelle Gesundheit, über die Krankheiten und die Hygiene und all diese Sachen".
"Ja, über AIDS", sagte Erika, die sich jetzt von den anderen Frauen unterstützt fühlte, aber immer noch rot angelaufen war.
Es war nicht das erste Mal, dass ich kein Wort davon verstand, was meine Truppe machte, also zündete ich meine Pfeife an und wartete auf die Erklärung, die folgendermaßen lautete:
Die Insurgentinnen wollten den Film "über AIDS" sehen, wie Erika das ausgedrückt hatte, und die Männer wollten sich "Leon" ansehen, den sie nebenbei bemerkt bereits schon 365 Mal gesehen haben. Sie konnten sich nicht einigen und diskutierten es aus, und wie nicht anders zu erwarten war, gewannen die Frauen und sahen sich den Film "über AIDS" an. Die Männer gewannen auch, weil die Frauen ihnen versprachen, dass wenn sie sich den Film "über AIDS" ansehen würden, sie hinterher auch Van Damme schauen durften. Und sie hielten ihr Wort.
Und fertig.
Sechste Geschichte: Vier Notizen eines Käfers. Aus dem Notizheft von Don Durito de La Lacandona.
Eins. − Eines der Gründe, wieso die Frauen den Männern überlegen sind ist, dass das kurze Fest des Mannes mit dem Orgasmus endet. Und die Frau kann noch eine ganze Weile weiterfeiern.
Zwei. − Wenn Frauen rebellieren, tun sie es gleich mehrere Male. Die Männer hingegen nur einmal und das unter Drängen. Aber ihnen werden die Statuen zuteil. Und den Frauen? Nur der Schatten, den sie selbst werfen.
Drei. − Nicht selten hat ein Feminismus der Modezeitschriften oder des internationalen Kolloquiums als Alibi für Verbrechen und Missbräuche gedient. Und die Gleichstellung der Geschlechter wird durch die Alchemie der Sozialklasse erreicht. "Sie kritisieren mich weil ich eine Frau bin", sagt die Dame von oben, wenn sie Befehl erteilt zu betrügen, einzusperren oder zu töten, mit dem gleichen Zynismus wie der Mann von oben.
Vier. − Oft folgt die Liebe dem alten Weg der Fortpflanzung der Spezies. Das hat viel von Routine und gut gelernten und oft wiederholten Lektionen. Doch manchmal, ganz selten, fast nie, ist die Liebe auch ein Aufblitzen aus Licht und Schatten, das den Kalendern, Geografien und Handbüchern für Sexualkunde trotzt. Und dann erteilt sie einem begrenzten Publikum aus nackter Haut und Herzen, eine schreckliche, einzigartige und wunderbare Lektion. Und die Studenten lernen nie aus.
Und fertig.
Vielen Dank.
Subcomandante Insurgente Marcos.
Mexiko, 4. Januar 2009.
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