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Zweites Kolumbien?

5. Juli 2009

In Mexiko sind am Sonntag Wahlen, doch vermutlich werden sich nur wenige beteiligen. Enttäuscht über die Korruption und den wachsenden Einfluss der Drogenmafia wenden sich die Wähler enttäuscht von der Politik ab.

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Polizeieinsatz in Culiacan, Sinaloa, (Archiv 2008, ap)
Als unterwandert von den Kartellen gelten bis zu 70 Prozent von Mexikos OrtschaftenBild: picture-alliance/dpa

Erst am Mittwoch (02.06.2009) wurde in Mexiko ein Massengrab mit mehr als einem Dutzend verkohlter Leichen entdeckt, bei denen es sich um Opfer des Drogenkriegs handeln soll. Mehr als 12.000 Menschen wurden bei Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und der Mafia getötet, seit 2006, als Mexikos Präsident Felipe Calderón sein Amt antrat. Und dass, obwohl er damals der organisierten Kriminalität den Krieg erklärt hatte. Immer mehr scheinen die Verhältnisse der Situation in Kolumbien zu ähneln.

Zwar mobilisierte Calderón 36.000 Soldaten gegen die Mafia, erfolgreich war er mit dieser Strategie aber offenbar nicht. Mexikos Wähler sind frustriert: Zudem schlägt die Wirtschaftskrise durch, die Schweinegrippe ist immer noch nicht gebannt, die Kriminalitätsrate steigt und die Welle der Gewalt ist nicht aufzuhalten. Der konservativen "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) von Präsident Calderón drohen daher laut Umfragen Stimmenverluste.

Anonyme Massengräber in Tijuana; Foto: ap
Mehr als 12.000 Menschen starben seit 2006 in Mexikos Drogenkrieg, viele wurden nie identifiziert und wie hier in Tijuana anonym begraben.Bild: AP

Stimmungstest für 2012

Zwar handelt es sich lediglich um eine Zwischenwahl, bei der die 500 Mandate der Abgeordnetenkammer, die Gouverneursposten in sechs der 32 Bundesstaaten und die Bürgermeisterämter in 565 der 2438 Kommunen des Landes neu besetzt werden. Tatsächlich ist diese Abstimmung zur Hälfte von Calderóns sechsjähriger Amtszeit ein Stimmungstest für die Parteien im Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen 2012.

Beherrschendes Thema des Wahlkampfes war die innere Sicherheit. Dabei ist das Drogenproblem in Mexiko nicht neu. Es sei nur offensichtlich geworden weil Calderón und seine Regierung sich dessen Bekämpfung zum Amtsantritt auf die Fahnen geschrieben hätten, sagt Prof. Walther Bernecker von der Universität Erlangen. "Die Drogenmafia gab es schon vorher, aber erst seit sie so massiv vom Staat angegriffen wird, schlägt sie so brutal zurück."

Von den Kartellen durchsetzt

Felipe Calderón, Mexikos Präsident, Foto: dpa
Im Krieg gegen die Drogen gescheitert: CalderónBild: picture-alliance/ dpa

Calderon ist offenbar mit seiner Strategie gescheitert. Hauptproblem ist die Korruption: "Es ist bekannt, dass die Polizei durchsetzt ist und Drogenbosse ihre Hand mit im Spiel haben. Schon deswegen kann die Bekämpfung nicht effizient sein", so Bernecker. Als unterwandert von den Kartellen gelten auch bis zu 70 Prozent der Ortschaften, kontrolliert werden von ihnen fast 30 Prozent. Erst kürzlich ließ sich im Bundesstaat Nuevo León ein PAN-Bürgermeisterkandidat zu der Aussage hinreißen, die Kartelle seien an alle führenden politischen Wettbewerber im Lande herangetreten, um sich ihrer Loyalität zu versichern. Um des Friedens willen werde er sich nicht mit den Drogenbossen der Region anlegen. Seine Aussage macht das Dilemma deutlich: Wähler wollen lieber Ruhe und Frieden als einen blutigen Drogenkrieg.

Angesichts dieser Probleme gewinnt die oppositionelle "Partei Institutionalisierten Revolution" PRI, die bis zum Sieg der PAN im Jahr 2000 71 Jahre lang regiert hatte, wieder an Zustimmung. "Die Mexikaner sind enttäuscht von dem Wandel, der damals nicht statt gefunden hat", so Bernecker. Der Erneuerungseifer erlahmte schnell am Widerstand des von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten politischen Systems. Jetzt werde die PRI wieder zulegen, prognostiziert der Experte, "sozusagen in Erinnerung an die besseren Zeiten."

Politische Alternativen gibt es kaum: Ein Wahldebakel sagen Umfragen der linken Oppositionspartei "Partei der Demokratischen Revolutiion" PRD voraus. Deren früherer Präsidentschaftskandidat Andres Manuel López Obrador weigert sich bis heute, seine knappe Niederlage gegen Calderón 2006 anzuerkennen. Stattdessen tourt er als "legitimer Präsident" durchs Land und spaltet mit seinem Verhalten die eigene Partei.

Demonstrationen in Michoacán Anfang Juni, Foto: ap
In Michoacán, dem Heimatstaat Calderóns, wurden seit Ende Mai neun Bürgermeister und mehr als 20 weitere Funktionäre festgenommen, unter dem Verdacht, mit den Kartellen zusammenzuarbeiten. Viele Mexikaner protestierten, es handele sich um eine Kampagne.Bild: AP

Voto Nulo gewinnt

Daher werden voraussichtlich mehr als zwei Drittel der 74 Millionen Wahlberechtigten laut offiziellen Schätzungen kein Wahllokal besuchen, so die Prognosen. Und beim kleinen Rest der Wahlwilligen wird die so genannte "Nullstimme" ("Voto Nulo") immer populärer. Prominente, Medien und auch Politiker rufen dazu auf, leere Wahlzettel in die Urnen zu werfen. Selbst die frühere Gouverneurin des Bundesstaats Yucatán, Dulce María Sauri, warb für die Nullstimme. Dabei betonte die PRI-Politikerin den Unterschied zwischen simpler Wahlenthaltung und aktivem Nichtwählen: "Das ist kein Aufruf zur Enthaltung, sondern zur aktiven Beteiligung." Abgeordnete und Führer aller zehn kandidierenden Parteien verurteilten den Aufruf. PRD-Führer Jesús Ortega sprach von einem "demagogischen und gefährlichen Vorschlag". Und der PRI-Gouverneur Eugenio Hernández warnte vor einem "Schaden für die mexikanische Demokratie."

"Die Menschen sind unterschiedslos frustriert über die Parteien", interpretiert Frank Priess von der Konrad Adenauer-Stiftung in Mexiko diesen Aufruf. "Sie sehen keinen Unterschied bei den Parteien, weil sich durch die Wahl kaum etwas ändern wird." Und auch Walther Bernecker ist sich sicher: "Die Nullstimme ist ein Ausdruck der maßlosen Enttäuschung und der Ansicht, dass eigentlich keiner Partei zugetraut wird, eine Lösung der Probleme herbei zu führen."

Autorin: Ina Rottscheidt

Redaktion: Anne Herrberg