Der grosse Diktator Saddam Hussein

Als der Zivilverwalter im Irak, Bremer, am Sonntag die Verhaftung des flüchtigen Präsidenten Saddam Hussein bekannt gab, begannen die irakischen Pressevertreter laut zu jubeln, zu brüllen und zu weinen. Ein Journalist in Kairo fasste die Mischung der Gefühle so zusammen:

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Als der Zivilverwalter im Irak, Bremer, am Sonntag die Verhaftung des flüchtigen Präsidenten Saddam Hussein bekannt gab, begannen die irakischen Pressevertreter laut zu jubeln, zu brüllen und zu weinen. Ein Journalist in Kairo fasste die Mischung der Gefühle so zusammen: «Natürlich freuen wir uns. Doch wir schämen uns auch dafür, dass nicht wir Araber Saddam festgenommen haben.» Bis zum bitteren Ende in seiner letzten Residenz, einem winzigen Erdloch, wusste Saddam seine grosse Stärke auszuspielen: die Verbreitung der Angst vor ihm und seiner Rache. Lange vor seiner Machtergreifung 1979 hatte Saddam die hohe Kunst der Intrige, der Verschwörung und des Verrats gemeistert; als Präsident setzte er sie raffiniert ein. Den Preis der Furcht vor einer stets drohenden Verhaftung, vor der Hinrichtung oder einfach vor dem Verschwinden zahlten stets die Bürger.

Sucht nach Selbstdarstellung

Wie viele andere Tyrannen hatte Saddam eine harte, vaterlose Kindheit. Nach seiner Geburt 1937 im Dorf al-Awja - sein Vater war bereits verstorben - erfuhr Saddam bald, was es bedeutet, arm und machtlos zu sein. Awja liegt in einer unfruchtbaren Steppe. Arbeit war dort ein unbekanntes Wort, vielmehr mussten Geld und Nahrung «beschafft werden». Die «mutigsten» Knaben taten sich durch Diebstahl hervor. Saddam hielt tapfer mit, wie es sein Biograf Said Abu Rish beschreibt. Halt bot Saddam seine tapfere Mutter, doch es musste wie ein Schock wirken, als sie wieder heiratete. Saddams Stiefvater schlug und quälte ihn dermassen, dass der Knabe sein Zuhause verliess und zu seinem Onkel Khairallah zog, einem Lehrer im Nachbardorf. Als Zehnjähriger durfte er endlich zur Schule gehen. Khairallah machte den Jugendlichen auf die Armut, die unterdrückerische britische Kolonialherrschaft und die schwelenden ethnischen Konflikte aufmerksam und politisierte ihn zunehmend. In den fünfziger Jahren führte Saddam mit Geschick und Charisma immer öfter die Grossdemonstrationen in Bagdad an. Er beteiligte sich an einem Mordversuch am Militärherrscher Kassem. Als dieser misslang, musste Saddam fliehen. Vier Jahre lang blieb er im Exil in Kairo, wo sich noch viele Leute an den jungen Mann erinnern, der sich so gerne nach der neusten Mode kleidete und für die Fotografen posierte.

Als die Baath-Partei 1968 an die Macht kam, gelang es Saddam, sich im Schatten des labilen Präsidenten Bakr hochzuarbeiten. Verwandte und Clanmitglieder aus Awja und Tikrit setzte er überall dort ein, wo Konkurrenz oder Revolte drohte. Bald beherrschte Saddam die Partei und die Geheimdienste. Die aus Sunniten, Schiiten und Kurden zusammengesetzte Armee säuberte er grausam in einem Schauprozess von unliebsamen Offizieren. 1979 wurde Bakr auf ein Abstellgleis geschoben, und Saddam begann als Präsident seine Herrschaft mit Hilfe der Terrorisierung des ganzen Volkes auszuüben.

Zugrunderichten des Iraks auf Raten

Kaum ein Jahr später stürzte sich Saddam in den Kampf gegen die islamische Revolution im Nachbarland. Der Krieg gegen Iran, von den USA unterstützt, dauerte acht Jahre und kostete mindestens einer Million Menschen das Leben. Weniger beachtet wurde der wirtschaftliche Niedergang des blühenden Iraks. Während Saddam zuvor die regionale Übermacht des Iraks mit Hilfe der Bildung seiner Bürger und dem wirtschaftlichen Fortschritt verwirklichen wollte, suchte er sie nun in der Entwicklung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Die gesteigerte Ölproduktion sollte aus der Wirtschaftskrise helfen. Saddam warf Kuwait vor, den Ölpreis tief zu halten und marschierte 1990 in das Nachbarland ein. Die folgende «Mutter aller Schlachten» zerstörte die Infrastruktur des Iraks, Tausende von irakischen Soldaten starben, und das Anzünden der Ölquellen löste eine Umweltkatastrophe aus.

Die Schiiten nahmen ihren Mut zusammen und begannen einen Aufstand. Anders als erwartet, wurden sie nicht von den USA unterstützt, und Saddam gelang es mit Hilfe seiner ihm weiter treu ergebenen Armee, die Revolte niederzuknüppeln. Im Norden griff Saddam gleichzeitig die Kurden an. Seine ausländischen Gegner erklärten schliesslich den Süden und den Norden des Iraks zu Flugverbotszonen. Die von der Uno ausgerufenen Sanktionen liessen die irakischen Bürger weiter verarmen, doch halfen sie Saddam, seiner Familie und dem ausgeklügelten System von Geheimdiensten, Leibgarden, Beamten und Getreuen, an der Macht zu bleiben und sich zu bereichern.

Immer unglaublichere Geschichten über Saddam drangen an die Öffentlichkeit. Viele erwiesen sich als wahr; so nannte der grosse Diktator überall im Irak schlossähnliche Paläste sein Eigen, hatte acht Doppelgänger und schlief aus Furcht vor einem Mordanschlag jede Nacht anderswo. Ob er wirklich 2000 Paar Schuhe besass, unzählige Geliebte hatte, seine Speisen jeweils von einem Vorkoster auf mögliches Gift prüfen liess, ist hingegen noch nicht gesichert. Doch scheint nun die Furcht vor dem eigenen Tod dafür gesorgt zu haben, dass der für ungezählte Tote verantwortliche Saddam seinen Häschern lebend in die Hände gefallen ist. Eine Giftpille hätte ihn davor bewahren können, einem Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal zu entgehen.