Buchbesprechung: Der Staat in der Privatisierung

Der Staat in der PrivatisierungMiriam Heigl
Der Staat in der Privatisierung. Eine strategisch-relationale Analyse am Beispiel Mexikos
Baden-Baden: Nomos 2009, 231 Seiten

Buchbesprechung von Henrik Lebuhn:
Lateinamerika gilt gemeinhin als „Laboratorium“ des Neoliberalismus. Der Putsch gegen die Regierung Salvador Allendes im Jahr 1973 und die Pinochet-Diktatur läuteten für den gesamten Kontinent nicht nur eine Epoche härtester politischer Repression ein, sondern auch umfassende Prozesse der Privatisierung und Deregulierung. Mexiko kam dabei seit der Schuldenkrise 1981/82 eine Vorreiterrolle zu. Bis weit in die 1990er Jahre blieb die Hegemonie des neoliberalen Projekts ungebrochen. Erst in den vergangenen Jahren begann sie mit dem Erstarken neuer sozialer Bewegungen und sozialistischer und sozialdemokratischer Regierungen zu bröckeln. Dem entsprechend dynamisch ist auch das Forschungsfeld, das sich auf dem Gebiet der Privatisierungsforschung in Lateinamerika entwickelt hat.
Vor diesem Hintergrund widmet sich Miriam Heigls Dissertation der Privatisierung öffentlicher Unternehmen im Energiesektor Mexikos. Als Fallbeispiele dienen ihr das staatliche Erdölunternehmen Petróleos Mexicanos sowie die beiden staatlichen Elektrizitätsunternehmen Comisión Federal de Electricidad und Luz y Fuerza del Centro. Diese Beispiele sind deswegen von besonderem Interesse, weil sich der Privatisierungsprozess hier – im Unterschied zu anderen Fällen in Lateinamerika – länger hinzieht und noch immer nicht abgeschlossen ist, und das, obwohl es sich um attraktive Staatsbetriebe mit wichtigen Monopolstellungen handelt.

Nach einer kurzen Einleitung beschäftigt sich die Autorin zunächst ausführlich mit den theoretischen Zugängen, die das Feld der Privatisierungsforschung in Lateinamerika dominieren. Im Einzelnen diskutiert die Autorin hier die Neue Institutionenökonomie, Imperialismustheorien, den Neo-Statism, den Historischen Institutionalismus und Policy-Transfer-Theorien. Sehr gelungen sind ihre kurzen aber prägnanten Einschätzungen zu jeder Theorie. Mit ihnen bereitet sie das erste Zwischenfazit vor, in dem sie die theoretischen Defizite auf diesem Forschungsfeld aufzeigt.

Im Anschluss daran stellt Heigl ausführlich ihren „strategisch-relationalen Ansatz“ dar, der vor allem auf den Arbeiten von Bob Jessop beruht. Dieser theoretische Zugang bildet das Kernstück von Heigls Arbeit, soll er doch im Unterschied zu den kritisch diskutierten Theorien dreierlei leisten: erstens die i.d.R. einfach unterstellte analytische Trennung der ökonomischen von der politischen Sphäre aufheben, zweitens einen kritischen und komplexen Staatsbegriff in die Analyse von Privatisierungsprozessen einbringen und drittens eine multiskalare Untersuchung erlauben, die sowohl subnationale und nationale als auch regionale und globale Faktoren zu berücksichtigen vermag. (35f.) Dazu diskutiert Heigl unter anderem, wie sich mit Jessop das Verhältnis von politischer und ökonomischer Sphäre fassen lässt, wie politische Akteure und institutionelle Strukturen zusammenwirken und wie der strategisch-relationale Ansatz operationalisiert werden kann.

Bevor die Autorin ihre beiden Fallstudien näher betrachtet, kontextualisiert sie – ihrem theoretischen Ansatz folgend – zunächst die Konflikte um den mexikanischen Elektrizitäts- und den Erdölsektor, indem sie ihre LeserInnen in die Geschichte der lateinamerikanischen Staatsentwicklung im 20. Jahrhundert einführt: von der Entwicklung des peripheren Fordismus über dessen Krise bis zum Wettbewerbsstaat. Diesen historischen Überblick spezifiziert sie sodann für Mexiko: vom Aufstieg des nationalistischen Staatsprojekts mit seinen stark korporatistischen Strukturen in den 1930er Jahren bis zur neoliberalen Politik der Präsidenten Carlos Salinas, Ernesto Zedillo und Vicente Fox.

Anschließend untersucht Heigl ihre Fallstudien mit großer Sorgfalt im Hinblick auf die Gesetze, die den Privatisierungsprozess vorbereitet und begleitet haben, auf die unterschiedlichen Akteure mit ihren spezifischen Interessen und Strategien und auf die institutionellen Settings und ihre Auswirkungen auf die Konflikte. Dabei betrachtet sie sowohl die Politik nationaler Akteure, z.B. von Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und staatlichen Ministerien, als auch den Einfluss internationaler Institutionen und transnationaler Unternehmen. Die Ergebnisse des Vergleichs präsentiert sie in einem ausführlichen Fazit.

Interessant ist dabei unter anderem, dass die Verzögerung des Privatisierungsprozesses in den beiden Branchen offenbar unterschiedliche Gründe hat. Zwar spielte der Widerstand der PrivatisierungsgegnerInnen, vor allem seitens der Gewerkschaften, sowohl bei den Elektrizitätsunternehmen als auch bei der Erdölindustrie eine Rolle. Doch während Heigl dies beim Elektrizitätssektor als den zentralen Faktor identifiziert, weist sie im Fall von Petróleos Mexicanos auf die Eigeninteressen des mexikanischen Finanzministeriums hin, das „die Privatisierung subtil behinderte“ (201). Eine kurze Reflexion des Forschungsansatzes rundet das Buch ab.

Gerade den Umstand, dass die Privatisierung im lateinamerikanischen Vergleich eher schleppend vorangeht, hätte man vielleicht noch einmal expliziter darauf befragen können, was PrivatisierungsgegnerInnen daraus lernen können. Dazu aber hätten die Fallstudien wohl noch kleinteiliger sein und stärker auf soziale Bewegungen fokussieren müssen. Auch ein vergleichender Exkurs über eine schnelle und erfolgreiche Privatisierung wäre in diesem Zusammenhang interessant gewesen. Doch wie Heigl selbst kritisch anmerkt, tendiert der strategisch-relationale Ansatz zu einer „Priorisierung der institutionell ausgerichteten Akteursstrategien“ (203). Sie konzentriert sich stattdessen systematisch auf ihre Fragestellung und erarbeitet sie Schritt für Schritt. Wer das Buch aufschlägt, um sogleich in die Untiefen der mexikanischen Privatisierungskonflikte einzutauchen, wird also zunächst einmal enttäuscht. Doch am Ende löst Heigl ihren im Titel des Buches formulierten Anspruch vollständig ein: Am Beispiel Mexikos erarbeitet sie sich und den LeserInnen einen vielschichtigen polit-ökonomischen Zugang zum Verständnis aktueller Privatisierungsprozesse.

Henrik Lebuhn

Diese Rezension erscheint im Frühjahr 2010 in der „PERIPHERIE – Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt“

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