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Schnurren, murren. C. Monsivaís.

© dpa

Carlos Monsivaís: Beweglich wie eine Katze

Nichts war vor ihm sicher. Ob es um Politik, Sexualität, Philosophie, Kino oder Fußball ging – stets war er mit einem witzigklugen Essay, einem launigen Interview oder gleich einem ganzen Buch zur Stelle. Mexikos Gewissen: Zum Tod des engagierten Schriftstellers Carlos Monsivaís.

Diese Omnipräsenz machte ihn zu einem der bekanntesten Intellektuellen Mexikos. Und zum einzigen, der auf der Straße erkannt wurde, wie ein Schriftstellerkollege neidisch bemerkte.

Denn Monsivaís scheute das Fernsehen nicht – er wusste um die Wirkung in einem Land, in dem Bildung nach wie vor ein Privileg ist. Und obwohl hochgebildet galt seine Liebe der unendlich bunten mexikanischen Populärkultur, ihren Jargons, ihrem Essen, ihren Bräuchen. Diese Zuneigung fand ihren Ausdruck im Museo del Estanquillo, das vor vier Jahren im Zentrum von Mexiko-Stadt eröffnete. Die Geschichte der Metropole wird dort anhand von 10 000 Ausstellungsstücken aus Monsivaís’ Privatsammlung erzählt, darunter Kunstwerke, Kalender, Spiele und Fotoalben.

1938 in Mexiko-Stadt geboren, begann Monsivaís seine Karriere in den turbulenten Sechzigern. Das Massaker von Tlatelolco, bei dem die Armee kurz vor den Olympischen Spielen 1968 mehrere hundert Studenten erschoss, war der Schlüsselmoment für eine ganze Generation mexikanischer Intellektueller, darunter auch Carlos Fuentes oder Monsivaís’ enge Freundin Elena Poniatowska. Seitdem war klar, wo Monsivaís stand: ablehnend gegenüber der politischen und wirtschaftlichen Elite und auf der Seite der Machtlosen. So sympathisierte er 1994 mit den Aufständischen der Zapatistischen Befreiungsarmee im verarmten Bundesstaat Chiapas. Und obwohl schon schwer von einer Lungenfibrose gezeichnet, drückte er zuletzt noch seine große Sorge über die zunehmende Ungleichheit und den eskalierenden Drogenkrieg in Mexiko aus.

Doch das eine Werk, für das Monsivaís berühmt wäre, gibt es nicht. Stattdessen schuf er ein schier unüberschaubares Oeuvre aus rund 50 Büchern (darunter Anthologien, Zeitzeugenberichte und Biografien über Frida Kahlo und den Schauspieler Pedro Infante) sowie unzähligen Kolumnen und Essays in den unterschiedlichsten Publikationen. Um Monsivaís zu ersetzen, meinte etwa die Schriftstellerin Laura Esquivel, müsse man schon recht viele Menschen in einem vereinen. So wurde Monsivaís mit den Jahren nicht nur zum gefragten politischen Kommentator, sondern auch zum Chronisten seines Landes, der ernst, humorvoll und ätzend zugleich sein konnte und über den Carlos Fuentes sagte, er habe das Essay in Mexiko zu neuem Leben erweckt.

Der unverheiratete Monsivaís lebte jahrelang im Haus seiner Mutter in Mexiko-Stadt mit 20.000 Büchern und rund einem Dutzend Katzen zusammen. Die Tiere wurden in Interviews häufig zu Protagonisten, wenn sie es sich auf seinem Schoss gemütlich machten und der weißhaarige Monsivaís sie seelenruhig kraulte. Im Gespräch mit einer Tierzeitschrift sagte Monsivaís: „Die Katze ist sensibel und stark, listig und bescheiden, nah und distanziert, niemals absolut domestizierbar, sie verteidigt ihr Territorium und geht, wenn man sie zu sehr nervt.“ Es war, als ob er sich selbst beschreibe.

Am Samstag ist Carlos Monsivaís mit 72 Jahren in Mexiko-Stadt gestorben. Über seinem Sarg im Museum der Schönen Künste wurden drei Flaggen ausgebreitet: die mexikanische; die der Autonomen Nationaluniversität Mexikos, seiner Alma Mater; und die Regenbogenfahne.

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