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ila 344: Kriminalisierung sozialer Proteste

Editorial und Inhalt

ILA vom 14.04.2011

  ila 344Editorial ila 344 April 2011

Protest ist ein Recht und kein Verbrechen! — unter diesem Motto wehren sich in ganz Lateinamerika soziale Bewegungen gegen die Kriminalisierung ihrer Aktivitäten. Seien es Indígenas, wie die Mapuche in Chile, die für ihr Recht auf kollektiven Landbesitz kämpfen und in Folge dessen mit Terrorismusvorwürfen überzogen werden, oder MenschenrechtsanwältInnen in Kolumbien, die vom kolumbianischen Geheimdienst beobachtet, verfolgt und in ihrer Arbeit massiv behindert werden.

Gerade Länder wie Mexiko oder Kolumbien, die Europa und den USA gegenüber als attraktive Wirtschafts- und Investitionsstandorte gelten möchten, versuchen sich ein dementsprechend "demokratisches" Image zuzulegen. Doch mit der Wahrung der Menschenrechte ist es oft nicht weit her. Hinzu kommen strukturelle Ungleichheit, Armut, Marginalisierung und Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Landfragen und Ressourcenausbeutung. Viele Menschen in Lateinamerika sehen im sozialen Protest die einzige Möglichkeit, ihre Rechte zu verteidigen und bessere Lebensbedingungen zu erreichen. Doch die Regierungen verweigern häufig systematisch den Dialog mit den sozialen Bewegungen, und in den Massenmedien haben deren Belange nur ein äußerst begrenztes Forum. So verwundert es nicht, dass (Straßen-)Proteste zunehmen und sich mitunter auch radikalisieren.

Gleichzeitig werden diese Protestaktionen der Bevölkerung immer stärker kriminalisiert, was verschiedene Studien, z.B. aus Mexiko, belegen. Dabei geht es nicht nur um die willkürliche Festnahme von AktivistInnen, sondern um gut durchdachte Kampagnen, bei der Justiz, Polizei, Militär, Parlament und auch private Akteure (z.B. Medien oder Wirtschaftsverbände) ihren Part übernehmen. Legitimer Protest wird diffamiert und nicht selten in die Nähe von terroristischen Aktivitäten gerückt. Veränderte rechtliche Grundlagen und Polizeiverordnungen bzw. eigens verabschiedete Antiterrorismusgesetze bilden die Grundlage dafür, dass sich das angewandte Strafmaß in den letzten Jahren verschärft und die Strafverfolgung insgesamt zugenommen hat.

Geheimdienste spielen dabei eine wichtige Rolle, wie der DAS-Skandal in Kolumbien zeigt: Eine Spezialabteilung dieses Geheimdienstes hatte just diejenigen AnwältInnen im Visier, die den sozialen Bewegungen Rechtsbeistand gewährleisten. Im offiziellen Diskurs hieß es dann, sie würden den Terrorismus unterstützen. Kriminalisierung, Verfolgung und Inhaftierung von AktivistInnen können häufig nur deswegen aufrecht erhalten werden, weil die jeweiligen Regierungen auf internationaler Ebene als Demokratien gelten, die sich der Wahrung der Menschenrechte verpflichtet haben.

Interessant ist dabei die Frage, ob es denn auch unter den progressiveren Regierungen in Lateinamerika zur Kriminalisierung von oppositionellen Kräften kommt. Für Argentinien lässt sich diese Frage ganz klar mit ja beantworten. Von Venezuela wissen wir, dass einzelne GewerkschafterInnen, die zu eigenständig handeln, mitunter zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt werden können — zur Abschreckung sozusagen. Beim jüngsten und prominentesten Beispiel — dem Gewerkschaftsaktivisten Rubén González vom verstaatlichten Unternehmen Ferrominera Orinoco — ist das Ganze vorerst noch einmal glimpflich ausgegangen. Nachdem González Ende Februar zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war, hob der Oberste Gerichtshof das Urteil wieder auf, so dass er Anfang März unter Auflagen wieder frei kam. Alle Fälle haben dabei eines gemeinsam: Kriminalisierung zielt nicht auf einzelne AktivistInnen ab, gemeint ist damit stets ein Kollektiv, eine soziale Bewegung. Der Kampf gegen die Kriminalisierung wiederum bindet personelle und finanzielle Ressourcen in den Bewegungen, die es sich jedoch nicht nehmen lassen, dagegen zu protestieren und sich ein öffentliches Forum zu suchen. Als Teil der internationalen Öffentlichkeit möchte die ila mit dem vorliegenden Schwerpunkt ihren bescheidenen Beitrag dazu leisten, dass Hintergründe, Verfolgungsstrategien sowie Reaktionen publik werden.

Unser besonderer Dank geht dieses Mal an Daniel Tapia vom Öku Büro München, der maßgeblich zu Konzeption und Zustandekommen dieser ila beigetragen hat.


Inhalt: Kriminalisierung sozialer Proteste

4 Pervertierter Rechtsstaat
Kriminalisierung sozialer Bewegungen in Lateinamerika / von Christiane Schulz

7 Ermordung von Schutzbefohlenen
Staatsterror durch den kolumbianischen Geheimdienst / von Jochen Schüller

9 Böses Erwachen in La Vega
Selbstorganisierte Gemeinden in Kolumbien stehen Bergbaumultis im Weg / von Diana Gómez

11 174 Angriffe auf MenschenrechtsverteidigerInnen 2010
In Kolumbien steigt die Zahl der Übergriffe durch unbekannte Täter / von Karol Assunção

12 Kriminalisierung des Mapuche-Kampfes
Chile: Wer sind hier die Terroristen? / von Llanquiray Painemal und Jan Stehle

15 Drohen und verunsichern
Interview mit Miguel Jugo, Vorsitzender der peruanischen Menschenrechtsorganisation APRODEH / von Gert Eisenbürger und Gaby Küppers

17 Wir werden als Terroristen hingestellt
Interview mit Mirtha Vásquez von der Umweltschutzorganisation Grufides

19 Calderóns Rache am rebellischen Oaxaca
Neue Angriffe auf die sozialen Bewegungen / von Philipp Gerber

21 Der Fall Atenco ist noch nicht abgeschlossen
Interview mit Jaqueline Saénz Andujo und Bárbara Italia Méndez Moreno / von Elise-Maria Ose und Eberhard Albrecht

23 Diese verdammte Angst
Interview über Repression, Angst, Gewalt und ihre Wurzeln in Ciudad Juárez in Mexiko / von Martin Vesely und Bob Kurik

26 Düstere Aussichten in Honduras
Der Protest gegen die Putschisten wird kriminalisiert / von Jari Dixon Herrera

28 Strafgesetzbuch statt Polizeiknüppel
Argentinien: Über 5000 Verfahren gegen soziale Bewegungen / von Britt Weyde

30 Das kostet euch was!
Interview mit der Rechtsanwältin Katja Barth über Kriminalisierung in Deutschland / von Britt Weyde

Berichte & Hintergründe

33 Der Anfang vom Ende der Demokratie?
Nicaragua im Wahljahr 2011 / von Antonia Bihlmaier

36 Linke Allianz oder Mitte-Rechts-Bündnis?
Mexiko: Spaltung der PRD möglich / von Torge Löding

37 Raub im Namen des Umweltschutzes
Wie die Erichtung von Naturschutzgebieten indigene Rechte verletzt / von Gerold Schmidt

39 Bauern stören nur − Naturschutz auf mexikanisch
Unter dem Deckmantel des Umweltschutzes wird die bäuerliche Bevölkerung schikaniert /von Gerold Schmidt

41 Gewalt im Alltag
Eindrücke eines Korrespondenten in Guatemala / von Andreas Boueke

Kulturszene

43 Großer Erzähler und warmherziger Humanist
Abschied von Moacyr Scliar (1937-2011) / von Gerhard Dilger

44 Das Fest der Bücher
Eindrücke von der 20. Internationalen Buchmesse in Havanna / von Ute Evers

47 Ringen um Identität
Ein Buch über die geraubten Kinder argentinischer Verschwundener / von Gert Eisenbürger

48 Das Entsetzen lässt die Träume verstummen
Der Roman El espanto enmudeció los sueños von Walter Lingán / von Mario Suárez Simich

49 Theaterproduktion Malinche

Ländernachrichten/Poonal

50 Argentinien, Paraguay, Nicaragua, Brasilien, Guatemala, El Salvador

Solidaritätsbewegung

53 Linke Interventionen
Ein bemerkenswerter Sammelband mit Schriften von Klaus Meschkat — nicht nur zu Lateinamerika / von Gert Eisenbürger

56 Wieder einmal Sozialismus
Buchbesprechung von Atilio Boróns »Den Sozialismus neu denken« / von Frederik Caselitz

57 Die Neugründung Boliviens?
Ein Sammelband zur Umbruchsituation in Bolivien unter der Regierung Morales / von Zeljko Crncic

58 Notizen aus der Bewegung, Impressum

Der Schwerpunkt »Kriminalisierung sozialer Protest« der ila 344 hat einen Umfang von 30 Seiten (das gesamte Heft 60 Seiten) und kann zum Preis von 5,00 Euro bei der ila (Heerstraße 205, 53111 Bonn, Tel. 0228-658613, Fax 0228-631226, E-Mail: vertrieb (AT) ila-bonn PUNKT de   ) oder über die ila-website www.ila-web.de bestellt werden. Dort finden sich in den nächsten Seiten auch weitere Informationen und Leseproben aus dem aktuellen Heft.

[i] Hinweis: Chiapas98 ist ein ehrenamtliches, nicht-kommerzielles Projekt. Sollten Sie nachweislich die Urheberrechte an einem der von uns verwandten Bilder haben und nicht damit einverstanden sein, dass es hier erscheint, kontaktieren Sie uns bitte, wir entfernen es dann umgehend.

 Quelle:  
  http://www.ila-bonn.de/archiv/2011/344inhalt.htm 
 

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