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Gewalt als Alltag
Der soziale Krieg hinter dem Drogenkrieg: Eine Reportage aus Mexiko
junge welt vom 05.01.2012 |
Von Gerd Bedszent |
Der Drogenkrieg im Norden Mexikos macht längst keine Schlagzeilen mehr; nur gelegentlich schafft es ein besonders blutiges Massaker der Narcos in die Nachrichtenspalten. Die deutsch-ecuadorianische Journalistin Jeanette Erazo Heufelder hat das Land im Januar und Februar 2011 bereist. In ihrer nun erschienenen Reportage »Drogenkorridor Mexiko« dokumentiert sie den Einfluß dieser Branche auf die mexikanische Gesellschaft.
Die Autorin hat die Schauplätze von Massenmorden und Friedhöfe, auf denen die Opfer liegen, besucht. Sie hat Interviews mit zahlreichen Menschen geführt: Taxifahrer, Bäuerin, Sozialwissenschaftlerin, Künstlerin, Bürgermeister.
Aus den Aussagen kristallisiert sich das Bild einer Gesellschaft heraus, in der das organisierte Verbrechen faktisch die Staatsgewalt übernommen hat und dem Land seine eigenen Gesetze aufzwingt.
Gewalt ist Alltag — es herrscht eine permanenter Krieg der Drogenkartelle um Einflußsphären und Gewinnanteile, um Umschlagplätze und andere strategische Knotenpunkte des Transports der Narkotika. Allein in der Stadt Ciudad Juarez zählte man im Oktober 2010 350 Tote. Eine örtliche Polizei existiert zwar, aber die begnügt sich mit der Rolle, eine nicht mehr vorhandene Rechtsstaatlichkeit zu simulieren. Jeder Polizist, der seinen Beruf ernst nimmt und sich nicht korrumpieren läßt, verurteilt sich damit zum Tod.
Wenig bekannt ist ein sozialer Konflikt, der im Hintergrund des Drogenkrieges tobt: Die Abwesenheit eines funktionierenden Rechtssystems ermöglicht den mit den Kartellen mehr oder weniger verflochtenen Großgrundbesitzern die Enteignung von Gemeindeland und von Agrargenossenschaften mit brutalsten Mitteln. In den wenigen verbliebenen Industriebetrieben der Region drängen die Unternehmer zeitgleich den Einfluß der Gewerkschaften zurück und setzen prekäre Arbeitsbedingungen durch. Es ist ein Krieg gegen die Armen: Wer sich zur Wehr setzt, riskiert sein Leben. Bauernführer, sozial engagierte Rechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten und Gewerkschafter fallen den Kugeln der ungestört wütenden Todesschwadronen und denen der angeblich die Narcos bekämpfenden Bundespolizei zum Opfer.
Im Buch wird ausführlich dokumentiert, daß der Drogenkrieg kein spezifisch mexikanisches Phänomen ist. In Kolumbien erhält ein Bauer für das Kilo Kokablätter 300 US-Dollar. Nach Verarbeitung zu Kokain kostet dieses Kilo 15000 US-Dollar. Nach dem Transport über Mexiko in die USA zahlt der Endverbraucher dort 100000 Dollar. Die verfehlte Drogenpolitik der US-Regierung erzeugt auch im südlichen Nachbarland eine irrwitzige Gewinnspanne und frißt im »Drogenkorridor« jeden Ansatz einer halbwegs funktionierenden Ökonomie auf. Was bleibt, ist Kapitalismus in seiner barbarischsten Ausprägung. Wie zitierte Marx im »Kapital«: »300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«
[i] Hinweis: Chiapas98 ist ein ehrenamtliches, nicht-kommerzielles Projekt. Sollten Sie nachweislich die Urheberrechte an einem der von uns verwandten Bilder haben und nicht damit einverstanden sein, dass es hier erscheint, kontaktieren Sie uns bitte, wir entfernen es dann umgehend.
Quelle: | |||
http://www.jungewelt.de/2012/01-02/002.php | |||
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