Sie hat über Drogenkartelle, über korrupte Politiker und die Verbindung zwischen diesen berichtet. Seither führt die mexikanische Reporterin Ana Lilia Pérez ein Leben in Angst. Die Morddrohungen, die sie erhalten hat, kann sie kaum mehr zählen, zeitweise konnte die 35-Jährige nur mit kugelsicherer Weste und Leibwächtern auf die Straße gehen. Da die Gefahr immer größer wurde, flüchtete sie vor kurzem nach Hamburg. Im Interview mit derStandard.at spricht sie über untätige Polizisten, korrupte Minister und die düstere Zukunft von Mexiko.
derStandard.at: Frau Pérez, haben Sie gut geschlafen?
Pérez: Ja, besser als in Mexiko. Dort habe ich keine Ruhe mehr gefunden.
derStandard.at: In Hamburg sind Sie also sicher? Schließlich agieren die mexikanischen Drogenkartelle auch international.
Pérez: Prinzipiell gehen sie gegen Journalisten nur im eigenen Land vor. Aber man kann natürlich nichts ausschließen, schließlich gehören die mexikanischen Drogenkartelle zu den mächtigsten der Welt.
derStandard.at: Sie sind bereits zweimal für ein paar Monate ins Ausland geflüchtet, nach Brasilien und nach Kuba. Wurden Sie dort bedroht?
Pérez: Nein.
derStandard.at: Was waren die Gründe für Ihre Auslandsaufenthalte?
Pérez: Es gab mehrere Morddrohungen, unter anderem von dem mexikanischen Geschäftsmann Jesús Zaragoza López. Er gehört zu einer der mächtigsten Familien des Bundesstaates Chihuahua und besitzt weltweit 80 Firmen. López ist auch im Gasgeschäft tätig und besitzt eine der größten Firmen Mexikos. Es ging darum, dass er den Noch-Präsidenten Felipe Calderón bei einer Kampagne unterstützt hat. Im Gegenzug sollte seine Firma eine Art Monopolstellung erhalten.
Er wollte mich bestechen, damit ich das nicht veröffentliche. Als ich abgelehnt habe und der Bericht gedruckt wurde, hat er mir gedroht. Vor Gericht hat López eine einstweilige Verfügung erwirkt. Ich durfte diese Informationen nicht mehr weiter veröffentlichen. Vor ein paar Tagen hat aber eine parlamentarische Untersuchung ergeben, dass diese Informationen nicht zurückgehalten werden dürfen, da daran ein öffentliches Interesse besteht.
derStandard.at: Wie wurden die Morddrohungen übermittelt?
Pérez: Per Telefon oder per Brief, manchmal wurde mir die Morddrohung auch persönlich von einem Boten übermittelt.
derStandard.at: Die Polizei hat nichts dagegen unternommen?
Pérez: Die hat sich dafür nicht interessiert und daher auch nichts untersucht.
derStandard.at: Und Sie wissen immer genau, von wem gerade welche Morddrohung kommt?
Pérez: Es sind so viele, dass man es nie genau wissen kann. Aber wenn man gerade über eine Person berichtet hat, und gleich darauf kommt eine Morddrohung, dann kann man sich seinen Teil denken.
derStandard.at: Was sagt man Ihnen bei so einer Morddrohung?
Pérez: Das variiert von "Wir werden dich töten" über "Dein Ende ist nahe" bis zu "Du wirst bereuen, was du ans Licht gebracht hast".
derStandard.at: Wie wurde noch gegen Sie vorgegangen?
Pérez: Andere Geschäftsmänner und Politiker, über die ich berichtet habe, wollten einen Haftbefehl gegen mich erwirken und mich so zum Schweigen bringen. Aber sie waren erfolglos, selbst in Mexiko gibt es das Recht auf freie Rede.
derStandard.at: Welche Politiker waren das?
Pérez: Das waren korrupte Politiker aus dem Umfeld von Felipe Calderón und seinem Vorgänger Vicente Fox, die Geschäfte mit den Drogenkartellen gemacht haben.
derStandard.at: Können Sie ein Beispiel nennen?
Pérez: Es waren einige Minister dabei, zum Beispiel der mittlerweile verstorbene Innenminister Juan Camilo Mouriño. Er war einer der besten Freunde von Calderón.
derStandard.at: Gab es noch weitere Formen der Bedrohung für Sie?
Pérez: Ich wurde mehrere Male tätlich angegriffen. Zudem wurde ich auch beschattet, und man hat mein Telefon abgehört.
derStandard.at: Woher wissen Sie das?
Pérez: Man hat mir Fotos geschickt, die mich zeigen, als ich privat unterwegs war. Und man hat Details aus meinem Leben genannt, die man nur wissen kann, wenn man mein Telefon abhört.
derStandard.at: Können Sie ungefähr sagen, wie viele Morddrohungen Sie schon erhalten haben?
Pérez: Nein, es waren einfach zu viele.
derStandard.at: Und Sie schreiben trotzdem weiter?
Pérez: Als Journalist in Mexiko muss man lernen, mit Angst umzugehen und wachsam zu bleiben. Einige internationale NGOs wie "Article 19" haben mir geholfen und Tipps gegeben, um sicherer zu sein. Ich habe immer eine kugelsichere Weste getragen, und ich hatte immer ein GPS dabei, damit man weiß, wo ich bin. Die Kommission für Menschenrechte in Mexiko hat mir außerdem Leibwächter bereitgestellt.
derStandard.at: Die haben Sie Tag und Nacht beschützt?
Pérez: Ja, rund um die Uhr. Aber nach acht Monaten habe ich auf sie verzichtet. Man kann mit Leibwächtern nicht investigativ arbeiten, die Informanten distanzieren sich dann.
derStandard.at: Vor einigen Tagen meinten Sie in einem Pressegespräch, dass Journalistenmord in Mexiko zu einem Sport geworden ist, weil Auftragskiller so günstig sind. Wie viel kostet denn ein Auftragsmord?
Pérez: Ganz genau kann man das nicht sagen, es gibt ja keinen einheitlichen Preis. In einigen Fällen, die mir bekannt sind, wurden 3.000 Pesos bezahlt, das sind etwa 170 Euro. Manchmal wird das aber auch kostenlos gemacht. Das ist an sich schon schlimm genug, noch schlimmer ist aber, dass die meisten Mordfälle in Mexiko ungeklärt bleiben.
derStandard.at: Um den Journalismus in Mexiko dürfte es dann nicht allzu gut stehen.
Pérez: Das stimmt. Wir erleben in Mexiko gerade eine der dunkelsten Zeiten. Durch die Morde sind schon sehr viele Medien zum Schweigen gebracht worden. Und es geht weiter, erst vor wenigen Tagen wurden in Mexiko Granaten auf Redaktionsgebäude geworfen. Das alles haben wir Felipe Calderón zu verdanken.
derStandard.at: Sie meinen wohl damit, dass Calderón den Drogenkartellen den Krieg erklärt hat.
Pérez: Ja. Er hat das gemacht, ohne eine richtige Strategie gehabt zu haben. Dadurch ist die Situation eskaliert. Wenn Calderón im Dezember sein Amt abgibt, dann wird er mit seiner Familie das Land verlassen. Aber die von ihm verursachten Probleme bleiben.
derStandard.at: Hat er nichts unternommen, um Journalisten zu schützen?
Pérez: Nein. Es wurde zwar vor kurzem, also am Ende von Calderóns sechsjähriger Amtszeit, ein Gesetz beschlossen, um Journalisten zu schützen. Aber man hat an den Granatenwürfen gesehen, dass das nichts geholfen hat.
derStandard.at: Glauben Sie, dass sich unter dem neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto etwas ändern wird?
Pérez: Die Chancen stehen schlecht. Er stammt von der Partei PRI, die selbst alles andere als sauber ist. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 13.7.2012)