Pyrrhussiege im Kampf gegen Drogenkartelle

Regelmässig verhaftet Mexiko führende Drogenbosse, und doch nimmt die Gewalt beständig zu. Das Land braucht eine umfassendere Strategie, die dem organisierten Verbrechen den Nährboden entzieht.

Matthias Knecht, Mexiko-Stadt
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Diese Woche hat Mexikos Regierung einmal mehr einen gesuchten Drogenboss ausgeschaltet. Am Donnerstag präsentierten die Behörden den festgenommenen Iván Velázquez den Medien. Er gilt als Nummer drei in der Führung des Drogenkartells der Zetas. Auf den Capo mit dem Übernamen «El Taliban» war ein Kopfgeld von 30 Millionen Pesos (2,2 Millionen Franken) ausgesetzt. Zum Erfolg beigetragen hatten sowohl die Marine, faktische Speerspitze Mexikos im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, als auch die amerikanische Antidrogenbehörde.

«Land der Hingerichteten»

Mexikos scheidender Präsident Felipe Calderón konnte in jüngster Zeit mehrere spektakuläre Fahndungserfolge melden. Vor drei Wochen nahm die Marine die Führer des Golf-Kartells fest, Jorge Eduardo Costilla und Mario Cárdenas. Kurz zuvor war der Bundespolizei Ramiro Pozos ins Netz gegangen, der Gründer und Führer einer weiteren kriminellen Gruppe namens «La Resistencia». Getrübt werden die Erfolge durch neue Massaker. Im Wochentakt meldet die Presse schauerliche Inszenierungen. Mexiko sei «ein Land der Hingerichteten, Enthaupteten, Zerstückelten, Gehäuteten und Erhängten», äusserte sich dazu die kürzlich nach Deutschland geflüchtete Journalistin Ana Lilia Pérez.

Einige der Massaker sind direkte Antworten des organisierten Verbrechens auf Festnahmen führender Drogenbosse. Ein Beispiel sind die Zetas: Die aus übergelaufenen Armeeoffizieren entstandene Gruppe führt seit diesem Jahr heftige interne Kämpfe, so etwa zwischen dem jetzt verhafteten Velázquez und einem weiteren Anführer, Miguel Angel Treviño. Gegenseitig warfen sie sich vor, Zeta-Mitglieder an die Behörden ausgeliefert zu haben. Die jüngsten Massaker in Nordmexiko sind wahrscheinlich eine Folge dieses Streits. Vor rund zwei Wochen hingen acht Leichen an einer Brücke der Grenzstadt Nuevo Laredo; einen Monat zuvor fanden sich 14 schauerlich zugerichtete Leichen in San Luis Potosí.

Etwas zynisch klingt darum die trotzige Erfolgsbilanz von Präsident Calderón. «Wenn Sie Staub sehen, dann darum, weil wir das Haus reinigen», wiederholte der konservative Politiker mehrmals. 60'000 Menschen fielen bisher laut Schätzungen von Bürgerrechtsbewegungen dem Krieg zum Opfer, den Calderón bei seinem Amtsantritt Ende 2006 den Drogenkartellen erklärte. Hinzu kommen 20'000 Verschwundene. Die Regierung selbst gibt seit knapp einem Jahr nicht mehr bekannt, wie viele Menschen Opfer der Gewalt der Drogenkartelle wurden.

Bekämpfung der Korruption

Die Jagd auf die Drogenbosse provoziere systematisch mehr Gewalt, argumentieren die Kritiker von Calderóns Strategie. Kriminologen sprechen vom «Paradox der Repression». Denn jeder festgenommene Anführer heizt die Nachfolgekämpfe in den kriminellen Gruppen an und fördert neue Splittergruppen. Zählte Mexiko 2006 noch 6 grosse Drogenkartelle, sind es heute deren 14. Kartelle zu zerschlagen, provoziere einen Hydra-Effekt, mahnt die US-amerikanische Forscherin Natalia Cote-Muñoz.

Calderóns Vorgänger Vicente Fox fordert darum, einen Waffenstillstand mit der Drogenmafia zu vereinbaren und zugleich die Drogen zu legalisieren. Das findet in Mexiko keine Mehrheit. Laut einer im Juni publizierten Umfrage des Pew Research Center stehen 80 Prozent der Mexikaner hinter dem Armee-Einsatz gegen die Drogenkartelle, auch wenn nur 47 Prozent Erfolge in der Regierungsstrategie erkennen.

Die vorwiegend militärische Strategie Mexikos zu kritisieren, heisst nicht zwangsläufig, vor dem organisierten Verbrechen zu kapitulieren. Edgardo Buscaglia, Kriminologe in Mexiko-Stadt, fordert vielmehr, die militärische Repression mit ebenso energischen weiteren Massnahmen zu kombinieren. Dazu zählt eine entschiedene Bekämpfung der politischen Korruption, eine umfassende Präventions- und Sozialpolitik, um den Drogenbanden den Nährboden zu entziehen, und schliesslich eine «frontale Attacke» der Ermittler auf die Wirtschafts- und Finanzstruktur der Drogenkartelle. All das geschehe in Mexiko bis jetzt nicht, kritisiert Buscaglia.

Kurswechsel angekündigt

Mexikos designierter Präsident Enrique Peña Nieto, der am 1. Dezember sein Amt antritt, steuert in Richtung einer integrierten Strategie. Peña Nieto setze nicht nur auf Waffengewalt, lobt der Analytiker und frühere Sprecher von Vicente Fox, Rubén Aguilar. Peña Nieto kündigte eine neue, professionalisierte nationale Gendarmerie an, gezielte Sozialpolitik und massive Bildungsinvestitionen. Ein neues Gesetz soll zudem Gliedstaaten und Gemeinden zu mehr Transparenz verpflichten, was wiederum den Korruptionssumpf aus lokaler Politik und Drogenmafia trockenlegen würde. Unterstützt wird der sich abzeichnende Kurswechsel auch von den USA. Sie unterstützten Mexikos Antidrogenpolitik seit 2008 mit über 1,9 Milliarden Dollar. Floss das Geld anfangs fast ausschliesslich in die militärische Aufrüstung Mexikos, so investiert Washington heute den Grossteil in die Verbesserung der Justiz und der Ermittlungsbehörden Mexikos.

Die internationale Erfahrung zeigt, dass mit einem solchen, breiteren Ansatz der Drogenmafia beizukommen ist. Buscaglia nennt die Beispiele Italiens und Kolumbiens. Beide Länder erzielten in der Vergangenheit mit einer entschlossenen Politik und einer zunehmend unabhängigen Justiz grosse Erfolge gegen das organisierte Verbrechen. Beide Länder zeigen allerdings, dass eine ernsthafte Bekämpfung der Drogenmafia zwangsläufig dazu führt, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen Parlamentsabgeordnete und selbst enge Mitarbeiter des Präsidenten zu ermitteln beginnt. Genau dafür wird Mexikos neuer Präsident kaum innenpolitische Unterstützung bekommen.

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