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Starker Auftritt

Aktuelles zur zapatistischen Rebellion in Chiapas

junge welt vom 22.01.2013
Luz Kerkeling

  Hintergrund. Nach anderthalb Jahren des Schweigens: Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung demonstriert in Chiapas Stärke und beabsichtigt ihre Kontakte zu sozialen Bewegungen für ein antikapitalistisches Mexiko zu intensivieren

jw-logoDie Öffentlichkeit staunte nicht schlecht: Am 21. Dezember 2012 — dem Tag, der von den Mainstreammedien fälschlicherweise als von den Maya prophezeiter »Weltuntergang« seit Monaten kommerziell ausgeschlachtet worden war — besetzten rund 40000 Zapatistas friedlich die Hauptplätze der fünf Städte San Cristóbal, Ocosingo, Altamirano, Las Margaritas und Palenque im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas. Ihre Parolen? Es gab keine! Die Zapatistas, darunter auffallend viele Jugendliche und Frauen, demonstrierten schweigend und unbewaffnet. Auf den Plätzen aller Städte wurden flugs Bühnen gezimmert, die dann Tausende — wie üblich vermummte — Teilnehmer mit erhobener linker Faust passierten. Nach wenigen Stunden endete das beeindruckende Großereignis der von indigenen Mayas geprägten Bewegung.

Wiederum wenige Stunden später erschien das wohl bisher kürzeste Kommuniqué der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN): »Habt ihr das gehört? Das ist der Klang ihrer Welt, die zusammenbricht. Es ist die unsere, die wiederkehrt. Der Tag, der Tag war, wurde Nacht, und die Nacht wird der Tag sein, der Tag sein wird. Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit.« Hier geht es nicht um indigenistische Politikansätze oder gar Esoterik, sondern um eine klare Botschaft: Die Regierungen haben uns nicht besiegt, wir existieren weiter und leisten Widerstand — mit unserem basisdemokratischen Ansatz und einer klaren Absage an die politischen und ökonomischen Eliten.

Kurz nach dem Amtsantritt von Präsident Enrique Peña Nieto von der autoritären Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) im Dezember 2012 gelang der EZLN damit ein medialer Coup. Über anderthalb Jahre hatte sich die Kommandantur der EZLN nicht öffentlich geäußert. Mit ihrer Aktion katapultierten sich die mehrfach totgesagten Zapatistas auf die Titelseiten der mexikanischen Presse und auf die Websites der transnationalen Solidaritätsbewegung. Es war die größte Demonstration in der Geschichte der Bewegung. Ihre in den vergangenen Jahren immer wieder artikulierten Forderungen nach einem Ende der extremen Ausbeutung und des Rassismus gegen die indigene Bevölkerung, einer radikalen Demokratisierung, einer antikapitalistischen Wirtschaftspolitik, einer Verbesserung der Situation der Frauen, nach konsequentem Naturschutz und nach Solidarität mit allen Marginalisierten wurden durch den Schweigemarsch wieder zum Politikum. Luis Hernández Navarro, Analyst der mexikanischen Tageszeitung La Jornada, brachte die Symbolik der Mobilisierung auf den Punkt: »So wie sie sich das Gesicht bedecken mußten, um gesehen zu werden, hielten sie jetzt im Reden inne, um gehört zu werden.«

Harte Abrechnung mit Parteien

Am 30. Dezember veröffentlichte die EZLN ein Kommuniqué und zwei offene Briefe. Darin rechnete die Organisation scharf mit der gesamten politischen Klasse ab. Nach den Präsidentschaftswahlen von 2006 hatte ein relevanter Teil der mexikanischen Linken der zapatistischen Organisation vorgeworfen, für den Wahlsieg von Felipe Calderón von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) mitverantwortlich zu sein, weil die EZLN nicht den sozialdemokratischen Kandidaten Andrés Manuel López Obrador von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) unterstützt hatte und generell nicht auf Wahlen setze. Weite Teile der parlamentarischen Linken hatten daraufhin mit der EZLN gebrochen. Ihnen antwortete sie nun, nach der Rückkehr der PRI an die Macht: »Sie brauchen uns nicht, um zu versagen. Wir brauchen sie nicht, um zu überleben.« In beiden Fällen ist die EZLN nicht für die Wahlniederlage der PRD verantwortlich zu machen. Die Gründe waren Wahlmanipulationen — Obrador sprach von 113000 der 143000 Wahlurnen als manipuliert —, Stimmenkauf, massenmediale Kampagnen zugunsten von PAN und PRI und nicht zuletzt auch die mangelnde Zustimmung für die PRD, vor allem in den kämpferischen Regionen im Süden Mexikos, in den PRD-Gouverneure bereits regieren und sich mit ihrer neoliberalen und autoritären Politik nicht anders verhalten haben als PRI- oder PAN-Administrationen.

Subcomandante Marcos, Sprecher und Militärchef der EZLN, erinnerte nun zudem an die schweren Menschenrechtsverletzungen, für die die PRI verantwortlich ist, darunter der 2006 vom damaligen Gouverneur des Bundesstaates Mexiko und dem heutigen Präsidenten Peña Nieto befehligte Polizeieinsatz gegen die Gemeinde Atenco, bei dem zwei Menschen starben, Hunderte verletzt und inhaftiert sowie Dutzende Frauen vergewaltigt wurden. Die scheidende PAN-Regierung von Felipe Calderón bezeichnete er als »die kriminellste Regierung, unter der dieses Land seit Porfirio Díaz leiden mußte«. Díaz hatte Mexiko von 1876 bis 1910 diktatorisch beherrscht. Um dem Land eine kapitalistische Richtung zu geben, verteilte er damals Ländereien an europäische Investoren und übergab Erdöl und andere Bodenschätze an ausländische Unternehmen.

Die Rückkehr der PRI

Von der Rückkehr des »Dinosauriers« an die Regierungsmacht ist aus Perspektive der sozialen Bewegungen nichts Positives zu erwarten. Die PRI, seit 1929 allein herrschend, hatte 1982 den neoliberalen Umbau des Landes eingeleitet, in dem private und öffentliche Wirtschaft nebeneinander existierten und einige soziale Rechte als gesichert galten. Das 1994 in Kraft getretene Freihandelsabkommen NAFTA löste in den Folgejahren eine dramatische Landflucht und enorme Migrationsschübe in die USA aus, da die Kleinbauern auf dem »freien Markt« bis heute nicht mit subventionierten Agrarprodukten aus den USA und Kanada konkurrieren können. Millionen Menschen verließen ihre ländlichen Gemeinden.

Unter den PAN-Präsidenten Vicente Fox und Felipe Calderón ging zwischen 2000 und 2012 die Deregulierung und Privatisierung in der Wirtschaft weiter, dazu kamen die verheerenden Auswirkungen des »Drogenkrieges« in Calderóns Regierungsperiode. Seit Ende 2006 verzeichnet die »Bewegung für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde« (MPJD) 80000 Tote, 20000 Verschwundene und Hunderttausende Vertriebene.

Der neue Präsident Peña Nieto, bei dessen Amtseinführung am 1. Dezember 2012 mehrere Dutzend Demonstranten verletzt und über 100 Personen wochenlang inhaftiert und mehrheitlich mißhandelt wurden, hat zwar blumig ein stärkeres Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte angekündigt, setzt jedoch weiter auf die Militarisierung des hoch korrupten Landes, in dem viele Staatsdiener in die organisierte Kriminalität involviert sind, und auf eine Fortsetzung der Privatisierungspolitik, vor allem in den zentralen Bereichen der Ölförderung und der Energieproduktion. Zudem hat die Regierung über 27000 Lizenzen zur Ausbeutung von Bodenschätzen an Privatunternehmen vergeben, was etwa einem Viertel des mexikanischen Territoriums entspricht. Es ist also durchaus legitim, mit Rückblick auf die Diktatur von Porfirio Díaz, die vor gut 100 Jahren endete, von einem Neo-Porfiriat unter PRI-Herrschaft zu sprechen, welches noch fatalere Folgen für Bevölkerungsmehrheiten hat als die »perfekte Diktatur« (Vargas Llosa) der PRI in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

In Chiapas siegte bei den Gouverneurswahlen 2012 der gemeinsame Kandidat von PRI und der Grünen ökologischen Partei Mexikos (PVEM). Letztere hat wenig mit europäischen grünen Parteien gemein; sie forderte beispielsweise bei den Wahlen im Jahr 2006 die Einführung der Todesstrafe. Manuel Velasco Coello von der PVEM, ein 32jähriger weißer Oligarchensproß, der seit Jahren mit gekauften Artikeln auf seine Machtübernahme in Chiapas hingearbeitet hat, äußert sich bislang aalglatt und mitunter sogar positiv über die EZLN. Nach der spektakulären Aktion der Zapatistas appellierte er an die Bundesbehörden, endlich die Rechte der indigenen Bevölkerung juristisch bindend anzuerkennen. Paradoxerweise hatte er noch Monate zuvor betont, die »Entwicklungsprojekte« seines Vorgänger Juan Sabines (PRD) weiterzuführen — darunter Ölpalmenmonokulturen, Luxustourismusprojekte und große Infrastrukturmaßnahmen, wogegen die indigenen Organisationen seit Jahren protestieren, weil es ihre Lebensgrundlage, die für ihre Subsistenzwirtschaft wichtigen Ländereien, bedroht.

Zapatistische Autonomie

Die EZLN setzt auf den Aufbau einer De-Facto-Autonomie in den von ihr kontrollierten Gebieten. Zahlreiche Großgrundbesitzer flüchteten 1994 während der militanten Offensive der EZLN, die über 100000 Hektar Land an Tausende Familien ihrer Unterstützungsbasis verteilte. Zwölf Tage hatten die Zapatistas bewaffnet gegen die Regierungstruppen gekämpft, seit Mitte Januar 1994 schweigen ihre Waffen. 1996 unterzeichneten Regierung und EZLN die Abkommen von San Andrés über indigene Rechte und Kultur. Darin wird den 62 indigenen Bevölkerungsgruppen Mexikos das Recht eingeräumt, sich innerhalb des mexikanischen Nationalstaates nach eigenen Prinzipien selbst zu verwalten, freie Zusammenschlüsse von Gemeinden gründen zu können, eigene Bildungs- und Medienprojekte durchführen zu können sowie bei jedwedem Entwicklungsprojekt, darunter auch die Förderung von Bodenschätzen oder die Nutzung der Biodiversität, demokratisch konsultiert zu werden.

PAN- und PRI-Politiker schwadronierten in den folgenden Jahren über eine drohende Balkanisierung und ein Auseinanderfallen Mexikos, falls die indigenen Bevölkerungsgruppen ihren Aufbau selbstverwalteter Strukturen verstärken würden. Doch vor allem die Kontrolle der Naturreichtümer dürfte die politischen und ökonomischen Eliten davon abgehalten haben, die Abkommen von San Andrés tatsächlich umzusetzen. 2001 stimmten beide Kammern des mexikanischen Parlaments gegen eine Verfassungsreform im Sinne der Abkommen — auch Teile der PRD verweigerten ihre Zustimmung.

Seit diesem Verrat, der in den Augen der EZLN »eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Rechte und Kultur der Großgrundbesitzer und Rassisten« darstellt, wurden jegliche Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen. Die EZLN ging daraufhin ab 2003 dazu über, die Abkommen von San Andrés unilateral umzusetzen und ohne Erlaubnis ihre Autonomiestrukturen auszubauen.

Fortschritte in der Selbstverwaltung

In ihrem Kommuniqué vom 30. Dezember 2012 berichten die Zapatistas nun selbstbewußt über die Fortschritte in ihren autonomen Gebieten: »In diesen Jahren haben wir uns gestärkt und haben unsere Lebensbedingungen bedeutend verbessert. Unser Lebensstandard ist höher als in den regierungshörigen indigenen Gemeinden, die Almosen erhalten und mit Alkohol und nutzlosen Artikeln überschüttet werden. Unsere Häuser haben sich verbessert, ohne die Natur zu verletzen und ihr Wege aufzuzwingen, die ihr fremd sind. In unseren Dörfern dient das Land, das früher dafür da war, das Vieh der Gutsherren und Großgrundbesitzer zu mästen, heute dem Anbau von Mais, Bohnen und Gemüse, welche unsere Tische erleuchten. Unsere Arbeit wird mit der doppelten Zufriedenheit belohnt, uns mit dem Nötigen zu versorgen, um anständig leben zu können und zum kollektiven Wachstum unserer Gemeinden beizutragen. Unsere Jungen und Mädchen besuchen eine Schule, die ihnen ihre eigene Geschichte beibringt, die ihrer eigenen Heimat und die der ganzen Welt, sowie die nötigen Wissenschaften und Techniken, um sich zu bilden, ohne aufzuhören, Indigene zu sein. Die indigenen zapatistischen Frauen werden nicht wie eine Ware verkauft. Die indigenen PRI-Anhänger kommen in unsere Krankenhäuser, Kliniken und Labors, weil es in denen, die die Regierung zur Verfügung stellte, weder Medikamente, noch Geräte, noch Doktoren, noch qualifiziertes Personal gibt. Unsere Kultur erblüht, nicht isoliert, sondern bereichert durch den Kontakt mit Kulturen anderer Bevölkerungsgruppen aus Mexiko und der ganzen Welt. Wir regieren, und wir regieren uns selbst, indem wir stets zuerst die Einigung vor der Konfrontation anstreben. All dies wurde nicht nur ohne die Regierung, die politische Klasse und die Medien, die sie begleiten, bewerkstelligt, sondern während wir gleichzeitig ihren Angriffen aller Art Widerstand leisten mußten. (...) Hier, bei nicht wenigen Fehlern und vielen Schwierigkeiten, ist eine andere Art des Politikmachens bereits eine Realität.«

Erklärbar sind diese Errungenschaften, weil der Zapatismus in Chiapas weit mehr umfaßt als eine »klassische« soziale Bewegung. Er mobilisiert und reproduziert sich praktisch permanent. Als Klammer, welche die rund 1000 Gemeinden mit zapatistischer Bevölkerung zusammenhält, fungiert zum einen die politische Leitung, die Kommandantur der EZLN, die aus mehreren Dutzend Männern und Frauen besteht, die über großes Ansehen in ihrer Herkunftsregion verfügen. Über regionale und lokale Verantwortliche halten sie den direkten Kontakt zur Basis, bündeln Informationen aus allen fünf zapatistischen Zonen und starten Initiativen zur Verbesserung der aktuellen Lebensbedingungen. Zum anderen gibt es die zapatistische Armee, die nie ihre Waffen abgegeben hat und für den Ernstfall weiterhin ausbildet und sich generell um sicherheitsrelevante Aspekte kümmert. Beide Strukturen zusammen bilden die EZLN als politisch-militärische Organisation. Nach einem eingehenden Reflexionsprozeß gab die EZLN 2003 einen Großteil ihrer organisatorischen Zuständigkeiten an die zivilen zapatistischen Strukturen ab. Die Selbstverwaltung der Gemeinden wurde dadurch gestärkt und die Befugnisse der EZLN eingeschränkt.

Besonders bedeutend ist die kollektiv organisierte Basis der Gesamtbewegung. Über ein Ämtersystem, das den indigenen Traditionen entstammt und durch unbezahlte Gemeinschaftsarbeit am Leben erhalten wird, werden die Bereiche Bildung, Gesundheit, Verwaltung, Rechtsprechung, Produktion, Kooperativen und Medien basisdemokratisch organisiert. In den fünf Logistikzentren, den »Caracoles« (dt.: Schneckenhäuser), die auch den fünf zapatistischen autonomen Zonen zugeordnet sind, arbeiten die regelmäßig rotierenden »Räte der Guten Regierung«, die für jeweils mehrere der insgesamt 25 autonomen Landkreise verantwortlich sind. Die Räte fungieren auch als Ansprechpartner für Nicht-Zapatistas, Presse oder auch solidarische Gruppen, wenn diese Kontakt zur Bewegung suchen.

Die Landkreisdelegierten werden in Vollversammlungen von der Basis bestimmt und wählen dann die Angehörigen der Räte der Guten Regierung. In der Regel arbeiten drei Teams pro Rat. Team 1 kehrt z.B. nach einer Woche Dienst auf die eigenen Felder zurück, um danach, wenn die anderen beiden Teams ihre Tätigkeit beendet haben, wieder ins Caracol zurückzukommen. Die Amtszeit beträgt in der Regel drei Jahre. Es ist das Ziel der Bewegung, die Entstehung einer eigenen Elite von Berufspolitikern zur vermeiden; möglichst viele Menschen sollen möglichst viele Ämter kennenlernen und ausüben. Zentrales Charakteristikum ist die jederzeit mögliche Absetzbarkeit aller Funktionsträger, falls die Basis nicht mit ihrer Arbeit einverstanden ist — das gilt auch für die Angehörigen der Kommandantur.

Für die Disziplin der Gesamtbewegung ist das Alkohol- und Drogenverbot im zapatistischen Gebiet nicht zu unterschätzen. Die indigenen Frauen konnten es bereits 1993 innerhalb der eigenen Gemeinden durchsetzen.

Ausbau von Beziehungen

Die EZLN kündigte nun an, verstärkt mit anderen sozialen Bewegungen zusammenzuarbeiten, vor allem mit den Anhängern ihrer »Sechsten Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald«. Diese haben sich 2005 in einer Mobilisierung vereint, die in Abgrenzung zu den parlamentarischen Prozessen die »Andere Kampagne« genannt wird. Die Aktivisten der »Anderen Kampagne« verweigern die Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Staat und streben danach, mit allen marginalisierten Bevölkerungssektoren friedlich Widerstand zu leisten, über einen langen, strikt außerparlamentarischen Prozeß eine neue antikapitalistische Verfassung für Mexiko durchzusetzen und die globale Vernetzung basisdemokratischer Kämpfe zu unterstützen: »Wir beabsichtigen, die nötigen Brücken zu den sozialen Bewegungen zu errichten, die sich gebildet haben und sich bilden, nicht um zu führen oder sie auszustechen, sondern um von ihnen zu lernen, von ihrer Geschichte, ihren Wegen und ihren Schicksalen.«

Die mexikoweit operierende, strömungsübergreifende Friedensbewegung MPJD reagierte bereits mit einem offenen Brief auf die Vorschläge: »Wir beglückwünschen Euch, denn wir wissen bereits seit unserer kurzen Existenz als Bewegung, wie kompliziert es ist, eine Organisation aufzubauen und am Leben zu erhalten.« Die MPJD hob hervor, daß die EZLN der Gesellschaft beibringe, »daß Moral, Ethik und Wahrheit die mächtigsten Waffen sind, um eine Welt des Friedens, der Gerechtigkeit, der Würde und der Demokratie aufzubauen«. Die Bewegung unterstrich in ihrem Schreiben, daß eine Minimalbedingung für einen friedlichen Wiederaufbau des Landes die überfällige Anerkennung der indigenen Rechte gemäß der Abkommen von San Andrés sei. Über zehn Prozent der rund 112 Millionen Einwohner Mexikos gehören zu den indigenen Bevölkerungsgruppen.

Einen Dialog mit der neuen Regierung schloß die EZLN nicht explizit aus, verwies jedoch gleichzeitig auf die seit fast 17 Jahren uneingelösten Verträge von San Andrés: »Es bleibt daher der Bundesregierung (...) überlassen zu entscheiden, ob sie die Politik zur Aufstandsbekämpfung wieder aufgreifen möchte, (...) oder ob sie ihre Verpflichtungen anerkennt und erfüllt und die indigenen Rechte und Kultur auf eine konstitutionelle Ebene erhebt, wie in den sogenannten Abkommen von San Andrés festgesetzt, die 1996 von der Bundesregierung unterzeichnet wurden.« Die PRI-Regierung unter Peña Nieto kündigte diffus an, etwas gegen die Armut und Ausgrenzung der Indigenen unternehmen zu wollen, doch es ist wahrscheinlich am Ende mit nichts anderem als Lippenbekenntnissen und paternalistischen Hilfslieferungen zu rechnen.

Ein zentrales Problem bleibt die Gewalt gegen die zapatistischen und andere oppositionelle Gemeinden. So wurde 2012 die Bevölkerung der beiden zapatistischen Dörfer Comandante Abel und Unión Hidalgo im Norden Chiapas’ von regierungsnahen Paramilitärs vertrieben. Darüber hinaus geht der »Krieg niederer Intensität« weiter, eine Strategie aus Repression, Desinformation und Korruption, um die zapatistischen Gemeinden im Widerstand einzuschüchtern, zu spalten und Menschen aus dem Widerstand herauszukaufen. Noch immer sind Tausende Soldaten in Chiapas stationiert. Einen Grund für Entwarnung im Bereich der Menschenrechtslage oder eine realistische Hoffnung auf einen endgültigen Friedensschluß zwischen Regierung und EZLN gibt es daher bis dato nicht.

Dennoch macht die jüngste Massenmobilisierung der EZLN Hoffnung, denn die Zapatistas haben einmal mehr bewiesen, daß sie eine relevante Kraft in Chiapas und Mexiko sind, die auch Ausstrahlungskraft auf andere Kämpfe im Land und auf globalem Niveau hat, die jenseits von Staat und Kapital für die Emanzipation der Menschen streiten. Das zapatistische Schweigen hat einiges in Bewegung gesetzt. Mit Spannung werden nun die weiteren Initiativen der EZLN erwartet.

Luz Kerkeling ist Soziologe, Bildungsreferent und Filmemacher. Im Frühjahr erscheint im Unrast-Verlag sein neues Sachbuch »¡Resistencia! Umweltzerstörung, Marginalisierung und indigener Widerstand in Südmexiko«


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 Quelle:  
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