Bürgerwehr «verhaftet» Polizeichef in Mexiko

Hunderte von Bewaffneten haben in der Nähe von Acapulco eine ganze Kleinstadt besetzt. Sie nahmen einen Polizeichef gefangen, dem sie Kollaboration mit dem organisierten Verbrechen vorwerfen.

Andres Wysling
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Suche nach Mördern: Bürgerwehr-«Polizist» in Tierra Colorada. (Bild: AP/ Bernandino Hernández)

Suche nach Mördern: Bürgerwehr-«Polizist» in Tierra Colorada. (Bild: AP/ Bernandino Hernández)

Hunderte von selbsternannten «Polizisten» einer Bürgerwehr, sogenannte policías comunitarios, haben in Mexiko während fast 24 Stunden die Kleinstadt Tierra Colorada und umliegende Dörfer besetzt. Sie setzten den Polizeichef eines Dorfes, Oscar Ulises Valles, und elf weitere Polizisten gefangen, ausserdem sechs Zivilisten. Ihnen wird vorgeworfen, mit dem organisierten Verbrechen verbandelt zu sein.

Die Aktion folgte nach Berichten in der mexikanischen Presse auf die Ermordung eines Bürgerwehrkommandanten in einem Dorf nahe der Landstadt Tierra Colorada. Sogleich nach der Bluttat machte die Bürgerwehr am Dienstag früh mobil, um die Mörder zu suchen. Nach den Angaben ihres Kommandanten Ernesto Gallardo wurden zuerst 600 Mann aufgeboten, später waren es nach Angaben eines andern Kommandanten sogar 2000 Mann.

Die Bürgerwehr besetzte die Stadtverwaltung und erklärte das ganze Gebiet zur «zona comunitaria». Rund um diese Zone errichtete sie Strassensperren, an allen Ausfallstrassen wurden die Insassen der Autos überprüft. In Innern der Zone wurden Razzien ausgeführt, und binnen Stunden waren der Polizeichef und die weiteren Verdächtigen «verhaftet».

Auch suchten Bürgerwehrleute die Bürgermeisterin des Dorfes Juan R. Escudero auf, wo die Bluttat sich ereignet hatte, um mit ihr zu «verhandeln»; zu diesem Zweck wurden drei Leibwächter «vorübergehend festgenommen». Auf Verlangen der Bürgerwehrleute berief Bürgermeisterin Elizabeth Gutiérrez eine dringliche Sitzung des Gemeinderates ein; dieser beschloss im Eilverfahren die fristlose Absetzung des umstrittenen Polizeikommandanten.

Es folgten Verhandlungen mit der Staatsanwältin des Teilstaats Guerrero, die sich eilends nach Tierra Colorada begeben hatte. Martha Elva Garzón sicherte den Bürgerwehrleuten zu, dass der Mord an deren Kommandanten ordentlich untersucht werde. Daraufhin übergab die Bürgerwehr die 18 «Verhafteten» an die offizielle Polizei. Nach einer ersten Einvernahme in der Hauptstadt Chilpancingo wurden alle in Untersuchungshaft gesetzt.

Die Bürgerwehr zog ihre Truppen am Mittwoch aus Tierra Colorada ab. Ihr Auftreten in Tierra Colorada zeigt, wie gut mexikanische Bürgerwehren inzwischen organisiert und vernetzt sind. Innert Stunden waren Hunderte von Bewaffneten mobilisiert, offenbar erhielt die lokale Bürgerwehr auch viel Zuzug von ausserhalb. Die Besetzung der Stadt erfolgte planmässig, wie nach dem Handbuch.

Der Fall wirft zudem erneut ein Schlaglicht auf die prekäre Sicherheits- und Rechtslage in Mexiko. Die organisierte Kriminalität hat grosse Teile der Polizei durchdrungen. Die Justiz untersucht Verbrechen oft gar nicht oder nicht richtig. Darum entstehen überall bewaffnete Bürgerwehren, als Selbsthilfeorganisationen zum Selbstschutz der Bevölkerung in Städten und Dörfern – die Bürger nehmen das Recht in die eigene Hand. Allerdings stehen einige Bürgerwehren im Verdacht, sich selbst in Verbrecherbanden verwandelt zu haben.

Das Vorgehen der Bürgerwehr in Tierra Colorada war sicher illegal, es scheint aber nicht illegitim und nicht verbrecherisch. Einige Bürgerwehrkommandanten treten mit vollem Namen in Erscheinung, die Leute verstecken sich nicht. Dass die Gefangenen zuletzt den Behörden übergeben wurden, deutet auf Verantwortungsbewusstsein. Man machte nicht einfach «kurzen Prozess» mit den Verdächtigen, sondern erzwang ein Justizverfahren. Ohne die spektakuläre Aktion der Bürgerwehr wäre ein solches vielleicht unterblieben.

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