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Beim Saatgut beginnt die Freiheit

Interview mit Vandana Shiva über Kontaminierung, Monopole und Idiotie bei der Verwendung von Saatgut

ILA vom 13.08.2013
von Gerold Schmidt, ILA Nr. 367, S. 54-55

  Die ausgebildete Physikerin Dr. Vandana Shiva ist Feministin, alternative Nobelpreisträgerin (1993), Globalisierungskritikerin und als Umweltaktivistin in Indien und weltweit mit ihrer 1991 gegründeten Organisation Navdanya für die Vielfalt und Bewahrung traditionellen Saatgutes gegen die internationalen Biotechkonzerne engagiert. Ende April befand sie sich auf Einladung des Studienzentrums für den Wandel im mexikanischen Landbau (Ceccam) in Mexiko. Shiva nahm im Bundesstaat Oaxaca als Ehrengast und Zeugin an der nationalen Voranhörung des Permanenten Völkertribunals (TPP), Kapitel Mexiko, über die Kontaminierung des einheimischen Mais durch Genmais teil (zum Thema vgl. auch ila 362, Feb. 2013). Außerdem standen Presskonferenzen in Oaxaca und Mexiko-Stadt sowie öffentliche Vorträge auf ihrem Programm. Unter anderem sprach sie im völlig überfüllten Hörsaal der Physik-Fakultät der Nationalen Autonomen Universität Mexikos vor gut 1000 meist studentischen ZuhörerInnen*. Im Interview mit Gerold Schmidt äußerte sie sich zu Mexiko, dem Machtstreben von Konzernen wie Monsanto und der Saatgutsouveränität.

Vandana, wir führen das Interview in Mexiko. Warum haben Sie die weite Reise von Indien nach Mexiko unternommen?

Ich wollte meine Solidarität mit der Bewegung gegen den Genmais zeigen. Es existieren viele Gründe warum es keinen Platz für Genmais in Mexiko gibt. Diese Region hat der Welt die Maisvielfalt geschenkt. In jedem der Saatkörner stecken Millionen Jahre Evolution. Und tausende Jahre kleinbäuerlicher Züchtung. Das ist Intelligenz. In den 1980-er Jahren merkten Konzerne wie Monsanto, dass sie Lizenzgebühren für jede Saatgutpflanze einnehmen konnten, indem sie intellektuelle Eigentumsrechte für sich beanspruchten und die Intelligenz der Natur und der Bauern leugneten. Darum müssen sie die Saatgutvielfalt, die Saatgutsouveränität und die Nahrungsmittelsouveränität zerstören. Warum sollten ihnen Bauern Nutzungsgebühren zahlen, die über eigenes Saatgut verfügen? Mexiko ist die Wiege der Maisvielfalt. Mit der Vielfalt geht die Freiheit der Bauern einher, über ihr eigenes Saatgut zu verfügen. In Mexiko wird viel von der Gewalt gegen den Mais gesprochen, denn für alle indigenen Kulturen ist Saatgut nicht einfach eine Sache. Es bedeutet Kultur, Leben. Es handelt sich auch um einen Krieg gegen die Freiheit. Wir brauchen Saatgut-Souveränität, wir brauchen Saatgut-Vielfalt. Beim Saatgut beginnt die Freiheit.

Es sind viele Wege, auf denen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und die Konzerne, die sie forcieren, unser Saatgut, unsere Landwirtschaft, unsere Politik, unsere Ökonomie kontaminieren. Die genetische Verunreinigung steht klar an erster Stelle, aber sie geht auch Hand in Hand mit der Kontaminierung der Wissenschaft. Bei der Voranhörung des Permanenten Völkertribunals war Ignacio Chapela anwesend, der als erster die Kontaminierung einheimischer Sorten durch Genmais in Mexiko nachwies. Doch nicht nur seine Arbeit über die Verunreinigung war erhellend. Die Behandlung, die er durch Monsantos Leute erfuhr, zeigte, dass in deren Welt kein Platz für unabhängiges Wissen ist, sondern nur für kontaminiertes Wissen.

Den Konzernen geht es um Gewinne. Aber Sie haben hier in Mexiko noch andere Aspekte erwähnt.

Profitgier ist der Antrieb, aber daraus ist ein Krieg gegen die Natur und die Kultur geworden. Es geht nicht nur um Lizenzgebühren, sondern um ein tief greifendes Kontrollbedürfnis. Aus meiner Sicht liegt dies in einer profunden Angst begründet, einer Angst vor allem, was frei und lebendig ist. Darum ergreifen sie diese Freiheit und zerstören das Leben. Es ist diese Art von Angst, die auch zur Gewalt gegen Frauen führt. Warum bringen Männer Frauen um oder vergewaltigen sie? Aus Angst vor der Freiheit, der Ausgeglichenheit und der Integrität der Frau als unabhängige Person mit ihren eigenen Rechten. Sie hat Eigentum zu sein, muss unterworfen werden, muss wie eine Sache behandelt werden. Diese Art Denken steckt hinter dem, was Monsanto tut. Ich nenne sie Weltvergewaltiger unserer Kulturen und unserer Ökosysteme. Ich benutze diese Worte nicht leichtfertig. Ich nehme dies sehr ernst als eine enorme Gewalttätigkeit, denn jede Gewaltanwendung gegen unsere Erde oder gegen unsere Pflanzen in den Vielfaltszentren oder gegen die Freiheit der Menschen ist eine Vergewaltigung, denn sie richtet sich gegen ihre Unversehrtheit und zerstören sie. Die Perversion von Monsanto bei dieser kulturellen und ökologischen Vergewaltigung wird in der versuchten Einführung von Genmais in Mexiko deutlich.

Sie haben auf ihren Veranstaltungen in Mexiko viel über ihre Erfahrungen in Indien und Monsantos Genbaumwolle berichtet. Wie hat sich Monsanto dort durchgesetzt?

Wir haben gesehen, wie diese Zerstörung der Freiheit in Indien zu einem Genozid geführt hat. Monsanto kam mit seiner Genbaumwolle und kontrolliert nun 95 Prozent des Baumwollsaatgutes in Indien. 270 000 indische Bauern, weitestgehend aus den Baumwollregionen, haben Suizid begangen, weil sie verschuldet waren. In Indien gab es 1500 Baumwoll-Varietäten. Wir haben das weltweit führende Institut für Baumwollforschung. Bis 1998 verteilte das Institut Saatgut. 1998 stellten sie das ein. Gleichzeitig begann Monsanto, Saatgut-Unternehmen Indien aufzukaufen oder sich mit ihnen zu assoziieren. Die Bauern hatten auch ihr eigenes Saatgut. Monsanto überzeugte die Bauern, dass ihr Saatgut schlecht, primitiv sei. Sie kündigten eine neue Wundersaat an, die die Bauern laut Werbung zu Millionären machen würde. Anfangs schickten sie Wagen mit Videoleinwänden in die Dörfer. Je nach Region arbeiten sie mit Symbolen der Gottheiten, um ihr Saatgut anzupreisen. Die Bauern mit ihrem tiefen Vertrauen in ihre Heiligen glauben: Wenn der Heilige mir sagt, was zu tun ist, dann sollte ich das tun.

Was passierte? Das Saatgut der Regierung gibt es nicht mehr, das Saatgut der Bauern gibt es nicht mehr, also müssen die Bauern ihr Saatgut nun auf dem Markt kaufen. Und was gibt es auf dem Markt? Monsanto hat 60 indische Unternehmen in Lizenzverträge gezwängt, damit sie nur noch die gentechnisch veränderte Bt-Baumwolle verkaufen und den Verkauf ihres eigenen Saatgutes einstellen. In Indien kostete das öffentliche Baumwoll-Saatgut 5 Rupien pro Kilo, das Gensaatgut von Monsanto nun 4 000 Rupien. Bei einem Landbesuch informierte meine Kollegin mich über einen Suizid im Dorf und ich entschied, die Witwe zu besuchen. Ich fragte sie, warum ihr Mann sich umgebracht habe. Die Frau zeigte auf eine kleine Schachtel über der Feuerstelle. Die war voll von leeren Saatgutpackungen. Mir wurde klar, dass dieser Bauer viele, viele Marken ausprobiert hatte. Das Saatgut wird unter dem Namen Mahyco oder dem Namen Razi verkauft, unter dem Namen der indischen Unternehmen, die den Bauern vertraut sind. Aber in der Ecke jeder Packung befindet sich ein kleines Logo mit dem Namen Bollgard, der Bt-Baumwolle von Monsanto. Die Bauern merken gar nicht, dass es sich um Monsanto handelt. Sie denken, der Fehler liegt bei der Marke. Wenn es mit einer Marke nicht funktioniert, kaufen sie die nächste, haben sie damit keinen Erfolg, die nächste, und so weiter. Sie geben immer mehr Geld aus. Sie sind hoch verschuldet und was sie bekommen, ist einzig das Saatgut von Monsanto.

Die Vielfalt ist zerstört und die Monokulturen sind anfällig für Plagen, Dürren, Ausfälle. So gibt es dieses Jahr wegen einer schweren Dürre 40 Prozent Ausfall bei der Genbaumwolle in Indien. Die Transgene weisen nur zwei Eigenschaften auf: eine ist das Bt (Bacillus thuringiensis), ein Gift, das in die Pflanze eingebracht wird. Die zweite ist die Resistenz gegen Round Up Ready (Glyphosat), ein weiteres Gift, dem die Pflanze ausgesetzt wird. Alles was wir haben, sind also zwei giftige Anwendungen. Nicht mehr. Eine sollte Schädlinge kontrollieren, die andere Unkräuter. Beide Anwendungen versagen, sie haben Super-Schädlinge und Super-Unkräuter geschaffen.

Es kommt der Tag, an dem die Unternehmensvertreter am Ziel sind: Die Menschen unterschreiben ein Stück Papier, in dem steht: »Ich akzeptiere alle Kreditbedingungen und belaste mein Land mit einer Hypothek«. Und wenn er das Land für den Kredit hergeben muss, dann geht der Bauer auf das Feld und trinkt große Mengen Pestizid, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Jemand findet den Körper und sagt der Witwe »dein Mann liegt tot auf dem Acker«. Warum geht er auf seinen Acker? Weil sein Land, seine Mutter Erde ihm entrissen wurde. Vielleicht betrieben 30 oder 40 Generationen auf diesem Boden Landwirtschaft.

Die Baumwollernte geht in die Textilproduktion. Bei Nahrungsmitteln argumentieren die Biotech-Konzerne, dass ihre Landwirtschaft mehr produziert.

Kontaminierung ist eine Sache, Monopolstellung eine andere, aber der dritte Punkt ist Idiotie. Es sind die Vielfaltszentren für Saatgut in der Welt, wo die Bauern die ausgeklügelsten landwirtschaftlichen Systeme entwickelt haben. Sie haben die längste Erfahrung. Das Agrarwissen in unseren Gesellschaften ist reichhaltig. Wir könnten die Weltbevölkerung mehrfach ernähren, wenn wir uns weltweit nach der Arbeitsweise der Kleinbauern und nicht der Monsantos richten würden. Wir sprechen von Gesundheit pro Hektar und Ernährung pro Hektar, denn darum sollte es bei Nahrungsmitteln gehen. Monsanto produziert keine Nahrungsmittel sondern giftige Profitgüter. Im Übrigen: Nur 10 Prozent der Mais- und Sojaproduktion weltweit sind für die menschliche Nahrungskette bestimmt, werden direkt von den Menschen konsumiert. Der Großteil wird für Agrotreibstoffe und für tierische Futtermittel verwendet.

Seit ich mich in den 1980er Jahren mit der Grünen Revolution beschäftigte, habe ich gemerkt, dass die uniformen chemiegestützten Monokuluturen weniger Nahrung pro Hektar produzieren. Sie produzieren mehr, weil sie nur ein einziges Produkt anbauen. Wenn du nur Weizen anbaust, erhältst du mehr Weizen, aber wenn du ein bisschen Weizen, ein bisschen Erbsen, ein bisschen Senf anbaust, dann hast du ein bisschen Senf, ein bisschen Erbsen, ein bisschen Weizen, eine Grünfläche. Heute werden diese Grünflächen durch die Anwendung von Pestiziden gekillt.

Die unabhängige Forschung in der Welt zeigt uns, dass die indigenen Systeme, die biologisch vielfältigen Systeme, der ökologische Landbau, die kleinbäuerliche Landwirtschaft die Antwort für eine höhere Nahrungsmittelproduktion sind. Das GVO-System ist dagegen eine Garantie, Hunger und Fehlernährung zu produzieren, mit Müll zu füttern.** Die Hälfte der Menschen, die weltweit an Hunger leiden, eine Milliarde Menschen, produziert Nahrung. Warum essen sie nicht, was sie anbauen? Weil sie verschuldet sind, weil sie verkaufen müssen, was sie anbauen. Darum brauchen wir Ernährungssouveränität. Und es gibt keine Ernährungssouveränität ohne Saatgutsouveränität, denn das Saatgut steht an erster Stelle der Nahrungskette. Die Konzerne haben kein Nahrungssystem, sondern ein Vergiftungssystem.

* Das Video von der UNAM-Veranstaltung (mit spanischen und deutschen Untertiteln) befindet sich auf:



**Auf der Webseite der von Vandana Shiva gegründeten Organisation Navdanya können zu dieser Thematik zwei umfangreiche, auf Englisch verfasste Berichte jüngeren Datums heruntergeladen werden: Seed Freedom — A Global Citzens’ Report

 PDF-Link  
  http://www.navdanya.org/attachments/Seed%20Freedom_Revised_8-10-2012.pdf


und The GMO Emperor Has No Clothes

 PDF-Link  
  http://www.navdanya.org/attachments/Latest_Publications7.pdf


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

[i] Hinweis: Chiapas98 ist ein ehrenamtliches, nicht-kommerzielles Projekt. Sollten Sie nachweislich die Urheberrechte an einem der von uns verwandten Bilder haben und nicht damit einverstanden sein, dass es hier erscheint, kontaktieren Sie uns bitte, wir entfernen es dann umgehend.

 Quelle:  
  http://www.ila-web.de/ 
 

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