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Sub Marcos »verschwindet«

Das mediale Gesicht der Zapatisten kündigt seinen sofortigen Rückzug aus der 1. Reihe an

  • Luz Kerkeling
  • Lesedauer: 4 Min.
Der geheimnisumwitterte Subcomandante Marcos, Anführer der Zapatisten-Guerilla im Süden Mexikos, hat nach 20 Jahren seinen Rückzug von der Spitze der Organisation verkündet.

Die Überraschung war groß am vergangenen Sonntag in der Urwaldgemeinde La Realidad im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas: Am Ende der großen Trauerfeier für José Luis Solís López, genannt »Galeano«, einen Aktivisten der zapatistischen Bewegung, der am 2. Mai von regierungsnahen Paramilitärs erschossen wurde, ergriff Subcomandante Marcos das Wort. Der bekannte Sprecher und Militärchef der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN kündigte nach über 20 Jahren im Amt nicht weniger als seine sofortige Ablösung und sein »Verschwinden« an.

Seit dem 1. Januar 1994, als die EZLN ihre Rebellion gegen die Einparteienherrschaft, das neoliberale Freihandelsabkommen NAFTA, die Ausbeutung, den alltäglichen Rassismus, die tief verwurzelte Benachteiligung der Frauen und die Plünderung der indigenen Ländereien begann, stürzten sich die Medien regelrecht auf den wortgewandten Sprecher.

In seinem aktuellen Abschiedsbrief erinnert Marcos, einer der wenigen Mestizen der Bewegung, an die rassistische Arroganz der politischen Klasse und der Mainstream-Medien, die nicht in der Lage seien, die indigenen Menschen als Akteure zu begreifen: »Sie waren es gewohnt, die Indigenen von oben herab zu betrachten, sie waren gewohnt, uns erniedrigt zu sehen, ihr Herz hat unsere würdevolle Rebellion nicht verstanden«. Daraufhin sei nach einer kollektiven Entscheidung der mehrheitlich indigenen Führung der EZLN die Kunstfigur Marcos geschaffen worden, um die Anliegen der Bewegung für die Dominanzgesellschaft zu übersetzen.

Eine taktisch geschickte Auseinandersetzung mit den Medien gelang Subcomandante Marcos und anderen Persönlichkeiten der EZLN immer wieder. Seine humorvollen, analytisch-poetischen Kommuniqués und Briefe sowie seine bildreichen Erzählungen wurden weltberühmt. Unvergessen ist das »Intergalaktische Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit« von 1996, als über 3000 Aktivisten aus über 40 Ländern der Welt in La Realidad im Aufstandsgebiet der EZLN zusammenkamen, um eine »Internationale der Hoffnung«, eine horizontale Bewegung von unten gegen die Verwerfungen des globalisierten Kapitalismus aufzubauen. Das Treffen gilt bis heute als einer der Grundpfeiler der globalisierungskritischen Bewegungen.

Große Aufmerksamkeit zog 2001 auch der »Marsch von der Farbe der Erde« von Subcomandante Marcos und der EZLN-Kommandantur nach Mexiko-Stadt auf sich, der mit dem Auftritt von Comandanta Ester im mexikanischen Parlament endete, bei dem sie für eine Verfassungsänderung zugunsten der Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppen warb. Vor dem Parlament demonstrierten damals 250 000 Menschen für die Forderungen der EZLN.

Doch die Fixierung auf Marcos war nie unproblematisch: Teile der Linken verstiegen sich in einen übertriebenen Personenkult, sahen in Marcos eine Art postmodernen Che Guevara und verloren dadurch die soziale Basis und die emanzipatorische Programmatik der Bewegung aus dem Blick; die etablierte Politik und die Rechte freilich hassten den »Sub«, da die zapatistische Bewegung nicht ins System integriert werden konnte und unabhängig blieb. Die kommerziellen Medien degradierten Marcos zum Pop-Star und gewöhnlichen Politiker, der die Indigenen verführe, und liefern bis heute ein schiefes Bild von der Bewegung der Zapatistas: Gab es keine Auftritte, Briefe oder Kommuniqués von Marcos, wurde davon ausgegangen, dass die Bewegung geschwächt sei oder nicht mehr existiere und dass Marcos längst den Regenwald verlassen habe. Marcos selbst stellte mehrfach klar, dass seine Rolle zu groß geworden war und zog sich in den vergangenen Jahren zunehmend zurück.

Im Dezember 2013 wurden die bisherigen Aufgaben von Subcomandante Marcos an Subcomandante Moisés weitergereicht. Der Tzeltal-Indigene, der seit den 1980er Jahren in der EZLN aktiv ist, sieht die politisch-militärische Organisation in der Pflicht der zapatistischen Basis und betonte am vergangenen Samstag, dass die EZLN ihren Gemeinden gehorche und sich nur einbringe, wenn sie dazu aufgefordert werde.

In seinem Abschiedsbrief erläuterte Marcos, dass es heute eine neue Generation von Zapatistas gebe, die sehr wohl in der Lage sei, die Geschicke der Bewegung souverän in die Hand zu nehmen: »Es ist unsere Überzeugung und unsere Praxis, dass man für Rebellion und Kampf keine charismatischen Anführer oder Chefs braucht, keinen Messias und keinen Erlöser. Um zu kämpfen, braucht man nur ein wenig Anstand, etwas Würde und viel Organisation. Alles Weitere nutzt dem Kollektiv oder eben nicht«.

Unterdessen geht die anti-zapatistische Gewalt weiter. Im laufenden Jahr gab es mehrere Angriffe auf zapatistische Gemeinden, die am 2. Mai in einem Angriff auf das symbolträchtige zapatistische Zentrum La Realidad gipfelten. Bei der Aggression wurde der Zapatist Galeano exekutiert und mehrere Personen schwer verletzt. Die EZLN bezeichnete die Angreifer als »Paramilitärs« und unterstrich, dass es bei dem Angriff nicht um einen lokalen Konflikt unter Indigenen gehe, wie es die Regierung und die kommerziellen Medien darstellen, sondern dass es sich um eine gezielte Attacke gegen die Zapatistas zur Aufstandsbekämpfung handelt. Die jüngste Aggression stellt eine der massivsten Provokationen der zapatistischen Bewegung der letzten Jahre dar, die ohne Zweifel im Kontext der erfolgreichen Mobilisierungen steht, die die EZLN im vergangenen Dreivierteljahr realisiert hat. Hier ist vor allem die »Kleine zapatistische Schule« zu nennen, zu der insgesamt über 4000 solidarische Menschen aus aller Welt über 100 zapatistische Gemeinden besucht haben, um dort aus erster Hand von der Basis die Selbstverwaltungsprozesse kennenzulernen.

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