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Rundbrief von Heike

News vom 01.10.2003

  Liebe Freundinnen, Freunde, Familie

September ist fast vorbei und war ein interessanter Monat für mich.

Die WTO, Welthandelsorganisation tagte hier in Mexico, in Cancun, einem der schönsten Turistenzentren der Karibik. In Chiapas, wie auch in anderen Bundesstaaten Mexicos, vor allem Mexico City, Oaxaca und Guerrero fanden Informationscampagnen und Protestveranstaltungen statt. Vor allem Landarbeiterorganisationen und Studierende mobilisierten. Es sind ja auch die Bauern die als erstes unter der WTO Politik leiden. Eine Konsequenz des aktuellen internationalen Wirtschaftssystem, welches die WTO mit ihren Entscheidungen mit zu verantworten hat ist die Armut auf dem Land. Es klingt schon absurd das gerade die Bauern die unsere Lebensmittel produzieren nicht mehr überleben können. Regierungen der sogenannten Reichen Länder subventionieren landwirtschaftliche Produkte, welche dann zu billigen Preisen in sogenannte arme Länder exportiert werden. Ein Beispiel ist der subventionierte billige Mais, der von USA nach Mexico kommt. Mexicanische Bauern können ihren Mais nicht mehr verkaufen, das Land wird abhängig vom Import, Bauern verlieren ihr Land. Dasselbe passiert mit Kaffee und in anderen Ländern auch.

Von Chiapas reisten fast 200 Leute in 5 Bussen nach Cancun. Dazu einige in anderen Fahrzeugen. Ich hatte die Chance die Karawane zu begleiten. Die Mehrheit der teilnehmenden Indigene Bauern, einige AusländerInnen und einige wenige der NGOs. Im Vorfeld wurde Geld gesammelt, Lose, Videos, T-Shirts und Infomaterial verkauft, Anträge gestellt damit die Reise finanziert werden konnte. Die Leute vom Land hatten so einen billigeren Preis der Teilnahme. Die Anreise dauerte 27 Stunden, da wir in Villahermosa eine Pause machten mit einer Pressekonferenz. Wir passierten Kontrollen von Militär, Ausländerbehörde und Polizei. Da wir schon im Vorfeld unsere Sprecher gewählt hatten passierten wir die Kontrollen relativ schnell. Je näher wir an Cancun kamen desto nerviöser waren die Polizisten. Für die gesamte Zeit waren wir organisiert, eingeteilt in Busse und Kleigruppen, ein praktisches System für Information und Sicherheit. In Cancun lebten wir in einem offenen Camp in der Supermanzana 21. Die Stadt hatte uns Plastikplane, Duschen, Toiletten und Trinkwasser zur Verfügung gestellt. In der Nähe, im Beisbolstadium war ein Camp aus Mexico City und in der Sporthalle via Campesina, Bauerorganisationen verschiedener Bundesstatten und anderer Länder. Andere campten auf dem Palapa Platz und einige Leute wohnten in Hotels im Zentrum oder in der Hotelzone der Turisten. Es wurden viele interesante Foren angeboten. Einige zur Aufklährung über die aktuelle Wirschaftspolitik, speziell WTO, andere um Alternativen aufzuzeigen, wie das Forum und die Verkaufsaustellung des fairen Handels. Wieder in anderen ging es vor allem darum sich über Aktionen auszutauschen und zu mobilisieren. Hauptanliegen war es die WTO Politik zu zerstören, bzw. die Versammlung der WTO zu stören, zu erreichen das diese keinen Konsens finden um ihre bisherige Wirtschaftspolitik fortzuführen. So gab es Tag und Nacht verschiedene kreative Aktionen. Keine dieser Aktionen konnte das Treffen der WTO verhindern, aber doch behindern. Die meisten Proteste endeten an der Polizeimauer aus grossen Eisengittern von Polizisten mit Helm und Schlagstock bewacht. Mehrmal wurden einige dieser Eisengitter aufgeschnitten. Kleine Proteste gab es in der Hotelzone auf der Strasse am Eingang des Kongresszentrums der WTO. Aber auch die Eröffnungsrede des WTO Vorsitzenden wurde gestört von akreditierten NGOs. Für viele von uns war es aber schon nicht immer möglich uns in die Hotelzone zu begeben. Als wir am Tage unserer Abreise an einen der schönen Strände wollten wurde uns dieses von der Polizei verweigert.

Es gab 2 grosse Demonstrationen an denen die Gruppe Chiapas gemeinsam teilnahm. Drei Leute vom Netzwerk der Gemeindemenschenrechtsverteidiger und ich gingen als Beobachter. Wir hatten Kameras und Handy um jerzeit mit den Rechtsanwälten im Kontakt zu sein falls es zu Repression käme. Gewalt war wenig zu sehn. Einige Leute des schwarzen Blocks warfen Steine gegen Polizisten, welche irgendwann dann einige Steine zurück warfen. Ansonsten rannten in verschiedenen Momenten mit Schlagstock bewaffnete Polizisten durch die Stadt. Es gab einzelne Verhaftungen mit baldiger Freilassung. Das am meisten verletzte Menschenrecht war wohl die Reisefreiheit. Wer durfte in die Hotelzone, wer nicht. Rassismus, indigene wurden mehr zurückgewiesen als weisse Ausländer. Vielen Leuten, vor allem aus Mittelamerika wurde die Einreise nach Mexico verweigert. Im allgemeinen war aber die mexicanische Politik viel gewaltfreier als z.B. die USA in Seattle oder die italienische Regierung in Genova.

Die spektakulärste Aktion war der Selbstmord des koreanischen Bauern Lee. Darüber habt ihr bestimmt in den Nachrichten erfahren. Lee erstach sich auf dem Gitterzaun der Polizeiblockade an welchem die Demonstration am 10. endete. Nur wenige haben es gesehn. Die meisten haben es später erfahren. Eine Mischung der Gefühle von Unverständnis oder Bewunderung. Auf jeden Fall verdiente Lee den Respekt der Teilnehmenden. Am Nachmittag begannen dann Zeremonien mit Kerzen, Gebeten, Liedern auf eine Weise die international zusammen bringt. "WTO kills farmers" steht auf dem Schild was Lee getragen hat. Die WTO Politik hat schon viele Farmer getötet ohne das wir es sehn. Lee macht es öffentlich. Lee stirbt damit Bauern nicht sterben. Die Frauengruppe CODIMUJ unserer Chiapas Delegation waren dabei besonders aktiv mit Kerzen, Blumen und Gebeten Zeremonien zu leiten. Am Schluss der zweiten Grossdemonstration vermischten sie den Brunnen mit roter Farbe und Blumen, Symbol von Tod und Leben.

Schwer zu messen was die Mobilisationen von über 20 000 Menschen die hier Globalifobicos, und neuerdings Altermundistas genannt werden, in Cancun, und viele tausende mehr in Protesten auf der ganzen Welt erreichtt haben. Die WTO wurde nicht zerstört. Aber sie wurde doch relativ handlungsunfähig. Minister einiger sogenannter Armutsländer geraten in offenen Widerspruch zur Politik der Reichen. Es gibt Hoffnung auf Veränderung. So ist es wichtig weiterzuarbeiten..

Die Rückfahrt schaften wir in 19 Stunden. Alle wollten nach Hause. Eine Woche intensives Zusammenleben im Camp war auch genug. Nun gilt es auch die Erfahrungen zu Hause in den Gemeinden weiter zu tragen. Am Samstag kommen wir zu einem Evaluierungstreffen zusammen und um zu überlegen wie es weitergeht Kaum zurück in San Cristobal reiste ich wieder ab. Diesmal ins Caracol La Realidad. Diese Erfahrung möchte ich Euch auch noch mitteilen. Es ist nur eine kleine Geschichte innerhalb grosser politischer Dimensionen hier in Chiapas. Ich erinnere Euch an meinen Rundbrief im August zur Eröffnung der Caracoles. Die Zapatisten kündigten ihre "Juntas der Guten Regierungen (JBG)" an. Unter anderem verkündigten Sie alle Leute zu bediehnen die in ihrem Territorium leben, nicht nur Zapatisten.

Hier eine Geschichte. Rigoberto hat Schulden bei Armin. Er leiht Armin seinen Bus, damit dieser damit fährt und Geld verdient um damit seine Schulden zu begleichen. Zwei mal gerät der Bus in Brand und verliert an Wert. Armin verkauft den Bus zum halben Preis an Eduardo. Rigoberto will seinen Bus zurück. Als er eine offizielle Anzeige machen will verlangt die Staatsanwaltschaft Schmiergeld um Armin ins Gefängnis zu bringen. Das hilft weder Rigoberto noch Armin. So bittet Rigoberto die JBG in la Realidad um Rechtssprechung. Diese rufen die am Problem beteiligten zusammen. Es wird entschieden Armin muss Rigoberto den Bus bezahlen. Sein Vater soll das Geld besorgen, während Armin in La Realidad im Gefängnis wartet. Der Vater besorgt nicht das Geld, sondern erfindet Probleme zwischen verschiedenen Transportorganisationen und der Bauernorganisationen CIOAC, eine unabhängig, die andere regierungsnah. Eine Gruppe besoffener Männer entführt den Bus der Realidad, seinen Chauffer und Helfer, Jose Luis und Oscar. Sie werden in ein Dorfgefängnis gesteckt und treffen 3 andere Busfahrer der unabhängigen CIOAC die auch entführt und mishandelt waren. Diese 3 wurden bald befreit. Führer der ofiziellen CIOAC wollen einen Gefangenenaustausch erreichen. Die Zapatisten sind nicht dazu bereit. Der Vater von Jose Luis macht Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und bittet Hilfe bei Menschenrechttsorganisationen in San Cristobal. Diese versuchen Jose Luis und Oscar zu besuchen. Aber es wird ihnen jede Information verweigert. Jose Luis und Oscar sind praktisch verschwunden. Die JBG bitten um Besuch der Menschenrechtsorganisationen.

Die Zusammenarbeit der in diesem Bereich arbeitenden NGOs in San Cristobal funktioniert recht gut in solchen Notsituationen. Wir werden zusammen gerufen und organisieren eine Karawane nach La Realidad. Wir waren den ganzen Tag unterwegs. Mehrmals mussen wir Fahrzeuge aus dem Matsch befreien. Am Abend treffen wir uns im Haus de JBG. Sie erklähren uns den Fall und bitten um Hilfe. Vorschläge werden gemacht, politische, wie Eilaktionen und jusristische. Wir sprachen mit der Frau von Jose Luis und einem Onkel von Oscar und baten auch mit dem Gefangenen Armin zu sprechen. Am nächsten Morgen hatten wir dazu Gelegenheit. Er war nicht einverstanden das er den Bus bezahlen solle, denn Rigoberto hatte Schulden und die Zinsen mussten ja auch berechnet werden. Er gab aber zu den Bus verkauft zu haben, der ihm nicht gehörte.

Wir fuhren zurück nach Las Margaritas um mit dem Vater von Jose Luis zu sprechen. Der Vater war verzweifelt nach San Cristobal gereist um mit dem Menschenrechtszentrum zu sprechen. Die Mutter erzählte uns ein Onkel hätte Jose Luis gesehn in einem Auto mit einem Bezirksabgeordneten. Sind die beiden nun Gefangene der lokalen Regierung? Die Mutter ist verzweifelt. Die hat schon einen Sohn im Konflikt verloren, er wurde 1994 gefoltert und ermordet. Ihr Herz hält es nicht aus noch einen Sohn zu verlieren. Wir versprechen ihr alles zu tun ihren Sohn lebendig zu finden. Am späten Abend kommen wir zurück nach San Cristobal. Unterwegs planen wir eine Eilaktion zu starten. Gleichzeitig die Gedanken warum diese Entführungen. Ist es der Vater von Armin der den Bus nicht bezahlen will und deshalb das ganze Spiel iniziiert? Oder sind es Politiker die verhindern wollen das die zapatisatischen Regierungen Erfolge haben, offizielle Staatsorgane ihre Macht verlieren?

Am nächsten Morgen erreicht mich ein Anruf, "um 13 uhr werden die beiden Gefangenen freigelassen. Sie werden in Comitan offiziell dem Menschenrechtszentrum übergeben." Eine erfreuliche Nachricht. Wir reisen nach Comitan, diesmal eine kleinere Gruppe. Auf der Plaza eine grosse Versammlung, Demonstration der offiziellen, also regierungsnahen CIOAC. Mehr als tausend indigene Bauern aus der Region sind angereist. Der letzte Punkt ihrer Agenda die offizielle übergabe der Gefangenen. Miguel Angel, Führer der CIOAC hält lautstarke Reden, ihrer guten Tat die Gefangenen frei zu lassen. Gleichzeitig verlangt er die Befreiung Armins seitens der Zapatisten und droht weitere Massnahmen falls dieser nicht befreit wird. Jose Luis nimmt das Microfon und sagt "Wir haben nichts zu tun mit dem Fall Armin. Bestraft werden soll wer sich was zu Schulden kommen lässt. Wir gehn jetzt..." Im Auto habe ich Gelegenheit mit den Beiden zu sprechen. "Wir waren in einem kleinen Gefängnis eingesperrt. Bekamen nichts zu Essen, keine Decken, wurden aber ansonsten nicht misshandelt. Sie brachten uns in verschiedene Gefängnisse. Es gab Leute die uns besuchten, die sich entschuldigten das wir gefangen sind. Es waren sehr arme Leute und sie gaben uns zu essen. Wir assen wenig da wir auch keine Toilette hatten. Heute boten uns die Aufseher an uns zu waschen. Sie wollten uns neue T-Shirts anziehn. Wir aber verweigerten uns dieser Show. Und wir sind auch keine Ware zum handeln und schon gar nicht für einen Dieb..." Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Armin ist noch gefangen. Wer bezahlt den Bus von Rigoberto? Der Bus von La Realidad ist in Händen der ofiziellen CIOAC. Wie geht es weiter in diesem Fall? Und in vielen anderen die auf die JBG zukommen. Wie reagieren Staatsgewalt und organisierte Verbrecherbanden auf ein autonomes Justizsystem welches versucht Gerechtigkeit umzusetzen. Was ist Gerechtigkeit für Armin und was für Rigoberto? Und nicht zuletzt die Frage an uns, an Friedens und Menschenrechtsorganisationen: "Was tun wir um Grechtigkeit zu unterstützen und Menschenleben zu schützen?"

Ich werde hier den Rundbrief beenden. Übermorgen beginne ich eine Vortragsreise in die USA.

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