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Internationaler Appell: Landgrabbing in Mali (+ Aktion: 21.08.)

News vom 19.08.2014

  Hallo,

wir hatten in der letzten Woche bereits darauf hingewiesen, dass am kommenden Donnerstag (21.08.) um 11 Uhr vor der Malischen Botschaft in Berlin (Kurfürstendamm 72, U-Bahnhof Adenenauerplatz) eine Kundgebung gegen Landgrabbing stattfinden wird, und im Anschluss auch vor dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in der Stresemannstr. 94.

Diesbezüglich ist nunmehr auch der Internationale Appell fertig geworden, der genauer über die Situation informiert. Wir würden uns nicht nur über zahlreiche TeilnehmerInnen an der Kundgebung freuen − genauso wichtig wäre uns, dass der Aufruf möglichst stark verbreitet wird bzw. auf Webseiten und Blogs dokumentiert wird (gerade weil der Bereich Landgrabbing ein Thema ist, das von unterschiedlichen Seiten aus thematisiert werden sollte).

Schließlich: Der Appell steht auch auf französisch (und ab morgen mittag auch auf englisch) zur Verfügung. Beides kann über unsere Webseite runtergeladen werden.

Mit besten Grüße

NoLager Bremen


August 2014: Internationaler Appell der europäischen Sektion von Afrique-Europe-Interact [*]

Sanamadougou und Sahou müssen bleiben: Landraub stoppen — in Mali und überall sonst!

Anfang 2013 ist Mali kurzzeitig in die internationalen Schlagzeilen geraten. Islamistische Milizen hatten den Norden des Landes besetzt, es folgte eine internationale Militärintervention unter Führung Frankreichs, in deren Verlauf zumindest größere Städte wie Timbuktu und Gao befreit werden konnten. Und doch hat sich das Leben für die Masse der Bevölkerung kaum verändert — weder im Norden noch in den übrigen Landesteilen.

Besonders dramatisch ist die soziale Lage von Kleinbauern und -bäuerinnen, die ungefähr 75 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Stellvertretend dafür stehen die beiden Dörfer Sanamadougou und Sahou 270 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bamako. Noch im Jahr 2009 haben diese zur Linderung einer landesweiten Ernährungskrise 40 Tonnen Hirse an die malische Regierung gespendet, heute sind sie selber auf Lebensmittellieferungen angewiesen. Denn im Zuge des weltweit boomenden Ausverkaufs fruchtbarer Acker-, Wald- und Weideflächen an Investmentfonds, Banken und Konzerne ist es auch in Sanamadougou und Sahou zu gewaltsamen Vertreibungen gekommen. Zudem mussten die BewohnerInnen die schmerzliche Erfahrung machen, dass bäuerlicher Widerstand selbst in vergleichsweise liberal regierten Ländern wie Mali oftmals brutal unterdrückt wird. Beides hat Sanamadougou und Sahou weit über Mali hinaus bekannt gemacht — als ein Symbol für den Kampf um kollektive Bodenrechte und somit Ernährungssouveränität.

Begonnen hat es am 31. Mai 2010. Damals hat der malische Großinvestor Modibo Keita mit seiner Firma Société Moulins Modernes du Mali einen über 30 Jahre laufenden Pachtvertrag von 7.400 Hektar in der Region M’Bewani Séribabougou abgeschlossen — und zwar mit der Option, in einer zweiten Phase weitere 20.000 Hektar zu erhalten (eine riesige Fläche, die insgesamt ca. 37.000 Fußballfeldern entsprechen würde). Doch die örtlichen Rahmenbedingungen passten Modibo Keita nicht — einem bestens mit der politischen Klasse in Bamako vernetzten Unternehmer, der vor allem im Getreidehandel ein riesiges Vermögen angehäuft hat. Er unterbreitete daher verschiedenen 30 Kilometer weiter südlich gelegenen Dörfern das Angebot, ihr Land gegen lächerliche Geldbeträge, Geschenke oder Ersatzflächen abzugeben. Alle lehnten ab, lediglich ein Dorf tauschte 800 Hektar gegen eine kleine Fläche bewässertes Ackerland. Modibo Keita nutzte dies, um sich von dort aus weitere Flächen räuberisch unter den Nagel zu reißen, so auch diejenigen von Sanamadougou und Sahou — wobei es in einem aktuellen Regierungsbericht heißt, dass die Flächen just jener beiden Dörfer von einem 400 Hektar-Ableger im Rahmen seines allgemeinen 7.400 Hektar-Deals juristisch abgedeckt seien. Inwiefern dies zutreffend oder lediglich eine nachträgliche Schutzbehauptung ist, sei dahingestellt. Fakt ist allerdings, dass Mobido Keita rasch zwei Bewässerungskanäle errichtete, die Bauern und Bäuerinnen am Zutritt zu ihren Feldern behinderte und stattdessen selber begann, in großen Stil Kartoffeln und andere Kulturen anzubauen (wenn auch mit mäßigem Erfolg).

Die Bauern und Bäuerinnen setzten sich von Anfang an massiv zur Wehr, zumal der erste große Schock bereits kurz nach Vertragsunterzeichnung erfolgte: Am 18. Juni 2010 ließ Modibo Keita in Sanamadougou ohne jede Ankündigung zahlreiche uralte Bäume fällen, die für die bestens an die äußeren Bedingungen angepasste Agroforstwirtschaft des Dorfes unentbehrlich waren. Doch Modibo Keita hatte 70 Gendarmen mitgebracht, die gewaltsam gegen die friedlich auf ihren eigenen Feldern protestierenden Bauern und Bäuerinnen vorgingen. Rund 40 Personen wurden verhaftet, 8 blieben bis zu 6 Monate in Haft. Später folgten nächtliche Überfälle in Sanamadougou und Sahou durch Gendarmerie und Nationalgarde — einschließlich gezielter Vergewaltigungen. Eine ältere Frau wurde vor den Augen ihres Sohnes zu Tode geprügelt, andere wurden schwer verletzt, zwei Frauen erlitten Fehlgeburten.

Die BewohnerInnen ließen sich unterdessen nicht einschüchtern, sie schrieben Briefe an verschiedene PolitikerInnen und RegierungsvertreterInnen, beteiligten sich an Demonstrationen und nahmen an nationalen und internationalen Bauernversammlungen teil. Mehr noch: Mit Hilfe von CMAT (»Convergence Malienne contre les Accaparements de Terres«), einem Zusammenschluss verschiedener Bauern- und Menschenrechtsorganisationen, strengten sie einen Gerichtsprozess in Markala an, der zwar am 22. Februar 2012 eröffnet, dann aber ebenfalls verschleppt wurde. Daran hat sich auch nichts geändert, nachdem am 22. März 2013 auf einen Kabinettsbeschluss hin der Minister für Raumplanung und Dezentralisierung den zuständigen Gouverneur von Segou in einem Brief ausdrücklich aufforderte, dem ungesetzlichen und menschenrechtswidrigen Treiben von Modibo Keita ein Ende zu setzen.

Heute ist die Situation zugespitzter denn je — vor allem durch den Hunger, welcher mittlerweile insbesondere die Bevölkerung von Sanamadougou fest im Griff hält und somit abhängig von der Unterstützung durch Nachbardörfer oder einzelne Familienmitglieder in Bamako oder im Ausland macht. Die Alternative ist insofern klar: Entweder die Bauern und Bäuerinnen erhalten ihr Land zurück oder sie müssen gehen — so wie das allein seit vergangenem Mai 23 Haushalte in Sanamadougou getan haben.

Die Erfahrungen von Sanamadougou und Sahou sind keineswegs Ausnahmen. Vielmehr hat der malische Staat seit 2003 mindestens 540.000 Hektar Boden verkauft und über weitere 379.000 Hektar Vorverträge abgeschlossen (Stand: Mai 2011) — und das zu Gepflogenheiten, die auch in anderen Weltregionen gang und gäbe sind: Geheim, das heißt ohne Konsultation der lokalen Bevölkerung, unter Verzicht auf Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen sowie zu grotesk günstigen Konditionen, wozu unter anderem niedrigste Pachtzinsen bzw. Kaufpreise, jahrzehntelange Steuernachlässe (»tax holiday«) und nicht kosten-deckende Wassergebühren gehören. Hinzu kommen innerstädtische Vertreibungen und Landenteignungen durch korrupte PolitikerInnen und VerwaltungsbeamtInnen. Vor allem die Enteignungspolitik ist ein in Mali seit langem öffentlich diskutierter Skandal, sie findet hauptsächlich im Office du Niger statt — einem riesigen, vom Niger gespeisten Bewässerungsgebiet, zu dem auch Sanamadougou und Sao gehören (wenn auch ohne Anschluss an das Kanalsystem). Konkret: Können Bauern und Bäuerinnen am Ende des Erntezyklus ihre Wasserrechnung nicht bezahlen, wird ihr Land entschädigungslos konfisziert, selbst nach jahrzehntelanger Bewirtschaftung.

Offiziell wird der Ausverkauf fruchbarer Flächen damit gerechtfertigt, dass die Pächter bzw. Käufer einen allgemeinen Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten würden. Die Beispiele von Sanamadougou und Sahou zeigen aber, dass dies nicht der Fall ist. Denn statt Ernährungssicherung zu garantieren, werden Bauern und Bäuerinnen in großer Zahl vertrieben. Oft sehen sich einzelne Familienmitglieder gezwungen, in die Migration zu gehen — meist nach Westafrika, einige auch Richtung Europa. Hinzu kommt, dass auf den geraubten Flächen nicht zuletzt Exportgetreide und Agrosprit-Pflanzen angebaut werden. In Mali beträgt der Anteil an Agrosprit-Pflanzen 40 Prozent, afrikaweit sogar 66 Prozent. Schließlich das ökologische Desaster: Agrarindustrielle Landwirtschaft spitzt die Bodenauslaugung zu, verschärft den Klimawandel und führt zur Senkung der Fluß- und Grundwasserspiegel (»Watergrabbing«).

Zurück nach Sanamadougou und Sahou: Beide Dörfer stehen am Scheidepunkt, es muss etwas passieren. Kurzfristig brauchen die BewohnerInnen Nahrungsmittelunterstützung, grundsätzlich ist ihnen jedoch das Land zurückzugeben und eine Wiedergutmachung für die erlittenen Schäden zu erstatten (unabhängig davon, ob Modibo Keita einen echten Besitztitel vorweisen kann oder nicht). Wir fordern die malische Regierung deshalb dazu auf, die hierfür erforderlichen Maßnahmen schnellstmöglich zu ergreifen. Des Weiteren dürfte mittelfristig kein Weg daran vorbeiführen, insbesondere die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu unterstützen, die bis heute die Ernährungssicherheit in Mali maßgeblich gewährleistet (wie im Übrigen überall auf der Welt). Denn es darf nicht sein, dass einzelne Investoren 20.000, 50.000 oder gar 100.000 Hektar Land erhalten, während die ärmere Hälfte der ohnehin armen 600.000 Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger zusammen gerade mal 85.000 Hektar besitzt. Schließlich sollte auch dem Gewohnheitsrecht an Boden uneingeschränkte Geltung verschafft werden, wie es in Kapitel 43 des malischen Bodenrechts vorgesehen ist. Danach kann individuell bzw. kollektiv genutztes Land nur unter der Bedingung enteignet werden, dass dies dem Gemeinwohl dient. Und im Falle von Sanamadougou und Sahou noch nicht einmal das. Denn die beiden uralten Dörfer haben das Land bereits in vorkolonialer Zeit und somit vor der offiziellen Registrierung des Bodens durch staatliche Stellen bewirtschaftet, so die Dorfchefs in einem im Juli 2014 an den Premierminister verfassten Brief.

Demgegenüber möchten wir die deutsche Bundesregierung auffordern, ihren Einfluss geltend zu machen und sich im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit für eine Rückgabe des geraubten Landes an Sanamadougou und Sahou einzusetzen. In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, was in Bamako als offenes Geheimnis gilt: Nämlich, dass die von Modibo Keita verwendeten Maschinen aus Mitteln abgezweigt wurden, mit denen Deutschland im Jahr 2004 unter anderem den Anbau von Kartoffeln gefördert hat. Zudem sollte Deutschland sämtliche Maßnahmen einstellen, die Landgrabbing ermöglichen bzw. begünstigen — wie zum Beispiel die im Rahmen der europäischen Biodieselrichtlinie vorgesehenen Beimischungsquoten von Agrotreibstoffen.

Dieser Aufruf ist in Europa entstanden, daher sei abschließend aus dem schon erwähnten Brief der beiden Dorfchefs zitiert: »Trotz der fast vollständigen Enteignung unserer Felder bleiben wir dabei, den Erhalt unserer Dörfer einzufordern, unserer Felder, unserer fruchtbaren Bäume, unserer historischen und kulturellen Stätten, die unsere Werte und Orientierungspunkte verkörpern — gestern, heute und morgen.«

[*] Das transnationale Netzwerk Afrique-Europe-Interact arbeitet mit BewohnerInnen verschiedener Dörfer im Office du Niger zusammen — unter anderem aus Sanamadougou und Sahou. VertreterInnen der malischen und europäischen Sektion von Afrique-Europe-Interact haben die beiden Dörfer in diesem Jahr bereits mehrfach besucht, insbesondere um gemeinsame Aktionen vorzubereiten. Im August 2014 hat Afrique-Europe-Interact 10 Tonnen Hirse zur Überbrückung der aktuellen Hungersnot gespendet.

 Quelle:  
  http://www.afrique-europe-interact.net 
 

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