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Über Ayotzinapa, das Festival und über die Hysterie als Methode
der Analyse und Anleitung für die Aktion. Subcomandante Insurgente Moisés
Kommunique vom 14.12.2014 |
übersetzt von Christine, RedmycZ, Revision: Eva |
14. Dezember 2014
Über Ayotzinapa, das Festival und über die Hysterie als Methode der Analyse und Anleitung für die Aktion. Subcomandante Insurgente Moisés
Zapatistische Nationale Befreiungsarmee Mexiko
Dezember 2014.
An die Compañeras und Compañeros der nationalen und internationalen Sexta:
An den Nationalen Indigenen Kongress:
An die Angehörigen und Compañeros der Ermordeten und Verschwundenen von Ayotzinapa:
Schwestern und Brüder:
Compañeros und Compañeras:
Viele Dinge sind es, die wir euch sagen möchten. Wir werden nicht alles sagen, denn wir wissen wohl, dass es jetzt dringendere und wichtigere Dinge für alle, für Männer, Frauen und AnderE zu tun gibt. Aber wie dem auch sei, es sind viele Dinge und es ist lang unser Wort. Daher bitten wir um Geduld und um aufmerksames Lesen.
Wir die Zapatistinnen und Zapatisten, befinden uns hier, hier sind wir. Und von hier aus schauen wir, hören wir, lesen wir, dass das Wort der Familienangehörigen und Compañeros der Ermordeten und Verschwundenen von Ayotzinapa beginnt, ins Hintertreffen zu geraten und dass es jetzt für einen Teil von jenen, die sich dort befinden, jene von dort, wichtiger ist...
Das Wort von Anderen auf den Tribünen,
Die Diskussion darüber, ob die Protestmärsche und Demonstrationen denen gehören, die sich brav aufführen oder den schlecht Erzogenen,
Die Diskussion darüber, welches Thema am meisten und am schnellsten in den social Networks erwähnt wird,
Die Diskussion über die einzuschlagende Taktik und die Strategie, um die Bewegung zu ´transzendieren´.
Und wir glauben, dass die 43 von Ayotzinapa weiterhin fehlen, dass die 49 des Kindergartens ABC fehlen, dass Tausende von Ermordeten und Verschwundenen Männern und Frauen, Mexikaner und Mexikanerinnen und Migranten und Migrantinnen fehlen, und dass die Gefangenen, Männer und Frauen und die politischen Verschollenen, Männer und Frauen fehlen.
Und wir glauben, dass die Wahrheit weiterhin entführt ist, und dass die Gerechtigkeit noch immer verschwunden ist.
Und wir glauben auch, dass wir die Legitimität und die Autonomie ihrer Bewegung respektieren müssen.
Wir Zapatistinnen und Zapatisten hören ihre Stimmen direkt an. Tausende der zapatistischen Unterstützungsbasismitglieder haben das getan und ihre Stimmen kamen dadurch Hunderttausenden von Indigenen zu Ohren. Ihre Stimme sprach daher dann auf tzeltal, chol, tojolabal, tzotzil, zoque, kastillisch zu unserem kollektiven Herzen.
Diese Stimmen haben Urteilsvermögen, sie wissen, wovon sie sprechen und ihr Herz ist wie das unsere, wenn es Schmerz und Wut wird. Sie kennen ihren Weg und sie gehen ihn.
Sie kennen sich selbst. Sie kennen uns in unserer Wut und unseren Schmerzen. Wir müssen ihnen nichts lehren. Wir müssen alles von ihnen lernen.
Daher schicken wir ihnen jetzt unser Wort um sie zu umarmen, weil jetzt versucht wird, ihre Stimme zu überdecken, ihre Stimme zum Schweigen zu bringen, sie ins Vergessen zu verbannen oder ihre Worte zu verdrehen.
Daher sagen wir, dass es das Erste und Wichtigste ist, die Familienangehörigen und die Compañeros der Verschwundenen und Ermordeten von Ayotzinapa anzuhören. Diese Stimmen sind es, die das Herz von Millionen Menschen in Mexiko und auf der ganzen Welt berührt haben.
Diese Stimmen sind es, die auf Schmerz und Wut hingewiesen haben, die das Verbrechen angeklagt haben und auf den Verbrecher mit dem Finger gezeigt haben.
Die Wichtigkeit dieser Stimmen wird sowohl von der Regierung anerkannt, die deshalb versucht, sie zu delegitimieren, wie auch von den Geiern, die versuchen, sie zu verdrehen.
Wir tun alles, damit diese Stimmen wieder ihren Platz und ihre Richtung einnehmen.
Diese Stimmen haben den Verleumdungen widerstanden, sie haben den Erpressungsversuchen widerstanden, sie haben der Bestechung widerstanden. Diese Stimmen haben sich nicht verkauft, sie haben nicht aufgegeben, sie sind nicht gewankt, sie haben nicht kapituliert.
Diese Stimmen sind solidarisch. So wissen wir zum Beispiel, dass damals, als immer mehr Jugendliche im Gefängnis saßen und die ´Wohlerzogenen´ diesen solidarischen Stimmen rieten, sich nicht mit den Gefangenen aufzuhalten, dass die Befreiung derselben nicht wichtig sei, denn es sei doch eindeutig klar, dass die Regierung die Bewegungen mit ´Eingeschleusten´ zersetze, da sagten die würdigen Stimmen der Familienangehörigen und Compañeros der 43 sinngemäß, dass für sie die Freiheit der Festgenommenen Teil des Kampfes um das lebende Zurückbringen der Verschwundenen sei. Das heißt, wie man so schön sagt, diese Stimmen haben sich nicht erpressen lassen und sie haben auch nicht den billigen Köter von den ´Spionen´ gefressen.
Es ist wahr, diese Stimmen haben das Glück gehabt, eine Bewölkung vorzufinden, die für folgende zwei Grundsatze empfänglich ist: die Übersättigung und die Empathie. Übersättigung durch die ´klassische´ Form der Macht und Empathie unter denen, die unter deren Übergriffen und Exzessen leiden.
Das gab es aber auch schon in anderen Kalendern und anderen Geographien. Weshalb Ayotzinapa auf dem Weltkalender aufscheint ist wegen der Würde der Familienangehörigen und Compañeros der jungen Ermordeten und Verschwundenen. Ihr zähes und kompromissloses Bestehen auf der Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit.
Und in ihrer Stimme erkannten sich viele Männer und Frauen wider, auf dem ganzen Erdenrund. Aus ihren Worten sprachen andere Schmerzen und andere Wut.
Und ihre Worte haben uns so viele Dinge in Erinnerung gerufen. Zum Beispiel:
Dass die Polizei nicht Raube untersucht; die Polizei kidnappt, foltert, lässt Menschen verschwinden und ermordet sie, egal ob sie einer politischen Partei angehören oder nicht.
Dass die Institutionen, die wir haben, nicht dazu dienen, um die Empörung in Bahnen zu lenken, die Institutionen provozieren die Empörung.
Dass das System keine Lösungsvorschläge für das Problem hat, denn es ist das Problem.
Dass seit langer Zeit und an vielen Orten:
Die Regierungen nicht regieren sondern simulieren;
Die Vertreter nicht vertreten sondern verdrängen;
Die Richter nicht Recht sprechen sondern es verkaufen;
Die Politiker nicht Politik machen sondern Geschäfte;
Die öffentliche Ordnungsmacht nicht öffentlich ist noch Ordnung schafft sondern Schrecken im Dienste derer, die am besten zahlen;
Gesetzlichkeit die Maske für die Ungerechtigkeit ist;
Die Analytiker nicht analysieren , sie übertragen ihre Zuneigungen oder ihre Abneigungen auf die Realität;
Die Kritiker keine Kritiken machen, sie übernehmen und verbreiten Dogmen;
Die Berichterstatter nicht berichten, sie erzeugen und verbreiten Parolen;
Die Denker nicht denken, sie springen auf das gerade in Mode stehende Pferd auf;
Das Verbrechen nicht bestraft wird; es wird belohnt;
Die Dummheit nicht bekämpft wird, sie wird verherrlicht;
Armut der Lohn für jene ist, die den Reichtum produzieren.
Denn es ist nämlich so, Freunde und Feinde, dass der Kapitalismus sich vom Zerstörungskrieg ernaehrt.
Denn die Epoche ist vorbei, in der das Kapital Frieden und soziale Stabilität brauchte.
Denn in der neuen Hierarchie innerhalb des Kapitals ist das spekulative jenes das regiert und befiehlt, und seine Welt ist die Korruption, die Straflosigkeit und das Verbrechen.
Denn es ist so, dass der Albtraum von Ayotzinapa weder ein lokaler noch bundesstaatlicher noch landesweiter ist. Es ist ein weltumspannender Albtraum.
Denn es ist so, dass es nicht nur gegen Jugendliche und gegen Männer geht. Es ist ein Krieg mit vielen Kriegen: der Krieg gegen das Andere, der Krieg gegen die Originalvoelker, der Krieg gegen die Jugend, der Krieg gegen jene, die durch ihre Arbeit den Lauf der Welt möglich machen, der Krieg gegen die Frauen.
Denn es ist so, dass die Feminizide so alt, so alltäglich sind und so allgegenwärtig in allen Ideologien, dass er in den Akten bereits als ´natürlicher Tod´ bezeichnet wird.
Denn es ist so, dass es sich um einen Krieg handelt, der immer wieder einen Namen im Kalender und in der Geographie von irgendjemand bekommt: Erika Kassandra Bravo Caro: Frau, Jung, Arbeiterin, Mexikanerin, 19 Jahre, gefoltert, ermordet und enthäutet im ´friedlichen´ (in den Worten der zivilen, militärischen und medialen Autoritäten) mexikanischen Bundesstaat von Michoacan. ´Ein Verbrechen aus Leidenschaft´ werden sie sagen, ganz so wie sie ´Kollateralschaeden´sagen, wie man so sagt ´ein lokales Problem in einem Gemeindebezirk der mexikanischen Provinz von...(geben Sie hier den Namen irgendeines föderativen Staates ein)´, so wie man sagt ´es ist in Einzelfall, da kann man nichts machen´
Denn es ist so dass Ayotzinapa und Erika nicht die Ausnahme sind, sondern die Bestätigung der Regel im kapitalistischen Krieg: die Zerstörung des Feindes.
Denn es ist so, dass wir in diesem Krieg alle Feinde sind, alle Männer, Frauen, alle.
Denn es ist so, dass das der Krieg gegen alles ist, in all seinen Formen, und überall.
Denn es ist so, dass es genau darum geht, dass es genau immer darum ging: um einen Krieg, jetzt gegen die Menschheit.
In diesem Krieg haben die von unten in den Familienangehörigen und Compañeros der Fehlenden von Ayotzinapa ein erweitertes Echo ihrer Geschichte gefunden.
Nicht mehr nur in ihrem Schmerz und ihrer Wut, vor allem in ihrem sturen Streben, Gerechtigkeit zu finden.
Und mit ihrer Stimme wurden die Lügen des Konformismus beendet, des ´wir halten alles aus´, des ´es ist ja nichts passiert´, des ´die Veränderung steckt in einem/uns selbst´.
Aber mitten drinnen zwischen Schmerz und Wut, flattern oben neuerlich die Geier über den ausgedehnten Fleck des Todes und der genannten Verschwundenen.
Denn wo die einen ungerechtfertigte Absenzen zählen, dort zählen andere Stimmen, Fensterscheiben, Posten, Bezeichnungen, Schlagzeilen, Märsche, Unterschriften, likes, follows.
Aber man darf nicht zulassen dass das Zählen, das von Bedeutung ist, im Hintergrund bleibt.
Wir, die Zapatistinnen und Zapatisten der EZLN glauben, dass es so wichtig ist, zu erreichen, dass die Stimmen der Familienangehörigen und Compañeros der Ermordeten und Verschwundenen von Ayotzinapa ihren Platz wiedereinnehmen, sodass wir beschlossen haben:
1. Unseren Platz im Ersten Weltfestival der Widerstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus an die Familienangehörigen und Compañeros der ermordeten und verschwundenen Normalistas von Ayotzinapa abzutreten. Wir glauben, dass in ihren Stimmen und Gehör es ein weitherziges Echo geben wird in und für alle jene, die persönlich oder in der Distanz am Festival teilnehmen werden.
2. Daher wenden wir uns an die Compañeros des Nationalen Indigenen Kongresses der verschiedenen Veranstaltungsorte, an die Gemeinsame Kulturfestival − Kommission des CNI-Sexta und an jene, die unsere Delegation bezüglich Transport, Unterbringung, Verpflegung, Sicherheit und Gesundheit unterstützen werden, um sie zu bitten, dass sie ihre Anstrengungen den Familienangehörigen und Compañeros der Normalistas von Ayotzinapa, die wir heute alle brauchen, widmen. Daher bitten wir, dass sie sie betreuen, anhören und mit ihnen sprechen, so als ob sie eine/einer der 20 Zapatistinnen oder Zapatisten wären, denn unsere Delegation wird aus 10 Frauen und 10 Männern bestehen.
3. Daher bitten wir voller Respekt, dass die Familienangehörigen und Compañeros der Fehlenden von Ayotzinapa unsere Einladung annehmen und eine Delegation von 20 Personen, 10 Frauen und 10 Männer delegieren und als Ehrengäste am Weltfestival der Widerstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus teilnehmen mögen, das vom 21. Dezember 2014 bis 3. Jänner 2015 stattfinden wird. Für uns Zapatistinnen und Zapatisten war es sehr wichtig, sie direkt anzuhören. Wir glauben dass es sehr gut wäre, wenn allen Teilnehmern am Festival die gleiche Ehre zuteil würde, wie man sie uns gewährt hat. Und wir glauben auch, für euch wird es von großer Bedeutung sein, andere geschwisterliche Widerstaende und Rebellionen in Mexiko und auf der ganzen Welt kennenzulernen. Und dann werdet ihr sehen, wie groß und verbreitet das ´ihr seid nicht allein´ ist.
4. Die EZLN wird am Festival teilnehmen. Unser aufmerksames und respektvolles Gehör wird dort sein, wie eines mehr unter Compañeras und Compañeros der Sexta. Nicht auf der Tribüne oder an einem speziellen Ort. Wie Schatten werden wir sein, zusammen mit allen anderen, zwischen allen anderen, hinter allen anderen.
5. Unser Wort für den Gedankenaustausch ist bereits auf einem Video festgehalten. Die ´los Tercios Compas´ wurden instruiert, dass sie dieses allen Festival-Veranstaltungsorten sowie den freien, alternativen, unabhängigen, autonomen, oder wie sie sonst noch heißen mögen, Medien zukommen lassen sollen, die der Sexta angehören, damit sie es zu der Zeit und auf die Art veröffentlichen können, wie sie das als richtig erachten.
6. Am 31. Dezember 2014 und am 1.1.2015 wird es uns eine Ehre sein, im Caracol Oventik als Ehrengäste die Männer und Frauen zu empfangen, die mit ihrem Schmerz und ihrer Wut auf der ganzen Welt die Fahne der Würde erhoben, die wir von unten und links sind.
7. Aber nicht nur, wir nützen auch die Gelegenheit um alle Männer, Frauen und AnderE der nationalen und internationalen Sexta, mit oder ohne Gesichtsmaske einzuladen, an diesem großen Gedankenaustausch teilzunehmen, damit sie von ihrer Geschichte erzählen und die Andere, den Anderen, anhören.
-*-
Uber die Hysterie als wissenschaftliche Methode zur Analyse und Anleitung für die Aktion.
Wir die Zapatistinnen und Zapatisten befinden uns hier, hier sind wir. Und von hier aus schauen wir euch an, hören wir euch an, lesen wir.
Bei den letzten Mobilisierungen für Wahrheit und Gerechtigkeit für die Normalistas von Ayotzinapa hat sich der Disput wiederholt, um das Wie der Mobilisationen, das geht so weit, dass jetzt die kriminalisiert werden, die folgendem Stereotyp angehören: Jung, mit verdecktem Gesicht, schwarze Kleidung und dazu sind sie bzw. ähneln sie Anarchisten. Kurz gesagt, sie benehmen sich ungebührlich. Und deshalb müssen sie ausgeschlossen werden, deshalb muss mit Fingern auf sie gezeigt werden, deshalb müssen sie festgenommen werden, gefesselt, der Polizei übergeben werden oder dem gerechten Zorn der progressiven Sektoren.
Bis dahin sind sie gekommen mit Reaktionen, die der Hysterie nahe kamen oder total hysterisch waren; dann gab es Fälle von Schizophrenie unter Verhinderung einer begründeten Argumentation oder einer nötigen Debatte.
Obwohl wir das schon früher erlebt haben (im Streik der UNAM 1999-2000, 2005-2006 und 2010-2012), erlaubt die Wiederaufnahme dieser Methode der Analyse und dieses Leitfaden für die Aktion der gut erzogenen Linken einige Überlegungen:
Die Familienangehörigen und Compañeros der Ermordeten und Verschwundenen von Ayotzinapa so wie von Zehntausenden von Verschwundenen und Ermordeten verlangen weder Almosen noch Mitleid, sie verlangen Wahrheit und Gerechtigkeit.
Wer hat das Recht vorzuschreiben, dass diese Forderungen, die die Forderungen jedes menschlichen Wesens auf jeglichem Ort der Erde sind, auf diese oder jene Weise ausgedrückt werden müssen? Wer schreibt das ´Handbuch der guten und schlechten Manieren´ um Schmerz, Wut und Ablehnung auszudrücken?
Aber gut, man kann und muss darüber diskutieren, wie das Wort »compañer@» besser klingt. Mit einer kehligen Stimme von der Höhe einer Tribüne herab oder mit einer zerbrochenen Fensterscheibe. Mit einem »Trending Topic« oder mit einem Polizeistreifewagen in Flammen. Mit einem blog oder mit einem Graffiti. Oder mit allem zusammen oder mit gar nichts von alle dem und jeder mit dem, was er kreiert, konstruiert, errichtet, mit seiner Art der Unterstützung.
Aber nicht einmal die, die die moralische Autorität und die menschliche Größe hätten um zu sagen ´so muss es sein´ oder ´so nicht´, das heißt, die Familienangehörigen und Compañeros der Fehlenden von Ayotzinapa haben das gemacht.
Wer hat dann den Posten des Kommissars für das richtige Verhalten bei Unterstützung und Solidarität vergeben? Woher kommt dieses fröhliche Mit-dem-Finger zeigen und des Bezeichnens als ´Regierungsagent´, ´Spion*in´, und das Allerschlimmste ´Anarchist*in´?
/ Das Argument ´das sind keine Studenten, das sind Anarchisten´ ist lächerlich. Jeder Anarchist hat mehr Bildung und Wissen als jene, die als Gedankenpolizisten auf sie zeigen und für sie den Scheiterhaufen fordern. Ganz zu schweigen von denen, die sich hinter der Dummheit und Illegalität der Polizeimethode der Regierung von Mexiko Stadt verstecken und darauf stolz sind (´gefällt es auch wem es immer gefällt´).
Aber natürlich, man kann eine Witzfigur wie sie benötigt wird erfinden (so eine Art aufständischer Anarchist, Region 4) und diese verspotten indem man ihr einen theoretischen Körper karikiert, damit sie dann sofort und ohne Widerstände in jedweder Staatsanwaltschaft oder Gericht abgeliefert werden kann (natuerlich nur, wenn es ein Video von der Festnahme gibt, wenn nicht, ´wem würde er/sie abgehen?´). Vor allem eines, die ´journalistische´ Information kommt von einer vertraulichen Quelle: Denunziation und Geheimpolizei.
Hizuzeigen ist nicht dasselbe (wer hinzeigt klagt an, richtet und verurteilt und verlangt, dass die Polizei den Urteilsspruch fällt) wie zu diskutieren. Um hinzuzeigen muss man nur mit der Mode gehen (was bequem ist, leicht und gut, ja, das gibt mehr »likes« und »follows«). Um hinzuzeigen muss man nicht forschen, hinterfragen, argumentieren, es reicht, einige Fotos zu ´posten´.
So entstehen die großen Liebesbeziehungen zwischen den ›Meinungsmachern/innen´ und der so großen Masse , die ihnen folgt/ der »follower«: der gehorsame Glaube zusammengefasst in 140 Schriftzeichen.
Vom »ich folge dir und du folgst mir« und »und sie lebten glücklich und zufrieden« bis zum »du liebst mich nicht, denn du gibst mir keine RT noch Fav oder like. Ich werde den Sinsajo* wechseln.« (*Sinsajo = Mockingjay, Anspielung auf das Buch die ›Tribute von Panamen — Flammender Zorn‹ von Suzanne Collins — Anmerkung der Übersetzerin)
Um zu diskutieren, muss man zuerst nachforschen (na so was: es gibt tatsächlich unterschiedliche Anarchismen, na so was: jetzt wird das Staunen noch groesser:’die direkte Aktion’ muss nicht undbedingt gewalttätig sein), denken, argumentieren und, arghhh! Das Gefährlichste und schwierigste: Argumente vorbringen.
Debattieren ist schwierig und ungemütlich. Und es bringt für den, der diskutiert Konsequenzen mit sich (abgesehen von den nach unten zeigenden Daumen, dem erhobenen Zeigefinger und dem massenhaft hereinstürzenden »ich folge dir nicht mehr«).
Da kann man nichts machen, es gibt Menschen, die nicht versuchen, es allen Recht zu machen, gefällig, angepasst und attraktiv durchs Leben zu gehen.
Hinter jedem kritischen Menschen gibt es eine lange Liste von ›followers‹, die desertieren, sich dort hin bewegen, wo man nicht nachdenken muss und das RT kein Eigentor ist.
Und wenn der progressive Journalismus die Funktionen des Staatsanwalts übernimmt, anklagt, verhört, Schlussfolgerungen zieht und verurteilt, was macht er dann, zeigt er mit dem Finger oder debattiert er?
Oder geht es darum, dass so debattiert wird? Die Anarchits*innen in den Gefängnissen oder verfolgt oder im Exil und die mit reinem Gewissen schreibenLeitartikel sitzen am Mikrophon und zwitschern das Blaue vom Himmel.?
Ok, ok, ok. Aber darüber sind wir uns einig, dass wir die Familienangehörigen und Compañeros der Ermordeten und Verschwundenen von Ayotzinapa unterstützen? Oder ist das nicht mehr wichtig?
Auch die Kinder des Kindergartens ABC, die Verschwundenen von Coahuila, die unbekannten Migrant*innen, die Kollateralschaeden des Krieges, die täglich und stündlich und an allen Orten unter allen Ideologien vergewaltigten und ermordeten Frauen?
Oder ist nur der Wechsel des Namens dessen, der auf dem Sessel sitzt, oder das Fördern der Arbeitsplätze in den Firmen die Glas, Fensterscheiben und Regale herstellen wichtig?
Jene die weiterhin auf Wahlen als einzige und ausschließliche Option bestehen, hat man nicht angeklagt, dass sie ›Spione‹, › Polizisten‹, › Provokateure‹ oder ›Soldaten der Sedena in Zivilkleidung‹ seien. Man bezeichnet sie als Phantasten, einfältig, dusselig, dumm, karrieregeil, Opportunisten, intolerant, ambitiös, Geier, Tyrannen und Despoten. Gut, auch als Faschisten. Aber nicht als ›Spione‹, obwohl auf mehr als einen die Beschreibung des Agenten der Regierung oder politischen Polizisten exakt zutrifft.
Wir wissen, dass alle jene große Strategen sind (es genügt ihre Erfolge zu betrachten), sie denken, schlagen vor und zwingen auf, dass ´die Bewegung transzendiert werden muss´. Die einen mit Protesten, bei denen man gut angezogen ist und sich wohlerzogen verhaelt und versucht wird, alles in Bahnen zu lenken und Zurückhaltung zu üben, die anderen mit der direkten Aktion, gewalttätig und ausschließend durch die Wut.
Die einen wie die anderen mit dem Streben Avantgarde, eine exklusive Elite, zu sein, die gerade in Mode stehenden Verschiedenartigkeiten zu leiten, zu hegemonisieren und zu homogenisieren.
Vom »wenn du eine Fensterscheibe einschlägst bis du einE Spion*in« zum »wenn du keine einschlägst... ebenso«
Für die einen und die anderen ist das geographische Zentrum wichtig und was dort die politische, ökonomische und mediale Macht aushandelt.
Wenn es nicht in Mexiko City passiert, dann ist es nicht geschehen, dann ist es nichts wert, dann zählt es nicht. Das ´Historische´ gehört nur ihnen ganz allein.
Für sie gibt es weder in Guerrero, noch in Oaxaca, Jalisco, Veracruz, Sonora und den anderen mexikanischen Orten noch sonst wo auf der Welt Bewegungen.
Aber wie bei den einen als auch bei den anderen regiert die Faulheit gegenüber eine kritische Analyse , sie merken nicht, dass dort nicht das Machtzentrum liegt.
Dort oben haben sich die Dinge verändert, sehr sogar.
Während eine seriöse und gründliche Analyse der neuen Macht-Eigenschaften weiterhin nicht geführt wird, sondern die Kalender von oben treulich von einem zum anderen Termin befolgt werden (Wahlkalender und institutionelle Kalender) oder die Mahnung ´wir müssen was tun, irgendetwas´ auch wenn das unnütz und steril ist, werden die gleichen Kampfmethoden wiederholt, die gleichen Rückfälle, die gleichen Niederlagen.
In Richtung einer ernsthaften Debatte:
Was die Direktaktionen in den Protestmärschen in Mexiko City vom 8. und 20. November und 1.Dezember 2014 betrifft, wäre es vielleicht von Vorteil, sich die folgenden Worte von Miguel Amorós in Erinnerung zu rufen:
»Bei diesen Aktionen genügt die alleinige Anwesenheit von ´sozialen /zivilen Anarchisten´ und deren Alliierten um ein Missverstaendnis zu verursachen und die besten radikalen Vorhaben in reinen Aktivismus zu verwandeln, welche man ohne Schwierigkeiten in die Show integrieren kann und daher manipulierbar sind, entweder als Argument der Regierenden um die Exzesse der institutionellen Gewalt zu rechtfertigen oder als Alibi der ´zivilistischen Staatsbürger*innen´ um den Misserfolg ihre Erwartungen zu rechtfertigen. Der Aktivismus — unter Gewaltanwendung oder nur ideologisch − gibt Aufschluss darüber, wie obsolet der Aufruhr ist, indem er die theoretische Armut und strategischen Schwächen der Feinde des Kapitals und des Staates widerspiegelt. Die Aktivisten, angespornt von der Notwendigkeit ´etwas zu tun´, melden sich für zu allen Bombenangriffen und fallen daher in die Medien- und Show-Falle, welche sie als Rowdies und Provokateure abstempelt. Das Ergebnis ist nur für die Regierung, die Parteien und die Pseudo-Bewegungen vorteilhaft, Abfall den es gibt, um die kleinste Möglichkeit eines autonomen Kampfes, eines revolutionären Denkens zu verhindern.«. Amorós, Miguel. »El Ocaso de la Revuelta« Oktober 2001. In »Golpes y Contragolpes« Pepitas de calabaza ed. & Oxígeno dis. Spanien. 2005.
Was folgt: Requisiten zur Teilnahme an einem Protestmarsch:
Er: Ausweis der nationalen Wahlbehörde oder Personalausweis, Wohnsitzbestätigung (für jene, die kein Eigenheim besitzen, Kopie des Mietvertrages, wenn eine Hypothek darauf ist — was haben Sie hier verloren?), Anzug und Krawatte (nein, kein Smoking, wir sollen noch nicht übertreiben, den heben wir für den Tag auf, wenn wir im Triumpf auf den Schultern der Massen die heiligen Tore überschreiten, welche jene Unverantwortlichen zerstören wollten), saubere Hände und Gesicht, ohne sichtbare Tätowierungen, ohne Piercings, und keine ausgefallene Frisur (ausgefallen: alles, was nicht in den Modezeitschriften aufscheint), elegante Schuhe (weder Tennisschuhe noch Stiefel), Verpflichtungserklärung unterschreiben, mit der Verpflichtung, jedwede Autorität und/oder Macht in all ihren Formen anzuerkennen, sowie auch jedwede Aktivität oder Versuch aufzuzeigen, wenn man von diesen Regeln abweichen will.
Sie: wie oben aber mit Kostüm. Ach tut mir leid, ja, Sie müssen sich frisieren.
Sie/Er/AndererE: werden zum Protest nicht zugelassen. Bitte bewegen Sie sich ins nächste closet.
Über die proletarische Avantgarde, die Ungebildeten und die Wohlerzogenen:
Wir weisen darauf hin, denn wir glauben, dass Sie es nicht wissen, dass das Sindicato Mexicano de Electricistas (SME) (= mexikanische Elektrikergewerkschaft) sich geweigert hat, uns, dem CNI und der EZLN, eines ihrer Gebäude im DF zu borgen, damit wir dort den kulturellen Teil des Ersten Weltfestivals der Widerstände und der Rebellionen gegen den Kapitalismus mit dem Titel ´Wo die von oben zerstören, widmen sich die von unten dem Wiederaufbau´ abhalten könnten.
´Bevor die Kampagne ´ verhalten Sie sich anständig und sagen Sie NEIN zu den Vermummten´ begann, hat die SME uns grosszuegigerweise eines ihrer Gebäude für unseren Kulturevent angeboten. Mit dem Fortschreiten der Kampagne ´habe keine Angst vor dem Staat, fürchte den/die Anderen/E´ erschienen die Vorwände, die den Weg bereiteten: ´es ist Urlaubszeit, es gibt niemand, der aufsperrt, wir werden Weihnachten nicht so verbringen´.
Dann wurden sie klarer und sagten: ´ein Sektor im SME war dagegen, dass etwas in Solidarität mit anderen Kämpfen gemacht wird, dass in der Versammlung die Notwendigkeit angesprochen wurde, diese Verbindung zu Ayotzinapa zu beenden, dass es nicht möglich sei, auf der einen Seite mit der Regierung zu verhandeln und auf der anderen Seite bei Bewegungen von wütenden Jugendlichen teilzunehmen, die noch dazu vermummt sind und Aktionen gegen den Regierungspalast unternehmen und dass sie selbst die Ankunft von Jugendlichen verhindern müssten, welche sich im Sportsaal präsentieren würden (sie meinen damit das Gebäude, Eigentum der SME, welches sie uns leihen wollten), wenn die Karawanen angekommen wären und dann Sie (die Sexta und der CNI) und Ihre Vermummten (mit Vermummten meinen sie die EZLN) möchten dann da ihren Festival machen, und das geht ja nun wirklich nicht, sucht Euch doch einen anderen Ort, wartet doch mal, wir verstehen Euch ja eh´.
Und sie sagten noch viele andere Dinge mehr, aber die betreffen interne Angelegenheiten der SME und es ist nicht unsere Aufgabe, diese zu wiederholen noch zu verbreiten.
Was? Die Compas des nationalen indigenen Kongresses hatten vorgeschlagen, dass das Ganze in einer Lokalität des SME stattfände, als Anerkennung ihres Kampfes und ihres Widerstandes, und wir haben diesen Vorschlag unterstützt. Und dann gibt es da noch immer jemand der glaubt, dass diese Säuberungen bis zum unwahrscheinlichen Moment der Machtergreifung des avantgardistischen Proletariats andauern würden.
Und natuerlich, klar, wir Zapatistinnen und Zapatisten verstehen. Aber wir begreifen es nicht. Wir kapieren nicht wie es sein konnte, dass eine Bewegung, die SME, welche unter einer Kampagne jeder erdenklichen Verleumdung, Lügen und Quälereien litt (grösser als die, unter der jetzt Jugendliche, Anarchisten und Nicht-Anarchisten, Vermummte und nicht Vermummte, Studenten und Studierende leiden) sich der Mode der Kriminalisierung des/der Anderen unterwerfen konnte. Wir kapieren nicht, warum sie sich der aktuellen Mode unterwerfen und in den ´Kreis´ der guten Gewissen eintreten, indem sie sich von denen distanzieren, welche sie nicht nur respektier(t)en sondern auch bewunder(te)n. Ist diese Distanzierung Teil der Prinzipien der neuen politischen Partei welche sie gründen? Ist das Teil ihres Hundert-Jahr-Jubiläums?
Es wäre einfacher gewesen, so zu tun, wie sie das jetzt in Mexiko Stadt machen, die am Eingang eine Tafel aufstellen die sagt: ´Vermummten ist der Zutritt nicht gestattet´ und fertig. Wir wären natuerlich nicht hineingegangen, aber euer Kampf wäre lebhafter geworden, mit all den Farben welche die Farbe der Erde des nationalen indigenen Kongresses sind, so wie auch durch die Vielfalt der Widerstände und Rebellionen, welche, obwohl sie keine Gebäude haben um ihre kulturellen Feiern zu machen, in vielen Winkeln von Mexiko und auf der ganzen Welt erblühen.
Wie dem auch sei, wir werden Euren gerechten Kampf mit unseren bescheidenen Mitteln weiterhin unterstützen. Und selbstverständlich schicken wir euch die Einladung zum Festival.
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¨Wilde Vermummte´ (oder das Äquivalent mit den neuen Synonymen: ´Anarchist*innen´, ´Spion*innen´, ´Provokateure´, ´Student*innen´, ´Jugendliche´). Das sagte, twitterte, erklärte, unterschrieb, sang, malte, zeichnete, dachte......
a) ein oder eine Leitartikelschreiber*in, IntellektuelleR, Karikaturist*in, Journalist*in, Sprecher*in der konservativen bezahlten Medien.
b) ein oder eine Leitartikelschreiber*in, IntellektuelleR, Karikaturist*in, Journalist*in, Sprecher*in der progressiven bezahlten Medien.
c) ein oder eine konservativer*e Künstler*in
d) ein oder eine progressiver*e Künstler*in
e) ein General der mexikanischen Armee
f) ein Führer der Industriellenvereinigung
g) ein Arbeitergewerkschaftsführer der proletarischen revolutionären Avantgarde
h) ein Leader einer rechtsgerichteten Partei
i) ein Leader einer extrem rechtsgerichteten Partei
j) ein Leader einer Partei mit Ausrichtung......Kurz und gut, ein Leader irgendeiner politischen Partei
k) Epi
l) Enrique Krauze
m) alle Obgenannten zusammen.
Ergebnis: Welchen Buchstaben Sie auch wählten, alle sind richtig. Wenn Sie die letzte Option nahmen, haben Sie nicht nur richtig geraten, nein, Sie haben auch eine umfangreiche Überprüfung der Social Networks und der bezahlten und freien Medien gemacht. Wir wissen nicht, ob wir Ihnen gratulieren sollen oder das Beileid aussprechen müssen. Wie gesagt: Wenn du in Zeiten wie diesen nicht so richtig verwirrt bist, dann bist du nicht gut informiert.
Auf der Bühne der Social Media:
Ein tweet-Modell der wohlerzogenen Menschen nach dem Protestmarch vom 20. November 2014 in Mexiko Stadt: ´warum hat die Polizei willkürlich Zivilisten festgenommen, anstatt die Anarchisten?´ Achtung: bitte beachten Sie, dass es nicht nur korrekt ist, Anarchisten willkuerlich festzunehmen, mehr noch, sie sind auch keine ´Zivilisten´.
Ein Kommentar der wohlerzogenen Menschen angesichts eines Fotos der Polizei vom DF im Stil ´wir sind wir´, die eine Familie in der Nähe des Zocalo im DF am 20. November 2014 verpruegelt: ´Ich kenne die, das sind keine Anarchisten´. Achtung: wenn sie niemand kennt und Anarchisten sind, dann haben sie die Pruegel verdient.
Ein Argument der wohlerzogenen Menschen zu Beginn der Bewegung, oder nachher, das spielt keine Rolle: ´Ich bin mir sicher dass diese ayotzinacos selbst an alledem schuld sind, kein Wunder, wenn sie als Anarchisten herumlaufen´. Achtung: kein Kommentar.
Der unmögliche Dialog:
»Was heißt, Du verstehst nicht, wie das ist, dass die Vermummten dasselbe sind wie die Anarchisten und dasselbe wie die Spione? Schau, diese Menschen wollen nicht Politik machen, die wollen nur Unordnung anrichten. Anarchismus bedeutet eben das: Unordnung. Das Gesicht verdecken sie aus Feigheit. Und die Spione sind dazu da, um der Regierung zu helfen. Was? Ja auch die Zapatisten sind vermummt und auch jene, die sich in Oaxaca Ulises Ruiz gegenuebertraten, waren vermummt, und auch einige von denen, die sich jetzt in Guerrero und Oaxaca mobilisieren. Ach, aber die sind ja nicht hier, in unserer Stadt (´unsere´ wurde mit einem bedeutungsschweren Gesichtsausdruck begleitet). Die Zapatisten, die Oaxaquitas und die aus Guerrero, gut, das sind Indianerlein mit einem guten Herzchen. Natürlich, ohne klare politische Richtlinie. Und die sind weit weg, man kann für sie Hilfssendungen zusammenstellen, so nennen wir es jedenfalls, wenn wir uns von den Dingen befreien, die nicht mehr funktionieren oder die wir nicht mehr brauchen oder noch schlimmer, die unmodern geworden sind. Aber diese verdammten Anarchisten sind hier, gehen auf unsere Straßen (der drohende Blick wiederholt sich beim ´unser´) und — na wie soll ich es ausdrücken, die stören das Bild. Da strengt sich unsereiner an, um ein gutes Happening, ganz im Retro-Stil, auf Sixtiesgestylt macht, verstehst Du mich? Die Masche von Liebe und Frieden, die Zeit des Wassermannes, Blumen, Lieder, leichte Drogen, Smartdrinks, alles smoothly halt. Schau, ich habe in meinem Phone eine Applikation, das Lichter und Töne je nach dem sendet, was ich eingebe. Was? Nein, ich marschiere nicht mehr in einer Gruppe, ich gehe am Mittelstreifen der Fahrbahn, da steige ich hinauf.... Nein, das dient nicht dazu, um den Protestmarsch besser zu sehen, das dient dazu, damit mich die Massen besser sehen. Schau mein Freund, oder Freundin oder was Du halt bist, die Manifestationen müssen hier so sein, wie wenn man in einen Klub geht, verstehst Du mich? Es geht nicht darum, zu protestieren, sondern sehen und gesehen zu werden, uns zu grüßen, und am nächsten Tage bestätigt zu bekommen, dass wir sind was wir sind, nicht in der Klatschspalte, sondern auf der Seite ueber Politik. Außerdem das von Ayotzi.....Nein, keiner sagt mehr Ayotzinapa, echt cool ist es ´Ayotzi´ zu sagen. Gut, also ich sagte, dass Ayotzi international hohe Wogen schlägt, das heißt, wir bekommen dadurch einen kosmopolitischen Anstrich. Weder socialites noch sonst was, das ist für die Rechten. Wir die modernen Linken werden durch diese Events bekannt. Das naechste Mal werden wir, wenn diese nacos nicht verschwinden, den Mijares einschalten. Ja, ja, damit er ihnen das vom ´Soldaten der Liebe´ singen kann. Und um auf der Linie zu bleiben, dann soll auch gleich der Arjona kommen und das vom ´einfachen Soldaten´ bringen. Ja, das wird super aussehen, wenn alle im gleichen Rhythmus voranschreiten, sich an den Händen haltend, alle zusammen, auch die Polizisten und Palastwaechter. Vielleicht noch besser bei Nacht und dann holen wir die Feuerzeuge heraus und bewegen die Arme in der Luft im Rhythmus des ´Soldaten der Liebe, in diesem Krieg zwischen dir und mir...´ und mit Arjona ´ich gehe weiter, während ich überlebe. Ich empfinde keine Wut, nein ich habe alles vergessen´. Ja wir sehen schon voraus, dass nächstes Mal Eugenio Derbez der Hauptredner sein wird. Das wird genial sein! Wir werden uns in Televisa einschleusen lassen und sie auf unsere Seite ziehen. Was? Nein, wir werden nicht mehr den Rücktritt von Peña fordern...Warum? Weil der Termin schon verpasst ist, jetzt muessen wir uns für 2018 vorbereiten. Was? Nein die ursprünglichen Forderungen von denen dort sind nicht wichtig. Sicher, arme Hascherl, aber genau deshalb muessen sie die Leitung durch jene annehmen, die was verstehen, das heißt, von uns. Schau, was dieses Land braucht ist nicht eine Revolution, sondern ein gutes ´Feat´ für die Massen, das heißt, wir in der alleinigen Hauptrolle, und der Plebe als Chor und Statisten, ja, die Geschichte die wichtig ist ist ein ´selfie´, wo wir im Vordergrund stehen und dahinter die Massen und unten, verzückt und uns applaudierend und....ja, ja ich habe schon die Worte die ich sprechen werde, wenn sie mich anflehen, dass ich auf die Tribüne steigen möge.....He! Warte! Warum verweigerst Du den Dialog? Verfluchter Anarco! Und es isteh gescheiter, dass du d r eine Kapuze überziehst, denn schon von weitem sieht man dir an, was du für ein naco bist! (Naco in Mexiko: gleichbedeutend mit schlecht gebildet, schlechter Geschmack, Anmerkung der Uebersetzerin) Da haben wirs wieder, deshalb geht in diesem Land nichs weiter! Ich habe eh schon das Foto gemacht, jetzt lade ich es auf mein facebook, damit sie dann einen weiteren Spion vormerken können, oder eine andere Spionin? Also ich habe nicht gut hingesehen, denn die Kleidung war sehr beschissen, volles Klischee. Armes Mexiko ....´
Eine andere Richtung der Nachforschung:
1.- Die vier Worte die für Abarca genügten, im Gefängnis vom Altiplano unter Schutz gestellt zu werden und seiner eisernen Lady Region 4 den Hausarrest bescherte, beide unerreichbar von den Medien, waren: ´die Soldaten waren es´. Danach wurde er nicht mehr befragt. Nicht weil sie nicht mehr wissen wollten, sondern weil sie es bereits wussten.
2. Jetzt wo sie dort oben ernsthaft die Möglichkeit der ´Ablöse´ in Los Pinos erwägen (deshalb die plötzliche Eloquenz der Schlagzeilen von Marine und Verteidigungsministerium und die chaotischen Abgrenzungen der Medienmächte) werden die, welche bis vor dem 1. Dezember den Rücktritt Peña Nieots forderten, jetzt ein Dokument herausgeben namens: ´Die Verteidigung der Institutionen und die Zurückweisung des Rücktritts des Präsidenten. Version Juni 1996, update 2014-2015´?
Mit dem Finger zeigen und tatsächlich denunzieren:
1.-Die Analyse, welche die Verantwortung an der Repression den direkten und gewalttätigen Aktionen der ´Anarchisten´ zuschreibt, müsste konsequent sein und im Fall von Mexiko auch jenen als verantwortlich an der Repression aufzeigen, der den Skandal des ´Weißen Hauses´ aufgedeckt hat, was den Ärger des Praesidentenpaares auslöste (obwohl das nachher kompensiert wurde, indem er die Funktion des Staatsanwaltes übernahm). Aber nein, auch die Schuldzuweisung ist eine Frage der Klasse. Und es ist Sache der Wohlerzogenen, die Kampagne der Kriminalisierung der jungen Armen auf ihre Fahnen zu heften (nach folgender Reihenfolge der Äquivalente: Spion = vermummt = Anarchist = Jugendlicher = Arm ). Dabei handelt es sich um dieselbe Kampagne wie jene seinerzeit, die den Albtraum, der jetzt ´Ayotzinapa´ heißt, in Gang brachte.
2. Nach dem was wir in letzter Zeit lesen, hören und sehen, bedecken sich die tatsächlichen Spione nicht das Gesicht. Eingeschleust von der Regierung von Mexiko Stadt (´die institutionelle Linke als Alternative´) und deren Angestellten, es wurde gefilmt, wo man sieht, dass sie die Demonstranten angreifen, willkuerlich festnehmen und den Angegriffenen Kapuzen aufzwingen.
Bis hierher so weit so gut. Aber wir befolgen weiterhin die Methode der Analyse, die durch Hysterie und die unumstößlichen Logik der Gedankenpolizei und der Dress-Code-Überwacher vorgeschlagen wurde, dann waere anzunehmen, dass alle Menschen, die nicht vermummt marschieren, potentielle ´Eingeschleuste´ sind und man muss auf sie mit dem Finger zeigen, sie festnehmen und sie in die Hände der Autorität geben ´damit die Vermummten aufhören, für ihre Forderungen zu protestieren´. Das heißt, wenn Sie jetzt auf den Protestmärschen jemand sehen, der nicht vermummt ist, muessten Sie auf ihn/sie hinweisen und ihn/sie ausschließen und dabei singen ´keine Gewaltanwendung, keine Gewaltanwendung´.
3. Man erinnere sich ein wenig: Jene, die jetzt die ´gewalttätigen´ Aktionen gegen das ´historische´ Kulturerbe und gegen das kommerzielle und finanzielle Eigentum bei den Protestmärschen für Ayotzinapa im DF kritisieren, sind das nicht genau dieselben, welche Banken und Einkaufszentren blockierten, ´historisch´ den Paseo de la Reforma im Jahr 2006 besetzten und die Angestellten mit den orangen Uniformen belästigten und sie als ´Komplizen´ des Wahlbetruges von 2012 beschimpften? . Ach ja natuerlich, ein Wahlbetrug ist schlimmer als 43 verschwundene Indigene und Zehntausende von Personen in derselben Lage.
4. Der Ruf der hysterischen Kampagne blieb nicht ohne Echo und hat bereits die ersten Erfolge zu verzeichnen: einige Schlitzohren, die für sich selbst um Unterstützung baten, wurden an einer Autobahnmautstelle festgenommen, weit weg vom Protestmarsch; sie werden festgebunden und unter Triumphgeschrei anlässlich der ´Einnahme der Stadt Mexiko’ am 6.Dezember 2014 zur Schau gestellt. Später, durch die Zauberkraft der Medien, verwandeln sie sich in ´Spione´ des Protestmarsches und es wird darauf hingewiesen, dass sich unter ihnen mindestens ein Polizist und ein Soldat befinden. Aber vom Polizisten keine Spur. Der angebliche Soldat: ist 17 Jahre alt und ´gestand´, dass er in einem Monat ins Bundesheer eintreten wird. Niemand hat sich die Mühe gemacht daran zu erinnern, dass alle jungen Mexikaner, sobald sie 18 Jahre alt werden, den Militärdienst leisten müssen. Wie dem auch sei, die Aktion wurde wohlgefällig aufgenommen. Es wird erwartet, dass die Hysterie als Methode der Analyse der politischen Lage und als Handlungsleitfaden die Spitze erreichen wird, wenn es zum Lynchen kommt. Dann werden alle wegschauen.
Der gefürchtete Ausgang eines Rücktritts in 6 Etappen (bitte ergaenzen Sie die Namen ein):
1.- Eine Partei in den letzten Zügen. Card_ tritt zurück:: »in Zukunft werde ich nur ein x-beliebiger Staatsbürger sein«, sagt er.
2.- Angesichts der Krise der politischen Parteien, wird die »Option Staatsbürger*in« vorangetrieben. In der Presse und in den progressiven Zirkeln beginnt man davon zu sprechen, dass der »soziale Card_ísmo« immer stärker wird.
3.- Die Bewegung wächst und alle werden zur bedingungslosen Einigkeit um »Bürger« Card_. aufgefordert.
4.- Lop_ verweigert sich.
5.- Neuerlicher Wahlbetrug. Große Konzentration auf dem Zocalo der Hauptstadt. Einige Demonstranten tragen Tafeln mit den letzten Karikaturen der progressiven Karikaturisten, wo sie folgendes aussagen: »Die von Ayotzinapa wurden von Salinas erfunden« . Bei seinem Auftritt auf der Tribüne erwähnt Ele_ Lop_. Buh-Rufe und Auspfeifen durch die Massen. Am Tag darauf klärt Ele_ auf und sagt, dass er Lop_ nicht aus Bosheit erwähnte und ihn persönlich sehr schätze.
6.- Nach der üblichen Besetzung verkündet Card_ , dass weitergekämpft werden muss... und zwar durch die Gründung einer neuen Partei, um an den nächsten Wahlen teilnehmen zu koennen. Nein, wenn sie gewinnen, dann wird der Epi nicht mehr für die soziale Kommunikation zuständig sein, noch der Dummkopf vom ´Desfiladero´ wird der Sprecher des Präsidenten. Oder doch? Ups.
Die Geschichte, die bei den progressiven happenings nichts zählt:
Ja, es gibt welche, die sich erinnern, dass am 6. Dezember diesen Jahres 100 Jahre vergangen sind, seit das Heer von Pancho Villa und Emiliano Zapata in Mexiko Stadt einritten. Wir dagegen erinnern uns der ablehnenden und verachtenden Geste von Emiliano Zapata als er vor dem Praesidentenstuhl stand und sagte: »wenn sich ein guter Mensch da hin setzt, wird er schlecht, wenn sich ein schlechter hinsetzt, wird er noch schlechter«, so erzählt der Volksmund, dass der Chef der südlichen Armee gesprochen haette. Und wenn er es nicht gesagt haben sollte, dann hat er es sicher gedacht.
Ratschläge um die niemand gefragt hat und natuerlich auch niemand befolgen wird:
1.- Schluss mit der Suche deines Sinsajo (*Sinsajo = Mockingjay, Anspielung auf das Buch die ›Tribute von Panamen — Flammender Zorn‹ von Suzanne Collins — Anmerkung der Übersetzerin) . Verlasst den Zug der Ernüchterung, die nächste Station heißt ´Apathie und Zynismus´ und die Endstation lautet ´Niederlage´.
2.- Konzentriert euch nicht auf die trending topic oder wie das Zeugs heißt. Dasselbe gilt für die tweets der ´berühmten´ Leute, ´Meinungsmacher´, oder sogenannten ´intelligenten´ Menschen. Sucht die tweets der normalen Menschen. Dort werdet ihr echte literarische Zuckerln in Miniaturausführung finden und jene Gedanken, die was wert, das heißt, die dich zum Nachdenken bringen. Dort gibt es keine unwichtigen tweets.
Die trending topic (die »Themen des Augenblicks«) haben nur die Wirkung eines verformten Spiegels und sind ebenso lächerlich wie ein Salon der Massenmasturbation: am Ende sind alle unbefriedigt und niedergeschlagen. Und dann kommt der Moment, wo die tweets einem Porno-Dialog ähneln: »Oh! Ja, ja, ja so, nicht aufhören!«. Oder ist es ein großer Verdienst, den hashtag #WeLoveYourNewHairJustin oder den vom #Sammy zu gewinnen?
3.- Eine Person auf Grund der Anzahl ihrer Followers und nicht wegen dem was sie denkt und tut zu bewerten, ist müßig und unnütz.
Wenn die Scheisse im facebook wäre, dann hätte sie »likes« (und »licks«) von Hundertausenden und von Millionen von Fliegen.
4.- Zur Verteidigung der Social Networks oder besser gesagt, zur Verteidigung der Benutzung der Social Networks glauben wir, dass sie auch ein Gedankenaustausch sein können, wenn man weiß, wohin man den Blick und das Ohr richtet.
Es gibt große Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Denkerinnen und Denker, Analysten und Kritiker*innen, Sozialkämpfer*innen die nie in den großen kommerziellen Kommunikationsmedien aufscheinen oder aufscheinen werden. Und viele von ihnen nicht, weil sie nicht ´entdeckt’ werden, sondern deshalb, weil sie einen anderen Kanal suchten um sich zu äußern. Das ist nicht nur zu begrüßen, das müssen wir auch fördern.
5.- Aber wenn die Möglichkeiten der Social Media auch noch so groß sind, so sind das auch ihre Grenzen. Neben dem Offensichtlichen, das heißt, dass man per Twitter weder Schweigen noch Blicke übertragen kann, gilt doch vor allem, wie gigantisch der Wirkungsbereich dieser Netzwerke auch sein mag, so ist doch noch der Bereich grösser, der ausgeschlossen bleibt.
Die sozialen Netzwerke sind nicht geschaffen um grundlegenden Kommunikationsformen (anschauen, sprechen, zuhören, angreifen, riechen, gefallen) zu verdrängen, sondern sie zu maximieren.
»Wenn du nicht im twitter bist, dann existierst du nicht«, ist das Nachäffen des obsoleten Urteils »wer nicht in den Medien ist, der existiert nicht«.
Auch wenn Sie es nicht glauben, es gibt viele Welten außerhalb des Cyber-Space. Und es ist wohl wert, dort vorbei zu schauen.
Dort werden wir uns wie immer wiedersehen:
Ja, wir wissen dass wir fuer die einen oder anderen unangenehm sind. Für die einen sind wir Radikale, fuer die anderen sind wir Reformisten.
Alle, egal ob oben oder unten, müssen das schlucken:
Hier unten sind wir immer mehr
die darauf bestehen zu kämpfen
ohne um Entschuldigung zu bitten fuer das was wir sind
und ohne um Erlaubnis zu bitten, es zu sein.
Sale
Aus den Bergen des Südostens von Mexiko.
Subcomandante Insurgente Moisés.
Mexiko, 12. Dezember 2014. Im 20. Jahr nach dem Beginn des Krieges gegen das Vergessen.
Anmerkung: Überwachung der bezahlten, der freien, der autonomen, der unabhängigen, der alternativen oder wie sie sonst heißen mögen Medien und der Social Networks, ebenso wie der selbstlose Beitrag an Sarkasmus, psychoanalytischem Gratis- Divan, Tipps zur Nachforschung, unnütze Ratschläge, manchmal die Zwangsjacke der 140 Schriftzeichen sowie andere Spezialeffekte: Beitrag der »Los Tercios Compas«, welche, wie ihr Name besagt, weder Medien, noch frei noch autonom noch alternativ sind, aber sie sind Compas. Copyrights wurden storniert, wegen Vermummung. Erlaubt ist zitieren, vortragen und wiederverwerten, immer unter dem Quellenverweis als »eingeschleust«. Erlaubt ist die komplette oder teilweise Reproduktion bei der Gegenüberstellung von Kiberern, mit oder ohne Uniform, ob er nun bewaffnet ist mit einer Feuerwaffe, ein Schild trägt, eine Kamera, ein Mikrophon, ein Smartphone, ein tablet, oder im Cyber-Space.
Wir bestätigen: »Winter is coming, das heisst, vergesst eure Decken nicht« (einer der Stark bei der nächsten Ausgabe der Game of Thrones. Spoil mit freundlicher Genehmigung der »Los Tercios Compas«. Nah, müsst ihr ihnen nicht geben).
Quelle: | |||
http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2014/12/14/de-ayotzinapa-del-festival-y-de-la-histeria-como-metodo-de-analisis-y-guia-para-la-accionsubcomandante-insurgente-moises/ | |||
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