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Die Experten fordern eine neue Gesetzgebung.

© AFP

Mexiko: Internationale Experten fordern neue Ermittlungen zu Studentenmord

Nach dem mutmaßlichen Massaker an 43 Studenten in Mexiko fordern Experten neue Ermittlungen. Sie wollen ein Gesetz, das Verschwindenlassen unter Strafe stellt.

Puebla - Sieben Monate nach der Verschleppung und mutmaßlichen Ermordung von 43 mexikanischen Studenten hat eine unabhängige Expertenkomission einen Zwischenbericht vorgelegt und weitere Ermittlungen gefordert. „Wir haben die Behörden um zusätzliche Nachforschungen, Inspektionen, Bildanalysen und Vernehmungen gebeten, um die bestehenden Hypothesen zu verstärken oder neue zu verfolgen“, sagte Carlos Beristain in Mexiko-Stadt nach zweiwöchigen Recherchen im Auftrag der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Unter anderem verlangten die Experten Gespräche mit dem Militär, das in der Nähe des Tatorts eine Garnison unterhält, aber in der Tatnacht nicht einschritt.

Die Regierung hält den Fall für aufgeklärt. Demnach wurden die linken Studenten Ende September aus Furcht vor Randale auf Befehl des Bürgermeisters von Iguala von der Polizei gejagt, festgenommen und Killern des örtlichen Drogenkartells übergeben. Diese hielten die Studenten für Schergen eines verfeindeten Kartells, exekutierten sie, verbrannten ihre Leichen und warfen die Überreste in Müllsäcke verpackt in den Fluss. Bislang konnten 16 Knochen- und Aschereste sichergestellt werden; nur bei einem gelang der herkömmliche DNANachweis.

Wegen der Tat sind mehr als 100 Verdächtige angeklagt. Ihnen wird Mord und organisiertes Verbrechen vorgeworfen. Der Tatbestand des „Verschwindenlassens“ existiert in Mexikos Gesetzgebung bisher nicht. Die Experten forderten die Regierung deshalb auf, die Verfassung zu ändern. Dass Menschen spurlos verschwinden, ist in Mexiko keine Seltenheit: Einer staatlichen Statistik zufolge gelten seit 2006 22 000 als vermisst. Solange sie nicht tot oder lebendig gefunden werden, gibt es keine rechtliche Handhabe gegen die mutmaßlichen Täter. Ob Drogenkartelle, gemeine Kriminelle oder Staatsdiener dahinterstecken, bleibt meistens ungeklärt.

Das „Verschwindenlassen“ ist eine perfide Strategie, die von den lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 70er Jahre perfektioniert wurde. Nach gängiger Jurisprudenz ist „Verschwindenlassen“ ein Verbrechen, in das staatliche Institutionen aktiv oder passiv verwickelt sein müssen. Das könnte in Mexiko problematisch werden, denn viele Fälle gehen auf das Konto der Drogenkartelle: So entdeckten Fahnder bei der Suche nach den Studenten Dutzende von Massengräbern abgelegen in den Bergen. Das Tijuana-Kartell beschäftigte gar einen Chemiker, der für 600 US-Dollar Wochenlohn die Leichen ermordeter Gegner in Säure auflöste.

In Mexiko verlaufen die Grenzen zwischen Mafia und Staatsdienern oft fließend. Zuletzt häuften sich die Hinweise für schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte. Am Wochenende enthüllte ein Reporterteam, dass offenbar die Bundespolizei im Januar 16 Mitglieder einer Bürgerwehr tötete und dies als simuliertes Gefecht zwischen verfeindeten Gruppen der Bürgerwehren darstellte. Voriges Jahr exekutierte das Militär 22 jugendliche Bandenmitglieder. Sandra Weiss

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