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Interview mit Martha Figueroa über die Situation der Las Abejas,

News vom 31.08.2001
übersetzt von Dana

  "Mein Name ist Martha Figueroa. Ich bin Anwältin und habe seit mehr als 12 Jahren mit einer Frauengrupe in San Cristóbal de las Casas gearbeitet, die auch als COLEM bekannt ist. Diese Frauengruppe arbeitet gegen sexuelle und eheliche Gewalt und befasst sich mit reproduktiven Gesundheitsfragen.

Ich denke, die Gruppe gehörte zu den wenigen, die wirklich in der Nähe waren, weil es genau zu der Zeit der Weihnachtsfeiertage passiert ist. Zwischen Mai und November hatte es hier in Chenalhó eine Menge Probleme gegeben, mehrere Personen waren aus ihren Gemeinden vertrieben worden, Häuser in dieser Gegend waren niedergebrannt worden. Es hatte Warnungen darüber gegeben, dass die Paramilitärs die Flüchtlinge in Acteal angreifen würden, aber es schien so, als ob die Regierung das nicht glauben wollte, auch wenn ihre eigene Informationsquellen sie darüber gewarnt hatten. 45 Menschen wurden in den Massaker getötet, die Mehrheit von ihnen waren Frauen und Mädchen. Drei der Frauen waren sichtbar schwanger. Sie wurden auf grausamste Weise getötet.

Meine Teilnahme an den gesetzlichen Verhandlungen fing am 23. oder 24. an. Wir widersetzten uns dem offiziellen Wunsch, die Leichen zu verbrennen oder zu begraben, weil wir fühlten, dass dies Beweise zerstören würde. Eine der Augenzeugen war María Vázquez. Sie erkannte 19 von 45 Opfern als ihre Verwandten, und dank ihr gelang es uns, die Einäscherung aufzuhalten.

Die Regierung wollte nicht erlauben, die Totenwache in der Kathedrale von San Cristóbal de las Casas abzuhalten, weil sie zu einem politischen Akt hätte werden können. Es gelang uns die Einäscherung aufzuhalten, aber wir schafften es nicht die Erlaubnis zu bekommen, die Totenwache dort abzuhalten. Also wurden die Körper nach Polhó gebracht, wo die Totenwache auf dem Platz zelebriert wurde, an dem nun die Schule steht.

Am Morgen, um 6:00 oder 7:00 Uhr, brachen wir nach Acteal auf. Unterwegs kam uns ein Laster entgegen. Die Leute von den Las Abejas erkannten die Mörder, umzingelten den Laster und zerrten die Personen dort herunter. Der ehemalige Bischof von San Cristobal, Samuel Ruiz, kam an, und sprach zu den Menschen auf Tzotzil. Er verhinderte buchstäblich, dass sie gelyncht werden.

In diesem Moment kam die Polizei an, aber sie wollten niemanden verhaften. Wir waren drei Anwälte die dort anwesend waren, und wir zwangen sie die Personen auf dem Laster zu verhaften. Alles in allem wurden 13 Personen festgenommen, plus ein weiterer Mann, der die Strasse zu Fuss hinunter kam. Er sagte: "Ich bin Mitglied der PRI!" — und präsentierte seinen Ausweis als ob ihn das unantastbar machen würde.

Wir arbeiten mit dem Menschenrechtszentrum "Fray Bartolomeo de las Casas" zusammen, das gewöhnlich mich kontaktiert, wenn es um feministische Themen geht. In Verbindung mit dem bewaffneten Konflikt sind auch Gewalt und Vergewaltigungen gegen Frauen verübt worden, und Fray Ba bat mich, den angemessenen Schadensersatz zu schätzen. Aber wie kann der Wert einer Mutter gesetzlich geschätzt werden?

In den Massaker starben vier Jungen und vier Männer, der Rest waren Frauen und Mädchen. Die Überlebenden sagten aus, dass die Paramilitärs schrien: "Wir müssen die Saat ausmerzen!" Das weist darauf hin, dass sie es gezielt auf die Frauen abgesehen haben. Zwischen Mai und November sind 28 Menschen getötet worden die zu den Zapatisten und den PRIistas gehörten, und vielleicht auch einige Mitglieder der Las Abejas. Unter den Toten befanden sich drei Frauen und ein Kind — aber keine von ihnen war gezielt getötet worden. Sie waren zufällige Opfer, während im Fall von Acteal Frauen die ausgesuchten Zielscheiben gewesen sind. Die Paramilitärs wussten, dass sich in dem Flüchtlingslager nur Frauen befanden. Da der Angriff so klar angekündigt worden ist, waren alle Männer zusammen mit den kleinen Jungen in die Berge geflüchtet, im Glauben dass die Paramilitärs sie jagen würden, und dass nichts passieren würde, wenn die Paramilitärs merkten, dass sie geflohen waren. Die Las Abejas sind eine pazifistische Organisation, die erklärte, dass obwohl sie mit der zapatistischen Bewegung sympathisierten, sie ihnen nicht beitreten würden, weil die Las Abejas es ablehnten, Waffen einzusetzen. Die Frauen waren die Ziele der Kriegsführung niedriger Intensität. Also kann man sagen, dass die Planung des Massakers über einen blossen Mord hinausging — es war Teil des Krieges gegen die Rebellen, in dem die Paramilitärs gezielt darauf trainiert worden sind, so viel sozialer Schaden anzurichten wie nur möglich. Deshalb war der Angriff gegen die Frauen gerichtet, das ist die Erklärung von "Wir müssen die Saat ausmerzen". Unter den Frauen vertrete ich als Anwältin eine junge Frau von 22 Jahren, die sich nun neben ihren eigenen Kindern, um ihre 3 Brüder und 2 Neffen kümmern muss. Auf einmal ist diese Frau für 10 Kinder verantwortlich, von denen praktisch fast keins ihr eigenes ist. Nichtsdestotrotz würde ihr der Gedanke, sie zur Adoption freizugeben, niemals kommen.

Die Regierung von Chiapas zahlte eine symbolische Summe als Wiedergutmachung, weil sie sagte: "Nicht alle Frauen arbeiten". Aber um eine indigene Frau zu ersetzen, muss man jemanden bezahlen der die Wäsche wäscht, der sich um die Kinder und die Alten kümmert, jemanden der kocht, jemanden der die Tortillas macht. Jede betroffene Person erhielt eine Wiedergutmachung von 35.000 Pesos — etwa 3.500 Dollar. Nicht sehr viel für einen toten Verwandten. Davon abgesehen, erkannte die Regierung nur 14 Opfer an, nicht weil die anderen 30 nicht existiert hätten, sondern wegen der fehlenden Identifizierung. Mir wurde klar, dass viele Frauen nicht registriert sind. Sie sind offiziell niemals geboren worden — und folglich können sie auch nicht sterben! Das ist ein riesiges Problem. Auch die Tatsache, dass die Indigenas nicht immer ihre richtigen Namen benutzen schaffte Probleme, weil ihnen das nach ihren Traditionen und Kultur schaden kann, oder weil einige von ihnen klandestin leben. Sie ändern ihre Namen auch, nicht um zu lügen, sondern weil ihre Traditionen zum Beispiel verlangen den Namen zu ändern wenn man älter wird, oder gemäss der Bedingungen in denen man lebt. Ein Beispiel ist ein alter Mann namens Ignacio Pukuj Viejo — (der Alte). Aber Viejo — der Alte — ist nicht sein richtiger Nachname, er wurde so genannt, weil er in der Pukuj Familie der älteste ist. Sein Sohn wird Ignacio Pukuj Medio genannt, aber er mochte den Namen nicht, also nannte er sich Ignacio Pukuj Perez., aber er ist unter diesem Namen nicht registriert.

Die Regierung weigerte sich eine Entschädigung zu zahlen — und die Familien weigerten sich sie anzunehmen, und sagten, wenn die Regierung eine Entschädigung zahlen wollte, könnten sie die Kinder auszahlen, aber sie, als Familien, lehnten es ab darüber zu verhandeln wieviel oder wie wenig Geld sie bekommen sollten. "Wir sind nicht wie sie, wie legen keinen Preis auf das Blut unserer Leute fest." Für mich war es wirklich wichtig, den Wert einer Frau festzulegen, weil die Autoritäten behaupten würden: "Sie sind keine aktive Arbeiterinnen, sie kümmern sich um die Häuser, und deshalb können sie keine Entschädigung erhalten."

Wir kämpften unter allen Umständen weiter, auch auf internationaler Ebene. Ich hoffe, es wird eines Tages möglich sein, diesen Fall vor dem internationalen Gerichtshof zu klären, und dass die mexikanische Regierung dann zahlen muss. Das heisst, nicht nur die Mörder selbst, denn sie sind auch Indigenas, die aufgrund ihrer unsicheren sozialen Lage Paramilitärs geworden sind. Unter den Verhafteten befindet sich zum Beispiel der Enkelsohn eines der Opfer.

Das Massaker liess 28 Kinder als Waisen zurück. Für die letzten 4 Jahre bin ich die gesetzliche Vertreterin dieser Kinder gewesen. Ich habe die Verantwortung, die Sicherheit für diese Kinder mit den Autoritäten auszuhandeln, oder ihnen zumindest den Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge zu sichern, was Teil der Verantwortung der Autoritäten ist.

Die Regierungen von Chiapas und Mexiko, sind auf die eine oder andere Weise für den Massaker verantwortlich. Es ist offensichtlich, dass die Regierung in Chiapas an der Ausbildung der Paramilitärs beteiligt gewesen ist und diesen Gruppen erlaubte, in der Gegend zu operieren. Es existiert eine offizielle Kommunikation des Präsidenten der Gemeinde von Chenalhó, in der er die Armee ersucht, die Paramilitärs an einem Kontrollposten mit ihren Waffen passieren zu lassen, die zur Selbstverteidigung gebraucht würden. Und die Paramilitärs benutzen verschiedene Militärbasen für das militärischen Training. Dieser Brief ist der Beweis, dass der örtliche Bürgermeister an den Massakern beteiligt gewesen ist.

- Diese ersten 333 Flüchtlinge, glauben Sie dass sie auf Dauer zurückkehren werden?

Das hoffen wir — und abhängig davon wie sich die Lage entwickelt, werden die übrigen interne Flüchtlinge in Chiapas auch zurückkehren. Im Augenblick denke ich, gibt es mehr Hoffnung und gute Absichten als wirkliche Taten, aber hier in Chiapas haben wir gelernt, von einem Tag zum anderen zu leben.

- Ist diese Rückkehr das Ergebnis einer Verhandlung?

Nein — es ist die Entscheidung und die Strategie der Las Abejas, um die Regierung dazu zu bringen, die Flüchtlinge zur Kenntnis zu nehmen. Und es ist eine gefährliche Entscheidung, die sie getroffen haben. Ich habe die Gesichter der Menschen bemerkt, die in den Gemeinden wohnen die wir unterwegs passiert haben. Es sind keine glücklichen Gesichter, man sieht kein Lächeln. Die Umgebung ist etwas feindselig. Ich mache mir Sorgen darüber, dass unsere Freunde von den Las Abejas hier bleiben werden. Sie glauben, dass sie die Regierung dazu bringen können, sie zu bemerken. Sie haben geglaubt, dass Pablo Salazar ihnen gleich nach seinem Amtseintritt ermöglichen würde, zu ihren Häusern zurückzukehren. Sie haben sogar versucht eine erste Verhandlung zu führen, aber Pablo Salazar hat das Thema geändert, und nannte es einen Runden Tisch für Versöhnung. Aber wie kann man versöhnen, was nicht vereinbart worden ist? Salazar hat versucht, die Dinge zu erzwingen, und er hat versagt. Diese Rückkehr forciert das Problem, aber ich glaube nicht, dass es so gefährlich ist wie vor einigen Jahren, als die PRI an der Macht war. Jetzt hat die PRI sowohl die lokale als auch die Bundesgewalt verloren, und dass schafft mehr Vertrauen. Es hängt davon ab, wie sich die Dinge entwickeln. Die Gefahr besteht darin, dass eine der Seiten immer noch Waffen hat, und dass es diejenige Seite ist, die über den Machtverlust verbittert ist, und die Las Abejas dafür verantwortlich macht. Ich wiederhole ständig, dass die Situation gefährlich ist — haben Sie nicht bemerkt, dass die Mehrheit der zurückkehrenden Menschen Frauen und Kinder sind? Sie sind sehr verletzlich!

- Wird auf die Rückkehr der Las Abejas irgendeine Art von wirtschaftliche Hilfe erfolgen?

Es war eine Dringlichkeitshilfe ausgehandelt worden, weil auch die Entscheidung, nach Hause zurückzukehren, dringlich gewesen ist. Sie wissen, dass dort keine Bedingungen herrschen um zurückzukehren. Eins der Dinge die an dem Runden Tisch diskutiert wurden, war die Tatsache, dass sie Hilfe brauchen — eine Entschädigung, damit sie in der Lage sind ihre Häuser wiederaufzubauen. Aber da die Diskussion unterbrochen wurde, gibt es keine Hilfe. Während zwei Treffen vor der Rückkehr, bot die Regierung den Flüchtlingen eine kleine wirtschaftliche Hilfe an. In Puebla werden nur zwei Häuser, die vollkommen zerstört worden sind, wieder aufgebaut werden, aber es werden keine andere neue Häuser errichtet werden.

- Glauben Sie, dass dies noch mehr zu der Spaltung in den Gemeinden beitragen könnte?

Ja, das könnte es. Die Regierung muss sehr vorsichtig handeln. Erstens können sie nicht Vermittler sein — sie müsen jemanden finden, der die Hilfe kontrollieren kann, damit es keine Ursache für Neid wird.

- Wie werden die nächsten Tage für die Las Abejas sein?

Sehr schwierig, sehr angespannt! Man rechnet damit, dass sie nicht angegriffen werden, dass sie in der Lage sein werden, damit anzufangen ihre Häuser wieder aufzubauen und die Kontakte zu Nachbarn und Freunde wieder aufzunehmen.

- Betrachten Sie diese Rückkehr als ein Modell für die Rückkehr der übrigen internen Flüchtlinge?

Ja, aber es ist keine bestimmte Zeit vereinbart worden, nach der die Situation ausgewertet werden soll. Wir machen keine Pläne auf längere Sicht — und längere Sicht heisst hier eine Woche. Aber es waren heute zum Beispiel Flüchtlinge aus Tila anwesend, sie sind hier, um zu sehen wie sich die Situation entwickelt.

- Wissen Sie, ob einige Fremde hierbleiben werden?

Es sieht so aus, als ob einige kleine Brigaden von Fray Bartolomé hier bleiben werden. Es gibt auch eine Gruppe Mexikaner die in Puebla bleiben werden, aber ich weiss nicht wie lange.

- Die Las Abejas stellen nur einen kleinen Teil der internen Flüchtlinge in Chiapas dar. Wissen Sie wie viele es insgesamt gibt?

Alleine hier in Chenalhó gibt es zwischen 10.500 und 12.500. Im Bundesstaat von Chiapas gibt es viel mehr — die letzten Zahlen sagen 30.000!

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