Wo die Drogenkartelle Lokalpolitik machen

Nur einen Tag war Bürgermeisterin Gisela Mota im Amt, bis sie ermordert wurde. Nach ihrem Tod lösen Bundespolizisten und Soldaten die lokalen Polizeikräfte ab.

Nicole Anliker
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Hunderte begleiteten am Sonntag den Sarg von Gisela Mota auf dem Weg zum Friedhof von Pueblo Viejo. (Bild: Tony Rivera / AP)

Hunderte begleiteten am Sonntag den Sarg von Gisela Mota auf dem Weg zum Friedhof von Pueblo Viejo. (Bild: Tony Rivera / AP)

Bei ihrer Antrittsrede, in knallrotem Kleid und mit gelber Schärpe, hatte die neue Bürgermeisterin von Temixco versprochen, in ihrer Stadt mit dem organisierten Verbrechen aufzuräumen. Nicht einmal 24 Stunden später war Gisela Mota Ocampo tot. Ein Erschiessungskommando von mehreren Personen war am vergangenen Samstag um sieben Uhr früh in ihr Haus eingedrungen, um die 33-jährige Juristin umzubringen.

Bereits 71 Ermordete

Die für den linken Partido de la Revolución Democrática politisierende Mota genoss den Ruf einer sauberen Politikerin. Sie galt als unerschrockene Frau, die zu sagen wagte, dass sie nicht mit der Mafia paktieren werde, und die den Kampf gegen die Drogenkriminalität zu ihrem vorrangigen Ziel erklärte. Dass sie ihr Versprechen gehalten haben soll, behauptet einer ihrer mutmasslichen und inzwischen festgenommenen Mörder. Laut dessen Aussage soll Mota eine vom Drogenkartell «Los Rojos» angebotene Geldsumme abgelehnt haben – was sie offenbar teuer zu stehen kam.

Ob die Aussage stimmt, bleibt unklar. Dass das Syndikat «Los Rojos» hinter dem Attentat steht, haben offizielle Quellen aber bestätigt. Das Kartell kämpft gegen das der «Guerreros Unidos» um die Kontrolle Temixcos. Gisela Mota reiht sich in die lange Liste der 71 Bürgermeister ein, die in den vergangenen zehn Jahren getötet wurden – meist vom organisierten Verbrechen. Hunderte von Beamten und Polizisten kostete die öffentliche Funktion ebenfalls das Leben. Und trotzdem hat die Ermordung Motas bis über die Landesgrenzen Mexikos zu reden gegeben. Wahrscheinlich, weil der Fall der aufstrebenden Politikerin ein Schlaglicht auf die Verhältnisse wirft, denen viele Träger öffentlicher Ämter in Mexiko ausgesetzt sind: Entweder man kooperiert mit dem organisierten Verbrechen, oder man bezahlt mit dem Leben.

Damit Drogensyndikate lokal agieren können, brauchen sie verbündete Politiker und Polizisten. Dafür setzen sie Schmiergelder und Einschüchterungsmethoden ein. Installiert ein Bürgermeister einen dem Kartell wohlgesinnten Polizeichef, kann dieses tun und lassen, was es will. Die Art, wie Gemeinden strukturiert sind und funktionieren, bietet dem organisierten Verbrechen daher relativ viel Angriffsfläche. Träger öffentlicher Ämter sind aber nicht nur dem ständigen Risiko der Unterwanderung und Bestechung ausgesetzt, nicht selten geraten sie auch in Konflikte, die die Kartelle untereinander austragen. Polizisten oder Politiker, die von einem Syndikat getötet werden, weil sie ein anderes unterstützen, hatten meist keine andere Wahl, als sich auf eine der beiden Seiten zu stellen. In einigen Regionen Mexikos gehört Mut dazu, ein solches Amt zu übernehmen. Morelos ist eine davon.

Der Gliedstaat ist wegen der Nähe zu seinen konfliktgeladenen Nachbarstaaten Guerrero, Michoacán und Estado de México in den vergangenen Jahren von einer Gewaltwelle heimgesucht worden. 2013 verzeichnete Morelos laut offiziellen Angaben mit 8,5 auf 100 000 Einwohner die meisten Entführungen im Land. Auch die Zahl der Erpressungen gehört zu den höchsten Mexikos. Dies war auch der Grund, weshalb sich der Gouverneur von Morelos, Graco Ramírez, 2014 für die Einführung einer neuen Sicherheitsstrategie aussprach. Dabei soll die Gemeindepolizei schrittweise aufgelöst und durch Sicherheitskräfte unter einheitlichem Kommando auf gliedstaatlicher Ebene abgelöst werden. Die Entscheidung über die Einführung der neuen Befehlsstruktur lag bisher aber jeweils bei den Bürgermeistern.

Unter Zwangsverwaltung

Der Mord an Mota führte nun dazu, dass Bundespolizisten und Soldaten am Montag die Kontrolle über 15 Ortschaften von Morelos übernahmen. Der Gouverneur stellte sie unter Zwangsverwaltung, obwohl sich mehrere Bürgermeister dem einheitlichen Kommando zuvor verweigert hatten. Mota selber hatte sich stets für diese Strategie ausgesprochen.

Die Idee, die Gemeindepolizei aufzulösen und die Sicherheitskräfte unter ein einheitliches Kommando zu stellen, geht auf die Zeit vor dem heutigen Regierungschef Peña Nieto zurück. Konkretisiert wurde sie damals aber nicht. Peña Nieto selber hatte eine solche Polizeireform Ende 2014 vorgestellt, als er wegen des Verschwindens von 43 Studenten unter Handlungsdruck geraten war. Laut dem Präsidenten sollen sich inzwischen 17 der 32 Gliedstaaten und über 90 Prozent der Gemeinden dieser Strategie angeschlossen haben. Denn nachdem die Regierung die Reform auf dem Gesetzesweg nicht durchsetzen konnte, hat sie den Druck auf andere Weise erhöht. Ab 1. Januar erhalten nur noch jene Gemeinden und Gliedstaaten Geld für die Verbrechensbekämpfung, die das Modell übernommen haben.

Umstrittene Strategie

Das Konzept wird aber nicht von allen Seiten begrüsst. Manche Bürgermeister widersetzen sich der Reform, weil sie dadurch Kompetenzen verlieren. Sie fürchten um ihre Macht, aber auch um ihre Sicherheit. Kritiker sehen vor allem die längerfristige Umsetzung der Strategie als problematisch an. Viele von ihnen ziehen eine Gemeindepolizei, die korrupt, aber überschaubar ist, einem grossen Sicherheitsapparat vor, über den jegliche Kontrolle verloren gehen könnte. Ob Polizisten auf höheren Ebenen tatsächlich weniger korrupt sind, ist nach ihrer Ansicht nicht sicher.