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China, Kansas City und die Tempelritter (ILA Nr. 397)
Die Bedeutung des mexikanischen Pazifikhafens Lázaro Cárdenas
ILA vom 19.07.2016 |
Die enge Verbindung von Wirtschaftsgruppen, Politik und organisierter Kriminalität ist eines der Kennzeichen des gegenwärtigen Mexiko. Kaum ein Wirtschaftszweig, in dem die Kartelle nicht ihre Finger haben, wobei die Behörden und politischen Institutionen auf lokaler und nationaler Ebene in den meisten Fällen wegschauen, weil viele ihrer Mitglieder auf der Lohnliste der Narcos stehen. Dies gilt auch für den größten Hafen an Mexikos Pazifikküste, Lázaro Cárdenas, wobei dessen Namensgeber, der fortschrittlichste Präsident in der Geschichte Mexikos (1934-1940), sich im Grabe herumdrehen dürfte, wenn er wüsste, was dort in seinem Namen geschieht.
VON GERD GOERTZ
Der Industrie- und Handelshafen Lázaro Cárdenas an der mexikanischen Pazifikküste im Bundesstaat Michoacán ist dabei, zum größten maritimen Logistikzentrum Lateinamerikas zu werden. Als ausgebauter Hafen nicht einmal 50 Jahre alt, hat er vor allem im vergangenen Jahrzehnt eine rasante Entwicklung genommen. Inzwischen ist er vom Containerumschlag bestimmt. Mit einem neuen Containerterminal, zusätzlichen Kais und Ladekränen erhöhte der Hafen 2014 seine Betriebskapazität um 50 Prozent auf jährlich 1,5 Millionen Standardcontainer (1 TEU). In den kommenden Jahren sollen Milliarden in den Ausbau von Autobahnen und schnellere Güterzugverbindungen investiert werden, um den Import und Export über den Hafen weiter anzukurbeln. Mit ihm wächst die gleichnamige Stadt Lázaro Cárdenas. Während dort Anfang der 1960er-Jahre weniger als zehntausend Menschen wohnten, dürfte es inzwischen mehr als eine Viertelmillion sein.
Der Boom in Lázaro Cárdenas kommt nicht von ungefähr. Die von keinem anderen mexikanischen Hafen erreichte Beckentiefe von 18 Metern ist dabei nicht der wichtigste Faktor. Vielmehr profitiert der Hafen von seiner geografischen Lage und dem enormen Stahlbedarf der chinesischen Industrie. In keinem anderen mexikanischen Bundesstaat wird so viel Eisenerz gefördert wie in Michoacán. Zugleich bietet der Umschlagplatz Lázaro Cárdenas den USA in Verbindung mit der Eisenbahn eine Transportalternative auf ihrer Ost-West-Route. So schreibt Luis Hernández Navarro1: "In der Kartographie, die die Konturen der neuen Handelsströme wiedergibt, kann eine Linie gezeichnet werden, die den pazifischen Ozean kreuzt und Lázaro Cárdenas mit dem weltweit größten Hafen von Schanghai verbindet. Während 2008 von diesem Verladeplatz nur 1,5 Prozent der mexikanischen Eisenerzexporte nach China getätigt wurden, so fand der Verkauf dieses Minerals an den asiatischen Drachen Mitte 2013 fast zur Hälfte über Lázaro Cárdenas statt."
Zudem beginnt in Lázaro Cárdenas der wichtigste Handelskorridor des mexikanischen Bahnsystems und eine vergleichsweise günstige Transportachse zwischen dem Pazifik und dem Osten der USA: die Linie der Kansas City Southern de México (KCSM). Hernández: "Osten und Westen, Küsten und Küste sowie die Grenze sind durch die Eisenbahn geeint worden. 59 Prozent der Containerladung, die in den Hafen gelangt, tut dies auf dem Bahnweg. Das heißt, durch die KCSM. Das Unternehmen, bekannt als die Eisenbahn des Freihandels, erhielt die Konzession für 50 Jahre — mit dem Exklusivrecht für den Frachtdienst in den ersten 30 Jahren." Nicht zufällig haben Lázaro Cárdenas und Kansas City eine Städtepartnerschaft abgeschlossen. "Die Achse Lázaro Cárdenas- KCSM ist vital, um die interozeanische Warenbewegung aus und in die USA zu entstauen." Die USA können dank dieser Achse sowohl den mühseligen Transportweg über die eigenen Gebirge vermeiden als auch dem Flaschenhals des Panamakanals ausweichen.
Für die mexikanische Wirtschaft selbst erfüllt der Hafen ebenfalls eine wichtige Funktion: Lázaro Cárdenas hat über ein multimodales Transportnetzwerk eine gute Anbindung an 13 mexikanische Bundesstaaten, die zusammen 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes erwirtschaften. An den Hafenmolen werden die chinesischen Rohstoffe und Fabrikerzeugnisse entladen, die den mexikanischen Binnenmarkt versorgen. Dazu kommen die Bauteile für die modernen Fertigungsanlagen der Automobil- und Raumfahrtindustrie in der boomenden Region Bajío (die Bundesstaaten Aguascalientes, Guanajuato, Jalisco, Michoacán, Querétaro, San Luis Potosí). Über den Hafen wurden 2013 zudem mehr als 172 000 Autos exportiert und 146 000 eingeführt.
Zu den über Lázaro Cárdenas abgewickelten Importen gehören auch die Ausgangsstoffe für die Herstellung synthetischer Drogen. Der reibungslose Zugang zu diesen sogenannten Präkursoren dürfte das ursprüngliche Interesse zuerst des Kartells La Familia (Die Familie) und dann der Nachfolgeorganisation Los Caballeros Templarios (Die Tempelritter) gewesen sein, Einfluss in der Hafenverwaltung und vor allem beim Hafenzoll zu bekommen. Doch innerhalb weniger Jahre spielten die Drogen offenbar nur noch eine Nebenrolle. Die Tempelritter interpretierten die Hafenwerbung "Der Hafen aller" und "Hafen ohne Grenzen" ein bisschen um. Sie besaßen bald nicht nur eigene Eisenerzminen, sie kontrollierten den Eisenerztransport, raubten auf den Halden der multinationalen Konzerne, verlangten Schutzgelder und erhoben eine Gebühr auf jede exportierte Tonne, die bei 15 US-Dollar gelegen haben soll. Die Tempelritter übten Druck auf andere Konzessionäre aus, ihnen die notwendigen Papiere zu besorgen, um in die Hafenzone zu kommen und ihr eigenes Eisenerz "legal" nach China exportieren zu können.
Am Ende sollen sie sogar für die Benutzung der Hafenmolen kassiert haben. Nach einer Reportage des britischen Fernsehsenders Channel 4 gelang es den Tempelrittern, zwischen 50 und 75 Prozent des nach China exportierten Eisenerzes unter ihre Kontrolle zu bringen. Über die Jahre sicherten sie sich auf verschiedene Weise die Duldung und aktive Unterstützung der lokalen Politik bis in die höchsten Kreise der Regierung Michoacáns.
Formal sind überwiegend transnationale Unternehmen wie Ternium, ArcelorMittal, Endeavour Silver Corp und AHMSA für die Eisenerzförderung in Michoacán verantwortlich. Sie haben etwas mehr als 15 Prozent des Territoriums des Bundesstaates in Konzession. "Doch die Tempelritter haben ihnen das Geschäft verkompliziert", schreibt Hernández. Wenige der Multis wagten es, die Tempelritter offen herauszufordern und anzuklagen. Einer davon war der ArcelorMittal- Manager Virgilio Camacho. Im April 2013 wurde er ermordet. Im November 2013 intervenierte die mexikanische Bundesregierung in Lázaro Cárdenas. Heeres- und Marinesoldaten marschierten in Stadt und Hafengelände ein. Die zivilen Beamten der Hafenverwaltung wurden durch Militärs ersetzt. Ein Vizeadmiral übernahm die Hafenleitung. Die Armee entwaffnete zudem die Polizei der Stadt und setzte Militärpolizisten auf ihre Posten.
Die Überlegungen der Zentralregierung dürften weniger davon geleitet gewesen sein, der von den Tempelrittern zunehmend drangsalierten einfachen Bevölkerung zu helfen. Vielmehr ging es darum, die anwachsende Bewegung der Selbstverteidigungsgruppen gegen die Tempelritter nicht weiter erstarken zu lassen. Zudem nahm das Kartell dem Staat die Steuereinnahmen weg. Zwar wird in Lázaro Cárdenas mehr Ware umgeschlagen als in jedem anderen mexikanischen Hafen und beim Warenwert liegen nur noch der Pazifikhafen Manzanillo und der Atlantikhafen Veracruz vor Lázaro Cárdenas. Doch beim Steueraufkommen belegte der Hafen nur den vierten Platz. Zu viel Geld floss ab zu den Tempelrittern.
Auf den Webseiten der Hafenverwaltung sowie der dort tätigen Unternehmen finden sich so gut wie keine Hinweise auf diese Vorgänge. Durch die Verhaftung einiger Führungsmitglieder sind die Tempelritter zweifellos geschwächt. Aber die mexikanischen Kartelle haben wiederholt bewiesen, dass sie keine Nachwuchssorgen haben. Ob sich nun eventuell statt Polizei und Zivilisten Militärs bestechen lassen, ist berechtigte Spekulation. Nach wie vor ist der im November 2013 eingesetzte Vizeadmiral Jorge Luis Cruz als Generaldirektor der "Hafenkapitän". Es ist wieder still um den Hafen Lázaro Cárdenas geworden. Er wird weiter expandieren. Business ist Business. ■
Die Informationen dieses Artikel beruhen zu weiten Teilen auf zwei Artikeln von Luis Hernández Navarro in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada vom 11. und 18. Februar 2014 sowie zusätzlicher Internetrecherche.
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