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Die Gewalt im Acapulco der Armen
Von Abel Barrera, Leiter des Menschenrechtszentrums Tlachinollan*
Poonal vom 15.01.2018 |
Abel Barrera |
Abel Barrera fasst in diesem Text verschiedene Zeugenaussagen von Mitgliedern des Rates der Ejidos und Gemeinden in Opposition zum Stauwerk La Parota (Cecop) zusammen. Auf dem Bild Gemeindepolizisten der CRAC. Foto: Desinformémonos
(Tlapa, Guerrero, 12. Januar 2018, la jornada).- Gegen drei Uhr morgens, als auf dem Dorfsportplatz getanzt wurde, sah ich, wie zwei Mitglieder der gemeindebasierten Polizei einer Person folgten, die auf das Comisariado zurannte [Büro des Comisario, dem Beauftragten für das Gemeindeland. Die Beauftragten werden in der Theorie von der Gemeindeversammlung gewählt. Oft erfolgt ihre Wahl aber unter Unregelmäßigkeiten oder die Regierungsbehörden versuchen, die Comisarios zu kooptieren]. Bevor diese dort Einlass fand, erreichten die beiden Gemeindepolizisten sie und hielten sie fest. Als sie sie dann mitnahmen, zog eine der Personen, die in dem Kommissariat tranken, ihre Pistole und schoss auf sie. In diesem Moment kamen die Compañeros von der CRAC [Regionale Koordination der Gemeindeversammlungen, die die gemeindebasierte Polizei in verschiedenen Dörfern des Bundesstaates Guerrero organisiert] zur Unterstützung angerannt. Dies war der Augenblick, in dem die Schießerei losging. Sie spielte sich zwischen den Leuten aus dem Comisariado und der gemeindebasierten Polizei ab. Wir rannten alle in unsere Häuser und nur einige wenige näherten sich dem Sportplatz, um zu erfahren, was vor sich ging. Was wir wussten, war, dass weitere sechs Personen ermordet wurden und dass die Leute vom Comisariado dafür verantwortlich waren. Gegen neun Uhr kamen gut bewaffnete Polizeieinheiten des Bundesstaates. Sie sprachen mit dem Comisario und mit Marco Antonio [Marco Antonio Suastegui, Sprecher des Rates der Ejidos und Gemeinden in Opposition zum Stauwerk La Parota, Cecop]. Danach kam die Ermittlungspolizei (policía ministerial). Mehrere Personen aus dem Dorf versteckten sich im Berghang, weil sie Angst hatten, dass ihnen etwas geschehen könnte.
Die Präsenz der Polizisten war nicht so sehr, um den Familienangehörigen der Ermordeten zu helfen, sondern sich der gemeindebasierten Polizei entgegenzustellen. Als die Körper für den Transport zur Gerichtsmedizin vorbereitet waren, tauchte plötzlich ein Hubschrauber auf. Er flog ganz tief über der Kommandantur der CRAC. Unterdessen kamen mehr Pickups mit Polizisten, sowohl vom Bundesstaat als auch von der Ermittlungspolizei. Alle, die wir dort waren, hörten einen Schuss, der aus einer Polizeiwaffe kam. Es war wie ein Signal, denn daraufhin begannen die Regierungsleute zu feuern. Es waren viele, sie kamen in mehr als 25 Pickups. Sie hatte uns bereits umzingelt und darum zogen sie ihre Waffen. Von den gemeindebasierten Polizisten gab es höchstens 20. Ihre Waffen sind mit denen, die die Regierungspolizisten benutzten, nicht vergleichbar.
Als sie schossen, sahen wir wie Crescenciano Everado, Kommandant der gemeindebasierten Polizei, mit seinen Händen am Kopf hinkniete. Sie schleiften ihn weg und schlugen ihn. Wir wissen nicht, was passierte, denn jetzt wird uns gesagt, dass er tot ist. Dasselbe geschah mit Alexis »El Coco« und »El Monty«, der Felciano heißt. Inmitten der ganzen Schießerei sahen wir nicht, wie sie sie umgebracht haben. Mehrere Compañeras begaben sich in das Gebäude der gemeindebasierten Polizei, wo die Körper von Ulises und Eusebio lagen, die beiden Gemeindepolizisten, die in den frühen Morgenstunden ermordet worden waren. Die staatlichen Kräfte kamen hinterher und stießen die Frauen nach draußen. Danach betraten sie die Häuser der Leute vom Rat der Ejidos und Gemeinden in Opposition zum Stauwerk La Parota (Cecop). Sie kamen schreiend herein: »Wo sind die Waffen?«. Ohne Erlaubnis wühlten sie alles durch. Sie wollten von uns wissen, wo sich Vicente befand, der Bruder von Marco Antonio.
Dasselbe machten sie in Aguacaliente mit anderen Compañeros vom Cecop. Dorthin kamen sie mit Iván Soriano Leal alias«El Chistorete«. Ihn hatte die gemeindebasierte Polizei festgenommen, weil sie in dem Auto, mit dem er und weitere drei Personen unterwegs waren, Waffen und Marihuana fanden. Er zeigte und sagte den Polizisten, wo die Mitglieder des Cecop lebten. Er machte sie glauben, dass sie über viele Waffen und ebenfalls Drogen verfügten. Sie gingen zum Haus von Vicente in Aguacaliente und sagten dort seiner Schwiegermutter, sie solle die 300 Waffen übergeben, die versteckt seien. Sie suchten sogar in den Eimern mit benutztem Klopapier und im Kühlschrank nach, ohne etwas zu finden.
Sie entwaffneten alle Polizisten der CRAC, schleiften sie mit sich und rissen ihnen ihre Uniformen vom Leib. Marco Antonio legten sie Handschellen an und warfen ihn auf einen Pickup. Jetzt wissen wir, dass ihn zum Berg mitnahmen und ihn dort folterten. Sie verhüllten sein Gesicht und schlugen ihm mit einem Moringa-Holz auf die Gesäßbacken, bis er das Bewusstsein verlor. Sie zwangen ihn, einen Schuss abzugeben. Sie sagten ihm, dass sie ihn nun endgültig fertig machen würden. Dass er diesmal nicht davon kommen würde, er sei überfällig. Wir Frauen haben Angst, dass der Comisario Rache ausübt, denn er wird von der Polizei des Bundesstaates und der Ermittlungspolizei begleitet. Wir sehen auch die Pistoleros herumstreifen, die mit Humberto Marín arbeiten. Dieser zahlt dafür, dass die CRAC verschwindet und dafür, dass die Comisarios gewählt werden, die seiner Gruppe angehören. Die Regierung unterstützt die Befürworter*innen des Staudamms La Parota. Uns vom Cecop haben sie überdrüssig und Marco wollen sie umbringen.
Die Regierung erklärt, dass wir die Kriminellen sind. Sie erfindet, dass wir Schwerbewaffnete sind und uns dem Drogenverkauf widmen. Sie soll herkommen, um zu sehen, wie wir leben. Unser Haus hat nicht einmal einen Zementfußboden. Schau dir nur einmal die Straße an, das sieht nicht nach Acapulco aus. Hierhin haben sich weder Gott noch der Teufel jemals verirrt. Wir bearbeiten das Land und können gerade einmal genug Mais ernten, um das Jahr über zu essen zu haben. Von der Regierung kommt keine Unterstützung, um Arbeit zu haben und unsere Böden besser bearbeiten zu können. Uns Arme behandeln sie wie Idioten und Faulpelze. Ganz besonders uns vom Cecop. Sie haben uns über, weil wir nicht erlauben, dass die Nationale Stromgesellschaft unser Land betritt, um den Staudamm La Parota zu bauen.
Die Regierung hat sich darum gekümmert, Hass in unseren Dörfern zu säen und lässt es nicht zu, dass wir uns organisieren. Seit sich die gemeindebasierte Polizei in La Concepción gegründet hat, hat die Regierung sich anderer Gruppen und Personen bedient, um einen Zusammenstoß zu provozieren. So geschah das mit der Vereinigung der Dörfer und Organisationen des Bundesstaates Guerrero (Upoeg; [inzwischen regierungsnah und paramilitärisch organisiert]) und mit »El Chistorete«, einem ehemaligen Militär, der auf die Unterstützung der Regierung und der Leute, die mit dem Verbrechen arbeiten, zählen kann. Ihn schützen die Polizisten und er nützt ihnen als Informant. Darum haben sie ihn befreit. Das Problem geht weiter, denn der Comisario organisiert die Leute, damit sie uns aus dem Dorf vertreiben. Er sagt, wir vom Cecop haben die Schuld an dem Vorfall. Mit der Unterstützung der Regierung sind sie in die Kommandantur der CRAC eingedrungen und haben alles in den Hof geworfen. Unter Geschrei und Gelächter haben sie alles verbrannt, damit es keine Beweise dafür gibt, wie die Regierungspolizisten unsere Polizisten umbrachten. Darum schlugen sie auch mehrere Journalisten und nahmen ihnen ihre Ausrüstung weg. Denn die Journalisten wissen, was sie taten. Sie wollen nicht mehr, dass die Journalisten ins Dorf kommen. Am Tag der Beerdigung warfen sie diese hinaus und sagten ihnen, falls sie nicht wollten, dass ihnen etwas zustieße, kämen sie besser nicht zurück. Sie sagen, die gemeindebasierte Polizei sei nun zusammen mit ihren Toten begraben, jetzt werde die Polizei des Bundesstaates im Dorf sein. Sie wollen Rache und das Stauwerk La Parota. Wir wollen, dass unsere Territorien respektiert werden. Wir wollen, dass die Regierung uns in Frieden lässt. Dass sie wirklich untersucht, was Sonntag im Morgengrauen passiert ist und dass sie aufhört, ihre mordenden Polizisten zu schützen. Wir wollen, dass dieser Albtraum in dem Acapulco, in dem wir Armen leben, endlich ein Ende hat.
*Abel Barrera, 2011 mit dem Amnesty International Menschenrechtspreis der deutschen ai-Sektion ausgezeichnet, fasst in diesem Text verschiedene Zeugenaussagen von Mitgliedern des Rates der Ejidos und Gemeinden in Opposition zum Stauwerk La Parota (Cecop) zusammen.
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