300. Dritter und letzter Teil: Eine Herausforderung, eine wirkliche Automie, eine Antwort, verschiedene Vorschläge und einige Anekdoten zur Zahl »300«.

Subcomandante Insurgente Moisés, SupGaleano

Kommunique vom 22.08.2018
übersetzt von: Christine, RedmycZ

 

300.


Dritter und letzter Teil

Eine Herausforderung, eine wirkliche Automie, eine Antwort, verschiedene Vorschläge und einige Anekdoten zur Zahl »300«.

Was folgt?

Gegen den Strom schwimmen. Nichts Neues für uns, die zapatistischen Frauen, Männer und AnderEr.

Wir wollen es bestätigen − wir haben darüber mit unseren Gemeinden Rücksprache gehalten − jedweden Verwalter werden wir konfrontieren, ganz gleich welchen und nicht nur jenen, der eine gute Verwaltung und eine korrekte Repression anregt − will heißen, diesen Kampf der Korruption und den Sicherheitsplan, der auf Straflosigkeit basiert − auch jene, die hinter avantgardistischen Träumen trachten, uns ihre Hegemonie aufzuerlegen und uns zu hegemonisieren.

Wir werden unsere Geschichte, unseren Schmerz, unseren Zorn und unseren Kampf nicht gegen diesen progressiven Konformismus und dem damit einhergehenden Nachlaufen eines Führers eintauschen.

Vielleicht vergessen die Anderen, aber wir vergessen nicht, dass wir ZapatistInnen sind.

Und was unsere Autonomie betrifft − mit dem Gerede ob sie anerkannt oder nicht anerkannt wird − haben wir folgende Überlegung angestellt: die offizielle und die wirkliche Autonomie. Die offizielle ist die, welche die Gesetze anerkennen. Die Logik lautet dazu folgendermaßen: du hast deine Autonomie, ich anerkenne diese jetzt in einem Gesetz und dann hängt deine Autonomie von diesem Gesetz ab und sie behält nicht mehr ihre eigene Form bei und dann, wenn es einen Regierungswechsel gibt, musst du diese ´gute´ Regierung unterstützen und sie wählen, für sie Wahlwerbung betreiben, denn wenn es zu einer anderen Regierung käme, würden sie das Gesetz, das dich beschützt wieder annullieren. Auf diese Art würden wir uns in Knechte der politischen Parteien verwandeln, so wie das mit Sozialbewegungen auf der ganzen Welt geschehen ist. Es ist nicht mehr wichtig, was in der Realität geschieht, was verteidigt wird, sondern das, was das Gesetz anerkennt. Der Kampf um die Freiheit verwandelt sich dadurch in einen Kampf um die legale Anerkennung des Kampfes.

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Wir haben mit unseren ´Chefinnen´ und ´Chefs´ gesprochen. Oder besser gesagt, wir haben mit den Comunidades gesprochen, die uns Gangart, die Richtung und das Ziel vorgeben. Mit ihrem Blick schauen wir auf das, was kommt.

Wir fragten folgendermaßen: gut denn, wenn wir uns so entscheiden, was wird dann passieren?

Werden wir alleine dastehen, werden sie uns sagen, dass wir unbedeutend sind, dass wir die große Revolution an uns vorbeigehen lassen ... die vierte Transformation oder die neue Religion (oder wie immer sie das auch bezeichnen) und dass wir wieder einmal gegen den Strom schwimmen werden müssen.

Aber das ist ja nichts Neues für uns, dass wir alleine bleiben.

Und dann haben wir uns gefragt, gut denn, haben wir Angst, alleine zu bleiben? Haben wir Angst, unseren Überzeugungen treu zu bleiben und für diese weiterhin zu kämpfen? Haben wir davor Angst, dass jene, die früher für uns waren, sich gegen uns stellen werden? Haben wir Angst davor, nicht zu kapitulieren, uns nicht zu verkaufen, nicht umzufallen? Und wir kamen zum Schluss: also wir fragen uns, ob wir Angst haben, ZapatistInnen zu sein.

Wir haben keine Angst, ZapatistInnen zu sein und wir werden das auch weiterhin sein. Das haben wir uns gefragt und so war unsere Antwort.

Wir glauben, dass wir - zusammen mit euch (den Netzwerken) - und alles gegen uns, denn wir hatten weder die Mittel noch die Zustimmung noch die Art und Weise noch das Geld — ja ihr habt sogar aus eurer eigenen Tasche beisteuern müssen — mit alledem, rund um ein Kollektiv von Originalvölkern und einer kleinen Frau mit brauner Hautfarbe, der Farbe der Erde, wir ein räuberisches System angeklagt haben und unsere Überzeugung eines Kampfes verteidigten.

Und daher suchen wir andere Menschen, die keine Angst haben. Daher fragen wir euch (die Netzwerke): Habt ihr Angst?

Ihr müsst selber entscheiden, wenn ihr Angst habt, dann werden wir wo anders suchen.

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Wir glauben, dass wir weiterhin an der Seite der Originalvölker bleiben müssen.

Vielleicht glauben einige der Netzwerke noch, dass sie die Originalvölker unterstützen. Im Lauf der Zeit werden sie merken, dass es umgekehrt ist: sie werden euch unterstützen, mit der Erfahrung, mit ihrer Organisation, das heißt, ihr werdet lernen. Denn wenn es irgendeinen Experten in Bezug auf Unwetter gibt, dann sind das die Originalvölker, ihnen ist schon alles widerfahren, und da stehen sie noch immer, oder da stehen wir noch immer. Aber wir glauben auch — und wir sagen das ganz deutlich compañer@s — das reicht nicht. Wir müssen in unseren Horizont, in unsere Realität eure Schmerzen und euren Zorn mithineinnehmen, das heißt, wir müssen uns auf die nächste Etappe hin zubewegen: die Schaffung eines Rates, der die Kämpfe aller Unterdrückten umfasst, aller Wegwerfbaren, aller Verschwundenen und Ermordeten, der politischen Gefangenen, der angegriffenen und belästigten Frauen, der prostituierten Kinder, der Kalender und Geographien, die eine Karte zeichnen welche für die Wahrscheinlichkeitsgesetze unmöglich ist und unverständlich für Befragungen und die Wahlen: die aktuelle Karte der Rebellionen und Widerstände auf dem gesamten Planeten.

Wenn wir alle zusammen, ihr, zusammen mit uns, dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit — welches besagt, dass es keine oder zumindest nur eine kleine Chance gibt, dass wir es schaffen - die Stirn bieten, wenn wir den Umfragen die Stirn bieten, den Millionen der Wahlen und dem Nummernspiel, welches die Macht anbietet, damit wir uns ergeben oder umkippen, dann müssen wir den Concejo (CIG-indigener Regierungsrat) grösser machen.

Bislang sind das nur unsere Gedanken, die wir euch hier darlegen, aber wir wollen einen Concejo gründen, der die Verschiedenartigkeiten nicht aufsaugt oder auslöscht, sondern im gemeinsamen Weiterschreiten mit uns, mit anderen Männern, Frauen und AnderEr, welche das gleiche Ziel haben, verstärkt.

Dieser Logik folgt, dass der Rat als Begrenzung keine von der Geographie und von Fahnen auferlegte Grenze haben soll: er muss darauf hinzielen, international zu werden.

Wir schlagen vor, dass der Indigene Regierungsrat in Zukunft nicht nur indigen sein soll und auch nicht nur national.

Daher schlagen wir, Frauen, Männer und AnderRe als ZapatistInnen vor, dass - abgesehen von allen Vorschlägen, die bei diesem Treffen aufgeworfen wurden - über folgende Punkte eine Befragung erfolgt:

1. Unsere Unterstützung des Nationalen Indigenen Kongresses und des Nationalen Indigenen Regierungsrates zu bekräftigen.

2. Offene und transparente Kommunikationskanäle mit denen, die wir auf dem Weg des Indigenen Regierungsrates und seiner Sprecherin kennenlernten, zu schaffen und zu erhalten.

3. Die Analyse-Bewertung der Realität, in der wir uns bewegen, beginnen oder fortsetzen und diese Analysen und Bewertungen teilen und ebenso die Aktionsvorschläge, die daraus resultieren teilen und ausführen.

4. Wir schlagen vor, die Unterstützungsnetzwerke des CIG zu verdoppeln, um — ohne dass die Unterstützung der Originalvölker leidet — das Herz zu öffnen, für die Rebellionen und Widerstände die auftauchen und fortbestehen, wo immer das auch sei, auf dem Land, in der Stadt und ohne auf die Grenzen zu achten.

5. Den Kampf, der auf die Vergrößerung der Forderungen und des Charakters des Indigenen Regierungsrates abzielt beginnen oder fortzusetzen, in dem Sinne, dass er über die Originalvölker hinausreicht und die ArbeiterInnen auf dem Land und in der Stadt und die Wegwerfbaren, die eine eigene Geschichte und einen eigenen Kampf haben — das heißt, eine Identität — einschließt.

6. Beginn oder Fortsetzung der Analyse und Diskussion die auf die Schaffung einer Koordination oder Föderation der Netzwerke abzielt, die eine zentralisierte und vertikale Führung vermeidet und keine Mühe scheut, Solidarität und Geschwisterlichkeit unter seinen Mitgliedern zu praktizieren.

7. und letzter Punkt. Ein internationales Treffen der Netzwerke, oder wie immer sie sich nennen wollen, im Dezember dieses Jahres abzuhalten — wir schlagen vor, dass wir uns jetzt einmal ´Netzwerk des Widerstandes und der Rebellion...+ der jeweilige Name´ bezeichnen. Nach der Kenntnis, Analyse und Bewertung dessen, was der Nationale Indigene Kongress und sein Indigener Nationaler Regierungsrat entscheidet und vorschlägt (bei seinem Treffen im Oktober dieses Jahres) und auch um das Ergebnis der Befragung, zu der bei diesem Treffen aufgefordert wurde zu kennen. Wir bieten dafür — wenn euch das recht ist — eines der zapatistischen Caracoles an.

Unser Aufruf geht daher nicht nur an die Originalvölker, sondern an alle Männer, Frauen und AnderRe, die auf allen Winkeln der Welt rebellieren und widerstehen. Jene die den Schemen, Regeln, Gesetzen, Vorschriften, Zahlen und Prozentangaben die Stirn bieten.

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Erste Anekdote. In den ersten Jännertagen des Jahres 1994 schätzte der Geheimdienst der Bundeswehr die Stärke der selbsternannten ezetaelene ´nur´ auf 300 Gesetzesübertreter.

Zweite Anekdote. Im selben Jahr und während Ernesto Zedillo Ponce de León und Esteban Moctezuma Barragán den Verrat vom Februar 1995 vorbereiteten, wurde die Nexos-Gruppe nervös (das waren die, die davor Lobhymnen auf Salinas de Gortari und später auf Zedillo anstimmten) und durch die Stimme von Héctor Aguilar Camín verlauteten sie ungefähr folgendes: »Warum vernichten sie sie denn nicht? Es sind ja nur 300«.

Dritte Anekdote.- Aus dem Bericht der Einschreibungen zum Treffen der Unterstützungsnetzwerke zum CIG und seiner Sprecherin, stattgefunden im Caracol »Torbellino de Nuestras Palabras«, vom 3. bis 5. Augst 2018: »Anzahl der TeilnehmerInnen: 300«.

Vierte Anekdote: Einkünfte der 300 mächtigsten Unternehmen der Welt: keine Ahnung, aber es kann 300 sein, oder irgendeine andere Zahl, gefolgt von unglaublich vielen Nullen und dann ´Millionen Dollar´.

Fünfte Anekdote.- Zahlen und Prozentangaben, die ´Mut machen´:

.- der quantitative Unterschied zwischen 300 y 30 113 483 (das sind die Stimmen, die der Kandidat AMLO laut Angaben des INE = (nationale Wahlbehörde erhielt) beträgt: dreißig Millionen, einhundertdreizehntausend einhundertunddreiundachzig.

.- 300 ist 0.00099623 % dieser mehr als 30 Millonen;

.- 300 ist 0.00052993 % der abgegebenen Stimmen (56, 611,027);

.- 300 ist 0.00033583 % der eingetragenen Wahlberechtigten (89, 332,032);

.- 300 ist 0.00022626 % der mexikanischen Gesamtbevölkerung (132, 593,000, abzüglich der 7 Frauen, die durchschnittlich täglich getötet werden — im letzten Jahrzehnt wurde im Durchschnitt in Mexiko alle 4 Stunden ein Mädchen, eine Jugendliche, eine erwachsene oder alte Frau ermordet);

.- 300 ist 0.00003012 % der Bevölkerung des amerikanischen Kontinents (996, 000,000 im Jahr 2017);

.- die Wahrscheinlichkeit, das kapitalistische System zu zerstören beträgt 0.000003929141 %, das ist der Prozentsatz der Weltbevölkerung (7, 635, 255,247 um 19:54 Uhr, Lokalzeit am 20. August 2018), für 300 (natürlich nur, wenn sich diese angeblichen 300 Personen nicht verkaufen, nicht aufgeben und nicht umfallen).

Oh ja, ich weiß, nicht mal die Schildkröte, die Achilles besiegt, dient als Trost.

Und ein Caracol? ...
Die Hexe Scarlett? ...
Der/die Katze/Hund? ...

Überlassen Sie das uns Zapatistinnen und Zapatisten, was uns den Schlaf raubt ist nicht die Herausforderung, welche diese minimale Wahrscheinlichkeit darstellt sondern die Frage, wie die Welt sein wird, die kommen wird, welche aus der noch rauchenden Asche des Systems hervorgehen wird.

Was werden ihre Formen sein?

Werden die Farben sprechen?

Was wird die Musik sein? (Was? Ha? ´die mit der färbigen Haarschleife?´ Vergiss es, auf keinen Fall.)

Wie wird das Team von Defensa Zapatista aussehen, das schlussendlich zusammenkommt? Wird der Teddybär von Esperanza Zapatista aufgestellt werden und mit Pedrito ein Paar bilden? Werden sie Pablito erlauben, seinen Cowboyhut zu tragen und Amado Zapatista seinen Kammgarnhelm. Warum pfeift dieser verdammte Schiedsrichter nicht, wenn der/die Katze Hund ganz deutlich im Out ist?

Und vor allem, und das ist ganz wesentlich, wie wird in dieser Welt getanzt werden?

Wenn daher jemand uns ZapatistInnen fragt ´was kommt?´...nun denn, wie soll ich es ausdrücken? ... Da antworten wir nicht gleich darauf, sondern unsere Antwort die dauert.

Denn sehen Sie mal, eine Welt zu tanzen ist weniger kompliziert als sich diese vorzustellen.

Sechste Anekdote. Ach so, Sie dachten dass »300« vom gleichnamigen Film herrührt und um den Kampf um Thermopiles und Sie bereiteten sich schon vor, als Leónidas oder als Gorgo verkleidet (wie es jedem gefällt), um zu brüllen »Das ist Sparta!« während der Dezimierung der »unsterblichen« Truppen des Perserkönigs Xerxes. Habe ich es nicht gesagt? Diese ZapatistInnen, wie so oft, sehen sie sich einen anderen Film an. Oder noch schlimmer, sie schauen sich die Realität an und analysieren sie. Was soll man da machen.

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Das ist alles ... für jetzt.
Aus den Bergen des Südostens von Mexiko.

Subcomandante Insurgente Moisés. | Subcomandante Insurgente Galeano.
Mexiko, August 2018.

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Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2018/08/22/300-tercera-y-ultima-parte-un-desafio-una-autonomia-real-una-respuesta-varias-propuestas-y-algunas-anecdotas-sobre-el-numero-300-subcomandante-insurgente-moises-supgaleano/


 

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