Erklärung der Zweiten Nationalversammlung des Nationalen Indígena Kongress - Indigener Regierungsrat

EZLN vom 14.10.2018
übersetzt von: Nadine

 

An die Unterstützungsnetzwerke des Indigenen Regierungsrates
An die Sexta National und International
An die Menschen von Mexiko und der Welt
Schwestern, Brüder:


Von der zweiten Vollversammlung des Nationalen Indígena Kongress und des Indigenen Regierungsrates, die vom 11. bis 14. Oktober im CIDECI-UniTierra, San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, stattgefunden hat, richten wir uns respektvoll an die Compañer@s der Unterstützungsnetzwerke des CIG [Anmk.: Consejo Indígena de Gobeierno, dt. Indigener Regierungsrat], an die Menschen dieses Landes und der Welt, um uns zu sehen, uns zu beraten und um neue Schritte für den Aufbau der neuen Welt, die wir brauchen, zu unternehmen.

Wir sagen dies mit Dringlichkeit, weil wir als pueblos originarios [Anmk.: wörtlich »ursprüngliche Völker«, Selbstzuschreibung], in unserem Kampf gegen die durch den Kapitalismus verursachte schwere Krankheit, das Leben gestalten, was der Auftrag ist, den wir von unseren Vorfahren erhalten haben. Das heißt für uns, das Leben zu erschaffen und es in jedem Winkel wachsen zu lassen, mit der Hoffnung, die auf der Erinnerung und den kommenden Zeiten beruht. Wir gestalten uns kollektiv als pueblo [Anmk.: wörtlich »Volk« oder »Dorf«, Identitätsgemeinschaft] und darin auch als Personen.

Wir sind Netzwerke in unseren Ortschaften, wo wir kollektiv nach einem einzigen Wort suchen, das ein Spiegel unserer Mutter Erde, ihres Herzschlages und ihres Lebens ist. Wir sind ein Netzwerk von Netzwerken in unseren Gemeinden und Regionen, welche Kollektive von Kollektiven sind, wo wir eine andere Stimme finden, welche wir unter uns aufmerksam anhören. Diese ist, was wir frei entschieden zu sein: sie repräsentiert unseren permanenten Kampf und deshalb respektieren und würdigen wir sie, machen sie zu unserer Regierung, nicht nur jetzt, sondern immer, denn aus unseren Unterschieden entsteht die kollektive Einverständnis. Mit anderen Worten, aus unserem unterschiedlichen Sein entstehen wir als ein Einziges, als die pueblos, die wir sind, und deshalb ehren wir auch unsere Unterschiede.

Als wir uns im Einvernehmen des Fünften Nationalen Indígena Kongress entschieden einen Indigenen Regierungsrat zu gründen, taten wir dies, ohne jeden Anspruch, ohne die Absicht, dass alle wie wir sein werden, und ohne den Willen jemanden zu sagen, was zu tun sei, sondern, um der Welt zu sagen, dass die Regierung nicht zwangsläufig dazu da ist, um zu zerstören, sondern um zu erschaffen. Es stimmt nicht, dass die Regierung dazu da ist, sich zu bedienen, sondern um zu dienen. Sie sollte Spiegelbild dessen sein, was wir sind, wenn wir davon träumen gemeinsam über unser Schicksal zu entscheiden, und nicht die Lüge, die unsere Stimme verdrängt, und vorgibt in unseren Namen zu handeln, wenn sie überall um sich herum Tot erzeugt.

Das, was wir erschaffen, nennen wir Organisierung, und es ist das Territorium, das wir verteidigen, es ist die Sprache, die wir sprechen und uns weigern zu verlieren, es ist die Identität, die wir nicht vergessen und die durch den Kampf wächst. Aber es stellt sich heraus, dass es auch das ist, was die Besitzer des Geldes brauchen, was sie zerstören, während sie es in Geld verwandeln und es zur Ware machen, durch Ausbeutung, Armut, Krankheit und dem Tod vieler anderer Millionen von Menschen, nicht nur unsere pueblos, sondern auch jene, die in den Städten und auf dem Land leben. In anderen Worten, es ist auch nicht wahr, dass der Tod, die Repression, die Enteignung und die Verachtung nur uns originarios betrifft.

Die Ausübung der Autonomie mit unseren anzestralen Formen des fragenden Voranschreitens, ist deshalb der einzige Weg, um weiter Leben zu erschaffen, unseren unverzichtbaren Weg, während sich außerhalb alles angepasst hat, um den Terror und den Profit der Mächtigen zu garantieren. Auch wenn unsere Selbstbestimmung in ihren verzerrten Gesetzen anerkannt wird, gibt es keine Möglichkeit die auf unserer Vernichtung basierenden kapitalistische Akkumulation zu stoppen, nicht einmal sie zu bremsen. Dies wäre erst möglich, wenn die Plantage, die Fabrik, das Konzentrationslager oder der Friedhof, in die sie unser Land uns unsere Welt verwandelt haben, demontiert werden.

Der Indigene Regierungsrat ist die Art unsere Unterschiede zu würdigen, um das Wort zu finden, das widerspiegelt, was wir sind, und der eine wahre Regierung sein soll. Die andere Sache, das was oben der mexikanische Staat genannt wird, ist bloß eine Lüge, gemacht, um aufzuzwingen, um zu unterdrücken und den Tod zu verstecken, der uns bereits überschwemmt, wodurch der Betrug offensichtlich wird. Das heißt, es ist nichts weiter als eine Bande von Dieben, die vorgeben eine rechte oder linke Institution zu sein. Auf jeden Fall bringen sie den Krieg mit sich und auch wenn sie es verschleiern, läuft es ihnen aus dem Ruder, denn letztlich ist der Boss der Boss.

Aber unten, bleibt uns nichts weiter übrig als das Leben zu verteidigen, mit oder ohne den Lügen der Regierung, derer die geht, oder derer die kommt, denn die Worte erübrigen sich, wenn sie die pueblos Binniza, Chontal, Ikoots, Mixe, Zoque, Nahua und Popoluca des Isthmus von Tehuantepec mit ihren Trans-Isthmus-Projekten und der Ausdehnung der Sonderwirtschaftszonen bedrohen; die pueblos Mayas mit ihrem kapitalistischen Zugprojekt, das mit seinem Durchmarsch das Land enteignet und zerstört. Die Worte erübrigen sich angesichts der angekündigten Aussaat von einer Million Hektar Frucht- und Nutzholzbäumen im Süden des Landes, angesichts der illegalen und manipulierten Befragung über den Bau des Neuen Flughafens für Mexiko-Stadt, oder angesichts des Angebots für Bergbauunternehmen damit sie weiter investieren, welche bereits jetzt ausgedehnte Konzessionen in indigenen Territorien haben. Die Worte erübrigen sich, wenn die zukünftige Regierung ohne Befragung unserer pueblos die Schaffung des Nationalen Instituts der indigenen Völker im Stil des alten Indigenismus [Anmk.: Theorie und Praxis zur »Zivilisierung« der indigenen Bevölkerung] aufzwingt, angeführt von den Deserteuren unseres langen Widerstandskampfs.

Die Worte erübrigen sich, wenn wir den Zynismus sehen, mit dem die pueblos von Mexiko den Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika durch das Freihandelsabkommen ausgeliefert werden, welches die zukünftige Regierung von López Obrador verspricht zu ratifizieren. Dieser zögerte in einer seiner ersten Ansprachen nicht, die Kontinuität der aktuellen Geld- und Steuerpolitik zu bestätigen, das heißt, die Kontinuität der neoliberalen Politik, welche garantiert wird durch die Ankündigung, dass das Militär in den Straßen bleibt und mit dem Bestreben 50.000 junge Menschen für die bewaffneten Reihen zu rekrutieren, die dazu gedient haben, zu unterdrücken, zu enteignen und Terror in der ganzen Nation zu säen.

Als wir versuchten mit unseren Forderungen diesen Krieg zu beenden und die Rechte der pueblos indígenas [Anmk.: wörtlich »indigene Völker«, Selbstzuschreibung] in der Verfassung anzuerkennen, was in den Abkommen von San Andrés [Anmk.: Gesetzesvorschlag über indigene Rechte und Kultur von 1996, Resultat des Dialogs der EZLN mit der mexikanischen Regierung, welche nie umgesetzt wurden] zum Ausdruck kam, wurden wir betrogen. Der wahre Boss, den, den wir nicht sehen und dem jene dienen, die behaupten zu regieren, ordnete viele Gesetze, die den gewaltsamen Raub des Landes legalisieren, und Programme an, die uns spalten und uns gegeneinander aufbringen, und die Verachtung und den Rassismus in alle Richtungen säen. Die Worte erübrigen sich also auch, wenn sie mit Zynismus davon sprechen die Abkommen von San Andrés und unsere freie Selbstbestimmung in ihren fauligen Gesetzen anzuerkennen, ohne auch nur die mörderische kapitalistische Inszenierung, die der mexikanische Staat ist, zu berühren.

Wenn die Abkommen von San Andrés im aktuellen Kontext anerkannt werden, ohne die sukzessiven Reformen des Verfassungsartikels 27 [Anmk.: der Artikel untersagte ursprünglich den Verkauf von kommunalem Gemeindeland] umzukehren, welche das Land in eine Ware verwandelt und den Reichtum des Bodens in die Händen der großen Unternehmen gelegt haben; ohne die Konzessionen des Wassers, des Bergbaus, der nationalen Güter und Kohlenwasserstoffe zu beenden; ohne der imperialen Macht Grenzen zu setzen durch die Außerkraftsetzung des aktuellen Freihandelsabkommens und Einschränkung der großen transnationalen Konzerne; ohne die Kontrolle zu zerstören, welche die großen kriminellen Kartelle, unterstützt durch das Militär, in unseren Territorien ausüben, leben wir, im besten Falle, eine plumpe Illusion, welche den Angriff des Geldes gegen unsere pueblos verschleiert.

Wir, im Nationalen Indígena Kongress-Indigenen Regierungsrat, haben keine Illusion und werden kein Teil einer exponentiellen kapitalistischen Transformation sein, die mit ihren schädlichen Praktiken unsere Territorien im Visier hat. Wir werden kein Teil ihrer Lügen sein, die nach unserem Blut und unserer Vernichtung dürsten.

Deshalb sind wir uns einig, weiter die Organisation aufzubauen, die sich in eine eigene, autonome und rebellische Regierung wandelt, mit Compañeros und Compañeras aus anderen Geografien, um kollektiv die uns auferlegte Trägheit zu durchbrechen, um gemeinsam zu sehen woher der Sturm kommt. Und inmitten dieses Sturmes werden wir nicht aufhören etwas anderes zu erschaffen, bis es sich mit den anderen vereint, die in allen Ecken Mexikos und der Welt entstehen, damit Räte gebildet werden, damit wir gemeinsam mit den Unterstützungsnetzwerken des CIG, der Rat der Regierung werden. Auf das sie sich auf dem Land und in der Stadt entfalten, mit ihren eigenen Formen und Identitäten, unabhängig von Grenzen.

Wir haben beschlossen unsere Gemeinden, pueblos, naciones, tribus und barrios [Anmk.: wörtlich »Völker, Nationen, Stämme und Stadtviertel«, Selbstzuschreibungen] über die Art und Weise zu befragen, wie wir gemeinsam mit den Netzwerken der Netzwerke, kleinen und großen, eine Koordinierung erschaffen, die uns in der Unterstützung und der Solidarität bereichert, die aus unseren Unterschieden unsere Stärke macht, in Netzwerken des Widerstandes und der Rebellion, mit dem Wort, das uns eins macht, auf respektvolle und ebenbürtige Weise.

Und wie es unsere Art ist, hängt jeder Schritt davon ab, was unten vereinbart wird. Deshalb tragen wir die Ergebnisse in unsere Regionen, um darüber im Konsens abzustimmen, und damit das kollektive Wort, welches uns zu dem macht, was wir sind, uns den Rhythmus, die Weise und Richtung vorgibt.

Unsere Schritte werden auch davon abhängen, was die anderen unten kollektiv entscheiden, die Lehrer, Studenten, Frauen, Arbeiter auf dem Land und in der Stadt, alle die inmitten des kapitalistischen Krieges entschieden haben auch die Organisation zu erschaffen, die den Tod und die Zerstörung, in der die Kapitalisten nur Profit sehen, zu beenden. Wenn es Ihre Entscheidung ist, von unten und autonom, rufen wir Sie auf, innerhalb Ihrer Organisationen und Kollektive, ernsthaft und engagiert zu beraten, ob es für Sie notwendig ist oder nicht, Ihren Regierungsrat zu bilden.

Wenn Sie sich dazu entschließen, infolge unseres Aufrufes die Erde erbeben zu lassen, durch die Organisierung von unten und links, werden Sie immer mit unserem brüderlichen, selbstlosen und solidarischem Wort rechnen können. Compañer@s, es werden keine einfachen Schritte, noch schnelle, aber wir sind überzeugt, dass tiefe Risse entstehen werden, um die Macht von oben nieder zu reißen.

Zu gegebener Zeit und gemäß der Befragung, die wir in unseren Gemeinden durchführen werden, werden wir, der CNI-CIG, die Eingliederung in etwas größeres diskutieren, das in der Lage ist unsere Kämpfe, Gedanken und Identitäten zu integrieren. Etwas größeres, das durch die Visionen, Weisen, Formen und Zeiten aller stark wird.

Schwestern, Brüder, das ist unser kollektives Wort, das zur Organisierung von unten aufruft, um das Leben zu verteidigen, und uns gemeinsam mit unserer Mutter Erde zu heilen.

 Anhang  
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Aus dem CIDECI-UNITIERRA, San Cristóbal de las Casas, Chiapas
Am 14. Oktober 2018

Für die vollständige Wiederherstellung unserer Pueblos
Nie wieder ein Mexiko ohne uns
Nationaler Indígena Kongress
Indigener Regierungsrat
Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung


 

Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2018/10/14/pronunciamiento-de-la-segunda-asamblea-nacional-del-congreso-nacional-indigena-concejo-indigena-de-gobierno/


 

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