Zwischen Erdöl-Rückwärtsgang und Öko-Strom — Energiepolitik in Mexiko

Poonal vom 17.05.2019
Markus Plate

 

Die geplante Raffinerie Dos Bocas
Die geplante Raffinerie Dos Bocas - Foto: Desinformémonos


(Mexiko-Stadt, 17. Mai 2019, npl).- Auch in Lateinamerika hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass es den Klimawandel gibt, dass er menschengemacht ist und dass dringend umgesteuert werden muss. Mexiko ist heute weltweit der zehntgrößte Treibhausgasproduzent und nach Brasilien der zweitgrößte in Lateinamerika. Das Land hat viel Potenzial für erneuerbare Energien, doch so richtig will die Energiewende nicht vorankommen — stattdessen will Mexikos Präsident den Erdöl-Sektor wiederbeleben.

Das Erdöl war immer auch ein Fluch

In Mexiko ist Energie seit Jahrzehnten ein zentraler Teil des nationalen Selbstverständnisses, vor allem das Erdöl. Vor über 80 Jahren ließ der damalige Präsident Lázaro Cárdenas die Erdölindustrie verstaatlichen, über Jahrzehnte war das schwarze Gold der Motor des mexikanischen Wachstums. Aber das Erdöl war immer auch ein Fluch. Der Historiker Lorenzo Meyer erläutert, dass schon Ende der 1970er Jahre der damalige Präsident López Portillo angesichts großer Finanzierungslücken im Staatshaushalt entschieden hatte, Erdöl in großem Umfang zu exportieren, statt die Staatsfinanzen vor allem durch eine Besteuerung höherer Einkommen in Ordnung zu bringen: »In Zeiten hoher Erdölpreise nahm die Regierung wie verrückt Kredite im Ausland auf, die Mexiko dann, mit dem Einbruch des Ölpreises, nicht mehr zurückzahlen konnte. Die Staatsfinanzen brachen endgültig zusammen und das spüren wir bis heute.«

Liberalisierungen im Energiesektor haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass internationale Mineralölunternehmen bei der Förderung von Erdgas und Erdöl sowie beim Verkauf von Treibstoff wieder kräftig mitmischen dürfen. Ähnlich sieht es bei der Stromproduktion aus. Das Monopol des staatlichen Stromversorgers CFE ist längst gebrochen, Multis dürfen heute selbst Strom erzeugen und verkaufen.

»Wir werden die nationale Erdölindustrie retten«

Als Reaktion auf die verheerenden Folgen der neoliberalen Konzepte der vergangenen Jahrzehnte -die Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner in die Armut stürzten- die exorbitante Korruption und die Explosion der Gewalt im Land sorgten die Mexikanerinnen und Mexikaner im vergangenen Jahr für einen historischen Wahlsieg der linken Morena-Partei. Der neue Präsident, Andres Manuel López Obrador, kurz AMLO, will zurück zu einem starken, paternalistischen Staat, auch im Energiesektor. »Wir werden die nationale Erdölindustrie retten«, war eines seiner Wahlversprechen. Bei der Vorstellung seines Energieprogramms kündigte der neue Präsident unter anderem den Bau einer neuen Raffinerie in seinem Heimatbundesstaat Tabasco an. Acht Milliarden US-Dollar soll alleine dieses Projekt kosten. Wie ebenfalls von AMLO versprochen soll Mexiko nach vielen Jahren wieder zum Erdölselbstversorger werden. Um die staatliche und hochverschuldete Erdölgesellschaft PEMEX wieder auf Kurs zu bringen sind zusätzlich mindestens 20 Milliarden Dollar von Nöten. Geld, das für einen Ausbau der erneuerbaren Energien fehlen wird. Ähnlich sieht es im Elektrizitätssektor aus. Früher sei Mexiko auch beim Strom Selbstversorger gewesen, so der Präsident, heute müsse Mexiko die Hälfte des Stroms zu stark erhöhten Preisen von außen hinzukaufen. Das müsse dringend geändert werden. Auch hier will AMLO in den Rückwärtsgang schalten.

Kohle und Gas statt erneuerbare Energie

Im Bundesstaat Coahuila, in dem fast sämtliche Kohlereserven Mexikos liegen, sollte eigentlich im Jahr 2026 Schluss sein mit der Kohleförderung. Dann sollte nach einer Entscheidung von AMLOs Amtsvorgänger Enrique Peña Nieto das letzte Kohlekraftwerk im Land schließen. Peña Nietos hoch umstrittene Energiereform hatte als einen der wenigen Pluspunkte den Ausbau erneuerbarer Energien zum Ziel. Doch der erste Budgetentwurf der neuen Regierung sieht vor, fast 400 Millionen Dollar in die Modernisierung der drei Kohlekraftwerke zu stecken. Bei einer anderen Investition hat AMLO eine 180 Grad Wende vollzogen: Im Bundesstaat Morelos wird seit Jahren am Gaskraftwerk Huexca gebaut, gegen den teils erbitterten Widerstand der Bevölkerung. Denn um das Kraftwerk mit Gas zu versorgen, muss eine 170 Kilometer lange Pipeline gebaut werden, mitten durch ein vulkanisch aktives und stark erdbebengefährdetes Gebiet. Um die Turbinen zu kühlen, werden 2500 Liter Wasser pro Sekunde benötigt, das der Landwirtschaft und den Haushalten der Region fehlen wird. Noch vor fünf Jahren hatte sich López Obrador auf die Seite des Protests geschlagen. Heute will er das Projekt zu Ende bauen lassen, auch nach der Ermordung des indigenen Bauernaktivisten Samir Flores im Februar dieses Jahres.

Und so richtig weg von privatwirtschaftlichen Großinvestitionen in den Energiebereich will López Obrador trotz gegenteiliger Ankündigungen offensichtlich auch nicht. Erst im Mai kündigte der spanische Multi Iberdrola an, fünf Milliarden Dollar in zwei konventionelle Kraftwerke und immerhin einen Photovoltaikpark zu investieren.

»Wenn wir einigermaßen gut weiterleben wollen, müssen wir schnell zu den erneuerbaren Energien wechseln.«

Angesichts der drohenden Klimakatastrophe ist AMLOs Manöver aus Vollbremsung und Rückwärtsgang der komplett falsche Weg. Das meint auch Jesús Antonio del Río Portilla vom Universitätsinstitut für Erneuerbare Energien in Mexiko-Stadt: »Wir leben seit einem Jahrhundert vom Öl. Das hat einen Klimawandel verursacht, unter dessen Folgen wir heute leiden. Wenn wir einigermaßen gut weiterleben wollen, müssen wir schnell zu den erneuerbaren Energien wechseln.« Und Potenzial für Erneuerbare Energien hat Mexiko mehr als genug. Zwischen Pazifik und Atlantik weht soviel Wind, dass Windparks in wenigen Jahren ein Viertel des Strombedarfs decken könnten. Auch das Potenzial für Solarstrom ist enorm, und dank des Vulkanismus bietet auch die Geothermie große Möglichkeiten. Auch wenn die riesigen Staudammprojekte, die heute ein Fünftel des mexikanischen Stroms produzieren, wegen ihrer Umweltschäden und sozialen Auswirkungen hoffentlich bald der Vergangenheit angehören, hat Wasserkraft immer noch Potenzial: Heute stehen moderne Miniturbinen zur Verfügung, die günstig und umweltfreundlich Strom produzieren können.

Bis 2024 will Mexiko eigentlich ein gutes Drittel des nationalen Strombedarfs aus erneuerbaren Energien decken. Angesichts der Möglichkeiten scheint das wenig ambitioniert. Zumal die Stromgewinnung aus Wind, Sonne & Co. mittlerweile billiger sei, als die aus fossilen Brennstoffen, so Energieexperte del Río Portilla: »Erneuerbare Energien sind heute höchst wettbewerbsfähig. Die Stromproduktion aus Solar kostet heute weniger als die Hälfte, als wenn wir mit Gas produzieren.« Eine Solarzelle produziere über ihre Lebenszeit 95 Prozent brauchbare Energie, nur fünf Prozent seien für ihre Herstellung nötig. Natürlich verursache auch die Solarzelle Umweltbelastungen, aber viel weniger als etwa Öl.

Energiewende durch kommunale Energieproduktion

Und sauberer Strom wird dringend benötigt, wenn in Zukunft Elektroautos durch die Straßen surren sollen. Bislang verbrennt allein die Hauptstadt pro Jahr rund zehn Milliarden Liter Benzin und Diesel. Das belastet nicht nur das Weltklima, sondern auch die Atemluft der Bewohner*innen mit ungeheuren Mengen an Stickoxiden, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen. Wie erst Mitte Mai, als in Mexiko-Stadt der Umweltnotstand ausgerufen werden musste.

Initiativen für saubere Energie gibt es im Land zuhauf: Biogasanlagen, die mit Biomüll befeuert werden; indigene Gemeinden, die sich mit Solarstrom selbst versorgen; Architektur, die auf lokale und natürliche Materialien setzt. Das Ende neoliberaler Konzepte mit Großunternehmen als Profiteure einzuläuten, scheint nach allen Erfahrungen, die Mexiko in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat, richtig. Aber ein Zurück zu Staat, Zentralismus und ausgerechnet zum Erdöl, wie es Präsident López Obrador will? Warum nicht kleiner und dezentral denken, Menschen, Gemeinden, Regionen unter Klimaschutzvorgaben darin unterstützen, als kommunale Unternehmen oder Kooperativen selbst saubere Energie zu produzieren? Die Energiewende wäre laut des Energieexperten Jesús Antonio del Río Portilla auch in Mexiko recht kurzfristig möglich. Die große Aufgabe sei es, Finanzierungsmöglichkeiten für nachhaltige Energien zu entwickeln: »Wir müssen mehr investieren, wir sollten weg von der Stromsubventionierung und stattdessen staatliche Beihilfen für den Kauf und Bau von Anlagen nachhaltiger Stromerzeugung geben.« Nach wie vor gingen vier Fünftel der staatlichen Forschungsgelder im Energiesektor in den fossilen Bereich, nur ein Fünftel in Erneuerbare. Dieses Verhältnis müsse dringend umgedreht werden. Nachhaltige Energie für Mexiko, als wichtige Maßnahme gegen den Klimawandel, zur Schaffung zehntausender Arbeitsplätze, für gesündere Städte und die überfällige Entwicklung des jahrzehntelang abgehängten ländlichen Raums. Mexikos Zukunft liegt hier, nicht im Öl.


Quelle: poonal
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