Zeitbombe: das Gebiet in Chiapas, welches Fox besuchte

La Jornada vom 12.01.2005
Hermann Bellingshausen
übersetzt von: J.P.

 

Militärbasen und rebellische Gebiete, das was die Exekutive nicht sah

San Cristobal de las Casas, Chiapas. 12. Januar Im Heiligtum der üppigen roten Guacamayas, genau gesagt, im Ökotourismus-Zentrum Las Guacamayas, wurde seit Tagen der Gouverneur Pablo Salazar Mendiguchía und wenig später der Besuch des Präsidenten der Republik und seiner Ehefrau erwartet. Dafür musste das Telefon bezahlt werden, was ihnen abgestellt worden war, außerdem die Bauerweiterung vorangetrieben und die Stufen und die Rampe mit Beton bedeckt werden. Als einziger kam dann die ranghöchste Person, der Präsident.

Der Fluß Lacantún fließt dort, breit und majestätisch, kurz nachdem er sich einige Kilometer aufwärts mit dem Fluß Lacanjá vereinigt. Und schon das Ufer befindet sich offiziell im Biosphärenreservat Montes Azules, laut dem wahnsinnigsten Dekret des Präsidenten heutiger Zeit exklusives Eigentum der lakandonischen Gemeinde Lacanjá Chansayab. Man darf es sehen, aber nicht berühren. Um zum Bezirk Reforma Agraria zu gelangen, wo sich Las Guacamayas befindet, muss man normalerweise fünf oder sechs Kontrollposten des mexikanischen Militärs passieren, das gleiche, wenn man von Palenque oder Comitán kommt. Aber weil gestern der Präsident Vicente Fox, der chiapanekische Gouverneur und ihre Ehefrauen und Begleitkomitees in Hubschraubern Platz nahmen; konnten sie nicht erfahren, was man zwischen Tuxtla Gutiérrez und Ocosingo, und von dort in Richtung Bonampak, Nueva Magdalena, Las Guacamayas und erneut zur Hauptstadt des Staates zu sehen bekommt. Das ist das gute an Hubschraubern: Sie fliegen direkt. Hätten sie sich auf dem Boden bewegt, wären der Präsident und sein Komitee auf die riesigen Kasernen der drei oder vier Militärregionen, oder auf die zahlreichen Militärbasen und Patroullien zwischen Los Altos und der Selva fronteriza, sowie Las Cañadas gestoßen. Auch hätten sie die Abschnitte weggerutschter Landstraße, die physische Präsenz von mindesten sechs autonomen Landkreisen in Rebellion, und mehr als 120 Straßenschwellen (Topes) passiert.

Die Bauern von Reforma Agraria sind glücklich. Chinantecos, die aus der Region von Tuxtepec in Oaxaca kommen (sowie einige Familien aus Tabasco), haben Land in Marqués de Comillas durch die Höflichkeit des Präsidentn Luis Echeverría Alvarez erhalten, als dieser sich in den 70ern dazu entschloss, den letzten Winkel Mexikos aus Gründen der "nationalen Sicherheit" zu bevölkern. So kamen Kolonnen aus der ganzen Republik, um die Selva abzuholzen und Zukunft zu sähen.

Als der Absender (dieses Artikels, Anm.d.Ü.) in der vergangenen Woche dort war, hatte die Küche von Las Guacamayas nur Eier, Schinken, Tortillas, Bohnen und eine scharfe Salsa. Weder Huhn, noch Fisch aus dem Fluß. Die Köche, Chinantecas und sympathisch, hatten nichts weiter ausstehend, weil die wichtigen Besucher ihr eigenes Essen aus der Stadt mitgebracht hatten. Heute wissen wir, aus dem Hotel Camino Real in Tuxtla. Sehr ökotouristisch also. "Sie bauen uns eine neue Einheit des Hotels", bestätigt den Reportern einer der Verantwortlichen des Ökotourismus-Zentrums, welches zwar von der Gemeinde betrieben, aber komplett von der Regierung finanziert ist. Der Ausdruck "Sie bauen uns" ist der Region eigen. In Frontera Corozal, Bonampak, Lacanjá, Nueva Palestina und Boca Chajul ist man es gewohnt zu erhalten. Die Lacandonen und ihre Mitglieder, sind diejenigen, die Arturo Warman "die auserwählten Söhne des Herrschenden" genannt hat. Von jedwelchen. Vor sechs Jahren hat der PRIista Roberto Albores Guillén ihnen das Ökotourismus-Hotel gegeben, und heute geben "die Regierungen des Wechsels" ihnen weiterhin.

Am Ufer des Flußes Lacantún gebaut, zählt das Zentrum die Anzahl der Exemplare einer "nicht ausgestorbenen Art", so ein Indígena. Sie sind zum Erquicken der Gäste. Die Guacamayas kommen einzeln am Nachmittag. In diesen Tagen sind es ungefähr 40 Paare. Diese konnte Fox und seine Frau sehen.

Die Infrastruktur ist gut, aber der Ort ist leer. Ein großes Geschäft ist es nicht. ("noch nicht", tröstet sie der Präsident). Als wolle er, dass die Campesinos, die Bevölkerung von Reforma Agraria sich dem Anbau von Mais Bohnen widmet und nur einem Teil dem Touristenservice. Ein Bootsführer erzählt, dass normalerweise Wochen vergehen, in denen niemand seinen Service in Anspruch nimmt, und in der Weihnachtszeit waren es eine oder zwei Flussüberquerungen am Tag. Nicht mehr. Aber wieso erreichen sie dorthin die Einkommen der Regierung... Nicht weit entfernt befindet sich Zamora Pico de Oro, Hauptort des neuen Landkreises Marqués de Comillas (vorher Teil von Ocosingo), durch Roberto Albores eingerichtet, "als Einlösung ", der Abkommen von San Andrés, wie er sagte. Es ist kurios: Weder eine zapatistische Region, noch aktueller Maya-Besitz, aber wo sich die die militärische Nachhut in der Selva Lacandona herumtrollt. Die Region ist ausserdem bekannt als Freizone für den internationalen Handel von Drogen und deren Anbau, sowie dem Handel mit Arten (Schmetterlinge, exotischen Vögeln und Affen). Natürlich nicht in Reforma Agraria.

Abgesehen von der kurzlebigen Luftblase Ökotourismus und der institutionellen Zuwendendung, weisen die Gemeinden von Marqués de Comillas, den Grenzgebieten am Fluss Usumacinta und mit dem guatemaltekischen Ixcán ein ökonomisches Desaster auf, durch das männliche Bevölkerung tumultartig in die Vereinigten Staaten von Amerika abwandert. Wie es die Berichte von Juan Balboa auf diesen Seiten gezeigt haben, hat sich in den vergangenen drei Jahren Chiapas in einen der Staaten verwandelt, mit der höchsten ökonomischen Abwanderung und der höchsten Bevölkerungsabwanderung im nationalen Vergleich. Die von der Großzügigkeit des Präsidenten betroffenen Bevölkerung lebt verlegen angesichts der Zuwendungen. Und die glänzenden Einwohner von Nueva Magdalena scheinen zu ignorieren, dass sie sich, "wegen der Schätze" von Montes Azules auf eine Zeitbombe gesetzt haben, in Gebieten, die ihnen zwei andere Gemeinden streitig machen. Dass sie weder glauben, immer Erlaubnis haben werden, sich auf der Akropolis von Bonampak zu versammeln oder Menüs aus dem Camino Real zu essen. In der Selva Lacandona ist das reale Leben ein anderes.

 

Quelle: https://www.jornada.com.mx/


 

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