Von kämpfenden Frauen lernen

Poonal vom 27.01.2020
Raúl Zibechi

 

(13. Januar 2020, desinformémonos ) Eine der wichtigsten Botschaften der zapatistischen Frauen lautet: Gesetzlich garantierte Rechte zu haben, diese aber nicht umsetzen zu können bedeutet, unkontrolliert vor sich hinzudümpeln und keine Handlungsfähigkeit zu besitzen angesichts der Zerstörung von Leben und der Plünderung von Gemeingut. In ihrer Eröffnungsrede zum II. Internationalen Treffen der kämpfenden Frauen zählte Comandanta Amada die offiziellen Begründungen auf, weshalb die Lage von Frauen sich heute angeblich so verbessert habe, und fügte jeweils den Nachsatz an: »… aber sie bringen uns weiter um.«:

»Sie behaupten, es gebe mehr Geschlechtergleichheit, weil sie ihre miserablen Regierungen nun öfter zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzen, die einen so herrschsüchtig wie die anderen, aber sie bringen uns weiter um. Sie sagen, es gebe nun viel mehr Gesetze, die die Frauen schützen, aber sie bringen uns weiter um. Sie sagen, es gebe nun mehr Frauenräume. Aber sie bringen uns weiter um.«

Wir müssen lernen



Menschen wie wir, die immer noch die Welt retten wollen, müssen zuerst einen Schritt tun, der sich wiederholt wie ein endloses Mantra: Wir müssen lernen. Von den Völkern, von den Organisationen und von ihren Kämpfen, von den Menschen, die ihr ganzes Leben den Völkern gewidmet haben. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig.

Amadas Rede lässt sich auf alle Rechte übertragen, die die Arbeiter*innen und die Völker in den letzten zehn Jahren bekommen haben (viele würden sagen: »erkämpft«). Die Liste dieser Rechte ist tatsächlich ziemlich lang: von den Rechten der Lohnempfänger*innen hinsichtlich ihrer Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen bis hin zu den Rechten, die den Völkern zugesprochen wurden, sogar von wichtigen internationalen Organismen.

Keine Femizide, keine verschwundenen Frauen



»Die Vereinten Nationen haben den indigenen Völkern und den Frauen neben vielen anderen Dingen Hunderte von Rechten zuerkannt. Die Regierungen haben Gesetze vorgestellt und bewilligt, die das Recht auf Leben, Wohnung, Arbeitsplatz, Gesundheit und Ausbildungen für die gesamte Gesellschaft garantieren sollen. Dennoch: das Leben wird immer prekärer, hat immer weniger mit dem zu tun, was »Leben« bedeutet, orientiert sich immer mehr an den Kapriolen der Staaten und der Mächtigen, die unsere Gebiete militarisieren, um sie besser zerschlagen zu können.«

Aus ihren Gebieten erzählen die zapatistischen Compañeras: »In diesem Jahr gab es bei uns keine ermordete und keine verschwundene Frau.« Gewalttätige Angriffe habe es allerdings gegeben, und man sei dabei zu überlegen, wie die Gewalttäter bestraft werden sollen.

Es gab keine Femizide, weil die Frauen sich organisieren und die Verwaltung der zapatistischen Gebiete auf drei Ebenen autonom funktioniert: über die Gemeinschaften bis zum Rat der Guten Regierung mit den autonomen Landkreisen als Zwischenebene.

Das ist die erste Lektion: Wenn wir unser Leben, unsere Gesundheitsversorgung, unsere Bildungseinrichtungen, unsere Ernährung und unsere politische Führung nicht selbst organisieren, dann werden sie uns weiter ermorden, unser Gemeinschaftseigentum zerstören, unser gesamtes Leben kommerzialisieren und uns in die unattraktivsten Gegenden abschieben, damit wir dort vor uns hinvegetieren, unter ständiger Beobachtung durch die staatlichen Sicherheitskräfte.

Die Macht, die uns bedroht, heißt Kapitalismus



Es bringt uns überhaupt nichts, für ein Gesetz zu kämpfen, für irgendein verbrieftes Recht, für die Anerkennung durch die von oben — wenn wir uns nicht selbst organisieren. Die sogenannten Gesetze dienen nur dazu, uns abzulenken, uns zu betrügen, damit wir nicht anfangen, unser Leben selbst zu gestalten. Sie sagen: In dieser Welt bekommst du die Anerkennung, die du verdienst. Das sagen die, die behaupten, im Staat Macht haben zu wollen, damit sie sich für unsere Rechte einsetzen können. Deshalb wollen sie, dass wir nichts weiter tun als sie zu wählen.

Die zweite Lektion ist: Unser Kampf kann nicht partiell sein. Jetzt kämpfen wir gegen sexistische Gewalt. Dann gegen das Patriarchat. Dann für Bildung und Gesundheitsversorgung für Frauen und Kinder. Es liegt auf der Hand, dass es um ein und dasselbe System geht. Es ist ein und dieselbe Macht, die uns unterdrückt und tötet. Es kommt nicht darauf an, ob es militärische Einheiten sind oder paramilitärische, ob organisierte Kriminelle oder die Polizei, ob es die Regierung ist oder das Kapital. Es ist eine einzige Macht, und die heißt Kapitalismus. Wir können nicht gegen das Patriarchat kämpfen, ohne uns auch gegen den Kapitalismus zu stellen.

Sich zu organisieren, um unsere Welt zu gestalten ist viel Arbeit, natürlich. Es bedeutet, diesem Projekt dein Leben zu widmen, jeden Tag und den ganzen Tag in diese Arbeit zu stecken, um diese Welt aufzubauen. Das ist der Preis der Autonomie und der Würde. Und so wie es aussieht, ist es auch der Preis für die Erhaltung unseres Lebens.


Quelle: poonal
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