Wieder Journalist im Bundesstaat Veracruz ermordet

Poonal vom 14.09.2020
Wolf-Dieter Vogel

 

Julio Valdivia
Julio Valdivia (Foto: Democracy Now!)


(Berlin, 14. September 2020, poonal/periodistas de a pie).- Zuletzt traf es Julio Valdivia. Die Leiche des 44-Jährigen wurde am Nachmittag des 9. September neben einem Bahngleis im mexikanischen Bundesstaat Veracruz gefunden. Etwa zehn Meter entfernt lag der Kopf des Journalisten. Das Motorrad, mit dem der Reporter Tag für Tag selbst an Tatorte gefahren war, hatten die Mörder neben dem enthaupteten Körper liegen lassen.

Valdivia ist bereits der sechste Medienschaffende, der in diesem Jahr in Mexiko ums Leben gebracht wurde. Er lebte und arbeitete im Landkreis Tezonapa, unweit der Grenze zum Bundesstaat Oaxaca. Für die Tageszeitung El Mundo de Córdoba schrieb er »notas rojas«, also Meldungen über Morde, Überfälle und andere gewaltsame Verbrechen.

»Sie sagen dir, was du veröffentlichen darfst«



Warum Valdivia sterben musste, ist unklar. Kriminelle Banden kämpfen in der Region um die Kontrolle. Wer über das Treiben des organisierten Verbrechens schreibt, muss sich an dessen Regeln halten. Besonders gefährlich leben jene, die über die kriminellen Verbindungen von Politik, Wirtschaft und Mafia berichten. Vielleicht war der Reporter nur einfach zur falschen Zeit am falschen Ort oder hat zu schlecht über eine Bande geschrieben. Nicht auszuschließen ist auch, dass er eine »Wohltat« nicht genug gewürdigt hat. Am Tag der Heiligen drei Könige wurde er etwa gezwungen, darüber berichten, dass eine kriminelle Gruppe Spielzeug an Kinder verteilte.

In dieser Region diktiere das organisierte Verbrechen die Agenda, erklärt der ebenfalls aus Veracuz stammende Reporter Miguel Ángel León Carmona auf der Plattform Pié de Página. »Sie sagen dir, was du veröffentlichen darfst, es ist sehr schwer, so zu arbeiten« zitiert er Kollegen aus der Region, die nach Angaben von Reporter ohne Grenzen für Journalistinnen und Journalisten die gefährlichste Lateinamerikas ist. 25 Medienschaffende sind in den letzten acht Jahren allein in Veracruz ermordet worden. Im März dieses Jahres wurde bereits Maria Elena Ferral, die für die Tageszeitung Diario de Xalapa schrieb, erschossen, kurz darauf überlebte ihre Tochter einen Anschlag nur, weil Leibwächter ihn abwehren konnten.

Früherer Gouverneur rief kritische Medienschaffende auf, »sich zu benehmen«



Insbesondere während der Amtszeit des Gouverneurs Javier Duarte (2010 bis 2016) eskalierte die Gewalt in der Region. 665 Menschen verschwanden, 18 Medienschaffende wurden ermordet. Immer wieder ging der Politiker der ehemaligen Staatspartei PRI gegen kritische Journalistinnen und Journalisten vor und forderte sie auf, »sich zu benehmen«. Dass Duarte mit Mafiaorganisationen kooperierte, lag zwar nahe, sollte sich aber erst später juristisch bestätigen. Heute sitzt der PRI-Politiker im Gefängnis. Ein Gericht verurteilte ihn wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Geldwäsche zu neun Jahren Haft.

Für Angriffe auf Medienschaffende wurde er aber nicht zur Verantwortung gezogen. Kritikerinnen und Kritiker Duartes gehen jedoch davon aus, dass er auch mit diesen Taten zu tun hatte. Und mit ihm, wie etwa im Fall des ermordeten Fotoreporters Rubén Espinosa, seine engsten Vertrauten. »Der Verdacht liegt nahe, dass der damalige Sicherheitsminister, Arturo Bermúdez, hinter der Tat steckt«, erklärt Ignacio Rosaslanda, der Sprecher des Journalisten-Netzwerks Periodistas de a Pie. Espinosa hatte sich für die Auklärung des Mordes an seiner Kollegin Regina Martinez eingesetzt, die 2012 ebenfalls in Veracruz getötet wurde. Zudem veröffentlichte er Fotos von Polizeiübergriffen, kritisierte Duartes korrupte Machenschaften und seine Mitverantwortung für die Bluttaten der organisierten Kriminalität. Zudem habe er lokale Probleme bundesweit bekannt gemacht, betont Rosaslanda. Auch das habe den Hass des Gouverneurs auf ihn gezogen.

Eines Tages wurde Espinosa von einem Mitarbeiter der Regierung bedroht: »Lass das Fotografieren, wenn du nicht enden willst wie Regina.« Als ihn auch noch Unbekannte fotografierten und auffällige Männer vor seinem Haus auftauchten, beschloss der 31-Jährige, seine Heimatstadt Xalapa zu verlassen und nach Mexiko-Stadt zu gehen. »Ich habe Angst um mein Leben«, erklärte er und machte den Gouverneur für die Verfolgung verantwortlich. Wenig später, am 31. Juli 2015, wurden er, die Aktivistin Nadia Vera und drei weitere Frauen in einer Wohnung im Viertel Narvarte in der mexikanischen Hauptstadt hingerichet. Auch fünf Jahre später ist der Hintergrund des als »Fall Narvarte« bekannt gewordenen Verbrechens juristisch nicht geklärt. »Bis heute wurden die Aktivitäten von Vera und Espinosa bei den Ermittlungen nicht adäquat einbezogen«, kritisiert Leopoldo Maldonado von der Organisation Artículo 19, die sich für Pressefreiheit einsetzt. Nach dem Massaker nahm die Polizei drei Verdächtige fest. Einer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er die Tat gestanden hatte. Allerdings wurde er offensichtlich gefoltert. »Wir gehen davon aus, dass das Geständnis erzwungen wurde«, erklärt Maldonado.

Nur kleine Schritte im Kampf gegen die Straflosigkeit

Nach Angaben von Artículo 19 sind 92 Prozent der Angriffe auf Medienschaffende straffrei geblieben, insgesamt sind 134 Journalistinnen und Journalisten seit dem Jahr 2000 ermordet worden. Seit Andrés Manuel López Obrador 2018 die Präsidentschaft übernommen hat, gibt es in einigen besonders bekannten bei der Strafverfolgung Erfolge. So wurde der Mörder der Reporterin Miroslava Breach jüngst zu einer 50-jährigen Haftstrafe verurteilt. Auch für den tödlichen Angriff auf den Journalisten Javier Valdez im Jahr 2017 sitzt ein Täter 15 Jahre hinter Gittern. Gegen die Hintermänner eines Angriffs auf die Autorin Lydia Cacho, einem Ex- Gouverneur sowie einem Textilunternehmer, laufen Haftbefehle. Beide sind flüchtig.

Dennoch leben Medienschaffende nicht sicherer. Schon gar nicht in Veracruz. Mittlerweile regiert dort mit Cuitláhuac García Jiménez zwar ein Politiker der Morena-Partei des Präsidenten, doch auch in seiner Amtszeit wurden bereits drei Pressearbeiterinnen und -arbeiter umgebracht. »Wir sind verärgert und besorgt darüber, dass im Land weiterhin dasselbe passiert, vor allem in diesem Bundesstaat, in dem die Angriffe auf Jounalisten nicht aufhören — egal, wer regiert«, resümiert Raúl Arroniz, der Geschäftsführer der Zeitung El Mundo de Córdoba.

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