Kleine Lösungen gegen den lateinamerikanischen Wassernotstand

Poonal vom 28.12.2020
Markus Plate

 

(Mexiko-Stadt, 23. Dezember 2020, npla).- Lateinamerika ist mit seinen großen Flusssystemen um den Amazonas, den Orinoco oder den Río de la Plata eigentlich sehr wasserreich. Etwa 30% der weltweiten Süßwasserquellen liegen auf dem Subkontinent. Dennoch haben Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, in Nicaragua ist beispielsweise ein Drittel der Bevölkerung betroffen. 100 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Grund ist u.a. die fortschreitende Privatisierung des Wassers. Aber es gibt auch Lösungen im Kleinen: Wer als Privathaushalt oder Kollektiv ein Häuschen oder Grundstück hat, kann dies zur Wassergewinnung und Abwasserreinigung nutzen. Der Aufwand ist nicht groß — und die Ressource Wasser wird so wieder ein Stückchen redemokratisiert.

Es muss sich was am Bewusstsein ändern



Der Mensch müsse lernen, dass Wasser eine Menge Arbeit und Energie benötigt, um zu uns zu gelangen, auch wenn es dann einfach aus dem Hahn läuft, meint María Rosa Tirado Mejía, der wir bei der Reinigung ihrer Wasseraufbereitungsanlage helfen. Wir besuchen Margarita in ihrem aus recycelten Materialien zusammengezimmerten Wohnhaus unterhalb von Salento, einem kolonialen Städtchen im Kaffeegürtel Kolumbiens. Das Wellblech der Dächer, die Holzlatten der Wände, die Steine für die Mauern, alles gefunden und wiederverwendet. Hier pflanzt die 63-jährige seit fast drei Jahrzehnten Wald, mittlerweile sehen ihre vier Hektar aus wie richtiger tropischer Bergwald. Margarita ist überzeugte Ökologin.

Hoher Wasserverbrauch durch konventionelle Sanitäranlagen



Gerade Sanitäranlagen seien in Wohnhäusern ein riesiges Problem. Einmal auf Toilette gehen und urinieren verbraucht mindestens sechs Liter Wasser, und das auch nur, wenn man ein neues Klo hat. Bei alten Klos können es bis zu 16 Litern werden. Und WCs verbrauchen nicht nur sehr viel Wasser, sie produzieren auch Unmengen Abwasser, dessen Reinigung teuer ist, wenn sie überhaupt stattfindet. In den meisten Gegenden Lateinamerikas werden städtische Abwasser einfach in den nächsten Bach oder Fluss geleitet — ob der nun Wasser führt oder nicht. Diese mit menschlichen, tierischen und industriellen Abfällen kontaminierten Gewässer speisen die Wasserversorgung vieler Haushalte, und das führt zu Gesundheitsproblemen: Weltweit sterben jedes Jahr fast eine Million Menschen an wasser- oder hygienebedingten Durchfallerkrankungen, an Cholera, Typhus, Hepatitis.

Mit Trockenklo und Fettabscheider gegen Wassermangel



Alternativen gibt es, zumindest für den ländlichen Raum: Latrinen zum Beispiel, Plumpsklos. Aber auch die müssen alle paar Jahre gereinigt werden. Diego, Fabian und ich bauen gerade eine Autostunde von Margaritas Wald entfernt unser eigenes Ökohaus. Auch Diego findet WCs scheiße. Seine Lösung sind Trockenklos: »Du sitzt auf einem normalen Klositz, unter Dir ist aber ein Eimer, und nach jedem Toilettengang spülst Du nicht mit Wasser, sondern streust eine Schicht Sägemehl über deine Exkremente.« Der Urin wird separat gesammelt. Sind die Behälter voll, kommt der Inhalt des Eimers auf den Kompost, der Urin dient als Pflanzendünger. Statt zu stinken, riecht der Exkrementeneimer nach Holz. Und der Wasserverbrauch ist: Null! Trockenklos sind ein Element der Permakultur, in der alles, was auf einer Finca anfällt, wiederverwendet wird. Verkompostierung ist eine Möglichkeit, die andere ist die Erzeugung von Biogas, das man dann zum Kochen nutzen kann. Jedenfalls gelangen sie nicht in die Gewässer, aus denen bach- oder flussabwärts wieder Wasser zum Waschen oder Trinken entnommen wird. Ein weiteres Problem: Fette und Waschmittel. Sie verstopfen nicht nur gerne Abwasserleitungen mit bisweilen riesigen, übel riechenden Pfropfen, sie gefährden auch die Trinkwasseraufbereitung. Margarita in ihrem Recyclinghaus im Wald hat sich auch dieses Themas angenommen: »Ich trenne die Waschmittel-Fettgemische mit Fettabscheidern vom Abwasser und hole die Fettklumpen dann mit Eimern da raus. Sie sollen auf keinen Fall in den Fluss gelangen, sonst würden sie direkt wieder in meine Wasseraufbereitungsanlage kommen.« Neben der Fettabscheideanlage gibt es noch eine aerobe und eine anaerobe Reinigungsstufe. Zum Schluss kommen noch ein Kies-Sand-Filter und ein Pflanzenbett. Danach ist Margaritas Abwasser zu 100% sauber. Einfache, wenn zum Teil auch arbeitsaufwändige Methoden zum Wassersparen und Abwasservermeiden gibt es also durchaus.

Noch ein Problem, für das es Lösungen gäbe: die Frischwasserversorgung



In unserem Ökohaus will Fabian aber auch unabhängiger werden von der maroden Wasserleitung, die das kleine Tal versorgt. So sammeln wir das Regenwasser vom Dach unseres Hauses. Durch die regelmäßigen tropischen Regenfälle kommt so ein Vielfaches mehr an Wasser zusammen, als wir pro Monat für Duschen, Waschen und Putzen benötigen. Das Regenwasser gelangt dann nach einem Laubfilter in einen kleinen Tank, wird von dort in den höher gelegenen Haupttank gepumpt. Der versorgt die Wasserleitungen mit Wasser und mit genügend Druck. Für das Trinkwasser gibt es einen Extrafilter. Die ganze Installation kostet knapp 800 Euro, plus Arbeitsaufwand.

In vielen Regionen Lateinamerikas, und dazu gehören auch die Armenviertel der Metropolen, ist die Wasserversorgung ein Problem. Selbst da, wo es eigentlich genug regnet. Bevor wir nach Kolumbien aufs Land gezogen sind, haben wir im ziemlichen Gegenteil gewohnt. In Mexiko-Stadt. Hier, und in den Bergen drum herum, regnet es übers Jahr mehr als beispielsweise in London. Dennoch hat der städtische Moloch ein riesiges Wasserproblem. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen teils Jahrhunderte zurück. Seit die Spanier die Inselstadt Tenochtitlán erobert haben, wird Mismanagement mit Wasser betrieben. Die Eroberer hatten zunächst einen Tunnel durch den Berg gebohrt, um ihre neue Hauptstadt zu entwässern. Dann begann die Stadt zu wachsen, die Einwohner produzierten immer mehr Abwässer. Die Flüsse wurden zu Kloaken, und weil das einer modernen Stadt nicht angemessen war, hat man diese Flüsse in Röhren gelegt.

Für Nabani Vera ist klar: »Wenn wir keinen Paradigmenwechsel herbeiführen, dann wird Mexiko-Stadt wie Kapstadt vor ein paar Jahren irgendwann ohne Wasser dastehen, mit dem Unterschied, dass wir hier eigentlich genug Wasser haben.« Der Mittdreißiger sprintet mit Turnschuhen, leichten Jeans und lässigem T-Shirt als Kommunikationschef durch die Büros und Verkaufsläden von Isla Urbana. Seine kleine Firma baut Regenwassertanks für die Millionen Betondächer, die in Mexiko-Stadt so typisch geworden sind. Die Vorteile liegen auf der Hand, denn im Moment, so Nabani Vera, »verbrauchen wir ungeheuer viel Energie, um Frischwasser aus benachbarten Bundesstaaten in die Stadt zu pumpen. Die Hauptwasserleitung pumpt einen Großteil des Wassers über einen ein Kilometer hohen Berg und über eine Distanz von über 300 Kilometern. Den Regionen dort ziehen wir also das Wasser ab. Hier in Mexiko verlieren wir 40 Prozent in Leitungslecks. Und am Ende leiten wir das ganze Abwasser wieder raus aus der Stadt.« Für gerade einmal 1.500 Euro bietet Isla Urbana Regenwassernutzungsanlagen für kleinere Häuser an. Wasser, sauber genug zum Duschen, kommt nach einigen Filterdurchgängen aus der Leitung. Angefangen hat Isla Urbana in höher gelegenen Stadtteilen, die oft nicht an die Wasserversorgung angeschlossen sind und mit Tankwagen versorgt werden müssen. Mittlerweile kommen umweltbewusste Haushalte hinzu. Zehntausend Anlagen hat Isla Urbana bislang installiert, es sollen aber noch viel mehr werden. Da sei dann allerdings die Politik gefragt.

Mexiko-Stadt plant Ausweitung der Regenwassernutzung



Die internationale Gemeinschaft hat sich mit Punkt sechs der »Sustainable Development Goals« (SDGs) das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2030 für alle Menschen eine saubere Sanitärversorgung und sauberes Trinkwasser zu garantieren. Wie die meisten dieser Entwicklungsziele scheint auch das Erreichen des Wasserziels illusorisch. Immerhin, Claudia Sheinbaum, die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, hat die Wasserproblematik zur Chefinnensache erklärt, will die Regenwassernutzung ausbauen, lässt Bäume pflanzen und das Leitungsnetz sanieren. Aber Gemeinden weltweit müssen sich angesichts des rasanten Klimawandels die Frage stellen: Wie die Wasserversorgung bei nach wie vor wachsender Bevölkerung nachhaltig, also ohne Raubbau gestalten? Und wie dem Abwasserproblem zu Leibe rücken? Am besten so, dass aus einem Problem ein Rohstoff wird. Im Kleinen sind Lösungen längst da. Das große Geld muss noch zum Umdenken gebracht werden.

Zu diesem Text gibt es auch einen Audiobeitrag bei onda.


Quelle: poonal
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