5G: Indigene Gemeinden in Mexiko gehen beim Mobilfunk eigene Wege

Poonal vom 05.01.2021
Nils Brock

 

Wartungsarbeiten in San Jerónimo ProgresoWartungsarbeiten in San Jerónimo Progreso Foto: TIC AC Mexiko
(Berlin, 05. Januar 2021, npla).- »Deutschland spricht über 5G«. Das ist der Name eines Bürgerdialogs, mit dem die Bundesregierung über Bedenken und Vorteile des neuen Mobilfunkstandards 5G ins Gespräch kommen will — allen voran Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Beim Online-Auftakt der Initiative im Dezember 2020 zeigte sich Scheuer als klarer Befürworter der neuen Technologie: »Die Anwendungen sind einfach so unbestritten gut, dass man jetzt diese neue Generation forciert. Ich hab’ unlängst ein Video gesehen von einem Wissenschaftler, der macht mit der Schwarmintelligenz von mehreren Drohnen eine Hochzeitstorte.«

So würden mit maschineller Unterstützung die Möglichkeiten geschaffen, neue Dinge zu kreieren. Drohnen, die Torten backen oder Pakete zustellen, Roboter in der Altenpflege — die Message ist klar: Nicht nur Wirtschaft und Wissenschaft profitieren vom neuen 5G-Standard, sondern wir alle. Digitale Innovationen, weniger Funklöcher und ein schnelleres mobiles Internet in Stadt und Land.

Das Ziel der Bundesregierung sei die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, so Scheuer. »Die Corona-Pandemie bringt einen Digitalisierungsschub und hoffentlich auch eine schnellere Umsetzung in der Fläche«.

5G im Globalen Süden



Doch ist die schöne schnelle 5G-Welt auch eine nachhaltige, globale Perspektive? Eher nicht. Statt »Leave no one behind« herrscht international Konkurrenzdruck. Staaten wetteifern darum, Zukunftsstandorte der Industrie 4.0 zu sein, und Städte überbieten sich darin, wie smart sie angeblich sind. Von »5G für alle« ist dabei selten die Rede, und das hat gute Gründe, erklärt Peter Bloom von der im globalen Süden tätigen NGO Rhizomatica: »Man braucht eine gute Energiezufuhr, schnellen Zugang zu Datentransfers, vor allem Glasfaser-Technologie. 5G wird nicht wirklich etwas sein, wovon Menschen im Globalen Süden in der nächsten Zeit profitieren können. Selbst der Lobbyverband der Telekommunikationsunternehmen GSMA schätzt, dass bis 2025 gerade mal drei Prozent aller Mobilfunknetze in Afrika auf dem 5G-Standard basieren werden.«

Auch in Lateinamerika wird 5G nur langsam Fahrt aufnehmen, und ländliche Gegenden drohen bei der Digitalisierung wichtiger Lebensbereiche erneut Zuschauerinnen zu bleiben, vermutet Netz-Experte Bloom. Seine These: Die Mobilfunkanbieter werden den teuren Aufbau des 5G-Netzwerks zunächst auf die Städte konzentrieren, wo sie hoffen, die enormen Kosten des weltweiten Netzausbaus decken zu können: eine Billion Euro in den kommenden sieben Jahren. »Die Eile beim Aufbau von 5G-Netzen hat etwas mit einem ziemlich willkürlichen zehnjährigen Entwicklungszyklus zu tun, dem die Mobilfunkindustrie folgt. Alle zehn Jahre wird eine neue Generation auf den Weg gebracht. 2G, 3G, 4G und jetzt 5G. Ich glaube, wir brauchen 5G nicht unbedingt.«

Chips und Handys — die Antreiber des 5G-Standards



Bloom ist auch der Frage nachgegangen, woher die scheinbare Dringlichkeit für den Aufbau der nächsten Mobilfunkgeneration rührt. »Innerhalb der Mobilfunkindustrie gibt es bestimmte Akteure, vor allem die Chip-Hersteller Qualcomm und Intel, oder Hersteller von Mobilfunktechnik wie Huawei, Ericsson und Nokia, die mit jeder neuen Generation einen Haufen Geld machen«, analysiert Bloom. »Die Mobilfunkanbieter müssen dann jedes Mal gemeinsam mit ihren Kunden diese Upgrades bezahlen.« So seien selbst Mobilfunkanbieter skeptisch, ob sie in der Lage sein werden, alles umzusetzen. Unter den Skeptikern sind u.a. Telecom-Verbände aus Indien und Brasilien. Zweifel über einen schnellen globalen Rollout sind also berechtigt.

Indigene Netzwerker*innen



Netzadministratorinnen in ChapultepecNetzadministratorinnen in Chapultepec Foto: TIC AC Mexiko
Bis heute gibt es auch im 4G-Netz viele weiße Flecken — von MeckPom bis Mexiko. Im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca haben einige indigene Gemeinden abseits der Technologie-Salons und staatlichen Digitalisierungspläne bereits vor sieben Jahren begonnen, ihre eigenen Mobilfunknetze aufzubauen. Die Geschichte sorgte weltweit für Aufsehen. Anfangs gab es Unterstützung von Rhizomatica; heute ist Telecomunicaciones Inigenas Comunitarias — kurz TIC — ein eigenständiger nicht-kommerzieller Anbieter, getragen von 19 Gemeinden.

Im Büro von TIC in Oaxaca-Stadt koordiniert die Elektroingenieurin Penelope Partida den operativen Betrieb des Netzwerks. Die Mitgliedsgemeinden kommunizieren aktuell mit dem relativ alten 2.5 Standard auf dem 850 Megahertz-Bereich. »Vor kurzem hat die mexikanische Regulierungsbehörde IFETEL unseren Antrag genehmigt, künftig auch auf 10 Gigahertz zu operieren,« erzählt Partida. »Damit können wir ab sofort bessere Verbindungen zwischen den Gemeinden einrichten und den Aufbau von 4G-Netzen vorbereiten. In der Praxis heißt das, bald auch über mobile Endgeräte im Internet surfen zu können.«

Upcycling mit Unterstützung aus Berlin



Statt 5G-Hype herrscht in Oaxaca also eher Aufbruchsstimmung beim Aufbau von 4G-Netzen. Das Problem: Neues Equipment für diese Technologie war bisher sehr teuer. Deshalb bastelt TIC gemeinsam mit Rhizomatica seit Monaten an einer Allianz für ein innovatives Upcycling. »Die meisten Netzwerke der entwickelten Welt, wie Deutschland oder USA, tauschen gerade ihre 4G-Netzwerkzellen mit hybriden Geräten aus, die 4G- und 5G-Standards unterstützen,« erklärt Bloom. »4G wird nicht so schnell verschwinden. Es wird viel gebraucht und ist äußerst nützlich.« Die Einführung der hybriden Sendetechnik sorge jedoch dafür, dass ausgediente aber voll funktionsfähige 4G-Netwerkbauteile inzwischen für wenig Geld zu haben sind, sogar bei Ebay — also ideale Voraussetzungen, dieser Technik zu einem neuen sozialen Nutzen zu verhelfen.

Bleibt ein Problem: die Mobilfunk-Basisstationen funktionieren von Haus aus nur mit teurer Lizenzsoftware. Deshalb setzt TIC wie schon bei früheren Mobilfunkgenerationen auch diesmal auf die Kooperation mit dem Berliner Osmocom-Projekt. »Das ist ein freies Projekt, also freie Software. Das heißt, alle können das frei und kostenlos benutzen und haben auch viele Rechte daran«, beschreibt der Mobilfunkentwickler Alexander Couzens die Initiative. »Das ist quasi Mobilfunk in OpenSource, da können alle mitmachen.« Erklärtes Ziel sei es, möglichst mit freier und offener Software und Hardware Mobilfunknetze zu bauen. Um eine Reihe gebrauchter 4G-Stationen für den Testbetrieb in Mexiko nutzbar zu machen, war Couzens diesmal nicht als Programmierer gefragt, sondern eher als eine Art Übersetzer, denn »eigentlich hab ich eher eine Art Handbuch geschrieben, wie man alte Hardware weiterverwenden kann mit OpenSource.« Interessant sei das vor allem nur für Community-Netzwerke, die meist mit einer Basisstation eine Gemeinde versorgen wollen.

Die nächste Generation nachhaltiger Netzwerke steht in den Startlöchern



Bereits im letzten Jahr hat TIC in der Gemeinde Santa Inés de Zaragoza eine 4G-Mobilfunkzelle getestet. Mit Hilfe des neuen Handbuchs sollen bald schon weitere Geräte dazu kommen — betrieben mit Solarenergie, einem weiteren Baustein für umweltbewusste Technologien. Das indigene Mobilfunknetzwerk verfolgt seinen eigenen Weg, hin zu einer nachhaltigen Kommunikation. »Das 5G-Fieber ist wirklich etwas, das weit weg von uns geschieht«, meint auch Partida. Und selbst bei der Einführung von 4G-Netzen sei es ratsam, dass jede Community sich Zeit nimmt, die Vorzüge und möglichen Nachteile dieser Technologie für das Leben in den Gemeinden abzuwägen. »In jedem Fall bietet 4G die Möglichkeit, lokale Infra-Netze zu schaffen, in denen Menschen Inhalte austauschen können, die sie für die Community produzieren. Klar, das bedeutet noch mal eine extra Anstrengung, aber auch einen weiteren Schritt, digitale Netze in autonomen Gemeinden aufzubauen.«

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